Protokoll der Sitzung vom 22.11.2017

Wir haben zum Beispiel einen Ärztemangel und gleichzeitig willige junge Leute, die durch einen rigiden Numerus clausus am Medizinstudium gehindert werden. Vor allem aber haben wir einen Mangel bei den Qualifikationen, die im dualen System oder an Fachschulen erworben werden.

Ich brauche nur die Trends und Daten wiederzugeben, die Vertreter des Wirtschaftsministeriums auf unsere Anfragen hin, teilweise im Bildungsausschuss und teilweise im Wirtschaftsausschuss, vorgestellt haben. So ist die Zahl der Auszubildenden von 2000 bis 2015 um 16,5 % gesunken, im Handwerk sogar um 33,3 %. Bei den Fachwirten und Meistern ist die Zahl der bestandenen Prüfungen von 2000 bis 2015 um 10,2 % zurückgegangen.

Von den 175 Berufen, die nach Untersuchungen des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung in Deutschland einen Fachkräfteengpass aufweisen, sind 102 solche, die eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzen, und 43 solche, die einen Meisterabschluss oder einen vergleichbaren Abschluss voraussetzen. Nur 30 der 175 Engpassberufe erfordern eine akademische Qualifikation.

Gleichzeitig ist dagegen die Studierneigung stetig gestiegen. Man muss da gar nicht bis in die 50er-Jahre zurückschauen, als nur 5 % eines Jahrgangs studierten, sondern noch 1995 waren es knapp 26 % eines Jahrgangs, während die Quote heute, die Studierneigung im Jahre 2015, bei sage und schreibe 55,7 % also knapp 56 %, und damit mehr als doppelt so hoch wie vor 20 Jahren liegt.

Diese Zahlen belegen schon relativ eindeutig, dass der Fachkräftemangel gerade im Bereich der dualen Ausbildung in hohem Maße eine Folge der übereilten Akademisierung in Deutschland ist.

(Beifall der AfD)

Hier hat der ehemalige Staatssekretär Julian Nida-Rümelin von der SPD schon 2014 von einem Akademisierungswahn – ich zitiere – gesprochen und sich damit hauptsächlich in Richtung seiner eigenen Parteifreunde gewendet.

Wir hätten in Deutschland schon sehr viel eher gegensteuern müssen. Dazu gehört aber als Erstes auch, das Problem als solches deutlich zu benennen, und dies traut sich die Landesregierung im Gegensatz zu Herrn NidaRümelin bis heute nicht.

In der Veröffentlichung der Staatskanzlei zur Fachkräfte

strategie 2018 bis 2021, die vor erst einigen Tagen veröffentlicht wurde, heißt es so beschönigend wie technokratisch, man müsse die Berufs- und Studienorientierung optimieren.

Nein, verehrte Frau Ministerpräsidentin, wir müssen die Berufs- und Studienorientierung nicht nur optimieren, wir müssen sie grundsätzlich neu justieren.

So viel für die erste Runde.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Nun erteile ich Frau Blatzheim-Roegler von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In 2014 haben die Partner des ovalen Tisches eine bundesweit umfassende Fachkräftestrategie mit über 200 zum Teil sehr ehrgeizigen Vorhaben auf den Weg gebracht. Damals waren Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Wirtschaftsministerin Eveline Lemke diejenigen, die die Strategie ans Laufen brachten.

Rund 1.800 Unternehmen – ich habe es einmal nachgelesen – wurden damit im Laufe der vergangenen vier Jahre erreicht. Die jetzt neu vereinbarte Fachkräftestrategie mit der Laufzeit ab 2018 bis 2021 umfasst ebenfalls wieder zahlreiche Vorhaben. Partnerinnen waren und sind die des ovalen Tischs, also Kammern, Arbeitgeberverbände, die Bundesagentur für Arbeit, Verbände wie die DEHOGA, Einzelhandelsverband und selbstverständlich die Gewerkschaften und darüber hinaus – das wurde ebenso ein bisschen angezweifelt, ob das Land da genug macht – neben der Staatskanzlei auch die zuständigen Ministerien Arbeit, Bildung, Wirtschaft.

Es ist eine Landesstrategie, und man sieht an der Aufzählung, die ich gerade gemacht habe, ja, es sind alle relevanten Gruppen des Landes, die mit Arbeit und Wirtschaft zu tun haben, dort eingebunden. Ich glaube, genau das ist das, was einer Strategie zum Erfolg verhilft.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei SPD und FDP)

Es geht um Nachwuchssicherung, Potenziale zu nutzen und Kompetenzen zu erhalten und auszubauen, zum Beispiel durch Weiterbildung. Es geht um die Frage, die insbesondere für den Mittelstand in Rheinland-Pfalz wichtig ist: Wie können Unternehmen ihr Innovationspotenzial durch attraktive Arbeitsplätze steigern und sich langfristig als Talentmagnet im Wettbewerb um die Nachwuchskräfte von morgen erfolgreich positionieren, und wie können wir die Herausforderungen durch die demografische Entwicklung, den allgemeinen Wettbewerb um Fachkräfte- und Nachwuchskräfte, meistern, und vor allem, wie können wir das

angesichts des Strukturwandels in der Arbeitswelt schultern? Dazu nur ein Stichwort – es ist auch schon gefallen –: Digitalisierung.

Aber auch das eigentlich Positive, nämlich eine gute Wirtschaftslage und eine historisch niedrige Arbeitslosigkeit insbesondere in weiten Teilen unseres eigenen Bundeslandes, macht es für öffentliche und private Arbeitgeber schwer, tatsächlich geeignete Arbeitskräfte zu finden. Davon sind fast alle Branchen betroffen, vom Gastgewerbe bis zu den technischen Berufen.

Bei den technischen Berufen möchte ich eine Strategie noch einmal besonders nennen. Mit der MINTStrategie versucht die Landesregierung, gezielt Mädchen in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern zu fördern, dies mit einigem Erfolg, wie man den Zahlen entnimmt, die auch von der Familienministerin gestern im AGF vorgetragen wurden. Aber das reicht nicht.

Ein weiteres gutes Beispiel für Fachkräftegewinnung kann auch Frauenförderung sein. Da geht die Landesregierung mit gutem Beispiel voran. Sie hat beispielsweise das Programm „Mehr Frauen an die Spitze“ mit Mentorinnenprogrammen, guten Bedingungen für Telearbeitsplätze, Homeoffice und Teilzeitarbeitsplätzen etabliert. Was uns und unsere Betriebe für Frauen richtig attraktiv machen würde im Wettbewerb um gute Köpfe, wäre allerdings die Auflösung des Gender Pay Gap, also gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Ich möchte einmal wissen, wie schnell so ein Gender Pay Gap abgeschafft würde, wenn im Parlament willkürlich die Männer weniger Abgeordnetenbezüge bekommen würden,

(Abg. Martin Haller, SPD: Das würde schnell gehen! Das glaube ich auch!)

vielleicht mit der Begründung, dass statistisch gesehen Mädchen inzwischen die besseren und höheren Schulund Studienabschlüsse haben. Ich glaube, dann wäre das Thema hier schnell vom Tisch.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD in der FDP)

Gestern hat die Familienministerin im Ausschuss, im AGF, die aktuelle OECD-Studie mit dem Titel „Das Streben nach Geschlechtergleichstellung – Ein harter Kampf“ vorgestellt. Darin wird seitens der OECD dargelegt, dass wir in Deutschland mit 17 % Einkommensgefälle so ziemlich hinter dem Durchschnitt liegen und sich das Einkommensgefälle zwischen Frauen und Männern seit 2010 kaum verändert hat.

Ich werde im zweiten Teil noch einmal darauf eingehen.

(Glocke des Präsidenten – Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Nun spricht für die Landesregierung Herr Staatsminister Dr. Wissing.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir legen als Landesregierung einen Schwerpunkt auf das Thema Fachkräftesicherung. Das mit gutem Grund, um sicherzustellen, dass unseren Bürgerinnen und Bürgern in Rheinland-Pfalz gut bezahlte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu sein und den gesellschaftlichen Zusammenhalt über stabile Beitragszahlungen in unsere sozialen Sicherungssysteme zu gewährleisten.

Gerade unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen sind auf Fachkräfte angewiesen. Dabei geht es darum, zum einen eine ausreichende Versorgung der Wirtschaft mit qualifizierten Fachkräften in den kommenden Jahren sicherzustellen. Zugleich ist es für unsere Beschäftigten im Land aber auch wichtig, über die richtigen Qualifikationen zu verfügen, um auch künftig auf einem sich rasch wandelnden Arbeitsmarkt Erfolg zu haben. Zum anderen gilt es auch, den gestiegenen Anforderungen an das Qualifikationsniveau der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerecht zu werden.

In der vergangenen Woche, genauer gesagt am 16. November, haben wir als Landesregierung gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern in der Wirtschaft, den Gewerkschaften, den Kammern und der Bundesagentur für Arbeit die neue Fachkräftestrategie für Rheinland-Pfalz 2018 bis 2021 unterzeichnet. Sehr geehrte Oppositionsfraktionen, mit ein bisschen Übung beim Googlen kann man das auch im Internet finden.

Darin verpflichten sich alle auf das gemeinsame Ziel, Unterstützung der Unternehmen, um den großen Bedarf an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu decken. Die Federführung für die Entwicklung und Steuerung der Fachkräftestrategie liegt gemeinsam beim Arbeitsministerium und beim Wirtschaftsministerium. Im Fokus der Landesregierung stehen dabei Jugendliche, die verstärkt für die berufliche Ausbildung gewonnen werden sollen, Eltern, Beschäftigte, die sich betrieblich weiterbilden, Zuwanderer und KMU.

Die Fachkräftestrategie 2018 bis 2021 hat drei übergreifende Handlungsfelder, nämlich: Nachwuchs sichern, Potenziale nutzen sowie Kompetenzen erhalten und ausbauen.

Im Rahmen des Handlungsfelds Nachwuchs sichern haben sich die Partner auf eine Reihe von Vorhaben geeinigt, die weiterhin der übergeordneten Zielsetzung dienen, dass jeder Mensch einen berufsqualifizierenden Abschluss erwerben kann, der zu ihm passt und der zugleich den Anforderungen des Arbeitsmarkts entspricht. Dazu wollen wir die Berufs- und Studienorientierung optimieren, die duale Ausbildung stärken und attraktiver machen sowie den Ausbildungserfolg erhöhen.

Darüber hinaus ist es unser Ziel, den Übergang von der Schule zum Beruf zu erleichtern und den jungen Menschen insgesamt mehr Hilfen aus einer Hand zu bieten. Zudem soll die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung weiter verbessert werden. Jedes

Ziel ist mit konkreten Einzelvorhaben unterlegt, bei denen wir mit unseren Partnern in einem Boot sitzen.

Aus der Sicht des Wirtschaftsministeriums sind unter der Vielzahl folgende Vorhaben in diesem Handlungsfeld besonders hervorzuheben: Die duale Ausbildung soll gestärkt werden. Die in unserem Land erfolgreich etablierte individuelle Beratung und Unterstützung von ausbildungsinteressierten jungen Menschen und Unternehmen durch die Coaches für betriebliche Ausbildung wird fortgeführt und ausgebaut.

Dadurch wollen wir nach wie vor bestehende Anpassungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt verringern. Das Wissenschaftsministerium hat gemeinsam mit der Hochschule Kaiserslautern und der Handwerkskammer der Pfalz das Pilotprojekt „Lehre plus Hochschule“ auf den Weg gebracht. Das Projekt ermöglicht Auszubildenden spezifischer Berufe den Besuch von Lehrveranstaltungen der Hochschule. Die im Projekt erworbenen Leistungen werden sowohl für ein mögliches späteres Studium als auch für die Meisterprüfung anerkannt. Das ist ein Beitrag zur Verbesserung der Durchlässigkeit unseres Bildungssystems.

Zusammen mit den Partnerinnen und Partnern verbessern wir die Voraussetzungen, damit am Arbeitsmarkt unterrepräsentierte Gruppen leichter eine Ausbildung beginnen und erfolgreich zu Ende führen können. Wir wollen außerschulische Angebote in den Ferien zur Berufsorientierung ausweiten, damit sich Schülerinnen und Schüler praxisnah in Betrieben und überbetrieblichen Ausbildungsstätten einen Eindruck über die verschiedenen Ausbildungsberufe verschaffen können. Damit verhelfen wir ihnen zu einem realistischen Einblick in den Berufsalltag und erleichtern ihnen damit die Auswahl einer beruflichen Perspektive, die wirklich ihren persönlichen Neigungen entspricht und ihnen ganz individuell gerecht wird.

Ein Beruf ist mehr als ein Broterwerb. Er ist auch ein Stück weit Selbstverwirklichung und gehört zum Leben in unserer Gesellschaft.

Die Landesregierung begrüßt die Errichtung der KAUSA Servicestelle Rheinland-Pfalz bei den Handwerkskammern. Sie wird vom Bund gefördert und zu einem bundesweiten KAUSA-Netz zusammengefügt. Durch die Informations-, Beratungs- und Netzwerkarbeit der KAUSA Servicestelle soll die Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen mit Migrations- und Fluchthintergrund und von Unternehmern mit Migrationshintergrund erhöht werden. Ihre Verankerung in der Fachkräftestrategie stellt die Verzahnung der Initiative des Bundes mit der Fachkräftestrategie des Landes maßgerecht sicher.

Das Handlungsfeld 2 verfolgt unter anderem das Ziel, die Attraktivität der rheinland-pfälzischen Unternehmen im Wettbewerb um Fachkräfte zu steigern. Ich nenne als Stichwort die Arbeitgeberattraktivität. Wir unterstützen weiterhin die Unternehmen in Rheinland-Pfalz darin, ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu verbessern, um sich im Hinblick auf die Fachkräftegewinnung und -bindung erfolgreich positionieren zu können. Dazu gehört auch der Blick auf die Regionen als attraktive Lebens- und Arbeitsstandorte.

Im Handlungsfeld 3 fördern und unterstützen wir die be

triebliche Fort- und Weiterbildung. Gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern bereiten wir derzeit den Aufstiegsbonus vor. Den Aufstiegsbonus I sollen Meister oder Fachwirte nach erfolgreich bestandener Meister- bzw. Fachwirteprüfung erhalten. Den Aufstiegsbonus II erhalten jene Meisterinnen und Meister oder Fachwirtinnen und Fachwirte, die sich innerhalb von zehn Jahren nach der Meister- oder Fachwirteprüfung selbstständig machen. Damit wollen wir erfolgreiche Fortbildungen und Existenzgründungen anregen und finanziell würdigen.

Meine Damen und Herren, Rheinland-Pfalz hat damit sehr viele Maßnahmen ergriffen. Wir stehen unter den Ländern gut da, wenn es um die Fachkräftestrategie geht. Wir sind alles andere als ratlos, sondern wir sind entschlossen, mit den Partnerinnen und Partnern das zu nutzen, was wir im Land haben, nämlich Nähe zu den Menschen, Nähe zu den Unternehmern und attraktive Regionen.

Ich möchte am Ende noch einmal bekräftigen, mit der neuen Fachkräftestrategie für Rheinland-Pfalz 2018 bis 2021 sichert die Landesregierung gemeinsam mit ihren Partnerinnen und Partnern nicht nur den Wirtschaftsstandort Rheinland-Pfalz, sondern wir tragen damit auch dazu bei, Rheinland-Pfalz zu einem Land der Chancen zu machen, das seinen Unternehmen die besten Fachkräfte und seinen Bürgerinnen und Bürgern die besten Arbeitsplätze bietet. Eine wunderbares Wohnumfeld, eine intakte Natur und eine Naturlandschaft, die ihresgleichen sucht, nutzen wir als Chance.

Auch wenn wir heute zu den Ländern mit dem stärksten Wachstum in ganz Deutschland gehören, ruhen wir uns auf diesen Lorbeeren nicht aus; denn nichts wäre fahrlässiger, als nichts zu tun, auch wenn es einem sehr gut geht. Wir arbeiten an der Zukunft unseres Landes.