Protokoll der Sitzung vom 30.01.2013

Nachrichten zu einzelnen Unternehmen hören wir derzeit in Großbritannien. So sagt zum Beispiel Vodafone, der Telekommunikationsriese, es ist für uns ein großes Problem, die EU-Mitgliedschaft zu verlieren, und ganz generell sehen wir, 25 % der britischen Unternehmen hatten vor der Brexit-Entscheidung eine negative Einschätzung über die nächsten zwölf Monate – jetzt ist es die Hälfte der Unternehmen –, und diese Unternehmen wissen wahrscheinlich ein bisschen besser als viele hier im Raum, was auf sie zukommen wird durch diese Entscheidung, die das britische Volk getroffen hat.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Weil sie Juncker kennen, deshalb!)

Meine Damen und Herren, welche „Lösung“ bietet die AfD jetzt an? Großbritannien soll im Binnenmarkt bleiben. Das klingt positiv und wird sicherlich bei Austrittsverhandlungen auch diskutiert werden. Die Frage ist nur: Was versteht man unter einem Binnenmarkt? – Ich glaube, da gehen die Meinungen auseinander.

Für die AfD ist das in erster Linie eine Art Freihandelszone oder Zollunion, so etwas in der Art, wie wir es mit der Türkei haben; jedenfalls keine Personenfreizügigkeit, die Sie als Dogma bezeichnen.

(Zuruf von der SPD: Die Masseneinwanderung, das ist ganz wichtig!)

Aus unserer Sicht ist das allerdings kein Dogma, sondern eine der zentral wichtigen vier Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarktes, ohne die ein Binnenmarkt nicht wirksam funktionieren kann, und deshalb sind das vier wichtige Faktoren, die alle zusammengehören, meine Damen, meine Herren.

(Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie uns dann so beiläufig noch nahelegen wollen, das könnte auch ein Modell für den Rest Europas sein, ja, man könne sich doch vielleicht auf so etwas wie eine Freihandelszone konzentrieren, dann schaden Sie unserer Wirtschaft, dann schaden Sie unseren Unternehmen ganz enorm; Sie sind nämlich auch darauf angewiesen, dass Arbeitskräfte aus anderen EU-Mitgliedstaaten hier tätig werden können, meine Damen und Herren.

(Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Europa ist einzigartiges erfolgreiches Friedensprojekt, das Wohlstand gebracht hat. Es ist auch nicht frei von Fehlern. Das muss man nach einer solchen Entscheidung auch sehen und sagen und an Verbesserungen arbeiten. Der Ausstieg von Großbritannien bedeutet für unsere Unternehmen, dass sie Beratungsbedarf haben werden. Darauf stellt sich die Landesregierung – das zeigte sich im Ausschuss – ganz konkret ein. Das halten wir für sehr vernünftig. Die Landesregierung wird dabei sicherlich keinen Bedarf haben, als Material ihren dünnen Antrag zu verwenden. Diesen Bedarf haben wir im Übrigen auch nicht.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Dr. Bollinger das Wort.

(Abg. Martin Haller, SPD: Bringen Sie etwas zur Masseneinwanderung!)

Das gefällt Ihnen, was?

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Alt, ich wüsste nicht, dass ich gesagt hätte, dass ich dieses Modell, wie ich es für Großbritannien vorgeschlagen habe, für ganz Europa empfehle. Es geht jetzt speziell um Großbritannien und darum, kurzfristig Sicherheit für die Wirtschaft zu schaffen und eben nicht zu erzwingen, dass vier Pfeiler, wie Sie das nennen, eingehalten werden, wenn es jetzt für die Wirtschaft in Großbritannien, für die Menschen in Großbritannien und für die Menschen in unserem Lande um drei ginge.

Was die EU betrifft, also aktuell meine ich, sind die Beziehungen zwischen den europäischen Staaten auf einem Tiefpunkt angelangt.

(Beifall der AfD)

Und das hängt eben nicht mit angeblichen Populisten zusammen, sondern das hängt mit den Konstruktionsfehlern der EU zusammen, damit, dass Sie die Union weiter vertieft haben, dass Sie Länder, die wirtschaftlich auf ganz unterschiedlichen Levels sind und auch auf unterschiedlichen Wohlstandslevels sind, zusammengepfercht haben in eine gemeinsame Währung, also in ein gemeinsames Währungskorsett, die nicht zusammenpassen.

Wir sind Freunde des europäischen Gedankens, wir meinen aber, dass so, wie Sie ihn umsetzen, es eben nicht funktionieren kann, sondern dass primär die wirtschaftliche Kooperation da sein muss.

Und natürlich darüber hinaus, Schengen ist ein guter Gedanke, wenn gleichzeitig die Außengrenzen geschützt werden, was ja bislang nicht der Fall war.

(Zurufe von der SPD: Das ist doch ein Widerspruch in sich! Das ist ein Widerspruch!)

Das ist gar kein Widerspruch, hören Sie mir doch einmal zu.

Also, offene Innengrenzen, geschützte Außengrenzen.

(Abg. Martin Haller, SPD: Also, wir können von Rheinland-Pfalz nach Baden-Württemberg!)

Oh je, Sie wollen es, glaube ich, nicht verstehen. Ich

spreche jetzt von der nationalstaatlichen Ebene, aber da vermögen Sie mir nicht zu folgen bei diesen leichten Sprüngen.

(Beifall und Heiterkeit bei der AfD)

Gut, ja, aber Ihre Sottisen können Sie sich sparen. Aber das war es eigentlich auch schon, was ich Ihnen sagen wollte. Der europäische Gedanke ist nicht gleichbedeutend mit der aktuell existierenden EU.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Als Nächstes hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Christian Baldauf das Wort. Bitte schön, Herr Baldauf.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 23. Juni 2016 haben sich die Briten mit 51,6 % gegen den Verbleib in der EU ausgesprochen. Das ist damit der mehrheitliche Wunsch des Vereinigten Königreichs, aber – und das sage ich ganz bewusst – nicht das Ende der EU.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin mir sicher, eine fortschreitende Einigung Europas muss das Ziel bleiben. Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht zulassen, dass Europa geschwächt wird. Deshalb sind Schnellschüsse nicht angebracht, sondern – wie es unsere Bundeskanzlerin auch sagt – mit Ruhe und Besonnenheit vorzugehen, in dieser Situation auch das Richtige.

Fest steht, nachdem – aber so muss es dann kommen – die britische Regierung nach Artikel 50 des EU-Vertrages ihren Austrittsantrag übermittelt hat, wird natürlich dieser Austritt zwingend; denn eines – das sage ich auch – muss klar bleiben: Wer gewisse Linien überschreitet, begibt sich selbst nach draußen. Eine EU-Mitgliedschaft darf nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.

(Beifall der CDU)

Der Brexit ist für das Vereinigte Königreich und für andere Mitgliedstaaten der EU mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden. Wir haben es gehört und finden es auch in allen Verlautbarungen der Industrieverbände. Das gilt auch und vor allem für Rheinland-Pfalz, und es bedeutet in der Praxis Zollschranken, Zölle auf Warenlieferungen, zusätzlicher Aufwand, Mehrkosten beim Transport. Die Erbringung von Dienstleistungen über Grenzen hinweg und vor allem die Entsendung von Personal von Deutschland bzw. Rheinland-Pfalz nach Großbritannien wird erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht.

Verehrter Herr Kollege Dr. Bollinger, wenn Sie sagen, dass 3,5 Milliarden Euro aus Rheinland-Pfalz exportiert werden, was 6,7 % der gesamten rheinland-pfälzischen Exporte ausmacht – dies ist nach Frankreich, den USA und den Niederlanden die vierthöchste Exportquote –, dann pas

siert das, werter Herr Kollege Bollinger, nicht trotz Europa, sondern wegen der Europäischen Union.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Richtig!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch das rheinland-pfälzische Handwerk erwartet negative Auswirkungen durch den Brexit. Wir können es lesen. Das betrifft insbesondere die Schwerpunkte Energieeffizienz, Restaurierung und Sanierung. Die Qualität deutscher Bau- und Ausbaugewerbe wird in Großbritannien nämlich geschätzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits die Diskussion und Unsicherheit im Vorfeld des Referendums haben zu einem drastischen Rückgang der Investitionen in Großbritannien geführt, weil die Unsicherheit immer der Feind stabiler Wirtschaftsverhältnisse ist. Umso wichtiger ist es, dass dann vernünftige, sichere und verlässliche Abkommen mit dem Vereinigten Königreich ausgehandelt werden. Unserer starken Exportwirtschaft muss es auch in Zukunft möglich sein, den Handel mit Großbritannien ohne unüberwindbare Hindernisse fortzusetzen. Dies betrifft vor allem natürlich den Zugang zum Europäischen Binnenmarkt.

Dieser Zugang zum Europäischen Binnenmarkt aber kann nur dann gewährt werden, wenn Großbritannien bereit ist, bestehende und künftige EU-Gesetzgebung zu übernehmen und auch die Regelungen zur Personenfreizügigkeit beizubehalten. Nicht wir haben etwas zu verändern, sondern Großbritannien muss dann nachdenken, wie es sich an europäischen Maßstäben messen lässt.

(Beifall der CDU und bei der SPD)

Nach den Prinzipien und Grundsätzen der Europäischen Union darf es die Freizügigkeit von Waren und Dienstleistungen nur in Kombination mit dem Prinzip der Personenfreizügigkeit geben. Das betone ich ganz bewusst. Ansonsten werden die restlichen 27 EU-Mitgliedstaaten nämlich benachteiligt. Dies hätte ein weiteres Auseinanderdriften der EU und eine Schwächung des Gemeinschaftsgedankens zur Folge. Dies gilt es, im Hinblick auf die großen europäischen und globalen Herausforderungen um jeden Preis zu verhindern.

Ja, wir sollen in der Europäischen Union stets kompromissbereit sein. Ja, wir müssen die Europäische Union fortentwickeln. Ja, wir müssen das eine oder andere infrage stellen, doch dabei dürfen wir unsere Werte, unsere Ziele, die seit 1994 auch in einem Wertekorsett bestehen, nicht infrage stellen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Die EU ist unsere Stärke.

(Beifall der CDU und bei SPD, FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte noch zwei Takte zu den Antragstellern sagen, auch wenn es richtig ist, dass dies bei sechs Zeilen nicht ganz so einfach ist.

Meine werten Kolleginnen und Kollegen von der AfD, genau den Grundsatz der Personenfreizügigkeit lehnen Sie schon immer ab. Weder in Ihren schriftlichen noch in Ihren

mündlichen Antragsbegründungen bekennen Sie sich zu einem zentralen Grundsatz der Europäischen Union, nämlich genau diesem.