Kinder- und Jugendarmut in Rheinland-Pfalz wirksam begegnen Antrag der Fraktionen der SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/1153 –
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen zu einem Thema, das hoffentlich die Gemüter nicht so stark erhitzt, wie das gerade der Fall war, obwohl es eigentlich ein trauriges Thema ist.
In der letzten Woche wurde gemeldet, dass die Wachstumsprognose für Deutschland von den Wirtschaftsinstituten nach oben korrigiert wurde. Am gleichen Tag wurden die Arbeitsmarktzahlen veröffentlicht, die die weiterhin gute Lage am deutschen Arbeitsmarkt dokumentieren. Rheinland-Pfalz belegt hier weiterhin den sehr guten dritten Platz; dennoch – das belegt die aktuelle Erhebung der Bertelsmann Stiftung – steigt die Kinderarmut in Deutschland und auch in Rheinland-Pfalz.
Nach dieser Studie lebten in 2015 deutschlandweit 14,7 % aller Kinder unter 18 Jahren in Familien im SGB-II-Bezug, 2011 waren es noch 14,3 %. In Rheinland-Pfalz waren es 2015 11,5 %, 2011 waren es noch 10,7 %. Das sind rund 3.900 Kinder mehr.
Die Zahlen zeigen aber auch, dass wir in Rheinland-Pfalz nicht nur unter dem Bundeswert liegen, nein, hinter Bayern und Baden-Württemberg haben wir den drittniedrigsten Wert bei der Kinderarmut. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es sehr bewusst als großes Problem wahrnehmen.
Auch wenn der SGB-II-Bezug nicht als alleiniges Kriterium für Armut gelten kann, so wie es die Bertelsmann Stiftung angewandt hat, sind für uns diese Zahlen und vor allem der Anstieg ein Alarmsignal. Für uns als SPD ist klar, als reiches Land können und wollen wir uns mit einer solch hohen Zahl an Kindern in Armut nicht abfinden.
Es ist in der Tat eine Schande für ein Land, das wirtschaftlich so stark ist. Das belegt nicht zuletzt eine Studie der OECD. Von 29 Ländern nimmt Deutschland Platz 11 bei der Kinderarmut ein.
Mit unserem Antrag wollen wir ein deutliches Signal setzen. Was sind die Ursachen von Kinderarmut? – Kinderarmut entsteht, wenn das Einkommen der Eltern nicht ausreicht, um die alltäglichen Dinge zu finanzieren, wie beispielsweise angemessenen Wohnraum, die Energiekosten tragen zu können usw.
Davon betroffen – das hat bereits der Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung verdeutlicht, den wir im
letzten und im vorletzten Jahr hier diskutiert haben – sind besonders alleinerziehende und kinderreiche Familien.
Was sind die Folgen von Armut? Armut bedeutet vor allem Ausgrenzung, nicht teilhaben zu können am Kindergeburtstag, weil vielleicht das Geld für das Geschenk nicht da ist, am Klassenausflug, weil die Scham zu groß ist, andere die Kosten übernehmen zu lassen. Armut bedeutet schlechtere Gesundheit, vielfach verzögerte Entwicklung und häufig auch eine große psychische Belastung. Auch dies hat der Armuts- und Reichtumsbericht verdeutlicht.
Was tun wir hier im Land, was können wir tun? Klar ist, Rheinland-Pfalz hat nur sehr begrenzten Einfluss auf die materielle Lage armer Eltern und ihrer Kinder. Die Leistungen nach dem SGB II werden im Bund festgelegt. Es ist sicherlich zu begrüßen, dass es hier zu einer Anhebung kommen soll, die reicht aber gerade bei den Kindern aus meiner Sicht nicht aus.
Ja, wir brauchen eine Steuerreform, die kleine und mittlere Einkommen entlastet – liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, das formulieren Sie in Ihrem Antrag auch –, und wir brauchen ein Steuersystem, das sich deutlich stärker an den Kindern orientiert. Wenn man dann aber schaut – ich habe es vorhin noch einmal gegoogelt –, wer Bundesfinanzminister ist, dann ist das Herr Schäuble von der CDU. Also diese Forderung sollten Sie dann schon als allererstes an Ihren Parteikollegen richten.
(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)
Was wir nämlich nicht brauchen, das sind Steuerentlastungsprogramme wie das aktuelle mit 6,3 Milliarden Euro, von denen das meiste eben nicht bei den Einkommensschwachen ankommt, sondern bei denjenigen, die hohe und höhere Einkommen haben.
Im Hinblick auf die materielle Situation Alleinerziehender begrüßen wir ausdrücklich die Initiative von Bundesfamilienministerin Schwesig, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten. Allerdings besteht auch beim Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende, obwohl dieser im letzten Jahr angehoben wurde – trotz erbitterten Widerstands von Herrn Schäuble –, noch Nachholbedarf.
Zentrale Grundlage für ein Leben über der Armutsgrenze sind und bleiben gute Arbeit und gute Löhne. Dafür setzen wir uns hier im Land ein. Unsere Arbeitsmarktpolitik richtet sich ganz bewusst an Zugänge in Arbeit aus, vor allem für diejenigen, die keinen 1a-Lebenslauf haben. Zugänge schaffen, Teilhabe sichern, das ist und bleibt das Leitmotiv von uns, von unserer Landesregierung. Kein Kind darf aufgrund seiner Herkunft und der Einkommenssituation der Eltern zurückgelassen werden.
Wir haben viel auf den Weg gebracht: die gebührenfreie Kita, die Ganztagsschulen. – Daran werden wir weiter festhalten. Wir werden aber sicherlich noch sehr intensiv
Im Koalitionsvertrag steht, dass es einen landesweiten Aktionsplan zur Armutsbekämpfung geben soll. Daran werden wir mitarbeiten.
Ich freue mich darauf, dass wir über den Antrag und den Alternativantrag im Ausschuss beraten werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Davon gehe ich aus. Wir werden auch eine Anhörung beantragen. Wir beantragen jetzt eine Überweisung an den Sozialausschuss unter Mitberatung des Familien- und des Bildungsausschusses.
Herr Präsident, liebe Kollegen, werte Gäste! Fast 75.000 rheinland-pfälzische Kinder leben von Transferleistungen des Staates. Das sind Zahlen, an die sich unsere Gesellschaft leider viel zu schnell gewöhnt hat.
Aber es sind Schicksale, es sind Familien, die dahinter stehen, Familien, die nicht wissen, wie sie die Winterschuhe bezahlen, wie sie den Klassenausflug für die Kinder finanzieren, und es sind Kinder und Jugendliche, die nicht einfach so ins Kino gehen können. Das alles muss für uns ein Ansporn sein, das Armutsrisiko von Kindern zu senken. Ich glaube, hier herrscht Konsens in diesem Hause.
Meine Damen und Herren, aufhorchen lässt aber, dass trotz aller familienpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre und trotz einer guten Konjunktur, die wir haben, die Zahlen auch in Rheinland-Pfalz gestiegen sind, die Zahlen der Kinder, die im Transferbezug sind. Wir müssen uns alle kritisch fragen, woher das kommt. Wir haben in Deutschland ein Höchstmaß an Beschäftigung. Wir haben den Mindestlohn, und wir haben eine Betreuungssituation von Kleinkindern, wie sie in der Vergangenheit noch nie dagewesen ist; dennoch haben sich die Verhältnisse eben nicht zum Besseren gewendet. Im Gegenteil, mehr Kinder und Jugendliche sind auch in Rheinland-Pfalz im Transferbezug. Werte Kollegin, der Anstieg in Rheinland-Pfalz ist nicht geringer als in anderen Bundesländern. Auch das muss uns zu denken geben.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, schauen wir genau hin. Es sind vor allem alleinerziehende und kinderreiche Familien, die von Armut betroffen sind. Leider haben Sie über die kinderreichen Familien in Ihrem Antrag kein Wort gesagt. Ihr Schicksal gibt Aufschluss darüber, warum diese Armutsfalle überhaupt greift. Das war ein Ergebnis der Landtagsanhörung im vergangenen Jahr; denn diese Familien sind nicht immer arm gewesen. Viele dieser Familien sind erst in diese Armutsfalle getappt, weil Kinder kamen. Meine Damen und Herren, das ist der eigentliche Skandal.
Mehr als die Hälfte aller kinderreichen Familien, die im Transferbezug stehen, gehen einer Erwerbstätigkeit nach. Sie rutschen erst in den Hartz-IV-Bezug, weil die Kinder nicht oder nur unzureichend im Steuer- und Sozialabgabensystem berücksichtigt werden.
Gleichzeitig wird aber auch die Familienarbeit nicht honoriert. Auch Vertreter der Ampelregierung haben diese Initiativen, diese Maßnahmen blockiert oder gestoppt.
Ich möchte das Betreuungsgeld nennen. Ich möchte Ihren Widerstand gegen die Mütterrente nennen. Ich möchte aber auch an die Abschaffung des Landesfamiliengeldes in Rheinland-Pfalz erinnern. Meine Damen und Herren, das waren genau die Maßnahmen, die gerade auch diesen kinderreichen Familien und auch armen Familien geholfen haben.
(Beifall der CDU und bei der AfD – Abg. Martin Haller, SPD: Das haben nicht wir gestoppt, das hat das Bundesverfassungsgericht gestoppt!)
Dasselbe gilt übrigens für Alleinerziehende. Sie schultern eine Doppelbelastung. Sie sind in vielen Fällen sowohl für die Erzielung des Einkommens als auch für die Erziehung der Kinder zuständig. In der Regel sind das die Frauen. Statt sie steuerlich besserzustellen und ihnen Freiheit zu geben, selbst zu entscheiden, wie sie ihren Alltag gestalten, wie viel Zeit sie mit ihren Kindern verbringen, hat stattdessen ein SPD-geführtes Justizministerium das Unterhaltsrecht 2008 so geändert und so verschärft, dass nach einer Scheidung keinerlei eheliche Solidarität mehr zählt.