Sie haben in öffentlicher Sitzung schon mehrfach davon gesprochen, dass es Klassen gäbe – eine in Bad Kreuznach – mit zehn Kindern mit Beeinträchtigungen im Unterricht. Die
Anfrage sagt etwas anderes. Ich habe zwei Schulen gefunden, und beide haben einen guten Grund. Eine davon ist die Montessori-Schule (Landau). Fahren Sie einmal hin, schauen Sie sich das Konzept an. Das wird Sie überzeugen.
Was mir aber noch viel mehr Kummer macht, ist, dass Sie mit einem Rechtsgut sehr fahrlässig umgehen. Ich denke, das Wort Kindeswohl sollten Sie etwas genauer recherchieren. Es handelt sich hier um ein Rechtsgut des deutschen Familienrechts. Wenn Sie von einer Gefährdung des Kindeswohls sprechen, dann sollten Sie genau darüber nachdenken,
(Carsten Pörksen, SPD: Das interessiert die überhaupt nicht! – Julia Klöckner, CDU: Da kennt sich einer aus!)
dass es sich dann, und zwar festgestellt nach der Auslegung der Rechtsprechung, um eine Vernachlässigung handeln muss, um ein schändliches Verhalten der Sorgeberechtigten. Ich bitte Sie, Ihre Wortwahl in Zukunft etwas sorgfältiger zu treffen.
Der Begriff Kindeswohl ist mindestens viermal in Ihrem Antrag erwähnt und jeweils im Zusammenhang mit der Gefährdung durch die Schwerpunktschule. Ich halte das für nicht vertretbar und Ihrer Rolle als bildungspolitische Sprecherin nicht würdig.
Die Große Anfrage der CDU hat uns sehr viele Zahlen geliefert. Ich bin Ihnen dafür dankbar, dass Sie sie so gestellt haben. Wir sehen nun in der Tat, wo wir stehen. Wir haben den Zahlen einen kontinuierlichen Aufwuchs der Schwerpunktschulen im ganzen Land entnommen und damit verbunden den Zuwachs an sonderpädagogischer Kompetenz an diesen Schulen.
Ich bin sehr froh darüber, dass inzwischen 710 Förderschullehrer und Förderschullehrerinnen in den Schwerpunktschulen ihren beruflichen Standort auch dauerhaft finden können, sofern sie das möchten. Das hat nämlich zur Folge, dass ihr Wissen, ihr Können Eingang finden in das Wissen und Können des gesamten Kollegiums.
Förderschullehrkräfte arbeiten nämlich nicht nur mit einzelnen Kindern, sondern eben auch mit anderen Professionen zusammen im Team. Das ist gut so; denn in der Zusammenarbeit im Team werden die Grundlagen geschaffen, individuelle Zielvorgaben und Förderpläne für jedes Kind und für alle Kinder in einer Klasse zu formulieren und umzusetzen.
Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu inklusivem Unterricht, der auf das einzelne Kind schaut, es fördert und fordert, seine Kreativität respektiert, seine Kommunikationsfähigkeit fördert, es zur Zusammenarbeit mit den Klassenkameraden befähigt, sein kritisches Denken an
feuert, seine Persönlichkeitsbildung stärkt – dazu gehören eben auch Ausdauer und Belastbarkeit, das kann man eben nur in verschiedenartigen Kontexten mit unterschiedlichen Playern lernen –, das demokratisches Lernen einübt, das es zur Engagement in der Gesellschaft motiviert.
So erfährt ein Kind in einer Klasse Selbstwirksamkeit. Dazu braucht es Neugierde, und es braucht natürliche Motivation. Es braucht natürlich auch den offenen Blick der Lehrerinnen und Lehrer auf seine individuellen Voraussetzungen.
Andererseits haben Sie recht, es braucht kollektive Voraussetzungen, es braucht Ressourcen. Ich finde es beschämend, dass diese kollektiven Voraussetzungen zur Befähigung junger Menschen in den Schulen nirgendwo so segregierend sind wie in Deutschland. Das trifft die Schülerinnen mit festgestelltem Förderbedarf, aber nicht sie allein. Das trifft auch Kinder aus Familien, die nicht bildungsaffin sind.
Frau Dickes, wenn Sie es genau nehmen, betrifft es auch Kinder mit Hochbegabung, die an eine Schule kommen, wo sie nicht unter Ihresgleichen, unter Gleichaltrigen mit unterschiedlichen Begabungen und Möglichkeiten gemeinsam lernen können. Das ist sehr bedauerlich.
Ich finde es beschämend, dass wir immer noch Kinder und Jugendliche im allgemeinen Bildungssystem benachteiligen, dass Kinder und Jugendliche, weil sie anders sind, vom Unterricht ausgegrenzt werden. Bis vor wenigen Jahren war das auch in Rheinland-Pfalz so.
Mit der Wahl der Eltern, mit dem Wahlrecht im Schulgesetz und davor schon mit den Schwerpunktschulen haben wir Möglichkeiten geschaffen, hier für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Das ist richtig.
Sie schreiben in Ihrem Entschließungsantrag, dass Förderschulen ihren Schülern Selbstbewusstsein vermitteln. Ich bitte Sie. Ich hoffe doch, dass das jede Schule macht und jede Schule zum Ziel hat, wenn sie ihre Kinder entlässt, Menschen zu entlassen, die fähig sind, im Leben einen Fuß vor den anderen zu setzen, und das Beste für die Kinder zu tun.
Was ich allerdings schrecklich finde, ist, dass Sie dann, wenn Sie glauben, dass die Mehrheit der Kinder im Fortkommen behindert sei, der Schule das Recht geben wollen, Kinder mit festgestellter Beeinträchtigung von der Schule zu verweisen.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich will mich auf vier Bemerkungen konzentrieren, weil schon viel Richtiges und einiges Falsches gesagt worden ist.
1. Inklusion ist eine Frage der Haltung. Die Landesregierung und die Koalition haben eine sehr klare Haltung in dieser Frage. Wir wollen Inklusion aus Überzeugung, weil es ein Menschenrecht ist und weil wir dazu rechtlich verpflichtet sind. Das ist eine ganz klare Haltung. Ich bin mir leider durch die vielen Debatten, die wir zu diesem Thema auch im Bildungsausschuss hatten, sicher, dass wir in dieser Frage mit der Opposition keinen Konsens finden können, weil Sie wieder, Frau Dickes, unter Beweis gestellt haben, dass Sie Hürden aufbauen und keine Wege suchen, wie wir vernünftig in diesem Parlament über Inklusion diskutieren können.
2. Inklusion braucht gute Bedingungen, gute Rahmenbedingungen. Ich möchte Herrn Dräger zitieren, Chef der Bertelsmann Stiftung, der gestern eine Studie zur Inklusion veröffentlicht hat. In der Studie hat er untersucht, wie gehen Eltern mit, welche Erfahrung machen sie im inklusiven Unterricht. Herr Dräger sagt wörtlich – ich zitiere mit Erlaubnis –: „Konkrete Erfahrung überzeugt Eltern von Inklusion. Ein schrittweiser Ausbau von inklusiven Schulen ist deswegen sinnvoll.“ Genau den Weg gehen wir hier in Rheinland-Pfalz, einen schrittweisen Ausbau von Inklusion.
Die Abgeordneten Frau Brück und Frau Ratter haben darauf hingewiesen, 710 Vollzeitlehrerstellen haben wir bereits zur Verfügung gestellt. Wir werden natürlich schrittweise weiter Ressourcen beim Ausbau der Inklusion zur Verfügung stellen. Das wissen Sie. Darüber haben wir im Bildungsausschuss schon mehrfach diskutiert.
Wir haben 270 Schwerpunktschulen, die eine sehr gute Arbeit machen, wenn man die Augen aufmacht, wenn man sich mit den Schulen unterhält und wenn man das Positive sehen möchte. Das ist vorausgesetzt. Sieben weitere Schwerpunktschulen werden dazukommen.
3. Wir werden uns natürlich darum kümmern, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer gut für diese wichtige Aufgabe nicht nur in der Ausbildung, sondern auch in der Fort- und Weiterbildung vorbereitet werden. Auch hier haben wir erst vor Kurzem ein ganz großes Lob bekommen. Wieder war es die Bertelsmann Stiftung, die untersucht hat, wie das Themengebiet Inklusion in der Lehrerausbildung in den Bundesländern grundgelegt ist. Sie hatte Rheinland-Pfalz als eines von sechs Bundesländern positiv herausgestellt,
bei dem garantiert ist, dass alle Lehramtsstudierenden das Thema Inklusion im Studium haben. Das ist richtig. Schon im Studium achten wir darauf, dass sich unsere angehenden Lehrkräfte positiv mit dem Themenschwerpunkt Inklusion auseinandersetzen, weil wir zu diesem Thema eine Haltung haben.
Wir werden uns auch darum kümmern, dass wir im Bereich Fort- und Weiterbildung verbindliche Vorgaben machen. Wir werden in der nächsten Plenarsitzung – ich freue mich schon darauf – das Gesetz zur Stärkung der inklusiven Kompetenz der Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften auf den Weg bringen und darüber beraten.
4. Wir stehen zum Elternwahlrecht. Wir haben allen Grund dazu, zum Elternwahlrecht zu stehen, weil Eltern sehr verantwortungsvoll mit dem Elternwahlrecht umgehen.
Die Inklusionsquote ist von 27 % im Schuljahr 2013/2014 auf 29,2 % im laufenden Schuljahr angestiegen. Die Prognosen zeigen uns, dass sich das zum kommenden Schuljahr in etwa fortsetzen wird. Eltern gehen sehr verantwortungsvoll mit ihrem Elternwahlrecht um.
Wenn man sich die Protokolle der Plenarsitzungen zu diesem Thema durchliest, dann sieht man die Frage, wer über die wichtige Frage entscheiden soll, wenn es nicht die Eltern sind. Deswegen haben wir gut getan, dass wir das Elternwahlrecht im Schulgesetz verbrieft haben.
Ich komme jetzt zu Ihrem Entschließungsantrag. Man könnte sehr viel sagen, um deutlich zu machen, wie Sie mit Zahlen arbeiten. Ich konzentriere mich wirklich nur auf zwei Punkte, aber die möchte ich schon erwähnen.
Sie vergleichen und haben in Ihren Ausführungen und Ihrem Entschließungsantrag gesagt, dass die durchschnittlichen Klassengrößen an Schwerpunktschulen und Förderschulen sehr unterschiedlich sind. Sie stellen sie gegenüber. Wer die Klassengröße einer Förderschule mit einer Schwerpunktschule vergleicht, der hat wirklich nicht verstanden, was Inklusion heißt. In der Förderschule sitzen nur Kinder mit Förderbedarf. In einer Schwerpunktschule sind es maximal zehn, im Schnitt 10 %. Das kann man doch wirklich nicht miteinander vergleichen.
Aber wirklich überhaupt nicht mehr akzeptabel – wir werden Ihnen das in Zukunft nicht mehr durchgehen lassen, das sage ich ganz deutlich – ist, wenn Sie mit Zahlen so arbeiten, wie Sie arbeiten. Sie haben vorhin gesagt, an ungefähr 300 Schwerpunktschulen sitzen bis zu zwölf Kinder in einer Klasse. Auf Seite 128 der Großen Anfrage – sie ist 150 Seiten stark – gibt es eine einzige Schule mit zwölf Kindern in einer Klasse. Ich muss dazu sagen, gab es; denn es gibt sie nicht mehr. Es war eine Arbeitsweltklasse an der Anne-Frank-Realschule plus in Mainz. Die gibt es nicht mehr. Wir haben es erwähnt. Was wird daraus in Ihrem Antrag? An ca. 300 Schulen sitzen bis zu zwölf Kinder in einer Klasse.
Sie gibt es nicht mehr. Behaupten Sie bitte nicht in Zukunft, dass bei uns bis zu zwölf I-Kinder in einer Klasse sitzen.
Wenn wir eine Große Anfrage beantworten, dann machen wir das grundsolide und tun es sehr gern. Wir haben dann das Recht, dass man mit unseren Angaben so umgeht, wie wir sie grundsolide geliefert haben.