Protokoll der Sitzung vom 16.09.2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um die Übersetzung der Verwaltungsdokumente in Leichte Sprache in den Behörden und Anstalten des öffentlichen Rechts. Öffentliche Stellen sollen Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke auf Verlangen in Leichter Sprache erläutern, sofern diese es anfordern und Erläuterungen in Einfacher Sprache und verständlicher Sprache nicht ausreichen. Das ist gut so.

Es geht auch um die Gewährleistung der Gebärdensprache in den Verwaltungen und Rathäusern. Beides ist sinnvoll und hilfreich.

Die geschätzte jährliche Mehrbelastung der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften beziffert die Landesregierung in ihrer Gesamtheit aber mit einem Betrag von 25 Cent pro Einwohner, sodass nach dem Konnexitätsausführungsgesetz kein Mehrbelastungsausgleich seitens des Landes zu leisten ist.

Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass das mit 25 Cent zu leisten ist.

(Beifall der Abg. Hedi Thelen, CDU)

Zudem sagt das Ministerium, dass alle Kosten, die für das Ministerium entstehen, im Rahmen der Ressourcen des Einzelplans 06 zu leisten sind. Sie tun also so, als sei das alles einfach machbar. Meines Erachtens wollen Sie in Wirklichkeit den Menschen etwas vorgaukeln; denn eine ernst gemeinte Umsetzung des Gesetzes kostet viel Geld. Es geht im Gesetz nämlich auch um die Herstellung von Barrierefreiheit im Bereich Bau. Alle öffentlichen Einrichtungen und Wege müssen sukzessive barrierefrei werden. Das ist gut und richtig, aber die chronisch unterfinanzierten Kommunen haben meist kein Geld, um diesen eigenen guten Willen umzusetzen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Daher ist die Landesregierung gefordert, den guten kommunalen Willen zur Barrierefreiheit finanziell wirksam zu

unterstützen, wenn sie es wirklich ernst meint mit Teilhabe und Barrierefreiheit.

(Beifall und Zuruf der Abg. Hedi Thelen, CDU: Ja!)

Sie dürfen die Kommunen nicht im Regen stehen lassen. Die Kommunalpolitiker unter uns wissen, was es kostet, einen Kindergarten, eine Schule, ein Rathaus und den Dorfplatz barrierefrei zu gestalten.

Sie sagen, die Kommunen können das sukzessive im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten tun, wissen aber genau, dass dieses sukzessive Vorgehen aufgrund maroder Kommunalfinanzen Jahrzehnte andauern wird. Das müssen Sie den Menschen mit Behinderungen erklären. Mit einem Gesetz allein ist das nicht getan. Geben Sie den Kommunen das Geld, um die öffentlichen Gebäude, Anlagen und den öffentlichen Raum in einem überschaubaren Zeitraum barrierefrei umzugestalten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das wäre praktizierte Inklusion.

(Beifall bei der CDU)

Sie sagen auch, hinsichtlich des neuen Verbandsklagerechts entstehen durch die Regelungen im Gesetzentwurf keine Mehrkosten. Auch das zweifle ich an.

Viele Kommunen würden gerne kommunale Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen bestellen, aber auch dafür fehlt das Geld.

Die Kommunen müssen das Gesetz vor Ort umsetzen. Wir beantragen daher die Beteiligung des Innenausschusses zur weiteren Mitberatung, um die Konnexitätsfrage etwas genauer zu betrachten. Die kommunalen Spitzenverbände haben diese Sorge geäußert und im Hinblick auf die Kosten eine Evaluierung der Umsetzung des Gesetzes in zwei Jahren beantragt. Die Evaluierung finden wir leider im Gesetz nicht wieder.

Zu den angepassten Gesetzen gehört auch das Schulgesetz. Inklusion in der Bildung ist eine Herkulesaufgabe. Deshalb beantragen wir begleitend die Mitberatung im Bildungsausschuss.

Sehr verehrte Damen und Herren, wir befinden uns heute in der ersten Lesung. Viele Vorstellungen der Behindertenverbände wurden im Gesetz nicht berücksichtigt. Wir als CDU wollen eine Verbesserung für alle behinderten Menschen von der Förderkindertagesstätte bis zur Pflegeeinrichtung und natürlich für die, die zu Hause in den Familien liebevoll umsorgt werden.

(Beifall der CDU)

Nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Böhme für die Fraktion der AfD das Wort.

Wertes Präsidium, meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen zahlreiche Verbesserungen im Hinblick auf die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einher. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen, oder – um es nach den Regeln der Leichten Sprache zu formulieren – das ist gut. Darüber freuen wir uns.

Einiges finden wir aber nicht gut. Insoweit besteht von unserer Seite aus Anlass zur Kritik. Dies gilt zum einen hinsichtlich der Regelung in § 21 Abs. 4 Satz 3 des Gesetzentwurfs, die vorsieht, dass die oder der Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen als Schlichtungsstelle zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zur Barrierefreiheit und zur Umsetzung dieses Gesetzes fungiert.

Um es vorab klarzustellen: Es geht uns dabei weder um eine Kritik an der Position noch an der Person des Landesbeauftragten. Wir sehen hier vielmehr aufgrund der Aufgaben des Landesbeauftragten die Gefahr von Interessenkonflikten.

Aufgabe des Landesbeauftragten nach § 15 Abs. 3 und 4 ist es, darauf hinzuwirken, dass die in § 1 des Gesetzes genannten Ziele verwirklicht werden und die sonstigen Bestimmungen des Gesetzes bzw. der aufgrund des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen sowie anderer Vorschriften zugunsten von Menschen mit Behinderungen eingehalten werden.

Er hat eine Ombudsfunktion als Mittler zwischen den Interessen von Menschen mit und ohne Behinderungen, Verbänden und Organisationen, die Menschen mit Behinderungen vertreten, Rehabilitationsträgern, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und der öffentlichen Verwaltung. Er hat Eingaben von Menschen mit Behinderungen oder zugunsten von Menschen mit Behinderungen zu prüfen und auf eine einvernehmliche, die besonderen Interessen von Menschen mit Behinderungen berücksichtigende Erledigung der Eingaben hinzuwirken.

Diese Aufgaben lassen sich aus unserer Sicht nicht mit der gebotenen Neutralität einer Schlichtungsstelle zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zur Barrierefreiheit und zur Umsetzung dieses Gesetzes verbinden.

Nicht ohne Grund sieht die vergleichbare bundesgesetzliche Regelung in § 16 Behindertengleichstellungsgesetz, auf die in der Begründung ausdrücklich Bezug genommen wird, im Gegensatz zur vorgesehenen landesgesetzlichen Regelung vor, dass eine Schlichtungsstelle bei der oder dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen eingerichtet wird, die mit neutralen schlichtenden Personen besetzt wird. So lassen sich eventuelle Interessenkonflikte vermeiden. Hier sehen wir Nachbesserungsbedarf. Dabei geht es auch darum, den Landesbeauftragten vor eventuellen Interessenkonflikten zu schützen.

Ebenfalls Anlass zur Kritik geben Unklarheiten im Hinblick auf § 7 Abs. 3 des Gesetzentwurfs. In der Begründung wird ausgeführt – ich zitiere –: „§ 7 Abs. 3 wird um die Personengruppe der taubblinden und hörsehbehinderten Menschen ergänzt.“ Eine entsprechende Ergänzung wäre hinsichtlich des vorgesehenen Anspruchs aus § 7 Abs. 3, mit öffentlichen Stellen in einer geeigneten Kommunikationsform bzw. über geeignete Kommunikationshilfen zu kommunizieren, soweit dies zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren erforderlich ist, geboten.

Im Wortlaut des § 7 Abs. 3 des Gesetzentwurfs findet sich aber im Gegensatz zu § 7 Abs. 4 weder ausdrücklich der Begriff der hörsehbehinderten Menschen, noch der Begriff der taubblinden Menschen. Nicht nur, dass diese in § 7 Abs. 3 des Gesetzentwurfs nicht ausdrücklich erwähnt sind, sondern die ausdrückliche Erwähnung des Begriffs der hörsehbehinderten Menschen in § 7 Abs. 4 könnte im Rahmen der systematischen Gesetzesauslegung in Form eines Umkehrschlusses zu dem Ergebnis führen, dass diese von den Regelungen des § 7 Abs. 3 gerade nicht erfasst werden sollen. Dementsprechend besteht hier aus unserer Sicht ein Widerspruch zum Inhalt der Begründung zum Gesetzentwurf. Sollte es sich hierbei um ein Redaktionsversehen handeln, würden wir um Berichtigung bitten.

(Abg. Martin Haller, SPD: Meine Güte!)

Ansonsten bitten wir um Auflösung des Widerspruchs im Gesetzentwurf bzw. um Erläuterung im Rahmen der anstehenden Ausschusssitzung.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Nun erteile ich dem Abgeordneten Wink für die Fraktion der FDP das Wort.

Verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Inklusion: Viele Menschen kennen diesen Begriff, aber was steckt dahinter? Inklusion für sich gesehen bedeutet Teilhabe; Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in allen Bereichen. Dazu gehören Schule, Freizeit, Arbeit, politische Prozesse oder die Familie. Die Teilhabe darf nicht aufgrund von stereotypen Merkmalen verhindert werden.

Behinderung entsteht aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren. Diese Wechselwirkung hindert sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft. Aufgabe der Gesellschaft und somit auch der Politik ist es, in allen Lebensbereichen solche Strukturen zu schaffen, dass es diesen Mitgliedern der Gesellschaft ermöglicht wird, sich barrierefrei zu bewegen. Somit schaffen wir für jeden den größtmöglichen Rahmen für seine persönliche Freiheit.

Als Fraktion der Freien Demokraten begrüßen wir die Anpassungen im Landesinklusionsgesetz. Die Novellierung des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen stellt die behindertenpolitische Weiterentwicklung sowie die Umsetzung der Ziele und Grundsätze der UNBehindertenrechtskonvention dar.

Die Novellierung orientiert sich an der Lebenswirklichkeit der Menschen. Ein Beispiel hierfür ist das einfache Ausfüllen von Allgemeinverfügungen, Bescheiden, öffentlichrechtlichen Verträgen oder Vordrucken. Abgesehen davon, dass wir uns stets für Bürokratieabbau einsetzen, stellt das Ausfüllen dieser Bescheide und Papiere für viele Menschen eine große Herausforderung dar. Diese Schwierigkeiten treten unabhängig von verschiedenen Behinderungen auf. Daher gibt es bereits Erläuterungen in Einfacher und verständlicher Sprache.

Es gibt aber auch Fälle, bei denen diese Erläuterungen nicht ausreichen. Dann sollen öffentliche Stellen Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge oder Vordrucke auf Verlangen in Leichter Sprache erläutern. Mit diesem überschaubaren Mehraufwand kann den Menschen effektiv geholfen werden. Also neben großen Projekten wie Baumaßnahmen und bauliche Anpassungen für mehr Barrierefreiheit sind es auch diese kleinen Dinge, die große Veränderungen bewirken können.

Es freut mich sehr, dass wir in Rheinland-Pfalz bereits viel für Inklusion tun und mehr für Inklusion tun werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun erteile ich dem Abgeordneten Köbler für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Inklusion ist ein Menschenrecht. Dieses erste Inklusionsgesetz für Rheinland-Pfalz ist ein Meilenstein zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Daran orientiert es sich sehr konsequent.

Kollege Wink hat eben schon ein Beispiel angesprochen. Ich denke, wir alle kennen es im Umgang mit Ämtern und Behörden, dass Ämtervorgänge nicht immer leicht zu verstehen sind. Bescheide sind erklärungsbedürftig. Viele von uns, die in kommunaler Verantwortung stehen, kennen das von Bürgerinnen und Bürgern. Gerade für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist diese Hürde noch um ein Vielfaches größer. Deswegen ist es richtig, wenn hier gesagt wurde, dass die Pflicht für öffentliche Stellen, Bescheide in Einfacher Sprache zu erläutern und im Zweifel auch der Rechtsanspruch auf eine Ausstellung in Leichter Sprache

besteht, ein Meilenstein für eine inklusive Verwaltung und eine inklusive Gesellschaft ist.

Es ist ebenfalls ein sehr großer Meilenstein, dass die Deutsche Gebärdensprache (DGS) als eigenständige Sprache anerkannt wird. Sehen Sie es einmal sehr praktisch: Stellen Sie sich in den Bereichen Elternabend, Kitas oder Schulen vor, dass Menschen mit Hörbeeinträchtigungen und taube Menschen künftig den Anspruch auf Teilhabe an Elternabenden und dafür eine Unterstützung in der Deutschen Gebärdensprache durch das Land erhalten. Das ist für diese Menschen ein sehr, sehr wesentlicher Baustein für Inklusion.

Das große Thema ist natürlich die Barrierefreiheit im Bauen, in Gebäuden. Es ist wirklich absolut notwendig, dass klar normiert ist, dass öffentliche Stellen barrierefrei zu sein haben. Das ist das, was viele auf Landes-, aber natürlich auch auf kommunaler Ebene vorantreiben. Ich würde mir wünschen, dass wir uns gerade zu den Landesgebäuden einen klareren Zeitplän geben. Das haben wir im Rahmen des Klimaschutzes auch bei der Energieeffizienz gemacht. Ich fände es gut, wenn wir beim Thema „Barrierefreiheit“ zu ähnlichen Zielen kämen.

Das Ganze wird – das ist auch ein Service für die Kommunen – mit einer Landesfachstelle für Barrierefreiheit unterstützt. Das ist ein sehr, sehr wesentlicher Schritt, der hiermit aufgebaut wird, weil es nämlich nicht zwingend so ist, lieber Kollege, dass ein barrierefreier Bau teurer sein muss als ein nicht barrierefreier Bau. Die Frage ist nur, an welcher Stelle und mit welcher Planung man das mitdenkt. Wenn man das von Anfang an mitdenkt, dann gibt es sehr, sehr viele Beispiele dafür, dass das nicht zwingend teurer wird. Ich denke, da wird die Landesfachstelle einen wesentlichen Beitrag in der konkreten Praxis leisten.

Ein wichtiger Punkt ist die Stärkung der Behindertenselbstvertretung. Zum einen wird sie in diesem Gesetzentwurf klar normiert. Der Landesbeauftragte wird gestärkt. Seine Unabhängigkeit wird gesetzlich noch einmal klargestellt. Zum anderen bekommen wir einen Teilhabefonds, über den die Behindertenselbstvertretung unterstützt wird, damit sie praktisch von Menschen mit Behinderungen wahrgenommen werden kann. Ich finde, es ist nicht nur ein Beitrag zur Inklusion, sondern auch zur Stärkung unserer Demokratie allgemein, wenn diejenigen, die betroffen sind, empowert werden, sich für ihre Belange bei uns in Rheinland-Pfalz stark einzusetzen.