Protokoll der Sitzung vom 23.02.2018

Ich rufe die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Sylvia Groß (AfD), Pflegenotstand – Nummer 8 der

Drucksache 17/5450 – betreffend, auf.

Bitte, Frau Dr. Groß.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie bewertet die Landesregierung die Ankündigung der designierten Großen Koalition, in einem Sofortprogramm 8.000 neue Pflegefachkraftstellen schaffen zu wollen, zumal bundesweit derzeit 24.000 und in Rheinland-Pfalz 2.000 Pflegefachkraftstellen unbesetzt sind?

2. Wie bewertet die Landesregierung, im Hinblick auf die Situation der Pflege in Rheinland-Pfalz, die rechtliche Umsetzbarkeit und Finanzierung der im Koalitionsvertrag genannten flächendeckenden Tarifverträge für Pflegefachkräfte, wenn die Löhne in Deutschland noch immer von den Tarifpartnern ausgehandelt werden?

3. Wie bewertet die Landesregierung, im Hinblick auf die Situation der Pflege in Rheinland-Pfalz, die Forderung des Arbeitgeberverbands Pflege nach Ernennung eines Pflegebeauftragten direkt im Kanzleramt?

4. Wie versteht die Landesregierung die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen verpflichtenden Kooperationsverträge zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den Pflegeeinrichtungen?

Für die Landesregierung antwortet Staatsministerin Bätzing-Lichtenthäler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Groß beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Das Verhandlungsergebnis von Union und SPD ist ein Signal zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Pflegekräfte. Die Vereinbarung, 8.000 neue Fachkraftstellen zu schaffen, ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Besonders positiv ist, dass pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen nicht durch erhöhte Pflegekosten belastet werden, da der Aufwand in vollem Umfang von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden soll.

Die Landesregierung ist sich bewusst, dass die 8.000 zusätzlichen Kräfte bundesweit nicht dem tatsächlichen Bedarf in den Einrichtungen entsprechen. Wie gesagt, es geht hier um einen ersten Schritt, der sehr zeitnah umzusetzen wäre. Sicherlich haben Sie Verständnis, dass es noch zu früh ist, heute über das Datum für das Inkrafttreten eines entsprechenden Gesetzes zu spekulieren. Diesem

ersten Schritt müssen dann weitere folgen. So ist es auch ausdrücklich im Koalitionsvertrag festgehalten.

Selbstverständlich wird es mit Blick auf die Fachkräftesituation in der Pflege bundesweit eine Herausforderung sein, die 8.000 Fachkraftstellen auch tatsächlich zu besetzen. Aus Sicht der Landesregierung ist es jedoch wichtig, für die Träger von Pflegeeinrichtungen verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte gezielt verbessern können. Diese Verlässlichkeit bietet die Vereinbarung nicht zuletzt wegen der klaren Aussage zur Finanzierung.

Darüber hinaus geht es auch um eine Botschaft an die Pflegekräfte selbst und an die jungen Menschen, die darüber nachdenken, eine Pflegeausbildung zu beginnen: Die Politik hat verstanden, dass wir uns intensiv und bundesweit mit den Rahmenbedingungen für professionelle Pflege befassen müssen und werden.

Schließlich ist es dann die gemeinsame Aufgabe aller Akteure, dafür zu sorgen, dass neue Stellen auch möglichst besetzt werden. Daran arbeiten wir in Rheinland-Pfalz seit vielen Jahren und ganz aktuell mit der Fachkräfte- und Qualifizierungsinitiative 2.0.

Zu Frage 2: Die Koalitionsparteien wollen gemeinsam mit den Tarifpartnern dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen. Sie sprechen sich für angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen aus und wollen dafür die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen. Die Landesregierung bewertet das Ziel angemessener Löhne und guter Arbeitsbedingungen in der Pflege, das auf Bundesebene formuliert worden ist, auch für die Pflege in Rheinland-Pfalz als den richtigen Schritt in die Zukunft.

Als ein Instrumentarium zur größtmöglichen Verbreitung guter Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge steht nach aktueller Gesetzeslage zum einen das Institut des Flächentarifvertrags zur Verfügung, das die Unternehmen einer bestimmten Branche und Region bindet, soweit sie Mitglied im entsprechenden Tarif- und Arbeitgeberverband sind. Zum anderen haben Tarifpartner unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, beim zuständigen Arbeitsministerium die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags zu beantragen. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen bewirkt, dass die Rechtsnorm des zugrunde liegenden Tarifvertrages auch für alle bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer innerhalb des sachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrags verbindlich werden.

Was die Finanzierung tariflich vereinbarter Gehälter durch die Kostenträger gegenüber den Trägern von Pflegeeinrichtungen betrifft, gibt es im Pflegeversicherungsrecht eine klare Regelung. Entsprechende Gehälter können bei Entgeltverhandlungen nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Weniger deutlich ist derzeit, in welchem Maße die Pflegeversicherung steigende Pflegekosten auffängt. Es gibt zwar eine Dynamisierungsregelung, diese räumt der Bundesregierung jedoch erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten ein und bietet keine Handlungssicherheit, dass zusätzliche Belastungen pflegebedürftiger Menschen, ihrer Angehörigen und der Sozialhilfeträger vermieden werden.

Deshalb ist es gut, dass in dem Verhandlungsergebnis von Union und SPD festgehalten wird, die Sachleistungen sollen kontinuierlich an die Personalentwicklung angepasst werden. Wenn die Pflegeversicherung steigende Pflegekosten durch höhere Leistungen auffängt, muss dies selbstverständlich auch auf der Einnahmeseite gegenfinanziert sein. Mit Blick auf die erheblichen Beitragssatzsteigerungen durch die Pflegestärkungsgesetze gilt es daher, auch einen Finanzierungsbeitrag aus Steuermitteln in den Blick zu nehmen.

Zu Frage 3: Die Landesregierung erkennt an, dass Bundesregierung und Bundestag in eigener Verantwortung über die Bestellung eines Beauftragten für die Pflege entscheiden. Unmittelbare Auswirkungen auf Rheinland-Pfalz sind in dieser Frage nicht ersichtlich.

Zu Frage 4: Eine gute ärztliche Betreuung ist ein wesentlicher Bestandteil der Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Mit der Möglichkeit, dass stationäre Pflegeeinrichtungen Kooperationsverträge mit geeigneten Vertragsärztinnen und Vertragsärzten schließen, hat der Gesetzgeber bereits eine wichtige Grundlage für die Verbesserung der Versorgung geschaffen. Durch bedarfsgerechte Besuche, eine verbesserte Erreichbarkeit auch an Wochenenden und Feiertagen sowie einer Verbesserung des Informationsaustausches verbunden mit genauen und verbindlichen Absprachen kann insgesamt eine Verbesserung der Versorgung erzielt werden.

Leider ist es noch nicht allen Einrichtungen gelungen, entsprechende Kooperationsverträge abzuschließen. Um diesen wichtigen Baustein der Versorgung pflegebedürftiger Menschen weiterzuentwickeln, brauchen wir mehr Verbindlichkeit. Die Koalitionspartner auf Bundesebene haben sich daher entschieden, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Pflegeeinrichtungen zu verpflichten, Kooperationsverträge abzuschließen, damit die verbesserte Versorgung allen Bewohnerinnen und Bewohnern zugutekommt.

Eine Zusatzfrage der Kollegin Anklam-Trapp.

Sehr geehrte Frau Ministerin, sollte der Koalitionsvertrag in Kraft treten und die Gemeindeschwesterplus als gesamtstaatliche Aufgabe den präventiven Hausbesuch starten können, um Pflege im hohen Alter zu verhindern, wäre dies ein Paradigmenwechsel in der Pflege in Deutschland?

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Anklam-Trapp. In der Tat, der präventive Hausbesuch, der im Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, ist das Schließen der Lücke, die es bisher im Bereich der Pflege in Deutschland gegeben hat, nämlich die Lücke der Prävention in der Pflege. Wir haben in Rheinland-Pfalz diese Lücke bereits aus Eigeninitiative mit der Gemeindeschwesterplus geschlossen, mit unserem eigenen, zu 100 % aus Landesmitteln finanzierten Modellprojekt. Wir sind sehr froh, dass wir diesen Ansatz mit

dem präventiven Hausbesuch jetzt auch auf Bundesebene verwirklichen können. Die Finanzierung soll über das Präventionsgesetz sichergestellt werden. So können wir sicher sein, dass künftig auch die Prävention in der Pflege eine große Rolle spielen wird. Damit wird es den Menschen ermöglicht, so lange wie möglich selbstbestimmt zu Hause zu leben und erst später, wenn überhaupt, in die Pflegebedürftigkeit zu gelangen.

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wäschenbach.

Frau Ministerin, würden Sie es begrüßen, anstelle eines Pflegebeauftragten bei der Bundesregierung eine Bundespflegekammer zu errichten?

Vielen Dank für die Frage, Herr Wäschenbach. Die Errichtung einer Bundespflegekammer würde ich sehr begrüßen, weil wir in Rheinland-Pfalz mit der ersten Landespflegekammer Pioniere waren. Ich würde es schon sehr begrüßen, gerade für die vielen Tausend Menschen, die hervorragende Arbeit in der Pflege leisten, damit sie auch bundesweit eine Interessenvertretung bekommen, eine Stimme, die für die Pflege spricht. Das würde ich sicherlich sehr begrüßen. Die Einrichtung eines Pflegebeauftragten im Kanzleramt liegt, wie ich ausgeführt habe, in den Händen der Koalitionspartner bzw. des Deutschen Bundestags. Ich glaube, dazu brauchen wir keine Bewertung abzugeben.

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Junge.

Frau Ministerin, im Koalitionsvertrag liest man im Rahmen der „Konzertierten Aktion Pflege“ von einer Ausbildungsoffensive. Können Sie schon sagen, wie sich das auf das Land Rheinland-Pfalz auswirken wird?

Vielen Dank, Herr Junge.

Ich bitte um Verständnis, dass es in der Tat vielleicht ein bisschen früh ist, weil dieser Koalitionsvertrag noch nicht einmal beschlossen ist. Von daher, glaube ich, was ganz wichtig ist, ist die Botschaft, dass man auch in Berlin erkannt hat, Pflege ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, hier etwas zu tun.

Wir sind aus rheinland-pfälzischer Sicht sehr froh, dass der Bund die Verantwortung so übernimmt. Ich sagte gerade

eben, wir sind mit unserer Fachkraft- und Qualifizierungsinitiative schon seit Jahren dabei, die Ausbildungszahlen zu steigern, die Arbeitsbedingungen und Rahmenbedingungen in der Pflege zu verbessern. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass der Bund sich nun auch dieser Aufgabe annimmt. Wie genau diese konzertierte Aktion auf Bundesebene aussehen soll, wird man erst sehen, wenn die Bundesregierung konstituiert ist.

Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Groß.

Frau Ministerin, wie bewertet die Landesregierung die Ankündigung im Koalitionsvertrag, in einem Sofortprogramm die Arbeitsbedingungen von Fachkräften und Betreuern in der Pflege so attraktiv zu machen, dass ausreichend Menschen den Pflegeberuf ergreifen, wenn für die Rahmenbedingungen in der Pflege die Selbstverwaltung zuständig ist? Wie will man da einwirken?

Frau Dr. Groß, vielen Dank für die Frage.

Sie fragen nach der Bewertung eines solchen Sofortprogramms. Ich finde dieses Sofortprogramms sehr gut, und finde, es ist auch sehr zu begrüßen, dass man sich nicht nur um die Rahmenbedingungen, sondern auch um die Arbeitsbedingungen kümmern und zu Verbesserungen kommen will. Ich kann nur, wenn ich das darf, den Verantwortlichen auf Bundesebene die Empfehlung geben, genauso zu agieren, wie wir es in Rheinland-Pfalz tun.

Wir setzen uns gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern aus der Selbstverwaltung der Pflege an einen Tisch, und wir haben es in gemeinsamer Kraftanstrengung und gemeinsamen Verantwortlichkeiten erreicht, dass wir die Situation im Bereich der Pflege in Rheinland-Pfalz verbessert haben. Das geht nur gemeinsam. Das schafft die Politik nicht alleine. Das schafft aber auch die Selbstverwaltung nicht alleine. Hier muss man gemeinsam zusammenarbeiten. Das ist auch mit dieser „Konzertierten Aktion“ gemeint, und da kann man – wie gesagt – nur schauen, wie hervorragend das in Rheinland-Pfalz mit den verschiedenen Beteiligten funktioniert. Das ist sicherlich auch ein Vorbild für die Bundesebene.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wäschenbach.

Frau Ministerin welche Möglichkeiten sehen Sie, darauf einzuwirken, dass die generalistische Ausbildung jetzt endlich zum Abschluss kommt, damit die Pflegeschulen anfangen können zu planen?

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Das müssen Sie den Herrn Rüddel fragen und nicht Frau Bätzing-Lichtenthäler!)

Herr Wäschenbach, danke für die Frage.

Wie gesagt, ich trage hier in Rheinland-Pfalz als Ministerin Verantwortung. Ich glaube, es wäre jetzt zu gewagt zu sagen, was man den Berliner Kolleginnen und Kollegen raten muss. Ich hoffe sehr, dass es zu dem Abschluss kommt. Ich bedauere es sehr, dass dieses hervorragende Gesetzesvorhaben, auf das die Länder so lange gewartet haben, so lange auf Eis gelegen hat und letztendlich nur in einem Kompromiss geendet ist, weil wir in Rheinland-Pfalz hervorragende Erfahrungen mit der Generalistik gemacht haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese Generalistik brauchen. Deswegen kann man nur an die Verantwortlichen in Berlin appellieren, insbesondere an die Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden und so schnell wie möglich die letzten erforderlichen Abstimmungen auf den Weg bringen.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Genau richtig!)

Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Groß.

Frau Ministerin, Sie sprachen gerade steuerliche Zuschüsse an, dass auch der Bund sich beteiligen müsse. Sie sagten aber auch, dass die Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Können Sie sich vorstellen, oder gehen Sie mit mir konform, dass der Bund doch eine signifikante Menge an Geldern in die Pflege einbringen sollte analog der 14 Milliarden Euro, die er auch in den Gesundheitsfonds steckt?

Frau Dr. Groß, vielen Dank für diese Nachfrage.