Da Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahrs nicht schuldfähig sind, genügt die Verwirklichung des objektiven Tatbestands. Insoweit wird mit der Vorschrift der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bei Personen unter 14 Jahren nur auf Extremfälle, aber eben gerade auf diese – das füge ich ausdrücklich hinzu –, beschränkt, nämlich auf
die Planung, Begehung und Verwirklichung staatsgefährdender terroristischer Straftaten. – Dies möchte ich noch einmal klarstellen, damit Sie wissen, dass auch an diese Situation gedacht worden ist.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute erneut über die Novellierung des Landesverfassungsschutzgesetzes. Bereits in der letzten Plenardebatte zu diesem Thema hatten wir klar Stellung bezogen und unsere konstruktive Mitarbeit bei der Aussprache in den Ausschüssen angeboten.
Es ist unumstritten, dass das Gesetz altersbedingt überarbeitet werden musste und der vorliegende Gesetzentwurf im Kern, was die Aktualisierung zum Thema des Datenschutzes, der Datenverarbeitung und des Umgangs mit neuen Technologien angeht, einen notwendigen Fortschritt darstellt.
Doch trotz dieses Fortschritts ist es von elementarer Bedeutung, dass dieses Gesetz für den Verfassungsschutz selbst einen klar definierten Handlungsrahmen aufzeigen und die Handlungsspielräume im Sinne der Rechtsstaatlichkeit begrenzen muss sowie die parlamentarische Kontrolle im demokratischen Sinne zu sichern hat. Die Verfassungstreue und die Neutralität des Verfassungsschutzes ist unabdingbar zu wahren; denn er dient nicht einer Partei oder einer mehrheitsbildenden Koalition, sondern ist Hüter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Bund und Land.
In Zeiten, in denen die gesellschaftliche Spaltung durch Meinungsvorgaben, selektive Berichterstattung, Hysterien und die Denunzierung Andersdenkender permanent vorangetrieben wird, gedeihen auch extremistische Tendenzen in alle Richtungen. Die Protagonisten – egal ob rechte oder linke Extremisten und auch religiöse Fanatiker – sind gut vernetzt, hervorragend organisiert und wissen, sich der modernen Technik und ihrer Möglichkeiten zu bedienen.
Einer solchen Entwicklung kann man im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten durch Nachjustieren der Befugnisse des Verfassungsschutzes und dessen Eingriffsmöglichkeiten entgegenwirken. Dabei ist immer peinlich genau zu beachten, dass auch ein fortschrittliches Verfassungsschutzgesetz nicht nur Handlungssicherheit für den Dienst und Kontrollsicherheit für das Parlament schafft, sondern auch die geschaffenen Eingriffsbefugnisse in unterschiedlichste Persönlichkeitsrechte ausgesprochen restriktiv handhabt und absolut unmissverständlich beschreibt.
Der vorliegende Entwurf schafft aber auch Spielräume, etwa bei den Begriffen der Rechtsstaatlichkeit, des Demokratieprinzips und der Menschenwürde oder auch bei der Entkopplung einiger Begriffe von entsprechenden Artikeln im Grundgesetz, wenn diese dann nicht weiter definiert werden. Diese Spielräume, die für Interpretationen durchaus Raum lassen, werfen Fragen auf, deren Beantwortung die Verfasser, auch in den Ausschüssen, schuldig geblieben sind.
Meine Damen und Herren, ja, eine Aussprache hat es in der gemeinsamen Sondersitzung von Innen- und Rechtsausschuss tatsächlich gegeben, ebenso zum Teil sehr detaillierte Stellungnahmen der Experten. Von daher war es sehr ernüchternd, mit welcher Ignoranz die Vertreter der Regierungskoalition, mithin die Verfasser selbst, die vorgetragenen Hinweise und Anregungen sowie Verbesserungsvorschläge und gestellten Fragen von Experten und Opposition in weiten Teilen übergangen haben, auch wenn mit einem kurzfristig eingebrachten Änderungsantrag zum vorliegenden Entwurf ein paar der kritisierten Punkte korrigiert worden sind.
Dennoch: Wo findet die Kritik an der Ausweitung der Beobachtung von Minderjährigen durch den Verfassungsschutz oder die nach Expertenmeinung zu niedrig angesetzte Schwelle zur Wohnraumüberwachung Berücksichtigung? Ebenso wurde die Expertenforderung zur Konkretisierung der gebotenen Trennung von Verfassungsschutz und Polizei nicht beachtet. Warum wird sich nicht ernsthaft mit der Frage nach dem Wie der verdeckten Ermittlung im Internet auseinandergesetzt, sondern an einem Gesetzentwurf festgehalten, der sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, in diesem Punkt zu unspezifisch zu sein?
Meine Damen und Herren, wenn ein Entwurf zur Änderung eines Verfassungsschutzgesetzes ausgerechnet und allein von den Regierungsfraktionen eingebracht wird, wenn sich der Justizminister zum Entwurf nicht substanziell äußern will, wenn der Leiter des Verfassungsschutzes in der Ausschusssitzung bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs von „wir“ spricht, also eine unmittelbare Mitarbeit des Verfassungsschutzes an dem Entwurf der Regierungsfraktionen selbst suggeriert, wenn derselbe Leiter des Verfassungsschutzes auf meine Frage, wie er denn die Umsetzbarkeit des Gesetzes bewertet, einem Befehlsempfänger gleich die Antwort dem Staatssekretär überlassen musste, und wenn die Regierungsfraktionen am Ende den unveränderten Entwurf unter Missachtung aller Einlassungen durchdrücken, allein weil sie es können, dann erinnert das stark an Zeiten, in denen Demokratie und Freiheit erfolgreich abgeschafft wurden.
(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Ui, jetzt aber halblang! Das sind ordentliche Beamte, die Sie in die Nähe von Diktaturen rücken! Unglaublich! – Unruhe bei der SPD)
Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass unsere Fragen nicht einfach nur mit einer gewohnten Polemik bedacht, sondern gänzlich ignoriert wurden, lässt vermuten, dass wir offensichtlich einen Nerv getroffen haben und mit unse
Mehr als alles andere liegt es im Interesse der Regierungsfraktionen, ihre geliehene, aber schwindende Macht zu erhalten und, wie es Abgeordneter Schwarz so entlarvend formulierte, dafür zu sorgen, dass die AfD wieder in der Versenkung verschwinden möge. Das lässt aufhorchen.
Meine Damen und Herren, es ist also nicht auszuschließen, dass die bemängelten Regelungslücken und Ungenauigkeiten im Entwurf Hintertüren im Interesse des Machterhalts eröffnen sollen bis hin zur Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes und zur Erschließung neuer interessengelenkter Handlungsspielräume.
Meine Damen und Herren, deshalb können wir diesem weitgehend unveränderten Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Herr Junge, eigentlich wollte ich auf Sie gar nicht mehr antworten, aber Sie haben zum dritten Mal Dinge wiederholt, die so nicht stimmen. Sie haben von Fragen erzählt, die Sie in den Ausschüssen gestellt haben. Ich kann mich an die Fragen gar nicht groß erinnern. Sie haben in den Ausschusssitzungen drei Dinge ins Spiel gebracht. Vielleicht geben Sie eine Antwort darauf.
Sie begründen, dass der Verfassungsschutz aus dem Ministerium des Innern und für Sport herausgelöst werden soll, damit Weisungsunabhängigkeit besteht. Das war eine Frage, die Sie gestellt haben. Das ist absoluter Unsinn. Auch dort, wo der Verfassungsschutz als eigenes Amt organisiert ist, ist er selbstverständlich und logischerweise in die Behördenhierarchie und in die System-, Fach- und Rechtsaufsicht eingebunden. Lesen Sie sich dazu einmal die Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes beim Bund durch.
Außerdem wird die Tätigkeit noch durch die Parlamentarische Kontrollkommission und die G 10-Kommission kontrolliert. Der Leiter des Verfassungsschutzamtes hat Ihnen auch erklärt, dass die Tendenz im Bund eigentlich wieder in die andere Richtung geht, nämlich dass die Verfassungsschutzämter in die Ministerien eingebracht werden.
Die zweite Frage, die Sie gestellt haben: Ihnen fehlt der konkrete Bezug zum Katalog der freiheitlich demokrati
schen Schutzgüter. Dieser soll nach Ihrer Meinung durch interpretierbare Begriffe ersetzt werden. Sie fragen: Sollen künftig neue Werte und Maßstäbe angelegt werden?
Ich sage Ihnen, bisher war in § 4 Abs. 2 des Gesetzes eine Aufzählung, was alles zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zählt. Die Gesetzesnovelle bringt dies jetzt auf die Formel: „Die freiheitliche demokratische Grundordnung umfasst die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat unentbehrlich sind. Diese sind die Garantie der Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip.“ Das können Sie in § 4 Abs. 3 nachlesen.
(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Hedi Thelen und Marlies Kohnle-Gros, CDU)
Damit bezieht sich die Novelle direkt zum Teil als wörtliches Zitat auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum zweiten NPD-Verbotsverfahren. Mit neuen Werten und Maßstäben hat dies sicherlich nichts zu tun. Ich gehe davon aus, Sie kennen als altgedienter Offizier auch § 8 des Soldatengesetzes. Lesen Sie sich den noch einmal durch. Ich frage mich, wie Sie während Ihrer aktiven Zeit damit umgegangen sind.
Genannt sind die zentralen Stützen unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung, wie sie die Mütter und Väter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat im Jahr 1949 beschlossen haben. Wem das neu ist, der kann sich mit der Bundesrepublik und dem Grundgesetz noch nicht intensiv genug auseinandergesetzt haben. Das unterstelle ich Ihnen und Ihrer Fraktion.
Die dritte Frage, die Sie gestellt haben: Wird Recht durch Haltung ersetzt? Der Verfassungsschutz wäre nach Ihrer Meinung nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden. Wie im alten Gesetz der Klammerzusatz in § 8 zeigt, handelt es sich schlicht um ein Zitat von Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz.
Ich komme zum Schluss. Die Zitierung war rein deklaratorischer Natur und hatte keinerlei praktische Auswirkungen. Das Grundgesetz steht über den einfachen Gesetzen. Artikel 20 Abs. 3 gilt also immer für jedes staatliche Handeln.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Worauf es uns ankommt, ist, dass dieses Gesetz dem Verfassungsschutz Handlungssicherheit gibt und keine Möglichkeiten der Interpretation offenlässt, und zwar für das Gesetz und für den Dienst. Ich habe es ganz deutlich gesagt, hier aber nicht noch einmal wiederholt: Ja, wir sehen es tatsächlich so, dass wir den Verfassungsschutz unabhängig haben wollen. Ich sehe Herrn May im Innenausschuss in der Regel neben dem Minister sitzen, und er bekommt Weisung.
Ich möchte, dass der Verfassungsschutz in alle Richtungen prüfen kann. Das machen andere Bundesländer auch mit Erfolg. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so dagegen sträuben. Ich sehe gar keinen Grund dazu.
Die Parlamentarische Kontrollkommission haben Sie noch einmal angesprochen. Diese haben wir im Ausschuss, aber auch hier angesprochen und ganz deutlich gesagt: Wir wollen, dass der Verfassungsschutz breit von einer Parlamentarischen Kontrollkommission durch das gesamte Parlament kontrolliert wird und nicht nur durch eine am Anfang der Legislaturperiode festzulegende Mehrheit.
Wir sind gebrannte Kinder. Wir erinnern uns an die Festlegung und Änderung der Geschäftsordnung für die Ausschusssitze. Dahin wollen wir nicht. Was hindert uns eigentlich daran, aus jeder Fraktion aus diesem Parlament eine Person zu benennen?