Protokoll der Sitzung vom 22.03.2018

Jeder Mensch mit Behinderung soll dieselben Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben haben, unabhängig von

seinem Wohnort. Meine Damen und Herren, für die betroffenen Menschen mit Behinderung dürfen die Möglichkeiten zur Teilhabe nicht zu einer Postleitzahlenlotterie werden.

(Beifall der SPD)

Dies ist einer der Leitgedanken des Gesetzentwurfs, über den wir heute sprechen und der im Sommer dem Plenum vorgelegt werden soll. Um dies umzusetzen, wird das Land dort, wo es Sinn macht, nämlich bei volljährigen Menschen mit Behinderung, die Trägerschaft der Eingliederungshilfe übernehmen. Damit bleibt diese Aufgabe wie in der Vergangenheit auch eine duale von Land und Kommunen.

(Beifall der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus meiner mittlerweile Jahrzehnte währenden Erfahrung in der Praxis kann ich Ihnen versichern, die Betroffenen interessiert es überhaupt nicht, wer Träger der Eingliederungshilfe ist, sondern wer als Ansprechpartner vor Ort die Maßnahmen umsetzt. Die Leistungserbringer wie beispielsweise die Lebenshilfe oder Caritas verfügen über gut ausgebildetes Personal, deren Engagement und Empathie im Alltag für die Menschen mit Behinderung das Wichtigste sind. An dieser Stelle möchte ich meinen herzlichen Dank an alle Menschen aussprechen, die in diesem Auftrag unterwegs sind.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So ist es auch eine gemeinsame Aufgabe des Landes und der Kommunen, miteinander darauf zu achten, dass die Qualität der Betreuung und Begleitung der Menschen mit Behinderung für uns oberste Priorität haben muss.

Die Kritik des Herrn Abgeordneten Schreiner aus der CDUFraktion an der Trennung der Zuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Hilfen für Kinder und Jugendliche und die des Landes für die über 18-Jährigen geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Herr Schreiner, Sie haben soeben davon gesprochen, dass die Verbände die Fachleute seien. Ich bin seit 40 Jahren als Erzieher mit einer sonderpädagogischen Ausbildung unterwegs;

(Zuruf des Abg. Gerd Schreiner, CDU)

von daher erlaube ich mir auch, als Fachmann hier sprechen zu können. Die 18-jährigen Menschen mit Behinderung stehen heute sehr selbstbewusst und selbstbestimmt im Leben, und sie werden auch darüber hinaus noch kontinuierlich fachlich begleitet. Es findet eben kein Schnitt in einem kritischen Lebensalter statt.

(Glocke des Präsidenten)

Die Ansprechpartner wechseln nicht zwangsläufig mit dem Tag des Geburtstages, da Menschen mit Behinderung oft noch über das 18. Lebensjahr hinaus in die Schule gehen oder in Maßnahmen der Jugendhilfe begleitet werden und in ihrem Alltag natürlich dieselben Ansprechpartner haben werden wie zuvor. Dies war in der Vergangenheit so, und es wird auch in der Zukunft so bleiben.

(Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, man sollte die Menschen nicht durch das Führen von Scheindebatten verunsichern.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile nun Herrn Dr. Böhme von der Fraktion der AfD das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete und Regierungsmitglieder! Am 27. Februar dieses Jahres erfolgte die Grundsatzbilligung für den Referentenentwurf zum Ausführungsgesetz des Bundesteilhabegesetzes durch den Ministerrat in Rheinland-Pfalz. Heute nun stellt die CDU-Fraktion die Antwort auf ihre Große Anfrage zur Trägerschaft der Eingliederungshilfe vom 16. Oktober letzten Jahres zur Debatte. Eigentlich kann man nun gleich über den Gesetzentwurf reden; er ist der aktuelle Sachstand, meine Damen und Herren.

Letztlich muss klar sein, dass die Trägerschaft der Eingliederungshilfe nicht mehr unabhängig von diesem Gesetzentwurf debattiert werden kann; sie ist damit grundsätzlich verbunden. Besser wäre es freilich gewesen, diesen Punkt im Vorfeld zu klären. Er kann nun zum Stolperstein des Gesetzes werden – ein kritischer Pfad, wie man im Projektmanagement sagen würde, auf dem alle Elemente keine zeitlichen Reserven mehr haben und letztlich erfolgskritisch für das Gesamtprojekt werden. Dazu gehören dann auch nicht nur die Trägerschaft der Eingliederungshilfe, sondern auch die Regeln zum Budget für Arbeit und der Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit den Trägern der Behindertenwerkstätten, welche im Rahmen des Gesetzentwurfs verhandelt werden müssen.

Betrachtet man nun den Verlauf der Debatte zur Trägerschaft der Eingliederungshilfe, so kommt man an dem Statement „Schlechtes Projektmanagement der Landesregierung“ nicht vorbei. Die Forderungen der Kommunen, Leistungserbringer und behinderter Menschen sind längst bekannt. Stolz verweist Sozialministerin BätzingLichtenthäler auf einen breit angelegten und intensiven Beteiligungsprozess mit allen beteiligten Akteuren, um dann flugs einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem eine Variante der gemeinsamen Trägerschaft von Kommunen und Land festgeschrieben wird, die offensichtlich so im Vorfeld gar nicht besprochen wurde. – Das nennt man einen transparenten Beteiligungsprozess, meine Damen und Herren. Wirklich großartig!

Die Reaktionen der Betroffenen lassen daher auch nicht lange auf sich warten. Bereits am 12. März dieses Jahres erteilte die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände mit einer Pressemitteilung dem Gesetzentwurf eine klare Absage. Der Grund: Das liebe Geld. – Hat man darüber in diesem transparenten Beteiligungsprozess nicht gesprochen, meine Damen und Herren von der Landesregierung?

Irgendwie kommt man sich vor wie auf einem morgenländischen Basar. Es wird erst viel über Freundschaft, Familie und das Wetter gesprochen und dann mit überzogenen Vorstellungen erst einmal eine Verhandlungsposition aufgebaut. So ist es auch kein Wunder, dass der Projektmeilenstein „Inkrafttreten des Gesetzes“ von Sommer 2018, wie in der Antwort der Landesregierung angegeben, bereits auf Ende des Jahres verschoben wurde, wie man jetzt auf der Website des Ministeriums lesen kann.

Mehr noch: Der Landesregierung ist es nicht gelungen, im Vorfeld Einigkeit und eine Lösung zu erzielen, und man schleppt nun die Probleme mit dem Gesetzentwurf weiter. Damit ist absehbar, dass die gesetzliche Regelung nur eine geringe Akzeptanz erfahren wird. Weitere Auseinandersetzungen, gegebenenfalls auch gerichtliche, sind vorprogrammiert. Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes rückt in weite Ferne, der notwendige Rahmenvertrag mit den Trägern der Behindertenwerkstätten übrigens auch, meine Damen und Herren.

Wie geht es nun weiter, ist die Frage. Vielleicht sollte man noch einmal über den Begriff Subsidiarität nachdenken. Dieser Begriff bedeutet nämlich nicht nur, dass die einzelnen gesellschaftlichen Ebenen versuchen, ihre Aufgaben zunächst einmal selbst zu lösen. Er bedeutet auch, dass die übergeordneten Ebenen aktiv werden, wenn man es vor Ort nicht mehr schaffen kann. An diesem Punkt sind die meisten hochverschuldeten Kommunen längst angekommen.

Dr. Bernhard Matheis, der Oberbürgermeister von Pirmasens, hat es im Fachgespräch Subsidiarität der Evangelischen Kirche in Mainz am 22. Mai 2017 eigentlich schon recht klar und verständlich ausgedrückt: Vor Ort kann aufgrund der knappen Finanzen und widerstreitenden Interessenlagen nur die niedrigste Hilfe angeboten werden, so seine Aussage.

Daraus folgt, wenn höhere Ambitionen über das Bundesteilhabegesetz und gleichwertige Lebensverhältnisse für alle umgesetzt werden sollen, dann muss das Subsidiaritätsprinzip in Kraft treten. Die übergeordnete Ebene, hier das Land Rheinland-Pfalz, muss die Lasten übernehmen und kann sie nicht einfach an die Kommunen weitergeben.

(Beifall der AfD)

Somit ist die Forderung aller Kommunen und Verbände nach einer alleinigen Trägerschaft des Landes nicht unberechtigt. Viel zu lange hat man die Kommunen zum Zahlmeister des Sozialstaates gemacht, der doch von Bundeskanzlern und Ministerpräsidenten so gern als eigener Verdienst proklamiert wird. Stehen Sie also zu Ihrem Wort, Frau Ministerpräsidentin. Seien Sie sozial gerecht, und lassen Sie nicht zu, dass die Lasten wieder einmal auf die Schwächsten und die Letzten in der Kette abgewälzt werden. Sorgen Sie für gleichwertige Lebensverhältnisse der behinderten Menschen in allen Kommunen von RheinlandPfalz. Tragen Sie die Eingliederungshilfe vonseiten des Landes, und ziehen Sie die etablierten behördlichen Strukturen der Kommunen zur Durchführung heran. Das wäre aus Sicht der AfD-Fraktion eine sinnvolle Lösung und ein sinnvoller Kompromiss.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall der AfD)

Der nächste Redner ist Herr Abgeordneter Wink von der Fraktion der FDP.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesteilhabegesetz ist ohne Frage eines der einschneidendsten Gesetze im Bereich der Teilhabepolitik. Das Credo lautet: Von der Fürsorge hin zur Teilhabe, und diesen Schritt begrüßen auch wir Freien Demokraten ausdrücklich.

Die Bestimmung des Trägers der Eingliederungshilfe ist dabei nur eine der zahlreichen Anpassungen, wenngleich auch eine der wichtigsten für die Zukunft. Im Rahmen der Beratungen zum Trägermodell – wir haben es vorhin schon gehört – wurde von der Landesregierung ein breiter Beteiligungsprozess initiiert.

Auch hier können Sie uns gewiss glauben: Wenn von den dortigen Empfehlungen abgewichen wurde, dann wurde dies gewiss nicht leichtfertig getan. Das aktuell angestrebte Modell der Trägerschaft – auch dies wurde von meinen Vorrednern schon mehrmals erläutert – wurde der Öffentlichkeit inzwischen ausführlich dargelegt. Die Kommunen sollen die Trägerschaft der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren übernehmen, das Land bei allen volljährigen Menschen mit Behinderung.

Wichtig hierbei ist auch eine sachliche Debatte, die zeigt, wie man zu dieser Entscheidung gekommen ist. Ich möchte deswegen an dieser Stelle ein paar Punkte aufgreifen, die von verschiedenen Seiten immer wieder gegen das gewählte Modell vorgebracht werden. Die Kommunen fürchten unter anderem eine zusätzliche Haushaltsbelastung. Tatsächlich ist doch aber aktuell seriös noch gar nicht abzuschätzen, ob es durch das BTHG überhaupt zu Mehrausgaben kommt. Daher ist auf Druck von Rheinland-Pfalz – und das ist auch gut so – eine bundesweite Kostenevaluation festgeschrieben worden.

Man darf an dieser Stelle auch erwähnen, dass sich mit manchen Kommunen die Zusammenarbeit in diesem Bereich etwas schwierig gestaltet hat. Bei den individuellen Leistungsausgaben dagegen sind keine höheren Ausgaben zu erwarten. Auch der Umfang des Personenkreises, für den Land und Kommunen als Träger zuständig sein sollen, wird im Vergleich zur jetzigen Variante etwa gleich bleiben. Lassen Sie mich daher etwas deutlicher sagen, die Kommunen müssen keinerlei Aufgaben erfüllen, die sie aktuell nicht auch erfüllen.

Die zweite Befürchtung ist, dass durch die getrennte Trägerschaft keine Gleichwertigkeit der Leistungen in ganz Rheinland-Pfalz gewährt werden kann. Das Land hatte aber noch nie eine derartige Steuerungs- und Controllingmöglichkeit, wie es nach den angestrebten Regelungen vorgesehen ist. Diese Steuerungsfunktion ist ganz klar in

den §§ 94 und 95 des Bundesteilhabegesetzes festgelegt. Angesichts der Wichtigkeit des Themas kann man dazu sicherlich noch weiter trefflich diskutieren. Ich bin mir sicher, dieses Thema wird uns noch lange in diesem Hohen Hause begleiten.

Ich bin aber davon überzeugt, dass die Debatten im parlamentarischen Rahmen mit Fakten und nicht mit Annahmen oder Spekulationen geführt werden sollten. Uns Freien Demokraten ist es auch wichtig, dass wir den Menschen mit Behinderung in ganz Rheinland-Pfalz gute und gleichwertige Lebensverhältnisse bieten. Dafür setzen wir uns gemeinsam mit den Partnern der Ampel ein und unterstützen die Landesregierung vertrauensvoll bei der weiteren Umsetzung.

Vielen Dank.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun bitte ich Herrn Abgeordneten Köbler von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ans Rednerpult.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir wichtig, am Anfang noch einmal zu sagen, worüber wir überhaupt reden. Ich glaube, wir reden zunächst einmal nicht über Verwaltungsstrukturen und Finanzströme, sondern wir reden vor allen Dingen über die betroffenen Menschen. Wir reden über Menschen mit Behinderung. Das sind in RheinlandPfalz immerhin 37.000, um die es hier geht.

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist seit 2009 geltendes Recht in Deutschland. Sie garantiert das Menschenrecht auf selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das ist das, was wir Inklusion nennen. Trotz aller Anstrengungen sind wir nach wie vor auf einem weiten Weg.

Wenn das individuelle Wunsch- und Wahlrecht Einzelner durch Dinge wie Mehrkostenvorbehalt in der Realität eingeschränkt wird, dann ist das noch keine Inklusion. Dahin müssen und wollen wir kommen. Insofern ist der Paradigmenwechsel mit dem Bundesteilhabegesetz – von der Fürsorge der Sozialhilfe hin zu einem Teilhabe- und Leistungsrecht – ein notwendiger und überfälliger Schritt.

Klar, wir haben auch am Bundesteilhabegesetz einiges kritisiert, aber der Paradigmenwechsel ist die richtige Richtung. Der Grundfehler im Bundesteilhabegesetz ist aber – das wird in der Diskussion heute wieder deutlich –, dass der Bund seine Zusage gegenüber den Ländern und den Kommunen, sich strukturell an den Kosten der Eingliederungshilfe zu beteiligen, nicht eingelöst hat und sich bis heute im Bereich Inklusion von Menschen mit Behinderung mit keinem Cent strukturell und finanziell beteiligt.

Nun fordert das Bundesteilhabegesetz – das ist schon angesprochen worden – eine Reihe landesrechtlicher Um

setzungen. Unser Anspruch ist, sie in Rheinland-Pfalz konsequent an Inklusion auszurichten und die Selbstbestimmung der Betroffenen und das Wunsch- und Wahlrecht zu ermöglichen.

Dafür muss zunächst einmal die Angebotsseite in den Blick genommen werden; denn selbst wenn wir ein qualifiziertes Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen haben, müssen wir doch sehen, dass wir in einigen Regionen noch gar keine Angebotsstruktur haben, die ein Wahlrecht zur Verwirklichung bringen kann. Hier ist es wichtig, Angebote, insbesondere inklusive Angebote im Sozialraum, auch und gerade im ländlichen Raum zu realisieren. Das ist ein wesentlicher Punkt, um auch hier gleichwertige Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderung im ganzen Land Wirklichkeit werden zu lassen.

Meine Damen und Herren, gleichwertige Lebensverhältnisse auch in der Leistungsgewährung bei der Eingliederungshilfe sind unser Anspruch. Wir haben schon zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Kommunalisierung der Eingliederungshilfe zu einem Flickenteppich an Vorgehensweisen und Leistungsgewährern geführt hat und man hier für Menschen mit Behinderung nicht zu einer einheitlichen Leistungsgewährung gekommen ist.