Protokoll der Sitzung vom 02.07.2015

Wir haben über 300 Klassen in Rheinland-Pfalz, in denen zwischen vier und maximal sogar 12 Kinder in einer Klas

se einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Das sind Förderklassen, die aufgestockt werden, und nicht das, was Sie unter Inklusion verstehen. Dafür sind auch die Rahmenbedingungen nicht da, und das ist etwas, was wir schon seit Langem kritisieren.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen – Sie mögen ihn als Nebensächlichkeit oder als keinen Punkt betrachten –, der mir ganz besonders am Herzen liegt. Es geht um die Kinder mit einer ganzheitlichen Beeinträchtigung, also um geistige Behinderung. Nach wie vor existiert kein Konzept, was man mit diesen Kindern macht, wenn sie die neunte Klasse abgeschlossen haben. An den Förderschulen gibt es Werkstufen, in denen die Kinder lebenspraktisch auf die Zukunft vorbereitet werden. Dies umfasst sowohl das selbstständige Leben später in Eigenverantwortung als auch die Frage der beruflichen Vorbereitung. Ich finde, das ist ein sehr gutes Konzept, aber nach wie vor haben wir keines. Es gibt mindestens zwei Schulen – das war aus der Großen Anfrage ersichtlich –, in denen Schüler an Schwerpunktschulen einfach immer wieder so lange durch Abschlussklassen gezogen werden oder diese Abschlussklassen immer wieder durchlaufen, bis sie die Schulpflicht erfüllt haben. Ich glaube nicht, dass man dabei in irgendeiner Weise von Vorbereitung auf das Leben sprechen kann, von bestmöglicher Förderung für die Kinder, und ich finde, das ist eine sträfliche Vernachlässigung, die bei uns stattfindet.

(Beifall der CDU)

Insoweit kann ich auch nur noch einmal eindringlich die Forderungen wiederholen, die wir schon im vergangenen Jahr gestellt haben; denn es hat sich leider Gottes das bestätigt, was wir befürchtet haben. Wir sagen, die Förderschulen müssen auch weiterhin erhalten bleiben, um Schülerinnen und Schülern eine Wahlfreiheit zu geben, um selbst herauszufinden, welche Schule für sie die richtige ist. Wichtig ist aber auch, dass man die Wechselmöglichkeiten hat; denn beide Schulen haben ihre Vorteile. Es ist keine Frage: Es geht mir nicht darum, gegen die Inklusion zu sprechen, sondern für beides, und das möchten wir erhalten wissen.

(Beifall der CDU)

Als zweiten Punkt möchten wir, dass Kinder ein Anrecht auf Standards haben, ganz egal, wo sie unterrichtet werden. Kinder haben ein Anrecht auf bestmögliche Förderung, und deswegen müssen Mindeststandards für den förderpädagogischen Unterricht gesetzlich festgeschrieben werden.

Als ein dritter Punkt ist uns das Elternwahlrecht wichtig; denn die Eltern kennen ihr Kind am besten, und sie haben die innigste Beziehung zu ihrem Kind.

Deswegen gibt es auf allen Ebenen für alle Kinder das Elternwahlrecht. Aber es gibt auf allen Ebenen auch die Möglichkeit, dann, wenn das Elternwahlrecht nicht zum Wohl des Kindes gelaufen ist, diese Wahl auch noch einmal zu korrigieren. Diese Korrekturmöglichkeit wünschen wir uns ganz besonders auch in diesem Bereich, dass man – genau wie bei jedem anderen Kind –, wenn man merkt, dass es nicht dem Kindeswohl entspricht, dass das Kind

inklusiv oder auch an einer Förderschule beschult wird, dann auch Korrekturmöglichkeiten hat.

(Glocke des Präsidenten)

Das sollte gesetzlich festgeschrieben werden; denn eines muss ganz klar sein:

(Glocke des Präsidenten)

Es geht hier um Kinder. Es geht um Kinder, die den größtmöglichen Förderbedarf haben und unsere besondere Fürsorge brauchen. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein.

(Beifall der CDU)

Für die SPD-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Brück das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Inklusion will, sucht Wege. Wer sie nicht will, sucht Begründungen. – Dieses Zitat des früheren Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, des CDU-Bundestagsabgeordneten Hubert Hüppe, trifft den Nagel auf den Kopf.

(Dorothea Schäfer, CDU: So macht man alles kaputt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, das hätten Sie einmal besser beherzigen und vielleicht bei Ihren Kollegen aus der Bundestagsfraktion Beratung und Expertise bei diesem Thema einholen sollen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie benutzen die Antwort auf die Große Anfrage, um Ihre merkwürdigen Thesen zu untermauern. Dafür sezieren, biegen und interpretieren Sie die Antworten, wie Sie es gerade gerne hätten,

(Julia Klöckner, CDU: Es gibt auch einmal eine andere Meinung! Es ist nicht alles merkwürdig!)

vergleichen Äpfel mit Birnen, alles geht kreuz und quer. Sie tun es wie immer. Sie schüren Ängste und Vorbehalte vor inklusivem Unterricht, stellen Halb- und Unwahrheiten in den Raum, wie zum Beispiel das Märchen vom Abschaffen der Förderschule.

(Zuruf der Abg. Dorothea Schäfer, CDU)

Wie hat Ihr Kollege Herr Lammert noch vor ein paar Tagesordnungspunkten eben gesagt? Man darf mit den Emotionen der Bürger nicht spielen. Das habe ich mir genau aufgeschrieben; denn genau das machen sie. Dann lassen Sie es bitte auch!

(Vereinzelt Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Märchen mit der Abschaffung der Förderschulen. Da nehmen Sie die Schließung von einigen wenigen vereinzelten Förderschulen in diesem und im nächsten Jahr als Trend. Das ist eigentlich unerhört, was Sie da machen; denn es sind Schließungen auf Antrag des Schulträgers wegen sinkender Schülerzahlen. Der Trend der sinkenden Schülerzahlen geht auch an den Förderschulen nicht vorbei.

Sie skandalisieren außerdem die Zuweisung der Förderlehrer im gemeinsamen Unterricht. Nun, mit der Lesekompetenz bei der CDU-Fraktion kann es so weit nicht her sein.

(Bettina Dickes, CDU: Jetzt werden Sie doch einmal sachlich!)

Vielleicht hätte da die Methode Lesen durch Schreiben genutzt. Wer die Tabellen in der Großen Anfrage genau liest, der stellt schnell fest, dass das tatsächliche Ist an Förderlehrerwochenstunden um 280 Stunden über dem Soll liegt. Unsere Schwerpunktschulen sind also sehr gut versorgt. Außerdem haben wir mit der pauschalierten Zuweisung ein gutes und transparentes System gefunden, das der individuellen Förderung aller Kinder in einer Schule gerecht wird.

Was die Frage der Kinder anbelangt, wenn sie in Klasse 9 einer Schule im inklusiven Unterricht angelangt sind, so wissen Sie auch, dass im neuen Schulgesetz die Experimentierklausel vorhanden ist und wir intensiv im Ausschuss darüber geredet haben, wie diese neue Experimentierklausel im kommenden Schuljahr bei etlichen berufsbildenden Schulen Anwendung finden wird. Die Darstellung der CDU zeugt von grober Unkenntnis der Schullandschaft in Rheinland-Pfalz in unterschiedlichen Ebenen der Verantwortung bei der Organisation von Schulen.

(Marlies Kohnle-Gros, CDU: Haben Sie einmal das Heft „Realschule“ gelesen? Dann können Sie einmal sehen, was der Verband denkt, wenn Sie uns schon nicht glauben!)

Ich will Ihnen sagen, woher das kommt. Sie haben eben Skandal heischend gesagt, dass zu viele Kinder mit Förderbedarf in unseren Klassen sitzen. Na ja! In Ihrer Pressemitteilung haben Sie das noch einmal genau ausgeführt. Sie sagen, in 300 Klassen sitzen vier bis zwölf Kinder. Das hört sich in der Tat viel an. Aber ich möchte Ihnen sagen, wir haben über 4.000 Klassen an unseren Schwerpunktschulen. In 1.789 Klassen sind durchschnittlich zwei Kinder mit Förderbedarf.

(Bettina Dickes, CDU: Und was ist mit den 300?)

In 2.300 Klassen sind gar keine Kinder mit Förderbedarf. Bei den Klassen, in denen mehr sind, hat das die Schule über ihr eigenes Schulkonzept entschieden, weil das nämlich in der Eigenverantwortung unserer Schulen liegt und wir nicht den Schulen vorschreiben wollen, wie sie ihr Förderkonzept in ihren Schulen machen. Wir wollen sie vielmehr dabei unterstützen, dass es so ist.

(Zurufe der Abg. Dorothea Schäfer und Bettina Dickes, CDU)

Diese Schulen sind in der Regel besonders gut ausgestattet, weil sie sich bewusst für diesen Weg entschieden haben. Da schreibt keiner was vor, weil die Schulen nämlich am besten wissen, wie sie guten Unterricht sinnvoll gestalten.

Wenn Sie dann in einem Antrag zwei Tagesordnungspunkte weiter schreiben, die Eltern sind die Experten für ihre Kinder, dann muss ich dazu sagen, ja, das ist so, das sehen wir ganz genauso. Dann lassen Sie es doch bitte beim uneingeschränkten Wahlrecht von Eltern mit Kindern mit Behinderungen für den Förderort ihres Kindes an der Schule.

Rüsten Sie mit Ihrer Wortwahl ab. Begriffe, wie sie in Ihrem Antrag stehen, der gemeinsame Unterricht hat Grenzen, oder, gemeinsamer Unterricht schadet, sind verletzend und alles andere als an der UN-Behindertenrechtskonvention ausgerichtet.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Carsten Pörksen, SPD: Sehr richtig!)

Nirgends werden förderpädagogische Standards abgesenkt.

Wir haben Standards in unseren Schulen. Sie sind im Schulgesetz, sie sind im Orientierungsrahmen Schulqualität, und sie sind im Schulkonzept einer jeden Schule vorgeschrieben. Wir achten die Wahl des Förderorts durch die Eltern, weil sie die Experten sind.

(Glocke des Präsidenten)

Genauso werden wir auf diesem Weg weitergehen, weil auch jüngste Umfragen zeigen, eigenes Erleben von Eltern überzeugt Eltern von Inklusion.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Ratter das Wort.

Danke schön, Herr Präsident. Frau Dickes, Sie gerieren sich hier als Bedenkenträgerin.

(Zuruf von der SPD: Wie immer!)

Das macht mir große Sorge. Sie sprechen von fehlenden Ressourcen. Das genaue Gegenteil belegt die Antwort auf die Große Anfrage.

(Carsten Pörksen, SPD: Das war denen völlig egal!)