Verehrte Kollegen, ich kann sehr gut verstehen, welche Hoffnungen alle Betroffenen in eine mögliche Widerspruchslösung setzen. Ich kann diese Hoffnung auch ganz persönlich nur zu gut nachvollziehen. Ja, ich teile sie ganz offen, auch wenn sie nicht der offiziellen Parteilinie der AfD entspricht.
Gleichzeitig hege ich jedoch Zweifel, ob eine Widerspruchslösung wirklich das geeignete Mittel ist, um die Situation der Organspende und der Organtransplantation in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Heute verlangen wir von jedem Spender ein eindeutiges Ja zu seiner Organspende in der Hoffnung, dieses Ja zur Organspende im Gegenzug auch selbst zu erhalten.
Frau Ministerpräsidentin, Sie haben angesprochen, dass man irgendwann einmal damit konfrontiert werden muss.
Wenn man sein Testament schreibt, kommt man unwillkürlich an diesen Punkt. Selbstverständlich bin auch ich als Einsatzveteran Organspender, auch wenn angesichts der bekannten Skandale immer noch ein mulmiges Gefühl latent vorhanden bleibt.
Bei einer Widerspruchslösung würden wir aber ein Nein zur Organspende in der stillen Hoffnung verlangen, dass dieses Nein vielleicht aus Unwissenheit doch ausbleibt. Das ist ein Stück weit unaufrichtig, weil es dann keine Rolle mehr spielen würde, ob ein Nein aus tiefster Überzeugung unterbleibt oder doch einfach nur aus Nachlässigkeit nicht erfolgt ist.
Meine Damen und Herren, eine Widerspruchslösung würde sich immer des Verdachts erwehren müssen, sie spekuliere eben doch auf diese Nachlässigkeit. Damit dürfte sie kaum geeignet sein, Vertrauen wiederzugewinnen, das infolge von Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Spenderorganen vor einigen Jahren verloren gegangen ist.
Die Schere zwischen Befürwortern der Organspende und den tatsächlichen Inhabern eines Organspendeausweises in Deutschland lässt vermuten, dass ein Nein am Ende eher die Ausnahme bleiben würde. Auch der Blick zu unseren europäischen Nachbarn scheint diese Annahme zu bestätigen. Die Zahl der Organspenden übersteigt die unsere oft bei Weitem. Ein Beweis für die Widerspruchslösung, eine echte Kausalität, oder doch nur eine Koinzidenz? Ich weiß es nicht. Gewissheit werden wir erst erlangen, sollte eine Widerspruchslösung tatsächlich eingeführt werden.
Auch dann wäre es problematisch, einen unterbliebenen Widerspruch automatisch als Zustimmung zu werten. Natürlich widerspricht eine Widerspruchslösung damit dem Grundsatz, dass jeder medizinische Eingriff an sich einer Einwilligung bedarf. Vielleicht mag ein solcher Eingriff angesichts der dramatischen Lage gerechtfertigt sein, gleichwohl sollte eine Widerspruchslösung nach kluger Abwägung nur die Ultima Ratio sein.
Die Befürworter einer Widerspruchslösung weisen immer wieder darauf hin, dass es ihr wesentliches Ziel sei, dem Einzelnen eine Entscheidung über die Frage einer möglichen Organspende abzuverlangen, also sich entscheiden zu müssen. Aber ließe sich dieses Ziel nicht auch auf anderem, deutlich weniger einschneidendem Weg erreichen, etwa mit einer verpflichtenden Entscheidung bei der Beantragung neuer Ausweisdokumente oder Ähnlichem?
Meine Damen und Herren, angesichts der berechtigten Zweifel im Hinblick auf die Geeignetheit und die zahlreichen rechtlichen und ethischen Fragestellungen, die heute dargelegt worden sind, gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zuvor sämtliche anderen Möglichkeiten auszuschöpfen, ehe man ernsthaft die Einführung einer Widerspruchslösung in Betracht zieht.
Verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn darf ich sagen, dass ich mich persönlich nicht für eine Widerspruchslösung ausspreche. Aus meiner Sicht missachtet diese das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger. Sie verkehrt für mich die Organspende – und wir sprechen von einer Spende – genau ins Gegenteil. Einen unterlassenen Widerspruch als Zustimmung zu werten, ist für mich persönlich nicht schlüssig. Dies gilt im Besonderen, wenn die persönliche Entscheidung eine ethisch-moralische ist.
Ich finde, die Widerspruchslösung beschneidet Grundrechte und vor allem den Grundsatz, dass jeder medizinischen Behandlung zuzustimmen ist. Für mich ist es eine Frage des Respekts gegenüber der Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, dass wir bei einer Organspende die aktive Zustimmung voraussetzen.
Meine Ablehnung habe ich klargemacht, aber ich möchte auch klarmachen, dass ich natürlich weiteren Handlungsbedarf sehe, und die Herausforderungen wurden heute wieder klar. Wir müssen feststellen, dass die unverbindliche Entscheidungslösung nicht zu der Erhöhung der Organspenden geführt hat, die wir uns gewünscht hätten. Daher muss aus meiner Sicht die Entscheidungslösung verbindlicher ausgestaltet werden.
Die sogenannte verpflichtende Entscheidungslösung verbindet Selbstbestimmung mit der Verpflichtung, sich mit der Frage der Organspende zu beschäftigen. Genau dieses Beschäftigen sehe ich als extrem wichtig an, weil es das Thema in den Fokus jedes Einzelnen rückt. Hierbei müssen sich alle volljährigen Bürgerinnen und Bürger der Entscheidung stellen, ob sie Organe spenden möchten oder nicht.
Anlass für diese Entscheidung kann zum Beispiel die Beantragung eines behördlichen Dokuments sein. Dazu müssen die Meldebehörden verpflichtet werden, volljährige Personen zu befragen, ob man der Organ- oder Gewebespende zustimmt oder nicht, ihnen Personen zu nennen, bei denen man sich informieren kann, oder ihnen Infomaterial zur Verfügung zu stellen. Auch die Möglichkeit, sich diese Frage bewusst offenzuhalten, muss gegeben sein. Das möchte ich betonen.
Die verpflichtende Entscheidungslösung ist meines Erachtens ein geeigneter Kompromiss zwischen der Selbstbestimmung eines jeden Einzelnen einerseits und dem bestehenden Handlungsbedarf andererseits. Sie führt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema, auch in Bezug auf die eigenen Familienangehörigen.
Dafür bedarf es Aufklärung, die auch wir als Politik weiter unterstützen müssen und sollen; denn nur wer über die Praxis, den Zweck und den Ablauf der Organentnahme Bescheid weiß und Klarstellungen über Skandale, die oftmals durch einzelne Akteure ausgelöst werden, kennt, kann eine differenzierte Entscheidung treffen, die wir alle
Die Entscheidung zur Organspende muss aus meiner Sicht selbst und bewusst, aber ein Stück verbindlicher als heute getroffen werden. Auch für mich persönlich ist klar, dass Organspende die Möglichkeit ist, einem anderen Menschen das Leben zu retten. Deshalb ist das Thema so wichtig, und deshalb müssen wir uns alle weiter darum kümmern.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit rund 15 Jahren habe ich einen Organspendeausweis. Aber ich sage auch selbstkritisch, dass ich diese Entscheidung mindestens 20 Jahre früher getroffen hätte, wenn ich, zum Beispiel bei der Beantragung eines Personalausweises, darauf angesprochen worden wäre.
Auf der einen Seite wird man mit der Geburt ein möglicher Organempfänger. Jeder, der in unserem Land lebt, hat Anspruch auf medizinische Versorgung, und es bedarf keiner zusätzlichen Erklärung, dass einem geholfen wird, wenn man Hilfe nötig hat. Auf der anderen Seite wird man erst viel später ein möglicher Organspender, allerdings nur, wenn man einen Spenderausweis ausgefüllt und dabei hat.
Es gibt also eine Schieflage, die weder durch die Zustimmungsregelung noch durch die Entscheidungsregelung behoben wurde. Es hat bislang schlichtweg nicht funktioniert. Tausende sterben, während sie auf entsprechende Spenderorgane warten. Deshalb entscheiden sich immer mehr europäische Länder für die Widerspruchsregelung. Viele Mitmenschen – das haben wir heute gehört –, über 80 % sind zwar bereit, haben aber schlichtweg vergessen oder verdrängt, einen Spenderausweis auszufüllen.
Besonders tragisch sind Fälle, in denen jemand einen Spenderausweis besitzt, ihn aber zum Beispiel beim Radfahren, bei dem er verunfallt ist, nicht dabei hat. Bis die ohnehin in schrecklichem Stress befindlichen Angehörigen den Ausweis gefunden haben, ist es zu spät. Fünf oder mehr Menschen können mit den Organen nicht gerettet werden, obwohl es der Verstorbene gewollt hat.
Wir brauchen also dringend eine Regelung, bei der von amtlicher Stelle, beispielsweise bei der Ausweisbeantragung, diese Frage gestellt wird und beantwortet werden muss und zusätzlich zu einem Vermerk im Ausweis auch eine zentrale Informationsdatei für die Krankenhäuser eingerichtet wird.
Meine Damen und Herren, ich kenne niemanden in meinem Bekanntenkreis, der aus Überzeugung sagen würde, lieber lasse ich mein Kind sterben, als eine Organtransplantation zu erlauben. Auch wenn unser eigenes Überleben davon abhängt, sind fast alle für eine Organspende.
Gerade weil wir uns bewusst sind, dass unser eigenes Leben oder das unserer Lieben eines Tages von einer Organspende abhängen könnte, sind viele im Innersten dazu bereit. Nur hat die bisherige Regelung nicht dazu geführt, dass diese Bereitschaft dokumentiert wird.
Wenn es um die Frage von Leben und Tod geht, finde ich es absolut für zumutbar, von einem erwachsenen und selbstbestimmten Menschen eine Entscheidung zu verlangen, eine Entscheidung ist zumutbar. Wer es nicht will oder sich nicht sicher ist, kann und soll widersprechen. Ich unterstütze daher den Vorschlag des Bundesgesundheitsministers für die Widerspruchslösung.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe aus tiefster Überzeugung bereits seit meiner Jugend einen Organspendeausweis und habe dort das Ja angekreuzt. Ich werbe in meinem Umfeld dafür, sich ebenfalls einen Organspendeausweis zuzulegen und sich vor allen Dingen Gedanken zu machen; denn ich finde, es ist die moralische Pflicht eines jedes Einzelnen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, sich Gedanken zu machen und eine Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung ist unbedingt zu respektieren.
Für mich hat die Entscheidung für ein Ja im Organspendeausweis viel mit Nächstenliebe zu tun. Ich möchte auch etwas über die Bedingungslosigkeit einer solchen Entscheidung sagen sowie zur Widerspruchslösung.
Neulich sagte jemand zu mir, der Begriff der Nächstenliebe sei doch ziemlich antiquiert in unserer Ellenbogengesellschaft. Ich finde das nicht. Ich finde, es muss so etwas wie eine bedingungslose Solidarität in einer Gesellschaft geben. Ja, das ist für mich Nächstenliebe. Das bildet für mich den Unterbau meiner Entscheidung. Im Übrigen muss man nicht getauft sein, um den Wert der Nächstenliebe für wichtig zu erachten und ihn mit Leben zu erfüllen.
Ich komme zur Bedingungslosigkeit einer solchen Entscheidung, über die ich mir viele Gedanken gemacht habe. Wir alle kennen die Menschen, die sich auf den letzten freien Platz im Bus setzen, obwohl eine Hochschwangere mit einsteigt, die sich mit einer kaltschnäuzigen Selbstverständlichkeit auf Behindertenparkplätze stellen, die es nicht einsehen, eine Rettungsgasse zu bilden, die sich in einer Supermarktschlange vordrängeln. Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen.
bogen in unserer Gesellschaft darstellen. Genau das ist der Punkt einer Organspende, den finde ich wichtig. Es geht um bedingungslose Hilfe. Man möchte diese bedingungslose Solidarität zukommen lassen. Genau das ist für mich das Wichtige und Entscheidende; denn ich bin dafür. Das entspricht dem, woran ich in einer Gesellschaft glaube, dass man unsolidarischem Handeln von anderen stets solidarisches Handeln entgegensetzen und man sich vom Wert dieser Solidarität leiten lassen sollte. Vielleicht mag man sie auf der individuellen Ebene nicht jedem zukommen lassen. Aber das tut nichts zur Sache. Diese bedingungslose Solidarität, die sich darin ausdrückt, wenn wir über Organspende sprechen, halte ich für außerordentlich wichtig.
Sie ist auch in dem Kontext zu betrachten, dass für mich immer genau auf diesen moralisch-ethischen Überlegungen die Entscheidung für eine Organspende gründen sollte, Nächstenliebe, Solidarität und nicht die zunehmende Ökonomisierung. Ich bin froh, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der wir sehr ernsthaft und sachlich über solche Themen wie heute sprechen können.
Es gibt die zunehmende Ökonomisierung meines Erachtens in viel zu vielen gesellschaftlichen Bereichen. Das ist etwas, was bei einer Entscheidung oder Debatte beim Thema „Organspende“ meines Erachtens völlig fehl am Platz ist. Der Wert eines Menschen ist ein Wert an und für sich. Er darf sich niemals auf ökonomische Faktoren reduzieren lassen. Ich sage das dazu, weil es leider Länder auf dieser Erde gibt, in denen genau diese Debatte ein bisschen anders geführt wird. Ich bin sehr froh, dass ich in dieser Gesellschaft lebe, in der das anders ist.
Ich komme zur Widerspruchslösung. Ich bin für die Widerspruchslösung. Ich finde, die Zeit ist reif für eine Widerspruchslösung. Wir müssen gleichzeitig andere Faktoren verbessern. Ich meine insbesondere die Informations- und Debattenkultur über dieses Thema.
Ich habe diesen Organspendeausweis. Ich habe Ja angekreuzt, weil wir damals in meiner Schulzeit darüber diskutiert hatten. Ich fand es gut, im Diskurs mit der Klassengemeinschaft, mit Menschen, die man kennt, ganz neue Standpunkte voneinander zu erfahren. Wir haben darum gerungen, welche Position man dazu haben könnte. Das war sehr interessant. Deswegen bin ich persönlich dagegen, das mit Behördengängen zu verknüpfen; denn wenn ich zu einer Behörde gehe, habe ich tausend Sachen im Kopf, vielleicht will ich noch etwas mit erledigen, vielleicht danach etwas machen. Aber ich finde, das Setting muss ein ernsthaftes sein. Es muss ein Setting sein, in dem man um die richtige Position und die richtige persönliche Einstellung zu diesem Thema ringt. Das kann meines Erachtens nicht dann sein, wenn man bei einer Behörde ist.
Insoweit würde ich mir wünschen, dass wir uns über eine Widerspruchslösung hinaus ernsthaft Gedanken machen, wie wir die Informations- und Debattenkultur zu diesem Thema, die sehr wichtig ist, weiter verbessern können.