Protokoll der Sitzung vom 16.05.2019

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal mit einem Vorurteil aufräumen, das sich leider hartnäckig hält und auch im Ausschuss am 17. Januar 2019 von Ihnen, Frau Thelen, wieder in den Raum gestellt wurde, nämlich – Herr Präsident, ich darf aus dem Protokoll zitieren – dass sich in der Praxis Probleme ergeben, wenn das für die Kinder bestimmte Geld „vom Papa versoffen werde“.

Hierzu hat die Bertelsmann Stiftung Ende 2018 ganz klar festgestellt, dass Eltern finanzielle Leistungen wie das Kindergeld sinnvoll für Bildung, Betreuung und Freizeitaktivitäten ihrer Kinder sowie für das Wohnen einsetzen und eine Zweckentfremdung der Mittel für eigene Zwecke laut Studie nicht nachweisbar sei. Insofern denke ich, es spricht auch einiges dafür, materielle Leistungen auszuweiten, um Kinderarmut zu begegnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, damit komme ich auch noch einmal kurz auf Ihren Antrag zu sprechen. Sie haben mit Ihrem Antrag wieder viele Dinge herausgeholt, die Sie immer wieder niederschreiben, wenn es um dieses Thema geht, Stichwort Familiengeld, Stichwort Betreuungsgeld, Familienkasse. Das passt für mich aber in der Argumentation so, wie ich sie soeben ausgeführt habe, nicht ganz zusammen, wenn Sie mehr materielle Leistungen fordern, gleichzeitig aber die Befürchtung haben, dass das Geld gerade nicht bei den Kindern ankommt. Das ist auch der Unterschied zu Ihnen. Sie beziehen sich in Ihrem Antrag sehr stark auf eine Familienförderung. Das kann man machen, aber nach unserer Auffassung muss es Ziel sein, Kinder mit ihrem eigenen Anspruch in den Mittelpunkt zu rücken, unabhängig vom Einkommen und Status der Eltern.

Beim Parlamentarischen Abend der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Januar wurde auch noch einmal darauf hingewiesen, dass vor allem viele der rund 150 Unterstützungsleistungen nicht von allen Anspruchsberechtigten in Anspruch genommen werden, und in der Tat erlebe ich genau das auch in meinen Sprechstunden. Der Dschungel an Leistungen und Antragsformularen ist von Menschen,

die ohnehin belastet sind, kaum allein zu durchdringen. Genau deswegen ist es notwendig, dass alle diese Leistungen zu einer Kindergrundsicherung zusammengefasst werden und unbürokratisch auch den Kindern zugutekommen.

(Beifall der SPD)

Wir unterstützen damit auch die Position des Kinderschutzbundes. Wir wissen dabei das Ministerium an unserer Seite. Wir wissen, dass sich Ministerin Bätzing-Lichtenthäler auf Bundesebene dafür einsetzt, und wir werden auch weiterhin dafür werben; denn unser Ziel ist, kein Kind darf in Armut groß werden. Wir wollen gleiche Chancen für alle Kinder, unabhängig von Herkunft und Familienstatus. Dafür werden wir weiter arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die nächste Rednerin ist die Abgeordnete Huth-Haage für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Kinderarmut“ ist in der Tat eines der drängendsten Probleme unserer Zeit. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass Kinder in Armut aufwachsen und keine gesellschaftliche Teilnahme für sie möglich ist, dass sie ausgegrenzt werden. Ich glaube, darüber sind wir in diesem Hohen Hause alle einer Meinung.

Das Thema „Grundsicherung“ beherrscht aktuell die Debatte. Es ist eine äußerst interessante Debatte, weil sie zeigt, wie sich die Grenzen in der Diskussion verschoben haben. Sie, Frau Kollegin, haben soeben deutlich gemacht, dass es dort einen gewissen Paradigmenwechsel bei Ihnen gibt.

Ich habe einmal die Plenarprotokolle durchgeschaut, und das ist sehr interessant. Dort ist nachzulesen, dass im Jahr 2015 Vertreter von SPD und den Grünen sich sehr stringent gegen familienpolitische Geldleistungen ausgesprochen haben. Dies würde Eltern von der Erwerbstätigkeit abhalten, Familien würden die Mittel falsch ausgeben.

Ich erinnere des Weiteren an die Bilder von den Schnapsflaschen und den Flachbildfernsehern. Ihr Resümee war damals, familienpolitische Geldleistungen sind in den Kindertagesstätten besser angelegt als in den Familien selbst. Dies ist alles nachzulesen, beispielsweise im Protokoll der 101. Plenarsitzung am 22. Juli 2015.

Sie waren damals stolz und froh, dass das Betreuungsgeld abgeschafft wurde. Sie lehnten ein Landesfamiliengeld ab, das unabhängig vom Besuch einer Kindertagesstätte gezahlt wird. Ihre Landesregierung hat letztendlich auch das Landesfamiliengeld abgeschafft. Geldleistungen für Familien war also nicht das Mittel Ihrer Wahl.

Nun kommt eine Kehrtwende. Ich sage: Wir finden das richtig; denn wir hatten im Ausschuss Anhörungen zum Thema, was gegen Kinderarmut getan werden kann. Dabei war klar, wir müssten keinen Paradigmenwechsel vornehmen, weil wir schon immer gesagt haben, es braucht beides, es braucht monetäre, finanzielle Unterstützung von Familien, und es braucht eine gute, eine bedarfsgerechte Infrastruktur. Es braucht einen Politikmix, weil das nur so geht.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, die Kehrtwende, die Sie jetzt vollführen, begleiten wir. Wir sind bei Ihnen, wenn Sie sagen, wir müssen die Leistungen übersichtlicher gestalten und da, wo es passt, zusammenführen. Man kann auch sehr gut darüber reden, Familienleistungen bedarfsgerecht anzuheben – auch das haben wir immer gefordert –, aber man muss natürlich kritisch hinterfragen, ob es sinnvoll ist, familienpolitische Geldleistungen ohne eine Anrechnung auf eine Grundsicherung zu satteln. Es geht um die Frage des Lohnabstandsgebots.

Dabei geht es auch um die Frage, inwieweit wir Eltern tatsächlich von Arbeit abhalten. Es stellt sich eben die Frage, ob hier prekäre Situationen manifestiert werden, weil die Leistungen irgendwann so hoch sind, dass es immer schwerer fällt, eine Erwerbstätigkeit zu finden, bei der dieser Betrag erreicht wird, der aber nie so hoch sein kann, dass man diese Verhältnisse tatsächlich überwinden kann. Das ist in der Tat die Frage.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, dann geht es natürlich auch noch um die Frage, dass Sie sagen, Kinder müssen losgelöst von der Familie betrachtet werden. Es ist schwierig, den Bedarf der Kinder von dem der Familie zu entkoppeln. Das funktioniert nicht; denn Kinder leben in diesen Familien und sind auf sie angewiesen. Deshalb kann es den Kindern nur gut gehen, wenn es den Familien insgesamt gut geht. Wir brauchen die ökonomische Stabilität, die psychosoziale Stabilität und die gesellschaftliche Teilhabe der Familie als Ganzes, um Kinder wirklich nachhaltig aus der Armut zu holen.

Eine Kindergrundsicherung, die sich nur auf das Kind bezieht statt den Blick auf die ganze Familie zu legen, ist möglicherweise nicht der richtige Weg. Deshalb bleiben wir bei unseren Vorstellungen. Wir brauchen einen Politikmix. Wir brauchen Anerkennung und Wertschätzung der familiären Entscheidungen. Wir brauchen eine vielfältige Familienpolitik, die auf gute Kitas, auf gute Kindertagespflege setzt, die familiäre Arbeit fördert und familienpolitische Geldleistungen beinhaltet. Dazu gehört auch eine familienfreundliche Sozialversicherung. Hier ist noch ein weiter Weg zu gehen.

Meine Damen und Herren, es ergeben sich auch noch andere Fragen, die zu klären sind, wie beispielsweise, ob sich Leistungen aus verschiedenen Bereichen überhaupt in einem solchen Zusammenhang zusammenlegen lassen. Das alles muss überprüft werden.

Ich kann sagen, wir haben einen sehr guten Alternativan

trag eingebracht, der genau das aufgreift, was damals bei unserer Anhörung herauskam. Wir sagen, wir möchten das Kindergeld differenziert nach Kinderzahl spürbar erhöhen. Wir möchten uns dafür einsetzen, eine grundsätzliche Steuerreform in Deutschland anzustoßen, die auch kleine und mittlere Einkommen sowie Familien spürbar entlastet. Letztlich möchten wir – auch das ist ein wichtiger Punkt – das Unterhaltsrecht so reformieren, dass eheliche Unterhaltsverpflichtungen auch nach einer Scheidung berechenbar bleiben und der Druck auf den alleinerziehenden Elternteil reduziert wird.

(Beifall der CDU)

Für eine Kurzintervention auf die Ausführungen von Frau Abgeordnete Huth-Haage erteile ich das Wort dem Abgeordneten Frisch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Huth-Haage, ich stimme ausdrücklich dem zu, was Sie in Ihrem Antrag fordern, dass wir von der einseitigen Bevorzugung bestimmter Familienmodelle und bestimmter Familienförderungsmaßnahmen weg müssen. Wir müssen neben der infrastrukturellen Unterstützung auch eine stärkere Wertschätzung der familiären Erziehungsleistungen haben. Das ist alles richtig. Das findet unsere volle Zustimmung.

Allerdings gehört auch zur Wahrheit – Sie haben es erwähnt –, dass die Dinge, die dem im Weg stehen oder durch die das hätte verbessert werden können, durchaus auch zulasten der CDU gehen. Ich erinnere an das Erziehungsgeld, zu dem in Ihrem Antrag beklagt wird, dass man es abgeschafft hat. Das war aber Frau von der Leyen. Eine CDU-Ministerin hat es abgeschafft. Das Betreuungsgeld haben Sie jetzt erwähnt.

(Abg. Hedi Thelen, CDU: Das rheinland-pfälzische Landeskindergeld!)

Moment, in Ihrem Antrag ist vom Erziehungsgeld die Rede, das durch das Elterngeld ersetzt worden sei, was gewisse Verschlechterungen mit sich gebracht habe – da bin ich völlig bei Ihnen –, aber es war die CDU, die das in Berlin gemacht hat.

Sie haben das Betreuungsgeld gerade angesprochen. Wir haben den Vorschlag gemacht, es durch ein Landeserziehungsgeld zu ersetzen. Das ist nicht dasselbe wie Ihr Familiengeld, aber es ging in die gleiche Richtung. Das haben Sie kategorisch abgelehnt.

Die Bayern waren die Einzigen, die das übernommen haben. Da war es die CSU. Die CDU-regierten Bundesländer haben es auch nicht übernommen. Insoweit ist das ein bisschen schwierig. Ich finde es gut, dass Sie da mittlerweile wieder eine gewisse Kehrtwende hinlegen, aber man muss schon sagen, dass das bei der CDU nicht immer so gewesen ist.

Völlig absurd wird es natürlich dann, wenn Sie die Bun

desregierung auffordern, über eine grundsätzliche Steuerreform Familien zu entlasten. Ich frage mich: Wer regiert denn in Berlin seit dem Jahr 2005? Sie fordern quasi die Landesregierung auf, nach Berlin zu pilgern und dort Ihre Bundeskanzlerin, Ihre CDU-geführte Bundesregierung zu bitten, hier etwas zu tun. Das finde ich doch sehr merkwürdig, aber ich will nicht die Kritik in den Vordergrund stellen.

Ich finde es gut, dass Sie jetzt einer anderen Akzentsetzung, einer anderen Schwerpunktsetzung in der Familienpolitik das Wort reden und das befürworten. Hier sind wir durchaus bei Ihnen. Ich sehe die Möglichkeit, dass wir uns hier gemeinsam für unsere Familien einsetzen.

(Beifall der AfD)

Gibt es den Wunsch auf Erwiderung?

(Abg. Simone Huth-Haage, CDU: Nein!)

Nein. – Dann darf ich dem Abgeordneten Dr. Böhme für die Fraktion der AfD das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete und Regierungsmitglieder! Es ist richtig, dass Kinderarmut immer wieder thematisiert wird; denn sie ist eine Schande für unser angeblich so reiches Land. Sie ist auch ein Indikator dafür, wie man mit den Schwächsten in der Gesellschaft umgeht; denn dazu gehören nun auch einmal die Kinder.

Bereits auf der Armutskonferenz im Jahr 2017 in Berlin wurde eine Studie der Universität Osnabrück vorgestellt, welche klar zeigte, dass die Anliegen armer Bürger von der etablierten Politik nicht wahrgenommen werden. Weiterhin stellte Landespfarrer Bähr bereits in der Anhörung des Sozialpolitischen Ausschusses am 31. Januar 2017 fest, dass Kinderarmut auch stellvertretend für Familienarmut steht. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Die Armutskonferenz im Jahr 2019 in Berlin, an der ich im April teilnahm – übrigens als Einziger aus diesem Hause –, statuiert ein weiteres Anwachsen der Armut.

(Abg. Alexander Fuhr, SPD: Wir sind so stolz auf Sie!)

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband statuiert ein weiteres Anwachsen der Armut hauptsächlich bei Alleinstehenden, Alleinerziehenden und Familien. Kinder sind in diesem Land also immer noch ein Armutsrisiko.

Das bedeutet aber auch, dass die Erziehungsarbeit sowohl politisch als auch gesellschaftlich noch lange nicht ausreichend gewürdigt wird. Die AfD als Gesamtpartei setzt sich daher entsprechend ihres Grundsatzprogramms für ein Familiensplitting bei der Besteuerung und für eine Entlastung von Familien bei Sozialabgaben, Rundfunkgebühren und Umweltsteuern ein;

(Beifall der AfD)

denn es ist aus unserer Sicht besser, gar nicht erst vom Staat arm gemacht zu werden, um später dann auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein.

Diese Transferleistungen sind nun Gegenstand Ihres Antrags, meine Damen und Herren der Ampel. Dabei fällt auf, dass der Antrag rein zufällig in der Hauptphase des laufenden Wahlkampfs gestellt wird, aber auch in einem Zeitraum, in dem das Starke-Familien-Gesetz der SPDBundesminister Giffey und Heil gerade erst beschlossen und am 3. Mai verkündet wurde. Am 1. Juli 2019 wird es in Kraft treten.

Viel Hoffnung setzen die SPD-Landesgenossen dennoch nicht auf dieses Familiengesetz. Andernfalls würden sie kaum noch vor seinem Inkrafttreten plakativ weitergehende Forderungen stellen. Zudem stellt sich die Frage, warum Ihre heute erhobenen Forderungen nicht bereits im StarkeFamilien-Gesetz umgesetzt worden sind.

Die Probleme der Kinderarmut und die Ursachen dafür sind seit Jahren, seit Jahrzehnten bekannt. Die von Ihnen geforderten Lösungen sind nicht wirklich neu. Sie sind aber offensichtlich nicht oder noch nicht finanzierbar.