Unser Bildungssystem muss Chancen schaffen und darf Unterschichtenkinder nicht pauschal zu Verlierern stempeln. „Ein Staat, der nicht allen jungen Bürgern wirkliche Bildungschancen eröffnet und ihnen somit (...) eine Perspektive in der Gesellschaft verwehrt, produziert sozialen Sprengstoff, der unser freiheitliches und demokratisches Gemeinwesen (...) erschüttern kann.“ Das sagte der Al
terspräsident Werner Kuhn im Jahr 2006. Dem ist nichts hinzuzufügen, erst recht nicht angesichts der wachsenden Unsicherheit auch in unserem Land.
In zahlreichen wissenschaftlichen Analysen wird zudem immer wieder hervorgehoben, dass die Ursache von Erfolgen einzelner neu gegründeter Parteien in der wachsenden Politikverdrossenheit weiter Bevölkerungskreise liege. Diese Politikverdrossenheit, die sich vielfach in geringer Wahlbeteiligung oder auch spontaner Entscheidung ausdrückt, werde aber nicht zuletzt durch eine übergroße Distanz der Regierenden zu den Regierten befördert. In diesem Punkt sind wir auch in diesem Haus gefordert, das zu ändern.
Dazu gehört, dass Politiker Ängste, die in der Bevölkerung entstehen, ernst nehmen und ihnen mit guten Argumenten begegnen. Dazu gehört der Umgang mit Flüchtlingen, aber auch Ängste vor sozialem Abstieg und einer wachsenden Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich.
Hunderttausende glauben nicht mehr an wirtschaftlichen Aufstieg. Sie glauben auch nicht mehr an soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Chancengleichheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das aber sind wesentliche Säulen des politischen Erfolgs der alten Bundesrepublik. Vielleicht sollten wir auch daran, nämlich an die gute alte soziale Marktwirtschaft, anknüpfen, natürlich mit Instrumenten, die der heutigen Situation angemessen sind.
In der vorigen Woche habe ich eine Sendung im Fernsehen gesehen, in der es um den Begriff der Gerechtigkeit ging. In diesem Zusammenhang wurde eine Umfrage von dimap präsentiert. Die Frage lautete: Kümmern sich die etablierten Parteien darum, dass es gerecht zugeht in unserem Land? – 60 % der Befragten sagten Nein. Das allein sollte uns Ansporn sein, unsere Agenda wieder primär an den Sorgen der Bürger auszurichten.
Ein Beispiel: Die aktuelle Situation auf dem Zinssektor wird von vielen Sparern als ausgesprochen ungerecht empfunden. Doch führende Politiker äußern sich kaum zu diesem Thema. Ducken wir uns vielleicht weg? – Die einfachen Menschen sagen: Für die Rettung der Banken war Geld da. Dass nun wir Sparer verlieren – und damit große Teile unseres Ersparten –, kann unseren Volksvertretern doch nicht egal sein. – Auch diesen Menschen, die sich nicht immer mit betriebswirtschaftlichen Dingen beschäftigen und nicht alle Informationen haben, warum das so ist, müssen wir trotzdem zuhören und ihnen die Ängste nehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Eine meiner Maximen, seitdem ich in der Politik mitwirken darf, lautet, nah bei den Menschen zu sein. Dies ist auch eine große Stärke des Föderalismus.
Wir, die Abgeordneten des rheinland-pfälzischen Landtages, sitzen nicht fernab in Berlin. Unsere Heimatorte liegen im Umkreis von maximal zweieinhalb Fahrstunden von diesem Plenarsaal. Wir sind für die Menschen vor Ort greifbar. Nutzen wir diese Möglichkeit, aber machen wir auch klar: Entscheidungen brauchen Zeit. Gute Politik braucht Zeit.
Ich weiß: Noch niemand ist über Nacht zum Startänzer geworden. Sie brauchen dafür Kondition, Fleiß und Durch
haltevermögen. Das gilt auch für parlamentarische Arbeit und Prozesse. Das müssen wir erklären. Als Abgeordnete will ich dies beherzigen. Ich hoffe, viele von Ihnen tun das auch. Dann können wir die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der Politik wieder erhöhen.
Lassen Sie uns gemeinsam ans Werk gehen und uns dabei als Abgeordnete bemühen, entsprechend Artikel 20 der Verfassung für Rheinland-Pfalz unsere körperlichen und geistigen Kräfte so zu betätigen, wie es dem Gemeinwohl entspricht.
Ich berufe, wie es Tradition ist, die beiden jüngsten Abgeordneten, Damian Lohr und Jaqueline Rauschkolb, zu Schriftführern dieser Sitzung. Bitte kommen Sie zu mir an den Präsidiumsplatz, und nehmen Sie die Plätze ein.
Zugleich stelle ich fest, dass zur ersten Sitzung des Landtages noch von dem Präsidenten des alten Landtages eingeladen wurde, wie es die Geschäftsordnung in § 1 Abs. 1 Satz 2 vorsieht.