Ich rufe die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Thomas Roth und Monika Becker (FDP), „Schwarzfahren“ als Ordnungswidrigkeit – Nummer 4 der Drucksache 17/8218 – betreffend, auf.
2. Wie beurteilt die Landesregierung die Verhängung der Ersatzfreiheitsstrafe in Fällen der Beförderungserschleichung nach § 265 a Strafgesetzbuch?
3. Wie beurteilt die Landesregierung die in den Medien veröffentlichte Forderung der Berliner Generalstaatsanwältin, Schwarzfahren zukünftig nicht mehr zu bestrafen und den Tatbestand zu streichen?
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Berliner Generalstaatsanwältin, Frau Margarete Koppers, hat Ende Dezember des vergangenen Jahres gefordert, das Schwarzfahren nicht mehr zu bestrafen, um die Justiz nicht länger mit diesen Verfahren zu belasten.
Dieses Thema ist nicht neu. Schon im März bzw. April letzten Jahres legten die Bundestagsfraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jeweils einen Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung nach § 265 a Strafgesetzbuch, des sogenannten Schwarzfahrens, vor.
Nach der Vorstellung der Fraktion DIE LINKE soll das Fahren ohne Fahrschein keine Straftat mehr sein. Im § 265 a des Strafgesetzbuchs soll die Beförderungserschleichung gestrichen werden. Der bisherige Zustand sei ungerecht, heißt es in dem Entwurf.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert die Aufhebung der Strafbarkeit des Schwarzfahrens. Entkriminalisierung bedeute aber keine Legalisierung des Schwarzfahrens. Deshalb solle die unbefugte Nutzung der Beförderung durch ein Verkehrsmittel eine Ordnungswidrigkeit darstellen, die mit einer Geldbuße geahndet werden könne. Dadurch würden die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte entlastet, Ersatzfreiheitsstrafen verringert und der Strafvollzug entlastet.
Genauso wie in der Öffentlichkeit wurden auch in der Sachverständigenanhörung im Deutschen Bundestag am 7. November 2018 beide Gesetzentwürfe kontrovers diskutiert.
Der Vertreter des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen erklärte in der Anhörung, dass den Firmen durch das Schwarzfahren hohe Schäden entstünden, die entweder die ehrlichen Fahrgäste oder die öffentliche Hand tragen müssten. Schätzungen gingen von einem Betrag von 250 bis 300 Millionen Euro aus. Der Verband halte die Strafbarkeit des Schwarzfahrens weiterhin für notwendig. Eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit oder sogar eine gänzliche Abschaffung des Straftatbestands hätten eine negative Signalwirkung, die die Schwarzfahrerquote deutlich erhöhen könnte. Den Zugang zu ihren Verkehrsmitteln zu erschweren, käme für sie allerdings auch nicht infrage.
Wir befinden uns also mitten in einer rechtspolitischen Diskussion über Sinn und Zweck eines Straftatbestands. Diese an sich schon nicht einfach zu beantwortende Frage wird zusätzlich verknüpft mit der Problematik der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe im Allgemeinen und in speziellen Fällen der Beförderungserschleichung.
Zu Frage 1: Schwarzfahren ist kein eigenständiger Straftatbestand, sondern unterfällt der Erschleichung von Leistungen nach § 265 a des Strafgesetzbuchs. Diese Vorschrift stellt neben dem Erschleichen einer Beförderung durch ein Verkehrsmittel auch das Erschleichen von Leistungen eines Automaten, eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunkationsnetzes oder des Zutritts zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung unter Strafe. Der Strafrahmen reicht bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, wenn das Tatgeschehen nicht in anderen Vorschriften mit schwerer Strafe bedroht ist. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn es bei einer Fahrkartenkontrolle zu einem tätlichen Angriff auf das Personal der Bahn oder des Verkehrsbetriebs kommt.
Die sogenannte Beförderungserschleichung dürfte nach allgemeiner Erfahrung den weit überwiegenden Teil der Verurteilungen wegen Leistungserschleichung ausmachen. In der Strafverfolgungsstatistik wird aber die konkrete Tatbestandsalternative nicht erfasst, sondern nur die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat nach § 265 a Strafgesetzbuch als solche.
Für die Jahre 2015 bis 2017 ergibt sich danach folgendes Bild: Im Jahr 2015 gab es insgesamt 2.354 Verurteilungen wegen § 265 a Strafgesetzbuch. 2016 waren es 1.932 Verurteilungen und im Jahr 2017 insgesamt 1.777. Die Zahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor.
In allen Jahren überwog der Anteil der Verurteilungen zu Geldstrafen deutlich. Im Jahr 2015 waren es 1.924 Verurteilungen und im darauf folgenden Jahr 1.612. Im Jahr 2017 gab es 1.491 Verurteilungen zu einer Geldstrafe. Das sind fast 92 % der Verurteilungen.
Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung ist hingegen selten. Im Jahr 2015 gab es 39 solcher Verurteilungen, im Jahr 2016 waren es 40 und im Jahr 2017 34.
Die Zahl der Gefangenen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Strafe nach § 265 a des Strafgesetzbuchs verbüßen, lässt sich durch eine Datenabfrage ermitteln. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Auswertungen der IT-Fachanwendungen Momentaufnahmen sind, da diese Fachanwendung Tag für Tag in zehn Justizvollzugseinrichtungen neu eingestellt wird. Aus diesem Grund verändern sich die Daten buchstäblich jede Minute. Erfasst wird auch nur der Tatvorwurf, für den sich der Gefangene am Tage der Abfrage in Haft befindet.
Bezüglich der als Vergleich herangezogenen Gesamtzahl der Gefangenen ist zu beachten, dass weder Untersuchungshaft noch Jugendarrest oder Sicherungsverwahrung erfasst werden. Zudem fehlen die Durchgangsge
fangenen, die sich für nur wenige Tage auf Transporten in unseren Justizvollzugseinrichtungen befinden. Die Gesamtzahl aus der Belegungsstatistik ist demnach deutlich höher.
Nach der Datenbankauswertung vom 29. Januar 2019 befanden sich 163 Gefangene wegen einer nach § 265 a des Strafgesetzbuchs verhängten Strafe in Haft. Das ist ein Anteil von 5 %, genauer gesagt von 5,2 %. Von diesen 163 Gefangenen verbüßten 52 eine Ersatzfreiheitsstrafe. Das sind 31 %. Der Rest entfällt auf Freiheitsstrafen und Jugendstrafen.
Zum Auswertezeitpunkt verbüßten fast genauso viele Gefangene eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Diebstahls. Neben 47 wegen Betrugs waren es 29 Gefangene. Wegen Straßenverkehrsdelikten waren es insgesamt 32. Die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe ist daher kein Alleinstellungsmerkmal einer Verurteilung wegen Beförderungserschleichung.
Zu Frage 2: Die Ersatzfreiheitsstrafe kann nicht isoliert und nur für einen Straftatbestand betrachtet werden. Sie ist Teil des Sanktionensystems des deutschen Strafrechts. Dies kennt – ausgenommen das Jugendstrafrecht – nur die beiden Sanktionen Geldstrafe und Freiheitsstrafe. Ca. 80 % der Strafen sind Geldstrafen. Die meisten Geldstrafen werden zügig bezahlt. Ratenzahlungen sind möglich und kommen in der Geldstrafenvollstreckung sehr häufig vor.
Wird der Zahlungsaufforderung der Landesjustizkasse keine Folge geleistet, kann der Gerichtsvollzieherdienst mit Vollstreckungsmaßnahmen beauftragt werden. Verlaufen diese erfolglos oder steht nach Aktenlage die Uneinbringlichkeit der Geldstrafe fest, wird die Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet und der Verurteilte zum Strafantritt geladen.
Spätestens mit der Ladung muss über das Modell „Schwitzen statt sitzen“ belehrt werden. Einem Antrag auf gemeinnützige Arbeit wird in der Regel entsprochen, gegebenenfalls auch mehrfach. Die Ladung zum Strafantritt wird aufgehoben.
Gelingt das Abarbeiten der Geldstrafe nicht, wird sodann erneut geladen. Wird die Ladung nicht befolgt, ergeht ein Vollstreckungshaftbefehl. Dieser wird an die Polizei übersandt, die im Normalfall eine schriftliche Ankündigung der Verhaftung vornimmt. Dieses Mittel ist recht erfolgreich und führt nicht selten zur Zahlung der Geldstrafe.
Erst wenn auch diese Ankündigung keinen Erfolg hat, erfolgt die Vollstreckung des Haftbefehls. Nicht selten kommen unter dem Druck der Festnahme dann doch noch Zahlungen. Die Annahme, es werde schnell verhaftet und die Ersatzfreiheitsstrafe könne vom Verurteilten nicht abgewendet werden, trifft daher nach unseren Erkenntnissen nicht zu.
Nach den für eine bundesweite Arbeitsgruppe erhobenen Zahlen für die Jahre 2013 bis 2015 wurden in RheinlandPfalz nur zwischen 3,9 % und 4,2 % aller Geldstrafen teilweise als Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt. Die Zahlung der Geldstrafe oder das Ableisten gemeinnütziger Arbeit sind daher der Regelfall. Nimmt man das Druckmittel der
Ersatzfreiheitsstrafe weg, ist davon auszugehen, dass die Zahlungsbereitschaft abnimmt. Dies zeigt sich auch daran, dass häufig kurz nach der Inhaftierung doch noch gezahlt wird und sich damit die weitere Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe erledigt. Haftzeiten von wenigen Tagen sind daher keine Seltenheit.
Zu den Fragen 3 und 4, die ich gemeinsam beantworte, weil ein inhaltlicher Zusammenhang besteht, kann ich Folgendes sagen: Eine Strafbarkeit nach § 265 a Abs. 1 Strafgesetzbuch liegt vor, wenn die Beförderung durch ein Verkehrsmittel in der Absicht erschlichen wird, das Entgelt nicht zu entrichten. Nach der Ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es für ein Erschleichen in diesem Sinne, wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt. Ein Umgehen von Kontrollmaßnahmen oder sonstiges zusätzliches Täuschungselement ist nicht erforderlich.
Im Schrifttum wird diese weite Auslegung teilweise kritisiert oder gar abgelehnt. Bei der bloßen Inanspruchnahme der Beförderung im Massenverkehr könne nicht von einer Umgehung von Sicherheitsvorkehrungen gesprochen werden, wenn der Täter keinerlei Sperre zu überwinden hatte.
Erst recht bedenklich ist die weite Tatbestandsfassung, wenn es um eine sogenannte Bahnsteigkarte geht. Der Hamburger Verkehrsverbund verlangt, dass sich Menschen eine kostenpflichtige Bahnsteigkarte kaufen, wenn sie jemanden am U-Bahn- oder S-Bahn-Gleis abholen möchten. Die Karte kostet 30 Cent. Wer sie nicht kauft und beim Verlassen der Station in eine Kontrolle gerät, wird wie ein Schwarzfahrer behandelt, aber nicht, weil er eine Beförderungsleistung erschlichen hat, sondern weil er unbefugt auf dem Bahnsteig steht. – Er wird also nicht wegen Schwarzfahrens, sondern wegen Schwarzstehens bestraft.
Außer in Hamburg wird auch in München von den Nahverkehrsbetrieben eine Bahnsteigkarte verlangt, die dort für 40 Cent zu erwerben ist. Wer eine solche Karte also nicht erwirbt und trotzdem den Bahnsteig betritt, wäre danach wegen Erschleichung einer Leistung – nämlich des Nutzens des Bahnsteiges – unter Umständen strafbar. Dieses Beispiel zeigt, dass man über das zu ahndende kriminelle Unrecht meines Erachtens durchaus diskutieren kann.
Sie sagen, es ist ein Unterschied, aber die Verkehrsbetriebe in Hamburg und München machen keinen Unterschied. Sie wollen die 60 Euro haben, ob Sie nun auf dem Bahnsteig stehen oder gefahren sind. Da machen die gar keinen Unterschied, und das Gesetz auch nicht.
Ich könnte mir daher zumindest ein abgestuftes Vorgehen vorstellen. Man gibt den Verkehrsbetrieben ausreichend Zeit, damit sie die erforderlichen zumutbaren Zugangs
barrieren und Kontrollen errichten, und ändert dann das Gesetz. Dafür, ob es insgesamt eine Ordnungswidrigkeit sein soll oder andere Möglichkeiten berücksichtigt werden, bin ich durchaus offen. Ich kann mir zum Beispiel auch vorstellen, dass die Betriebe, wenn sie denn solche Zugangssperren nicht einführen wollen, eben auf den privaten Klageweg verwiesen werden. Dann können sie es auch weiterhin vor einen Strafrichter bringen, müssen die Arbeit aber selber machen. Das muss dann nicht die Justiz tun, und insbesondere müssen sie dann auch Gerichtskosten dafür bezahlen, was sie bisher nicht tun müssen. Insofern gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man in diesem Zusammenhang darauf reagieren könnte.
Eine Festlegung der Landesregierung auf dieses oder jenes gibt es nicht, dazu besteht auch keine Notwendigkeit, und auch der Minister hat sich nicht auf ein bestimmtes Vorgehen festgelegt. Der Minister ist durchaus offen für verschiedene Beispiele. Der Minister ist nur der Auffassung, dass Verkehrsunternehmen nicht beklagen dürfen, sie hätten einen Schaden von 250 bis 300 Millionen Euro, und sagen, deswegen müsse der Straftatbestand bleiben, aber gleichzeitig sagen, sie seien gänzlich dagegen, Zugangsbarrieren zu errichten, wie sie im Ausland durchaus üblich sind. Ich finde, wenn jemand ein solches Unternehmen betreibt und einen solchen Schaden beklagt, ist es ihm auch zumutbar, entsprechende Barrieren einzurichten und den Schaden zu minimieren und nicht alles nur auf die Justiz abzuwälzen.
Nach dieser sehr umfangreichen, detailgenauen und zum Teil mit Fortbildungscharakter versehenen Beantwortung
begrüßen wir zunächst einmal Gäste im Landtag, und danach können sich die Kolleginnen und Kollegen überlegen, ob noch Nachfragebedarf besteht.
Wir begrüßen zunächst einmal eine zweite Gruppe von Schülerinnen und Schülern der 10. Klasse des MittelrheinGymnasiums Mülheim-Kärlich. Herzlich willkommen bei uns!
Weiterhin begrüße ich Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse des Stefan-George-Gymnasiums in Bingen. Herzlich willkommen bei uns!