Protokoll der Sitzung vom 27.03.2019

Der Ältestenrat hat beschlossen, diesen Tagesordnungspunkt ebenfalls ohne Aussprache zu behandeln. Die erste Beratung des Gesetzentwurfs fand in der 75. Plenarsitzung am 20. Februar 2019 statt. Der Gesetzentwurf wurde an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Rechtsausschuss überwiesen. Die Ausschussempfehlung lautet: unveränderte Annahme.

Das heißt, wir stimmen wiederum unmittelbar über den Gesetzentwurf – Drucksache 17/8375 – in zweiter Beratung ab. Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke schön. Das ist offensichtlich einstimmig der Fall. Für Enthaltungen oder Ablehnung ist kein Raum.

Wer diesem Gesetz in der Schlussabstimmung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben! – Danke schön, das ist ebenfalls einstimmig der Fall.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit rufe ich Punkt 8 der Tagesordnung auf:

Landesgesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/8631 – Erste Beratung

Die Fraktionen haben eine Grundredezeit von 5 Minuten vereinbart. Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Guth für die SPD-Fraktion das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 29. Januar 2019 entschieden, dass die Wahlrechtsausschlüsse für Betreute in allen Angelegenheiten verfassungswidrig sind.

Wir haben bereits bei der letzten Änderung des Kommunalwahlgesetzes darüber beraten und waren uns einig. Für die SPD-Fraktion darf ich sagen: Wir wollten diese Gerichtsentscheidung abwarten, dann aber unmittelbar handeln und sie umsetzen.

Der Gleichheitsverstoß ist nun festgestellt worden, und es ist richtig und wichtig, dass wir das jetzt noch vor den kommenden Kommunalwahlen umsetzen. Das heißt im

Klartext, die Regelungen des Wahlrechtsausschlusses für Menschen, denen ein gesetzlicher Betreuer in allen Angelegenheiten zur Seite gestellt ist, sollen ganz gestrichen werden. Diesen Personen soll das aktive und passive Wahlrecht gewährt werden. Das rheinland-pfälzische Wahlrecht wird damit inklusiver.

Wir haben diesen Schritt bereits im Innenausschuss und im Sozialpolitischen Ausschuss beraten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf dazu den Landesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen, Matthias Rösch, zitieren, der sagte: Es wäre schön, wenn wir 100 Jahre nach der Aufhebung des Wahlrechtsausschlusses für Frauen auch die Aufhebung des Wahlrechtsausschlusses von Menschen in Betreuung erreichen. – Ich glaube, dem kann man sich heute nur anschließen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau dies wollen wir heute in der ersten und am Freitag in der zweiten Beratung erreichen. Damit ermöglichen wir es rund 2.200 Menschen mehr, an der Kommunalwahl teilnehmen zu dürfen.

Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass dies nur für die Kommunalwahl gilt und es – Stand heute – wohl nicht mehr klappt, dass diese Menschen auch an der Wahl des Europäischen Parlaments teilnehmen dürfen. Das heißt, wir haben zwei verschiedene Wahllisten. Das soll uns aber nicht davon abhalten, unsere Aufgabe als rheinland-pfälzischer Landtag wahrzunehmen.

Die Regierungsfraktionen von SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie die CDU-Fraktion bringen diesen Gesetzentwurf mit dem Ziel ein, diesen am Freitag in der zweiten Beratung zu verabschieden und somit zur Kommunalwahl wirksam werden zu lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ganz bewusst auf die Beteiligung der AfD-Fraktion verzichtet; denn wenn Mandatsträger der AfD in anderen Landtagen Menschen mit Behinderungen mit schweren ansteckenden Krankheiten gleichsetzen, die man nicht mit normalen und gesunden Menschen zusammen unterrichten oder unterbringen dürfe, dann hat sich die AfD nicht nur bei diesem, sondern auch bei vielen anderen Themen disqualifiziert.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Mit falschen Behauptungen haben Sie Erfahrung! – Abg. Uwe Junge, AfD: Was reden Sie da für einen Unsinn! – Zuruf der Abg. Dr. Sylvia Groß, AfD – Unruhe bei der AfD)

Das können Sie nachlesen, das war im saarländischen Landtag. Ich diskutiere aber nicht mit Ihnen.

(Abg. Uwe Junge, AfD: Mein Gott, was für ein Niveau!)

Herr Kollege Brandl, wenn wir heute schon so schön zusammen sind und bei diesem Thema Einigkeit herrscht: Vielleicht bekommen wir es auch hin, die Aufhebung des

Wahlrechtsausschlusses für Menschen zwischen 16 und 18 Jahren zu erreichen. Darüber können wir am Freitag diskutieren. Heute sind wir uns bei diesem Thema aber auf jeden Fall einig.

(Zuruf des Abg. Michael Frisch, AfD – Heiterkeit der Abg. Dr. Sylvia Groß, AfD)

Ich bitte alle Demokraten um Zustimmung zur Aufhebung dieses Wahlrechtsausschlusses.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Lammert.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wahlrecht ist das Fundament unserer Demokratie. Nach unserem Grundgesetz geht die Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Der Kollege hat es bereits gesagt: Eine Einschränkung des Wahlrechts stellt einen Eingriff in den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl dar und muss deshalb zu Recht eine absolute Ausnahme bleiben. Eine solche Ausnahme ist nur dann gerechtfertigt, wenn bestimmte Personen beispielsweise an Kommunikationsprozessen zwischen Volk und Staatsorganen nicht mehr teilnehmen können.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Anfang des Jahres in seinem Beschluss ausgeführt und gleichzeitig Wahlrechtsausschlüsse von unter Betreuung stehenden Personen im Bundeswahlgesetz für verfassungswidrig erklärt. Dem folgend sagt das Gericht weiter, dass es zu Verstößen gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz komme, wenn der Wahlrechtsausschluss darauf abstelle, ob die Betreuung einer Person in allen Angelegenheiten richterlich angeordnet worden sei; denn eine solche Anordnung erfolgt nicht, wenn kein Betreuungsbedarf vorliegt, weil die betroffene Person beispielsweise zu Hause von der Familie oder Angehörigen betreut wird. Diese Personen waren bislang nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Mit der auch von unserer Fraktion eingereichten Änderung des Kommunalwahlgesetzes wollen wir diese Ungleichbehandlung ändern. Das wollen wir vor der anstehenden Kommunalwahl erledigen, damit diese Menschen mit wählen können.

(Beifall der CDU, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der Kollege hat ebenfalls bereits gesagt, dass wir von etwa 2.200 Menschen in Rheinland-Pfalz sprechen. Das ist sicherlich keine riesige, aber es ist eine Anzahl. Deswegen muss dem Rechnung getragen werden. Wir wollen das noch vor der Kommunalwahl umsetzen.

Der für die Europawahl zuständige Bund ist zwar dabei, wird dies aber definitiv nicht mehr für die Europawahl schaffen. Da gibt es Fristen. Wir haben die Chance, es durch das dreitägige Plenum hinzubekommen und wollen das nach Möglichkeit am Freitag endgültig beschließen.

Wir wollen damit Rechtssicherheit schaffen, und das ist der richtige Ansatz, denke ich. Das rheinland-pfälzische Wahlrecht wird durch diese Gesetzesänderung nicht nur inklusiver, weil wir hiermit ein Zeichen dafür setzen, dass Menschen – egal ob mit oder ohne Behinderungen – wählen oder gewählt werden dürfen, sondern wir beugen mit dieser Gesetzesänderung ein Stück weit eventuellen verfassungsrechtlichen Bedenken oder Klagen nach der Kommunalwahl vor. Das kann man nie ausschließen. Es ist damit aber zumindest gewährleistet, dass wir unseren Gesetzesauftrag übernommen haben. Deswegen stimmen wir dieser Gesetzesänderung zu und halten diese verfassungsrechtlichen Änderungen für absolut gerechtfertigt.

Danke schön.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Frisch.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bis vor Kurzem durften psychisch kranke und behinderte Menschen nicht wählen oder gewählt werden, wenn für sie ein Berufsbetreuer in allen rechtlichen Angelegenheiten dauerhaft bestellt worden war. Wegen Schuldunfähigkeit im Maßregelvollzug untergebrachte Straftäter waren von der Wahl auf Bundesebene ebenfalls ausgeschlossen.

Diese Regelung hat das Bundesverfassungsgericht in einem im Februar veröffentlichten Beschluss für verfassungswidrig und damit unzulässig erklärt. Sie verstoße, so die Richter, gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung. Als Begründung führte das Gericht unter anderem an, dass der von Zufälligkeiten abhängige Umstand des Betreutwerdens kein sinnvolles Kriterium für eine solch weitreichende Beschränkung von Rechten sei.

Tatsächlich ist etwa die Wahrscheinlichkeit, eine Betreuung in allen Angelegenheiten zu erhalten, in Bayern um ein Vielfaches höher als in Bremen. Zudem kommt es bei einer Versorgung im Familienkreis in der Regel nicht zur Erteilung einer Betreuungsvollmacht, sodass in diesen Fällen das Wahlrecht erhalten bleibt. Letztlich war der Wahlrechtsentzug also davon abhängig, ob wegen des Vorliegens eines konkreten Betreuungsbedarfs die Bestellung eines Betreuers erfolgte oder ob diese aufgrund fehlender Erforderlichkeit unterblieb.

Meine Damen und Herren, nicht zum ersten Mal war es das Bundesverfassungsgericht, das die Politik auf einen unhaltbaren Missstand aufmerksam gemacht hat. So hat das höchste deutsche Gericht beispielsweise 1993 in seinem

Urteil zur Reform des § 218 StGB nicht nur die Fristenregelung kassiert, sondern den Gesetzgeber auch verpflichtet, seiner Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht hinsichtlich der Wirksamkeit des mit dem Beratungsschutzkonzept angestrebten Lebensschutzes nachzukommen. In mehreren Urteilen wurde der Politik von Karlsruhe ins Stammbuch geschrieben, dass die Erziehungsleistung von Eltern bei der Rentenversicherung angemessen zu berücksichtigen sei.

In beiden Fällen hat man die Aufforderungen des Gerichts so gut wie möglich ignoriert und damit bei manchen Bürgern Zweifel an der Verfassungstreue ihrer Regierenden geweckt. Dieses Mal hat die Politik prompt reagiert. Erst vor zwei Wochen wurde im Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das betreuten und psychisch kranken Menschen aktives und passives Wahlrecht gewährt. Auf Landesebene liegt uns heute ebenfalls ein Gesetz vor, das eben dieses Ziel für den kommunalen Bereich verfolgt.

Warum erst das Bundesverfassungsgericht dafür sorgen musste, dass dies passiert, ist allerdings eine nur zu berechtigte Frage. Schon 1994 wurde Artikel 3 des Grundgesetzes um das Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderung ergänzt.

Im Jahr 2006 beschloss die UN die Behindertenrechtskonvention, die seit dem Jahr 2009 in Deutschland Rechtskraft besitzt. Dennoch hat es weitere zehn Jahre und ein Verfassungsgerichtsurteil gebraucht, um die Politik in Sachen Wahlrecht wirklich in Bewegung zu setzen.

Dafür bewegt sie sich jetzt umso heftiger. Während das Verfassungsgericht lediglich den pauschalen und von Zufälligkeiten abhängigen Ausschluss kritisierte, gleichzeitig aber eine differenzierte Regelung ausdrücklich für möglich erklärte, löst der hier vorliegende Gesetzentwurf das Problem radikal.

Aus einem grundsätzlichen Verbot wird – vielleicht auch unter dem Druck der anstehenden Wahlen – eine grundsätzliche Erlaubnis. Ein komplexes Problem wird also unterkomplex gelöst.

Dabei stellt sich natürlich eine ganze Menge ernsthafter Fragen: Wie soll in Zukunft gewährleistet werden, dass die vom Bundesverfassungsgericht als Voraussetzung für das Wahlrecht geforderte Möglichkeit zur Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen in hinreichendem Maße gegeben ist? Besteht nicht die Gefahr, dass insbesondere bei einer Assistenz durch Dritte die Grenze zwischen zulässiger Wahlhilfe und strafbarer Stellvertreterwahl unkontrolliert überschritten wird?

Wäre es nicht besser – wie es eine von der damaligen Bundesarbeitsministerin Nahles im Jahr 2016 in Auftrag gegebene Studie vorschlägt –, die Betreuungsgerichte in jedem Einzelfall entscheiden zu lassen, ob eine Wahlfähigkeit vorliegt oder nicht?

Geraten wir nicht in einen Widerspruch zu Artikel 38 Grundgesetz, der Minderjährige aufgrund der pauschalen Vermutung fehlender Entscheidungsfähigkeit von der Wahlteilnahme ausschließt, wenn wir gleichzeitig ebenso pauschal einer Gruppe das Wahlrecht zugestehen, in der es zwei

felsfrei Personen gibt, die diese Entscheidungsfähigkeit nicht besitzen?