Protokoll der Sitzung vom 20.02.2019

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Hören Sie nicht zu?)

Halt! Etwas in der Debatte ist tatsächlich neu. Nachdem

Sie vor drei Wochen die Kritik von 100 Lungenfachärzten – 100 von über 4.000, sei dazugesagt – an den Grenzwerten der EU aufgefahren haben, ist das einzig Aktuelle, dass die taz in der letzten Woche sehr akribisch bewies, dass sich Dr. Köhler, der Kopf der Bewegung, bei seinen sogenannten Untersuchungen mehrfach schlicht verrechnet und zudem mit falschen Ausgangswerten gearbeitet hat. Er hat auch NOx und NO2 verwechselt. Bei NO2 verkehrt sich Köhlers intendierte Aussage durch den Fehler sogar ins Gegenteil. Köhler selbst, so die taz am 16. Februar, räumt schließlich ein, den seit 15 Jahren geltenden EU-Wert überhaupt nicht zu kennen.

So viel zur ultimativen Expertendiskussion von vor drei Wochen. Um es noch einmal deutlich zu sagen, das war keine Expertendiskussion im Sinne von: es gibt verschiedene Ansichten zu einem Sachverhalt. Das, was der Lungenfacharzt Dr. Köhler an absurder Debatte um die Feinstaubgrenzwerte aufgewirbelt hatte, kann mit Fug und Recht als Fake News bezeichnet werden. Mir scheint, damit kennt sich die AfD aus.

(Zuruf des Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD – Abg. Michael Frisch, AfD: Alles, was nicht grün ist, ist Fake News!)

Die aktuelle WirtschaftsWoche, wahrscheinlich nicht so links verortet von Ihnen wie die taz, kommentiert dazu in einem Essay mit dem Titel „Die gekaufte Wissenschaft“: „Auf der Strecke bleiben die Wertneutralität der Forschung und der Ruf der unabhängigen Wissenschaft.“

Ansonsten ist der aktuelle Stand wie gehabt. Ich zähle einmal auf, mich anlehnend an meine Rede von vor drei Wochen: Fahrverbote will keiner, Fahrverbote werden auch nicht politisch erlassen, sondern sind Maßnahmen, die durch Gerichtsurteile angeordnet werden. Die Automobilindustrie hat jahrelang Käuferinnen und Käufer betrogen. Die Bundesregierung lässt durch mangelnde Durchsetzungskraft – manche nennen das offensichtlich auch Regieren – Verbraucherinnen und Verbraucher im Regen stehen und auf den Kosten für a) die Umrüstung und b) den Werteverlusten sitzen.

Die Automobilindustrie weigert sich nach wie vor trotz Gewinnen, für die von ihnen selbst Geschädigten kostenfreie Hardwareumrüstungen zu übernehmen.

Schlussendlich zu den Grenzwerten: Nach wie vor aktuell gilt das Vorsorgeprinzip, und die Höhe der Schadstoffgrenzen wird im Übrigen regelmäßig überprüft. In dem Fall der Stickstoffdioxide war das zuletzt im Jahr 2013.

Das Klagen über die Einschränkungen für Autofahrerinnen und Autofahrer blendet total aus, dass das Ziel aller Grenzwerte die Bewahrung der Gesundheit vor hohen Feinstaubund Stickstoffwerten ist. Das haben unsere europäischen Nachbarn, für die die gleichen Grenzwerte gelten, viel länger und drastischer umgesetzt: London – City Maut; Paris und Madrid – strenge Umweltzonen, horrende Parkgebühren; Kopenhagen – Fahrradstadt. Nur die Bundesrepublik hat seit zehn Jahren nichts getan.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Thessaloniki?)

Die EU hat übrigens – ich sage das jetzt einmal hier, damit nicht in zehn Jahren jemand sagt, er habe es nie gehört – in Sachen Luftreinhaltung aktuell eine weitere Entscheidung getroffen. Bis 2025 soll der Schadstoffausstoß bei Lkw um 15 %, bis 2030 um 30 % sinken. Dazu der CDUPolitiker Jens Gieseke: Das muss die Politik unterstützen. – Frau Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagt: Wir brauchen eine Verkehrswende. Wir brauchen mehr Güter auf die Schiene. Wir müssen schrittweise weg von den fossilen Verkehrsträgern. – Sie zählt auch direkt eine ganze Reihe von möglichen und machbaren Substitutionen auf,

(Glocke des Präsidenten)

unter anderem auch die Gewinnung von Treibstoff aus als Altspeisefett.

Es gibt also noch viele Möglichkeiten, aber mehr dazu gern in der zweiten Runde.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Auf der Zuschauertribüne darf ich weitere Gäste begrüßen, und zwar Schülerinnen und Schüler der Alice-SalomonSchule aus Linz, die 11. Jahrgangsstufe. Seien Sie herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Für die Landesregierung spricht Frau Staatsministerin Höfken.

Verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Motive für diese Debatte sind bei CDU und AfD recht durchsichtig: gleich dreimal in der Plenarsitzung das Thema „Diesel“. Vielleicht kann man auf sehr interessante journalistische Beiträge verweisen. Herr Bauchmüller in der Süddeutschen Zeitung weist nämlich darauf hin, dass es in dieser Debatte wirklich um ein Aushöhlen politischer Kultur mit alternativen Fakten geht: Verkehrspolemik statt Verkehrspolitik. Es geht Ihnen um das Schüren von Wut und darum, Wutstätten für Wutbürger zu schaffen.

(Heiterkeit bei der AfD – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Diskriminierung von Dieselfahrern! – Glocke des Präsidenten)

Es geht auch um Framing und darum, das Problem an die Grünen zu heften statt an die Automobilindustrie, die den Dieselfahrerinnen und Dieselfahrern illegale Ware aufgedrückt hat.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Wir wollen erstens keine Fahrverbote. Das gilt für die ganze Landesregierung und für unsere Ampel-Koalition. Wir

wollen nicht, dass die Gerichte Fahrverbote verhängen müssen, weil Grenzwerte überschritten werden. Wir wollen vor allem nicht – dafür haben Grüne immer gestanden –, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher für die Betrügereien von Herstellern und das Versagen von Bundespolitik haften müssen.

Herr Baldauf, es ist doch Ihr Bundesminister, der Abhilfe schaffen könnte, aber es nicht tut; denn er könnte mit der Hardware-Umrüstung auf Kosten und Haftung der Hersteller für gute Luft sorgen und dafür, dass die Autos ihren Wert nicht verlieren. Mit einer Hardware-Umrüstung wären 70 bis 90 % der NOx-Emissionen pro Fahrzeug zu senken. Die Technik ist da. Für die Luftreinhaltung wäre alles Nötige getan.

Die Deutsche Umwelthilfe hat in Wiesbaden die Klage für erledigt erklärt, nicht weil sich an den Grenzwerten etwas geändert hätte, sondern weil die Stadt Wiesbaden gute Maßnahmen zur Luftreinhaltung ergreift.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und FDP)

Zweitens haben wir keine Fahrverbote, und wir brauchen sie auch nicht herbeizureden. Die Städte Mainz, Koblenz und Ludwigshafen und das Land haben viel getan. Geld kommt jetzt auch endlich einmal – ziemlich spät – vom Bund. Es ist ein sehr bürokratisches Verfahren, das sich der Bund mit den Masterplänen, die erstellt werden müssen usw., ausgedacht hat.

Das Land und das Verkehrsministerium haben aber dafür gesorgt, dass frühzeitig Geld zur Verfügung stand. Auch vorher haben die Städte viel getan, zum Beispiel in Mainz mit der Mainzelbahn, beim Fahrradverkehr, mit der Umweltzone und gerade mit den 105 Bussen, die umgerüstet werden. Das Ganze ist schon Ende Februar oder im März abgeschlossen. Vier Wasserstoff-Brennstoffzellenbusse und auch Elektrobusse kommen. Dass sie noch nicht da sind, liegt auch an den Lieferzeiten.

Was wir aber doch ganz deutlich sehen und was wir, ich hoffe alle miteinander, begrüßen können, ist, dass die Maßnahmen doch Wirkung zeigen.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Das ist fraglich! – Abg. Monika Becker, FDP: Gute Entwicklung!)

Im Jahr 2010 betrug der Jahresmittelwert in Mainz 61 µg, und heute sind es 47 µg. Das ist ein Rückgang um 23 % und wirklich ein Erfolg.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Die Standorte der Messstellen und die Messungen erfolgen drittens ganz brav an den vorgesehenen Stellen, ordnungsgemäß und EU-notifiziert – das werden wir noch in aller Breite diskutieren – seit 40 Jahren in der Parcusstraße in Mainz, seit 27 Jahren in Koblenz und seit 19 Jahren in Ludwigshafen. Die Grünen haben sie nicht dorthin gestellt, aber es ist ganz in Ordnung, wo sie stehen. Sie werden regelmäßig mindestens alle fünf Jahre überprüft.

Wir haben aktuelle Ergebnisse der Passivsammler, die noch einmal bestätigt haben, die gemessenen Werte sind real und repräsentativ. Aktuell untersucht noch einmal das Bundesumweltministerium die ganzen Standorte. Das hat die Umweltministerkonferenz so beschlossen und vorgeschlagen.

Ich habe übrigens selbst auf unserem Dieselgipfel des Landes am 8. September 2017 eine Erweiterung der Messungen vorgeschlagen. Das wollten dann die Oberbürgermeister nicht, Herr Baldauf, darunter Ihre Frau Lohse.

Zu den Grenzwerten muss man sagen, selbst die AfD schreibt jetzt, sie sollen erhalten bleiben.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Wo soll das denn stehen?)

Über 70.000 Studien stehen handgerührten Gefälligkeitsaussagen gegenüber. Es ist aber nun einmal nicht Landessache, sondern Landessache ist die Umsetzung geltender Gesetze, und das machen wir. Die CDU ist darauf aufmerksam zu machen, dass ihr aktueller Gesetzentwurf tatsächlich auf 40 µg fußt. Die Bundesregierung will den Grenzwert entgegen dem ganzen Klamauk ihres Bundesministers nicht ändern.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und FDP)

Der vierte Punkt ist, wir wollen saubere Luft. Dahinter stehen viele Ausrufezeichen. Es ist nämlich unsere gesetzliche Aufgabe und unser großes Anliegen, für die Luftreinhaltung zu sorgen. Sonst gibt es in den Städten keine Lebensqualität.

Gerade ist die Studie der DAK, der Kinder- und Jugendreport 2018, herausgekommen, der die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen untersucht. Atemwegserkrankungen sind die häufigste Krankheitsursache bei Kindern und Jugendlichen in Rheinland-Pfalz. 60 % aller Kinder mussten wenigstens einmal mit einer entsprechenden Erkrankung zum Arzt. Ja, natürlich gibt es einen erheblichen Zusammenhang zwischen Luftqualität und Atemwegserkrankungen. Ich glaube, das muss man hier nicht anzweifeln.

Man kann aber einmal nach China schauen, wo dieses Problem extrem ist. In den letzten Jahrzehnten gab es eine sehr große Anzahl an Atemwegserkrankungen. Wer es gesehen hat, im Jahr 2017 wurde dort ein Notstandsplan ausgerufen.

Die Chinesen selbst haben ihn einen „Winterschlachtplan“ genannt: Zigtausende luftverschmutzende Fabriken und Baustellen wurden im Winter, von November bis März, geschlossen. Auch die Laster waren betroffen. 1,8 Millionen frühzeitige Todesfälle gab es dort. Wir können sehr froh sein, dass wir mit der Europäischen Union eine vorsorgende Politik und auch vernünftige Grenzwerte haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Für die AfD-Fraktion spricht Abgeordneter Dr. Bollinger.

Sehr verehrtes Präsidium, meine Damen und Herren! Das Thema „Diesel und Fahrverbote“ ist für unsere Bürger so wichtig, dass sich die Politik mit diesem Thema beschäftigen sollte, bis Lösungen gefunden worden sind.

(Beifall der AfD)

Frau Ministerin, ich finde es schon abenteuerlich, die Bürger, die betroffen sind und sich artikulieren, als „Wutbürger“ zu bezeichnen. Das möchte ich ganz eindeutig zurückweisen.