parent erfolgen kann, und bei einem Diskussionsprozess können hier demokratisch legitimierte Entscheidungen getroffen werden. Hier müssen die fundamentalen Probleme unserer Gesellschaft sichtbar und dauerhaft thematisiert werden. Wir dürfen nicht erlauben, dass die Menschen das Gefühl haben, dass wir keine Lösungen für ihre Probleme finden, wir sie nicht ernst nehmen oder respektieren. Wir müssen einen Raum bieten, in dem sachlich, respektvoll und fair miteinander diskutiert wird und die sogenannten alternativen Fakten keinen Platz haben.
Die demokratischen Parlamente müssen Antworten finden auf das, was die Menschen bewegt. Dazu gehören Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit, und es gehört dazu zu sagen, dass man nicht für jedes Problem sofort eine Lösung hat, man aber an jedem Tag daran arbeitet und versucht, das Leben der Menschen besser zu machen.
Ich bin sicher, diese Ehrlichkeit wird anerkannt und geschätzt. Ich habe in meiner Antrittsrede als Präsident an den ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau erinnert und möchte auch heute noch einmal ins Gedächtnis rufen: Es geht darum zu sagen, was man tut, und zu tun, was man sagt. – Genauso ist es, und es ist besonders so für uns als Parlamentarier.
Bevor wir mit der eigentlichen Debatte beginnen, darf ich noch Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag begrüßen. Dies ist zunächst Prinz Andrew XI. und Prinzessin Charnae I. von der Karnevalsgesellschaft Rot-Weiss Ehrang, wobei ich an dieser Stelle sagen möchte, dass Prinzessin Charnae für diese Aufgabe extra für sechs Wochen aus Südafrika nach Rheinland-Pfalz gekommen ist. Herzlich willkommen im Landtag!
Weiterhin darf ich Schülerinnen und Schüler der Klasse 8d der Realschule plus in Lahnstein begrüßen. Herzlich willkommen bei uns!
Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, dass jeder Debattenteilnehmer eine Redezeit von fünf Minuten hat. Ich erteile zunächst der Abgeordneten Julia Klöckner das Wort, die auch Initiatorin der Debatte ist. Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen heute über eine Entwicklung reden, die unsere Kommunikationskultur gefährdet. Es geht um den Umgang mit Lügen, Hass und Hetze im Internet und um die Auswirkungen für unser Zusammenleben.
Natürlich ist das Internet ein Medium mit vielen Vorteilen. Es verbindet und es überwindet Grenzen, es erleichtert unseren Alltag und unsere Arbeit, aber es verleitet auch.
Das Internet, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Echoraum von Enthemmung, Beschimpfung, Unwahrheit und die Anonymität an der digitalen Theke geworden. Diese Anonymität hat kein Gegenüber, dem man in die Augen schaut. Je weniger offenes Visier, desto mehr wird vom Leder gezogen und Unwahres verbreitet.
Falschmeldungen reisen mit sehr leichtem Gepäck im Internet, frei von Recherche, und sie sind schneller als echte Nachrichten. Wenn aber gefühlte und gewünschte Wahrheiten stärker werden als Fakten, wenn im Internet die Regeln der analogen Welt über Bord geworfen werden und das Mindestmaß an Anstand und auch an Respekt verloren geht, dann wird dies nicht ohne Auswirkung auf unser Zusammenleben bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das macht mir Sorge; denn es geht um das Vertrauen und das Immunsystem unserer Demokratie. Wenn Fakten eine immer geringere Rolle spielen, dann ist unsere Demokratie in diesem Land gefährdet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich bei allen Fraktionen, dass sie meinem Vorschlag gefolgt sind, darüber eine Orientierungsdebatte in diesem Landtag zu führen. Unsere Bürgerinnen und Bürger wollen sich informieren. Sie wollen wissen, was in der Welt los ist. Heute sind die sogenannten sozialen Medien – Twitter, Facebook, Google, Blogs und vieles andere – eine wichtige Informationsquelle und auch Orte des Austauschs. In der Weite und Schnelligkeit dieser Daten- und Nachrichtenströme brechen aber auch Hemmschwellen weg. Wahrheit verliert an Wert. Dazu tragen gefälschte Meldungen, Namen und Accounts, die es überhaupt nicht gibt, gefälschte FollowerZahlen, hinter denen Roboter stecken, Shitstorms und Propagandaattacken aus dem Ausland bei. Je mehr provoziert wird, umso mehr dringt man durch.
Beispiele gibt es viele: Hillary Clinton und der Pädophilenring, Flüchtlinge, die heimlich Schwäne meucheln, falsche Milliarden-Zahlung Großbritanniens an die EU oder das Outing des Papstes als Trump-Fan. – Es ist eben profitabel, solche falschen Geschichten zu verbreiten. Das gibt Klicks, was wiederum Werbung und auch Geld bringt.
Deshalb können wir die Plattformen wie Facebook und Google nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Noch immer weigern sie sich, erwiesene Lügen und Hetzen umgehend zu löschen. Das müssen wir ändern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Meinungen werden durch das Verbreiten von Falschmeldungen manipuliert. Das ist nicht neu. Gerüchte gab es schon immer. Neu sind aber die Schnelligkeit und die Intensität im Internet. Hunderttausende lesen eine Lüge, halten sie für wahr, noch bevor der Betroffene oder recherchierende Journalisten das klarstellen konnten. Übrigens nennt Russland – der Geheimdienst – solche Manipulationen aktive Maßnahmen. Das sind computergesteuerte Irreführungen.
Übrigens, fast 20 % aller Tweets zur US-Wahl wurden von Maschinen und nicht von Menschen verfasst. Deshalb warnt auch der Bundeswahlleiter, dass unsere Bundestagswahl durch gefälschte Nachrichten und auch durch Hackerangriffe beeinflusst werden kann. Die Echokammer Internet spiegelt also nicht nur Inhalte, sondern auch Sprache. Wenn man weiß, es kommt kein Widerspruch, wird es häufig sehr, sehr hemmungslos.
Liebe Kollegen, das ist die Stunde von Radikalen und Demagogen. Deshalb müssen wir hier achtsam sein.
Es ist eine Gratwanderung. Wir wollen uns das nicht gefallen lassen, aber es geht auch nicht darum, die freie Meinungsäußerung zu beschneiden. Es gibt strafrechtlich Relevantes, aber wir wissen, dass das Grundgesetz nicht zwischen analog und digital unterscheidet. Wenn jemand im Netz dafür plädiert, Flüchtlinge in KZ-Öfen zu entsorgen, oder im Netz Menschen dazu aufruft, sich aufgrund einer Ideologie in die Luft zu sprengen, dann darf das nicht ohne Folgen bleiben. Es ist nicht nur eine Mediendebatte, es ist auch die Frage, wie wir zukünftig leben wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Orientierungsdebatte führt dazu, dass wir uns in der Zukunft hoffentlich weiter vertieft damit beschäftigten werden. Wir Christdemokraten sind offen für eine Enquete-Kommission hierzu, für eine Schwerpunktanhörung. Wir wollen, dass die Lehrpläne überarbeitet werden; denn 90 % der Jugendlichen haben einen Zugang zum Internet, verbringen 18 Stunden pro Woche im Internet. Wir wollen, dass die Medienkompetenzschulung erweitert wird, dass man Hetze und Lügen erkennen kann. Ich bin auch der Meinung, wir sollten uns als Parteien dazu äußern und klar sagen, dass wir uns von sogenannten „Social Bots“ distanzieren und keine intransparenten Methoden für die Wahl nutzen.
Gesellschaftlich – damit möchte ich schließen – will ich sagen, wir alle sind verantwortlich für das Wohlergehen unserer Gesellschaft. Wir Politiker müssen auch selbstkritisch sein und eine Basis für Identifikation bieten. Wir selbst dürfen nicht das Vakuum produzieren, das Raum für lautstarkes Dagegen lässt. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie verträgt keine Resignation, sondern diese Debatte und dann Lösungen.
Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste, liebe User im Netz am Livestream; denn
Lügen oder gar Hass im Netz sind unerträglich. Sie können persönlich verletzend sein und dabei auch Straftaten darstellen. Die rechtlichen Wege stehen dann allen offen. Dass dies bereits funktioniert, wurde unter anderem durch das gestrige Urteil zur Beleidigung von Claudia Roth bei Facebook deutlich. Von Geldstrafen wie in diesem Fall ist häufiger zu lesen, aber auch Strafen zur Bewährung wurden bereits verhängt.
Im Netz gilt also wie auf der Straße, wer sich nicht an Regeln hält, bekommt die Härte des Gesetzes zu spüren. Forderungen nach Verschärfungen rechtlicher Art könnten daher als populistische Scheinlösung ohne Mehrwert für den Bürger wirken. Wir brauchen solche Feigenblätter nicht, sondern Aufklärung und Courage. Wir müssen uns am digitalen Stammtisch, auf unserem virtuellen Marktplatz wehren. Ja, das ist anstrengend, aber es ist wirkungsvoll. Wir müssen aufstehen, Widerstand leisten und ebenso ertragen.
Das ist Demokratie. Nur so kann auch ein lebendiges Netz die 95 % der User stärken, die sich mit gegenseitigem Respekt dort auch täglich begegnen.
Was wäre eine Alternative? Eine Kontrollinstanz für „Fake News“? Doch wer entscheidet über die Kriterien, nach denen Nachrichten auf einmal Lügen sind? Ist etwas offensichtlich ein „Fake“, wenn es nicht meiner Perspektive entspricht? Stärkt das Kennzeichnen oder gar Löschen von angeblichen „Fake News“ wirklich das Vertrauen in eine offene Gesellschaft, oder könnte dadurch nicht viel mehr Zensur entstehen, die ausgegrenzt? Was ist mit den „Fake News“ in Büchern, Zeitungen oder im Rundfunk? Trauen wir uns auch daran, oder arbeiten wir uns nur am Internet ab?
Diese Kette an offenen Fragen könnte ich noch schier endlos weiterführen, doch alle Fragen zeigen im Kern nur, wie wirkungslos und gefährlich eine Beschneidung der Freiheit im Netz wäre. Sie kann schnell zu einer Zensur führen, die Menschen nicht selbst zutraut, Fakten von Lügen zu unterscheiden. Wir brauchen nichts Neues, sondern eine Stärkung von Bewährtem. Es braucht neben der eigenen Sensibilität vor allem eine starke, wertgeschätzte, unabhängige Presse. Die Menschen in unserem Land wissen um ihre Bedeutung und Qualität. Das Vertrauen in die Medien ist im vergangenen Jahr weiter gewachsen. Immer mehr Menschen bekennen sich einer Studie der Mainzer Kommunikationsforscher zufolge dazu, den Medien zu vertrauen. Das ist eine motivierende Erkenntnis, die für mich deutlich macht, worum wir uns vorrangig kümmern sollten: die Stärkung unserer Pressefreiheit, der freien Meinungsäußerung und eines freien Netzes.
Wenn „Reporter ohne Grenzen“ im letzten Ranking der Pressefreiheit feststellt, dass in Deutschland die Angriffe auf Journalisten massiv zugenommen haben, wenn sogar politische Parteien auf deutschem Boden die freie Presse in ihrer Berichterstattung behindern, dann muss uns Demokratinnen und Demokraten dies umtreiben. Pressefreiheit ist das Korrektiv, der Spiegel unserer Gesellschaft. Sie gilt es zu wahren und zu stärken. Daher ist es richtig, dass wir in der Förderung von Medienpädagogik als Land einen
Wir sollten darüber debattieren, was uns Journalismus wert ist und was wir dafür zahlen wollen. Immer mehr Digitales zu immer kleineren Preisen führt zu immer weniger Auflage, weniger Werbung, weniger Verlagen, weniger Journalistinnen und Journalisten, weniger kritischer Berichterstattung und immer weniger Meinungsvielfalt – das Ganze bei einer sich komplex global vernetzenden Welt, die durch unsere Digitalisierung und den minütlichen Nachrichtenhunger den Druck zur Schlagzeile zu einer Art Überlebenskampf macht.
Wer profitiert? Lügner und Hetzer, die unbescholtener denn je dann Propaganda verbreiten können. Faktencheck? Fehlanzeige. Eine reine Kennzeichnung einer „Fake News“ hilft dort nicht weiter, im Gegenteil, Vertrauen könnte dadurch erst richtig erschüttert werden. Unsere freie Gesellschaft dürfen wir nicht nur behaupten. Wir müssen diese Werte auch leben, und die Freiheit ist dabei das entscheidende Moment, doch Freiheit bedeutet auch, andere unbequeme oder gar falsche Behauptungen auszuhalten – morgens beim Bäcker, mittags auf der Arbeit oder abends im Netz – , jedoch nicht ohne Widerspruch, ohne Gegenwehr.
Da halte ich es mit Carolin Emcke und komme damit zum Schluss. Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere ich Carolin Emcke aus ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im vergangenen Jahr: „Eine freie, säkulare, demokratische Gesellschaft ist etwas, das wir lernen müssen. Immer wieder. Im Zuhören aufeinander. Im Nachdenken übereinander. Im gemeinsamen Sprechen und Handeln.“ Ist das mühsam? Ja. Ist das richtig? Ja.
In diesem Sinne plädiere ich für ein Aufstehen gegen Lüge und Hass im Netz und überall. Wir sind alle gefordert. Kämpfen wir gemeinsam Seit’ an Seit’, und laden wir in unsere Mitte ein.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die AfD-Fraktion begrüßt ausdrücklich die heutige Orientierungsdebatte, gibt sie uns doch Gelegeheit, ein Stimmungsbild über den hier vertretenen Meinungspluralismus und das Verständnis der freien Rede nicht nur für dieses Haus darzulegen, sondern auch nach außen zu tragen. Wir wollen heute über Lüge und Hass im Netz sprechen, und Lüge und Hass ist so alt wie die Menschheit selbst. Sie hat nicht im Netz begonnen, sondern war schon immer da. Das Medium ist dabei egal, die Wirkung bleibt immer die gleiche. Sie sind verletzend, diffamierend, beleidigend und meist interessengelenkt. Lügen
und Hass sind Vorgänge, die im Geist manifestiert sind, und diese Haltungen und Denkmuster können nur sehr schwer geändert werden. Der einzige Weg zur Änderung von Geisteshaltung besteht aber nicht darin, deren Auswüchse im Internet einzudämmen, bereits sanktionsfähige Straftaten wie Verleumdung und Beleidigung erneut mit weiteren Strafen zu belegen, sondern darin, die Ursachen der vorhandenen Denkmuster und Geisteshaltungen zu beseitigen.
Dieses Phänomen wird auch dadurch genährt, dass Regierende oder das sogenannte Establishment die Inhaber einer anderen, abweichenden Meinung als Abgehängte oder Mob bezeichnen. Diese Herabsetzung, das Gefühl missachtet zu werden, und die Ohnmacht, sich dagegen nicht wehren zu können, findet dann seinen emotionalen Ausdruck in den sogenannten sozialen Netzwerken. Wenn Bürger sich durch Entscheidungen der Politik und der Berichterstattung nicht mehr vertreten fühlen, dann wächst der Unmut und sucht sich ein Ventil. Ich möchte die Auswüchse in keiner Weise in Schutz nehmen – sie kommen von allen Seiten –, aber will doch darauf hinweisen, dass oft auch Ursache und Wirkung in dieser Debatte nicht verwechselt werden dürfen.
Wenn Regierende im Gehorsam, erst nachdem ein Sachverhalt in den sozialen Medien kursiert, mit der Wahrheit herauskommen, obwohl sie bekannt war, dann verlieren sie in gleichem Maße die Glaubwürdigkeit, wie sie die Internetmedien gewinnen. Das Internet begünstigt die schnelle, unüberlegte und emotionale Meinungsäußerung, ohne ernsthafte Folgen befürchten zu müssen. Die Erfindung des Buchdrucks führte das Mittelalter in die Neuzeit, eine Zeitenwende, zu deren Beginn größte Skepsis, Ablehnung und auch Zensur stand. Damals war jede missliebige Meinung schnell Ketzerei oder das Mittel zur Verbreitung das Werkzeug des Teufels.