Protokoll der Sitzung vom 27.03.2019

Es spricht der Justizminister Herbert Mertin.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich erinnere mich noch gut daran, wie die Debatte vor 25 Jahren im Land Rheinland-Pfalz war, als dieses Parlament mit Mehrheit eine Widerspruchslösung beschloss.

(Staatsminister Roger Lewentz: Ich auch!)

Ein Gericht hat sich allerdings nie damit beschäftigt, sodass eine Verfassungswidrigkeit von Gerichten auch nie festgestellt worden ist, sondern es ist hier nicht in Kraft getreten. Man hat sich darauf geeinigt, das Grundgesetz zu ändern und die Gesetzgebungszuständigkeit dem Bund zuzuweisen, weshalb wir heute das Transplantationsgesetz haben, ein Bundesgesetz.

Wir haben damals eine außerordentlich hitzige Debatte erlebt, dagegen ist das, was wir heute diskutieren, geradezu ein laues Lüftchen, eine sehr sachliche Debatte. Was ich in öffentlichen Bekanntmachungen so feststellen konnte, war für mich das Polemischste: Man degradiere den Einzelnen unter Umständen zum Ersatzteillager. – Herr Kollege Hartenfels, ich stelle sofort klar, ich meine nicht Sie, Sie haben den Begriff sehr sachlich gebraucht, sondern ich meine jemand anderen, der das in den Medien so gesagt hat.

Der Begriff lässt aber sofort den Artikel 1 Grundgesetz, jedenfalls bei Juristen, erscheinen; denn der Artikel 1, befasst mit der Menschenwürde, sieht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, dass der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden darf, sodass sich nach dieser Objektformel die Frage stellt, ob eine Widerspruchslösung im Widerspruch zu Artikel 1 stünde.

Das wird man meines Erachtens so nicht feststellen kön

nen; denn dem Menschen wird bei einer Widerspruchslösung, wie sie hier angedacht ist, bei der sogar noch nach dem Tod die Angehörigen widersprechen können, diese nicht aufoktroyiert, ohne eine Chance, dem zu entgehen. Er wird mehrfach informiert, er hat mehrfach Gelegenheit, sich zu entscheiden, und wenn er es nicht tut, wird er dadurch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns, weshalb aus meiner Sicht eine Verfassungswidrigkeit wegen Artikel 1 bei einer Widerspruchslösung nicht vorhanden wäre.

Man kann sich auch mit Artikel 2 Grundgesetz, der allgemeinen Handlungsfreiheit, beschäftigen. Es gibt zwischenzeitlich – das wissen die Wenigsten – sogar zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1999, die sich mit dem heute geltenden Transplantationsgesetz beschäftigen.

In einer Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht klargemacht, dass der Gesetzgeber bei der Regelung des Transplantationsgesetzes einen großen Gestaltungs- und Handlungsspielraum hat, um die unterschiedlichen Interessen, die in diesem Zusammenhang in Ausgleich zu bringen sind, zu gestalten. Es gibt also auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht die allein seligmachende Lösung, sondern der Gesetzgeber hat einen weiten Spielraum, wie er das regeln kann.

Was häufig untergeht: Ja, das Bundesverfassungsgericht hat sich sogar mit einer Widerspruchslösung beschäftigt, die es in versteckter Form kaum wahrgenommen auch heute schon gibt. Es hatte nämlich ein Bürger das Bundesverfassungsgericht angerufen und vorgetragen, § 4 des heutigen Transplantationsgesetzes sei verfassungswidrig, weil es den Angehörigen ermögliche, gegen seinen Willen später die Zustimmung zur Transplantation zu geben, auch wenn er selbst dazu nichts erklärt habe.

Das Bundesverfassungsgericht hat diesem Bürger sehr kühl und nüchtern beschieden und ihn darauf verwiesen, dass § 2 Abs. 2 des Transplantationsgesetzes vorsieht, dass er widersprechen könne und es ihm grundrechtlich zumutbar sei, einen solchen Widerspruch auch auszusprechen, wenn er denn vermeiden wolle, dass seine Angehörigen für ihn die Entscheidung träfen.

Vor diesem Hintergrund glaube ich schon, dass es verfassungsrechtlich möglich ist, eine Widerspruchslösung verfassungskonform auszugestalten, wobei Aspekte, die Frau Abgeordnete Kohnle-Gros angebracht hat, selbstverständlich berücksichtigt werden müssen, also unter anderem die Fragen: Ist das überhaupt entscheidungsfähig? Was machen wir mit Menschen, die nur in Urlaub sind?

Eines wird Sie vielleicht überraschen, wenn der Justizminister das sagt: Aus meiner Sicht und nach meiner Überzeugung werden die Paragrafen allein nicht die Lösung bringen, weder die Paragrafen, die jetzt vorhanden sind, noch Paragrafen, die wir vielleicht in veränderter Form heranbringen; denn schon von Ihnen, Herr Baldauf, glaube ich, wurde angemerkt, dass in Spanien die Widerspruchslösung existiert, aber eigentlich so nicht praktiziert wird. Ich weiß auch aus Gesprächen mit Spaniern, dass sie zwar diese Widerspruchslösung haben, aber nie dort gegen den Widerstand der Angehörigen eine Organentnahme

vornehmen werden, sondern immer auf deren Zustimmung hinarbeiten.

Sie sind deshalb so erfolgreich, weil sie Menschen einsetzen, die diesen Paragrafen Leben einhauchen. Das ist das, was wir letztlich tun müssen: Ausgebildete Menschen, die sich in die besondere Situation, in der die Angehörigen dann sind, hineinfühlen und versuchen können, eine entsprechende Entscheidung zu erreichen.

Ich hoffe, dass das, was schon an Veränderungen zum Transplantationsgesetz dargestellt wurde, bei uns etwas bewirken wird.

(Beifall der FDP, der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU – Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU: Das stimmt!)

Es spricht der Abgeordnete Heijo Höfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die bisherige, seit 2012 geltende Rechtslage hat die Situation der Organspende nicht verbessert, im Gegenteil, aber nicht, weil wir von der erweiterten Zustimmungslösung zur Entscheidungslösung gewechselt sind, sondern weil wir das unverbindliche Element der Freiwilligkeit noch stärker betont haben, insbesondere schon bei der Frage, ob ich mich überhaupt entscheiden will oder nicht. Damit schaffe ich mehr Probleme als ich löse.

Die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene haben darauf reagiert und versuchen, durch Maßnahmen zur Verbesserung der Verfahren bei der Erkennung von Spendern, zur Verbesserung der Verfahren bei der Beratung und durch die Stärkung der Transplantationsbeauftragten mehr Informationen, mehr Spendenbereitschaft zu erzeugen. Das ist richtig so und muss auch unbedingt verstärkt werden.

Die ins Gespräch gebrachte doppelte Widerspruchslösung lehne ich persönlich ab, wobei ich den Schwerpunkt auf das „doppelte“ lege; denn ich beziehe mich in meiner Rede etwas mehr auf den Bereich der Angehörigen. In einem Moment, der emotional kaum belastender sein kann, verlangen wir von den Angehörigen, dass sie etwas entscheiden, was der potenzielle Organspender in seinem Leben bisher nicht getan hat. Der also, der sich noch nicht geäußert hat, soll nun auf einmal seine Entscheidung in die Hände der Angehörigen verlagern, und genau das zum Zeitpunkt des Todes. Ich glaube, das ist eine Überforderung. Vielleicht liegt darin der Grund, warum in diesen Fällen so viele Angehörige sagen, nein, wir wollen doch lieber nicht, dass ein Organ entnommen wird.

Ich bin der festen Überzeugung, dass eine solch wesentliche Entscheidung nur vom Spender selbst getroffen werden kann. Ich mute ihm allerdings auch zu, dass er diese Entscheidung trifft. Ich bin da ganz nah bei der Kollegin Dr. Köbberling, die sagt, in der Abwägung der Rechtsgüter

muss ich erwarten können, dass jemand eine solche wichtige Entscheidung auch tatsächlich trifft. Er kann Ja sagen, er kann Nein sagen. Wenn es der Sache dient und immer wieder nachgefragt wird, kann man auch die Antwort „Ich bin noch unentschlossen“ akzeptieren.

Ich bin erst vor Kurzem auf diese Materie gestoßen, als ich mit einem Blanko-Spenderausweis angeschrieben wurde. Dann habe ich meinen schon vor etwa fünf Jahren ausgefüllten Ausweis hervorgeholt und festgestellt, ich hatte damals ein unbedingtes „JA“ angekreuzt, und ich bin auch heute noch dieser Meinung. So weit, so gut. Dann aber las ich diese Passage auf dem Ausweis: „Über JA oder NEIN soll dann folgende Person entscheiden:“. Der also, der sich noch nicht entschieden hat oder nicht entscheiden will, verlagert das in diesem Fall.

Dann habe ich mich in diese Person hineinversetzt, in diese unentschlossene Person, die selbst nicht weiß, was sie will. Wen würde ich dort jetzt hinschreiben? – Meine Frau? Meine Eltern? Meine Geschwister? Meine Kinder? Ich soll nur einen Namen aufschreiben, wahrscheinlich aus gutem Grund.

Ist diese Person aber erreichbar, wenn es um die Frage geht? Will sie überhaupt hier hingeschrieben werden? Muss ich jetzt also Diskussionen anfangen? Muss ich jemanden überreden, dass er für mich später eine Entscheidung treffen wird, die ich nicht treffen will? Das sind Dinge, die mich immer wieder zu dem Ergebnis bringen, bei aller Freiwilligkeit, ob ich spenden will, ich muss diesen Willen erklären, ob ich Ja sage, ob ich Nein sage. Falls ich sage, ich bin noch unentschlossen, muss ich damit leben, dass man in absehbarer Zeit noch einmal nachfragt, ob sich vielleicht etwas geändert hat.

Wir hätten bei dieser Lösung dann sogar Teile des niederländischen Systems übernommen; denn wir bekämen auf diese Art und Weise einen relativ guten Überblick, ob die Zahl der Spender überhaupt ausreichend ist, weil ich bei einem solchen System eine vernünftige Dokumentation und Registrierung machen muss. Das würde gegenüber dem heutigen Zustand sicherlich schon sehr helfen.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU)

Es hat die Abgeordnete Hedi Thelen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um die Organspende hat in diesem Hause eine lange Tradition. Die seit Jahren immer wieder hier im Landtag geführte Diskussion war bestimmt von viel Verständnis für die vielen Menschen, die sich schwertun, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, die sich schwertun, sich mit diesem schwierigen Thema ernsthaft zu beschäftigen, die sich schwertun, das nötige Vertrauen in die Ärzte und be

sonders in das Verfahren zur Feststellung des Hirntods aufzubringen.

Wir haben appelliert, sich zu informieren. Wir haben selbst staatliche und nichtstaatliche Organisationen aufgerufen, diese Ängste ernst zu nehmen, Transparenz zu schaffen, mit den Menschen zu reden und für die Organspende zu werben.

Das alles ist in den vergangenen Jahren vielfach erfolgt. An dieser Stelle möchte ich ganz besonders der Deutschen Stiftung Organspende danken, die unsere Bemühungen durch Aufklärungsbroschüren, Flyer und eine höchst informative Website vielfältig unterstützt und selbst Werber und Berater an vorderster Front ist.

Auch die Landeszentrale für Gesundheitsförderung Rheinland-Pfalz setzt sich hier intensiv ein. Auch Abgeordnete selbst gehen an die Front und werben, und dies schon seit Langem, auch auf Gesundheitsmessen vor Ort. Da danke ich für Unterstützer, die ich selbst erleben durfte.

Der Bundestag hat die Krankenkassen dazu verpflichtet, allen Versicherten regelmäßig Informationen und einen Organspendeausweis zuzusenden. Wir haben Umfragen, in denen sich die überwiegende Mehrheit der Befragten positiv zur Organspende äußerte. Aber trotz all dieser Bemühungen und der grundsätzlich positiven Einstellung vieler Menschen ging die Zahl der Spender permanent zurück. Den Tiefstand erreichten wir im Jahr 2017. Seit 2018 haben wir eine kleine positive Entwicklung, worüber ich mich sehr freue.

Aber ich teile nicht mehr die von einigen Vorrednern heute dargelegte Geduld. Wie lange sollen wir noch um eine Entscheidung bitten und dem Sterben todkranker Menschen zusehen?

Es geht bei der Organspende tatsächlich um eine grundsätzliche Frage von Leben und Tod. Hier ist eine menschliche und gesellschaftliche Solidarität und Nächstenliebe gefordert, die meines Erachtens nur durch die von Jens Spahn geforderte Widerspruchslösung vernünftig gelöst werden kann.

Ich verlange nicht, dass jeder zur Organspende bereit ist. Nein, keineswegs. Ich verlange nur von jedem eine Entscheidung. Jeder kann selbst über kurz oder lang in die Situation kommen, dass sein Leben von dem Erhalt eines Spenderorgans abhängt. Dessen muss sich jeder bewusst sein. Diejenigen, die spenden wollen, brauchen bei der Widerspruchslösung nichts zu tun. Aber alle anderen sollen sich entscheiden, bereits heute.

In dem üblichen Organspendeausweis – ich hoffe, viele hier im Hause haben ihn in der Tasche – kann jeder „NEIN“ ankreuzen. Der Text lautet ganz unmissverständlich: „NEIN, ich widerspreche einer Entnahme von Organen oder Geweben.“ Im Fall eines Falls ist auch eine negative Entscheidung eine gute Entscheidung; denn – wie mein Vorredner deutlich gemacht hat – sie befreit Angehörige von einer sehr schwierigen Entscheidung in einer ganz schwierigen Situation.

Ich werde damit leben können – das ist zumindest mein

Eindruck hier –, dass doch einige noch warten wollen, auch auf die hoffentlich positiven Wirkungen der bundespolitischen Maßnahmen für eine bessere finanzielle Ausstattung der Entnahmekrankenhäuser, bessere Freistellungen und organisatorische Einbindungen der Transplantationsbeauftragten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn sich aber auch hierdurch die Zahl der Organspender nicht spürbar erhöht, werde ich mich wieder für eine Widerspruchslösung einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es spricht jetzt der Abgeordnete Uwe Junge.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Annähernd 10.000 Menschen warten und hoffen in Deutschland derzeit auf ein dringend benötigtes Spenderorgan. Jeder einzelne dieser Menschen hat Eltern, vielleicht Kinder, eine Familie, Freunde. Jeder einzelne hat Wünsche, Ziele und Pläne für die Zukunft. Jeder dieser Menschen hat Ängste, denen er oftmals nur die bange Hoffnung auf ein Spenderorgan entgegensetzen kann.

Unendlich lang mag die Zeit erscheinen, in der man auf ein Spenderorgan wartet, während gleichzeitig die Zeit, ja die Zukunft davonläuft, auch in dem Bewusstsein, dass die Bereitschaft zu Spenden immer mehr sinkt.

Fakt ist, wir haben deutlich zu wenige Organspender, und wir müssen schnellstens eine Lösung anbieten, wie wir diesen unerträglichen Zustand ändern können. Angesichts der Zahl der tatsächlich vorgenommenen Organspenden in Deutschland wird dieses quälend lange Warten nur viel zu oft vergebens sein. Viele sterben in dem Bewusstsein, dass es eine Rettung hätte geben können, diese aber an der mangelnden Spendenbereitschaft der Mitmenschen gescheitert ist; eine bittere Erkenntnis, oft am Ende eines langen, qualvollen, aber erfolglosen Kampfs.

Verehrte Kollegen, ich kann sehr gut verstehen, welche Hoffnungen alle Betroffenen in eine mögliche Widerspruchslösung setzen. Ich kann diese Hoffnung auch ganz persönlich nur zu gut nachvollziehen. Ja, ich teile sie ganz offen, auch wenn sie nicht der offiziellen Parteilinie der AfD entspricht.