Protokoll der Sitzung vom 29.04.2020

Lieber Herr Baldauf, Sie haben mit einem Kollegen aus Ihrer Stadt Frankenthal, der für die Mittelstandsvereinigung der CDU spricht, jüngst wieder Äußerungen getätigt, dass zu diesem Zeitpunkt damals 80 % der Hilfen gar nicht ausgezahlt werden. Das hat nicht gestimmt, das haben wir Ihnen hinterher in einem Brief noch einmal bestätigen können.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Oh, der Beweisbrief!)

Ja, wenn Sie von Beweisen sprechen, sage ich Ihnen, lassen Sie uns einmal hören, was Ihr Kollege, mit dem Sie gemeinsam agieren, heute gesagt hat. Er wünscht sich, dass die Soforthilfen in Rheinland-Pfalz nach dem Prinzip „Schnelligkeit vor Rechtmäßigkeit“ ausgezahlt werden.

(Zurufe aus dem Haus: Oho! – Abg. Kathrin Anklam-Trapp, SPD: Das ist auch eine Wahrnehmung!)

Schnelligkeit vor Rechtmäßigkeit – das ist eine spannende Position. Meine Damen und Herren, niemals kann sich die öffentliche Hand, kann sich ein Parlament einen solchen Vorsatz zu eigen machen, weil dieser genau das produziert, was wir in anderen Ländern erleben, weil dieser genau zur Folge hat, dass in anderen Ländern ein islamistischer Pseudohonighändler 18.000 Euro abgegriffen hat. Einen solchen Honighändler gibt es bei uns nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Joachim Paul, AfD: Der ist doch deutscher Staatsbürger!)

Hätte ich alles zusammengerechnet, was Sie in den letzten Wochen gefordert haben – immer, immer, immer mehr –, dann muss ich Ihnen sagen, wäre für den islamistischen Honighändler in einem Land, in dem Christian Baldauf den Finger an der Kasse hätte, auch Milch und Honig geflossen. Aber es ist nicht so.

(Zuruf des Abg. Uwe Junge, AfD)

Deshalb bin ich froh, dass wir Rechtmäßigkeit und vernünftiges Verwaltungshandeln vor Schnelligkeit setzen. Genau darum ist es erfolgreich, so wie wir es in Rheinland-Pfalz machen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin sehr froh, dass wir das im Krankenhausbereich gut miteinander hinbekommen. Manche, die uns noch vor wenigen Wochen gesagt haben, wir sollten doch auf die Häuser im ländlichen Raum verzichten, sind jetzt zum Glück sehr leise geworden.

Wir haben diese Häuser unterstützt. Wir haben sie in den letzten Jahren mit einer stetig steigenden Anzahl von Mitteln, die wir im Haushalt eingestellt haben, für die Infrastruktur unterstützt, und wir unterstützen sie mit einem guten Maßnahmenplan, was die Intensivbetten angeht. Wir sind in guter Vorbereitung, und wir sind vorbereitet auf den Notfall.

Gleichzeitig bin ich froh, mit Blick auf die Patienten und die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser, dass wir jetzt wieder die sogenannten klassischen Behandlungsfälle in den Krankenhäusern mit aufnehmen.

Herr Kollege Baldauf, aber wenn Sie die Frage stellen, was denn eine der Lehren aus diesen Zeiten sei, dann sage ich Ihnen, das, was wir vorher schon wussten, bestätigt sich jetzt: Ein Krankenhauswesen, ein Gesundheitswesen kann angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen wir stehen, niemals rein nach betriebswirtschaftlichen Kriterien organisiert sein.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, darum müssen wir als eine der Lehren dringend über dieses schwierige Fallpauschalensystem, das insbesondere die großen Maximalversorger, von denen wir welche in Rheinland-Pfalz haben, und insbesondere die kleinen ländlichen Krankenhäuser mit einem Nachteil versieht, reden. Herr Baldauf, ich habe den Eindruck, ich habe Sie an unserer Seite, wenn es darum geht – ich werde mir das noch einmal in den Kalender eintragen und Sie gerne daran erinnern –, dass wir über diese Frage miteinander sprechen müssen.

(Zuruf des Abg. Dr. Adolf Weiland, CDU – Abg. Alexander Licht, CDU: Schreiben Sie die Investitionsquote ebenfalls mit auf!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir haben deshalb angesichts der enormen Herausforderungen deutlich zu sagen, dass wir bei allen Schwierigkeiten, bei allen auch persönlichen Schicksalsschlägen, die mit Corona zusammenhängen und von denen wir vielleicht auch manche Geschichte austauschen könnten, so gut vorangekommen sind, hat auch etwas damit zu tun, dass wir nicht flatterhaft sind, wir nicht versuchen, uns gegenseitig hochzuschassen und zu überbieten, wir die Besonnenheit, die Sie Frau Merkel unterstellt haben, insgesamt an den Tag legen,

(Zuruf des Abg. Christian Baldauf, CDU)

wir nicht darauf achten, was sagt der, hat der heute schon etwas gesagt, wir uns auch nicht davon leiten lassen, wen die CDU als Kanzlerkandidaten stellt, sondern wir Schritte ergreifen, die zum Land passen.

So passt es dann eben auch zum Land, dass wir zum Beispiel mit einer 800-m2-Regel flexibel umgegangen sind. Ob 800 m2 eine kluge Referenzgröße ist, auf die man sich in Berlin und zwischen den Ländern geeinigt hat, lasse ich einmal dahingestellt. Wir haben gerade eben von der Ministerpräsidentin gehört, dass sie einen gemeinsamen Vorschlag mit anderen unterstützen wird, der davon abgeht.

Aber zunächst einmal war sie die Grundlage. Wir haben in Rheinland-Pfalz gesagt, lasst uns diese Grundlage flexibel handhaben. Lieber Herr Baldauf, deshalb weiß ich nicht, warum Sie sich die Frage „800 oder 801 m2?“ selbst noch stellen, weil sie beantwortet ist. Wenn jemand 801 m2 hat, haben wir es in Rheinland-Pfalz so organisiert, dass er aus den 801 800 m2 machen und dann öffnen kann. Damit haben wir Gerechtigkeit in ein schwieriges System gebracht.

(Zuruf des Abg. Christian Baldauf, CDU)

Lieber Herr Baldauf, dass Sie das kritisieren, wundert mich deshalb, weil Sie doch genau das in einem Schreiben an die Landesregierung gefordert haben. Ich weiß nicht, ob Sie es selbst vergessen haben, ein solches Schreiben geschickt zu haben, auf jeden Fall haben Sie es, glaube ich, Ihrer Fraktion nicht erzählt. Herr Dr. Martin schreibt nämlich immer noch in einer Pressemitteilung, dass er zum Beispiel die Öffnung des Outlet-Centers kritisiert. Lieber Baldauf, das ist das, was Sie in einem Schreiben an die Landesregierung letztendlich gefordert haben: dass wir auch bei den großen Unternehmen flexibel umgehen.

(Zuruf des Abg. Christian Baldauf, CDU)

Sie sollten deshalb nicht nur über die Hygiene bei anderen sprechen, sondern Sie sollten über die politische Hygiene in Ihrer eigenen Fraktion sprechen.

(Zuruf des Abg. Christian Baldauf, CDU)

Unwahrheiten unter die Leute zu bringen, Manipulation unter die Leute zu bringen und sich dann nicht davon zu distanzieren, lieber Herr Baldauf, ist kein guter Stil.

(Zuruf aus dem Haus: Schwach! Schwach!)

Wer gleichzeitig anmahnt, dass wir besonnen sein müssen, der sollte auch selbst Besonnenheit an den Tag legen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will eines aufgreifen, weil Sie gesagt haben, wir müssen an die Pflegenden denken. Das ist richtig. Ich bin offen für jeden Vorschlag, ob das ein Zuschlag ist, ob wir uns hoffentlich gemeinsam dafür stark machen, dass es bessere Tarife gibt, aber ich finde eines an der Stelle nicht wirklich sauber, lieber Herr Baldauf: Jetzt zu fordern, dass wir etwas für die Pflegenden machen und gestern und vorgestern gegenüber TV Mittelrhein zu sagen, Sie seien dagegen, dass es die Grundrente gibt.

(Zurufe von der CDU)

Lieber Herr Baldauf, das sind genau die betroffenen Frauen, von denen Sie vorhin mit Tränen und erstickter Stimme gesprochen haben, die genau diese Grundrente brauchen. Ich bin dafür, dass es die Grundrente gibt.

(Unruhe im Hause – Glocke des Präsidenten)

Dafür brauchen wir die Bundesregierung. Ich setze auf Verlässlichkeit und Besonnenheit der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin. Zum Glück kommt es an der Stelle auf Sie nicht an, aber es ist spannend zu sehen, dass Sie an der einen Stelle so und an der anderen Stelle anders reden. Das ist flatterhaft und genau das, was wir in Krisenzeiten nicht brauchen. Gut, dass wir mit einer anderen Landesregierung gesegnet sind.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion spricht der Vorsitzende Abgeordnete Uwe Junge.

Herr Präsident, liebe Kollegen! Frau Ministerpräsidentin, Ihre Regierungserklärung enthält erwartungsgemäß die Chronologie der Ereignisse der letzten Wochen, die Aufzählung aller Maßnahmen, natürlich den mehr als verdienten Dank an alle, die in diesen schweren Zeiten ihre Pflicht und weit mehr als das unter Einsatz ihrer Gesundheit für uns alle geleistet haben. Diesem Dank schließen wir uns selbstverständlich in vollem Umfang an.

(Beifall der AfD)

Dennoch gilt es, in jeder Phase einer Krise die Lageentwicklung genau zu beobachten und die getroffenen Maßnahmen, die mit massiven Nachteilen für unsere Bürger und Wirtschaft verbunden sind, in kurzen Abständen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen nach dem Grundsatz: Einschränkungen so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich.

Am letzten Freitag und auch heute machen überall in Deutschland und auch hier in Mainz zahlreiche Gastronomen und Hotels mit einer außergewöhnlichen Protestaktion auf ihre existenziell gefährdete Lage aufmerksam. Sie stellen ihre Stühle und gedeckten Tische auf die Straßen und Plätze vor ihre verwaisten Lokalitäten. Solche Hilferufe nach dem Motto „Gebt uns Öffnungsperspektiven und damit neues Leben und Zukunft“ werden von Tag zu Tag lauter.

Sie rufen uns auf, gemeinsam nach einem ganzheitlichen Krisen- und Hygienemanagement zu suchen. Dies sollte

aus Sicht meiner Fraktion insgesamt unter dem Leitgedanken stehen, den sechs Prominente am 24. April im SPIEGEL treffend formuliert haben, nämlich: „Wir müssen Gesundheit, Wirtschaft und Rechtsstaat gleichermaßen schützen. So, wie wir es derzeit angehen, laufen wir Gefahr, alle drei Ziele zu verfehlen.“

Die unmissverständliche Forderung nach einem Strategiewechsel wird immer lauter, meine Damen und Herren. Seit über einem Monat verharren wir mittlerweile im Ausnahmezustand; denn politische Gegenmaßnahmen haben unser Land in eine Art Stand-by-Modus versetzt.

Die Wirtschaft ist weitgehend lahmgelegt. Das soziale Leben findet allenfalls noch auf Distanz statt. Zahlreiche Grundrechte sind eingeschränkt oder sogar aufgehoben.

Ob es zu all dem wirklich kommen musste, darüber kann man trefflich streiten. Auch wenn Bundes- und Landesregierung versuchen, die jetzige Lage und die von ihnen zu verantwortenden Reaktionen mit all den schwerwiegenden und noch ausstehenden Folgen als alternativlos darzustellen, so ergeben sich doch viele kritische Fragen, Herr Schweitzer, die zulässig sind:

Waren wir auf diese Krise wirklich bestmöglich vorbereitet? Warum wurden aus der dem Bundestag schon 2013 vorliegenden Risikoanalyse des Robert Koch-Instituts (RKI) nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen? Warum wurden Schutzmaterialien auch in Rheinland-Pfalz weder ausreichend bevorratet noch rechtzeitig angeschafft? Warum belächelt die Landesregierung zunächst eine Maskenpflicht, um sie dann doch einzuführen?

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Das ist wohl wahr!)

Warum wurde nicht frühzeitig repräsentativ getestet, so wie wir es im März gefordert hatten, um eine solide Datenbasis zu schaffen und nicht Entscheidungen quasi im Nebel auf Sicht treffen zu müssen? Warum hat man sich nicht frühzeitig auf die wirklichen Risikogruppen konzentriert, anstatt die Maßnahmen stumpf auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen?