Protokoll der Sitzung vom 14.11.2003

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der CDU)

Ich möchte zunächst einen weiteren Gast auf der Tribüne begrüßen, und zwar den Vizemarschall der Woiwodschaft Westpommern, Herrn Krzysztos Modlinski. Herzlich willkommen im SchleswigHolsteinischen Landtag.

(Beifall)

Wir kommen jetzt zu den Kurzbeiträgen nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung. Zunächst hatte sich Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg gemeldet.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich hoffe, Sie haben dem Kollegen Hentschel sehr gut zugehört, und zwar nicht nur bei dieser Debatte, sondern auch in der vorangegangenen Debatte. In der vorangegangenen Debatte hat sich der Kollege Hentschel als großer Verwaltungsvereinfacher und Entbürokratisierer gebärdet, um uns jetzt ein bürokratisches Monster anzubieten, wie er in Zukunft mit ausbildenden Betrieben und

(Beifall bei der FDP)

nicht ausbildenden Betrieben umgehen will, sektoral, global und wahrscheinlich interkulturell. Herr Hentschel, Sie sollten sich vielleicht einmal entscheiden. Ich weiß ja, dass Sie für Fünf-Jahrespläne sehr viel übrig haben. Ihr Vorschlag reiht sich nahtlos in den

Unsinn ein, den Sie uns bei Ihrem Tante-EmmaModell zum Ladenschlussgesetz präsentiert haben.

(Beifall bei der FDP)

Ich finde es komisch, dass Sie sich selber hier entblößen und uns zehn Minuten lang irgendwelche Vorhaben, die Sie noch auf den Weg bringen wollen oder bereits auf den Weg gebracht haben, die alles einfacher machen sollen, präsentieren.

(Zuruf des Abgeordneten Bernd Schröder [SPD])

- Lieber Kollege Schröder, wenn man die Wirtschaft bei ihrer Verantwortung packen will - das ist in Ordnung -, dann sollte man auch einmal fragen, warum sich die Wirtschaft mehr und mehr aus dieser Verantwortung stiehlt und diese Verantwortung nicht mehr wahrnimmt. Könnte es vielleicht daran liegen, dass wir drei Jahre lang ohne wirtschaftliches Wachstum in diesem Land und in dieser Bundesrepublik auskommen mussten? Könnte es vielleicht damit zu tun haben, dass Unternehmen keine Umsätze mehr generieren konnten? Könnte es vielleicht etwas damit zu tun haben, dass wir ein zu kompliziertes Steuersystem haben? Könnte es vielleicht etwas damit zu tun haben, dass wir ein zu kompliziertes und kostenträchtiges Sozialversicherungssystem haben?

(Zurufe von der SPD)

Könnte es also vielleicht daran liegen, dass auch Ihre Regierung in Berlin in den letzten fünf Jahren nichts dazu beigetragen hat, die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zu erhöhen?

(Beifall bei FDP und CDU - Zurufe von der SPD)

Ich möchte Ihnen auch sagen, was dies alles mit der „fabelhaften“ Landespolitik zu tun hat. Erstens bekommen wir hier ständig nur Grußadressen an die Regierung in Berlin abgeliefert, und zweitens hat natürlich originär die Bildungspolitik etwas damit zu tun, ob Betriebe ausbildungsbereit sind oder nicht. Gehen Sie doch einmal in die Betriebe. Fragen Sie doch einmal Ihre viel zitierten kleinen und mittleren Betriebe. Fragen Sie doch einmal Handwerksmeister, was die noch von der Ausbildungsreife halten. Ich habe gestern Abend in der Halle 400 in Kiel mit etlichen Menschen gesprochen, die gerne ausbilden wollen. Die sagen aber, dass sie bei dem, was Ihnen mittlerweile an Schulabgängern angeboten wird, was die noch an Qualifikationen mitbekommen, nicht mehr ausbilden können und wollen.

(Beifall bei FDP und CDU)

(Dr. Heiner Garg)

Meine Damen und Herren, vielleicht sollte man sich darauf konzentrieren, diejenigen zu stärken, die bereits ausbilden. Mit der Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe wird lediglich erreicht, dass sich diejenigen, die nicht ausbilden, weiterhin aus der Verantwortung stehlen. Denen werden weitere folgen. Herr Minister Rohwer, ich kann ja verstehen, dass man manchmal eine Minderheitenmeinung in der eigenen Partei einnimmt. Aber dann erwarte ich von Ihnen, wenn Sie das wirklich ernst meinen, was Sie eingangs gesagt haben und was die Kollegin Aschmoneit-Lücke zitiert hat, nämlich dass Sie klar gegen eine Ausbildungsplatzabgabe sind, dann vertreten Sie bitte Ihren Standpunkt und relativieren Sie das Ganze nicht zugunsten irgendwelcher roter Parteitagslyrik. Gehen Sie in die Unternehmen hinein, fragen Sie nach der Stimmung. Ich sage Ihnen: Die Stimmung ist miserabel. Wenn Ihre Ausbildungsplatzabgabe kommt, dann können Sie im nächsten Jahr nicht mehr verkünden, dass in SchleswigHolstein alles besser aussieht als im übrigen Bundesgebiet, sondern dann müssen Sie sich im nächsten Jahr dafür rechtfertigen, dass in Schleswig-Holstein weniger Ausbildungsplätze vorhanden sind als jemals zuvor.

(Beifall bei FDP und CDU)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat der Kollege Baasch von der SPDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Diskussion könnte man eigentlich wesentlich weniger aufgeregt führen, weil es keine neue Diskussion ist. Wir diskutieren dieses Thema vor dem Hintergrund, dass es ein Versprechen gibt, also keinen Vertrag, keine Übereinkunft, sondern ein Versprechen der Wirtschaft, Ausbildungsplätze zu schaffen, Ausbildungsplätze vorzuhalten. Dieses Versprechen ist bundesweit nicht eingehalten worden. Wenn man sagt, dass es daran liegt, dass es so viele junge Menschen gibt, die vermeintlich nicht ausbildungsfähig sind,

(Zurufe von der CDU)

dass man also anfängt, den Jugendlichen die Qualifikation abzusprechen, dann muss man sich fragen, welches Menschenbild dahinter steckt.

(Beifall bei der SPD)

Das ist ein Menschenbild, das nicht meinem entspricht. Wir wollen - das kommt auch in den Anträgen der Koalitionsfraktionen und in den Äußerungen der Landesregierung zum Ausdruck -, dass jeder junge Mensch eine Chance auf Bildung und auf Ausbildung hat. Das müssen wir gewährleisten, und das ist der Hintergrund, weshalb man sich über Ausbildungsumlagen unterhält.

Es gibt noch ein weiteres Thema, über das man diskutieren sollte. Wenn das duale System so hoch gelobt wird - ich lobe es auch, weil ich es vernünftig finde -, gleichzeitig aber die Zahl der Jugendlichen, die in außerbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen, in berufsvorbereitenden Maßnahmen, in berufsqualifizierenden Maßnahmen erst einmal eine Zeit überbrücken müssen oder tatsächlich Unterstützung und Hilfe bekommen, jährlich steigt, dann frage ich mich, wie man sagen kann, dass es genügend Ausbildungsplätze gibt. Es gibt nicht genügend Ausbildungsplätze. Wir müssen uns gemeinsam gewaltig anstrengen, dass mehr Ausbildungsplätze entstehen.

(Beifall bei der SPD)

Bundesweit werden 40.000 Ausbildungsplätze fehlen. Davor kann man die Augen nicht verschließen.

Ich finde, es ist deutlich geworden, dass die Ausbildungsplatzumlage eine Umlage sein soll, die dann erhoben wird, wenn es Fehler gibt, das heißt, wenn die Rechnung nicht aufgeht. Wir sagen immer, dass für jeden Jugendlichen ein Ausbildungsplatz vorhanden sein muss. Eine Zeit lang haben wir vor dem Hintergrund diskutiert, dass 12,5 % mehr Ausbildungsplätze vorhanden sein müssen, damit junge Menschen die freie Wahl eines Ausbildungsplatzes haben.

(Beifall bei der SPD)

Es geht mittlerweile schon so weit, dass man sagt, dass, wenn eine Ausbildungsstelle frei ist, der junge Mensch diese nehmen muss. Es gibt nicht mehr eine freie Wahl von Ausbildungsplätzen für viele junge Menschen. Das ist nicht akzeptabel. Auch hier muss man gegensteuern.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle möchte ich hervorheben, dass in vielen Bereichen im Land Schleswig-Holstein, wie zum Beispiel in den Jugendaufbauwerken und Berufschulen, Hervorragendes geleistet wird, um die überbetriebliche Ausbildung, aus der sich die Wirtschaft in vielen Bereichen heraushält, zu organisieren und zu finanzieren. Man muss aber auch sagen: Wer nicht genügend Geld in dieses System der Ausbildung ste

(Wolfgang Baasch)

cken will, der fördert eine Verstaatlichung der Ausbildung. Genau dies wird von Ihnen provoziert. Wir können es nicht zulassen, dass junge Menschen ohne Ausbildung bleiben. Die Wirtschaft leistet es nicht, also muss es durch den Staat, die Schule oder durch staatsnahe Einrichtungen wie Jugendaufbauwerke gewährleistet werden. Das ist anscheinend Ihre Antwort. Diese wollen wir nicht geben. Wir wollen in Gemeinsamkeit mit der Wirtschaft für möglichst viele Ausbildungsplätze sorgen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Kubicki. - Es liegen noch zwei weitere Wortmeldungen vor.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme aus einem Büro, in dem von 30 Mitarbeitern sechs Auszubildende sind. Wir bilden seit geraumer Zeit über Bedarf aus, und wir werden, soweit es unsere Möglichkeiten erlauben, daran festhalten, wobei ich immer sagen muss: Die Ausbildung zahlen die Betriebe, also wir. Das machen wir auch gerne, schon allein deshalb, um unseren eigenen Nachwuchs zu bekommen - auch wenn wir sicherlich nicht alle übernehmen können - und um den jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Ich möchte Ihnen aber nun etwas sagen, was Sie, Kollege Baasch, ernst nehmen sollten, nämlich dass das psychologische Signal der Einführung einer Ausbildungsplatzumlage in der gegenwärtigen Situation, bei der viele Unternehmen ums Überleben kämpfen und bei der viele Unternehmen das Gefühl haben, sie würden ohnehin schon drangsaliert bis zum geht nicht mehr, genau der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie werden erleben, dass alleine durch dieses Signal, dass Sie die Ausbildungsplatzabgabe einführen wollen, Ihnen im nächsten Jahr 40 bis 50 % der Betriebe die Ausbildung vor die Füße kippen und sagen werden: Dann macht mal. Wir machen das nicht mehr. Wir lassen uns nicht weiter drangsalieren. Ich kann schon jetzt sagen, wie die Schreiben aussehen werden: Bewerben Sie sich bitte bei Bundeskanzler Gerhard Schröder, der zugesagt hat, dass jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommt. Diesen bekommt man nicht mehr bei mir, weil ich die Schnauze voll habe. Ich will Ihnen auch sagen warum. Sie kön

nen gar nicht anders. Es wird so etwas wie die GEZ geschaffen. Beispielsweise muss man die Anzahl der Mitarbeiter und die Lohnsummen angeben.

Was wird passieren? - Einige werden versuchen, die Anzahl ihrer Mitarbeiter zu reduzieren, die Lohnsumme zu reduzieren, damit sie nicht in den Kreis der Umlage kommen. Sie schaffen weiterhin zwar die Möglichkeit - wenn Sie sagen: Wir wollen die umlagepflichtigen Betriebe einführen -, dass die Betriebe sich melden können, wenn sie Geld für die Ausbildung haben wollen, aber dann müssen sie auch angeben, was sie an Gewinn, an Umsatz und was auch immer haben.

Was glauben Sie eigentlich, was passiert? Die Betriebe haben ohnehin schon die Schnauze voll davon, dass zuviel Staat in ihre tägliche Arbeit hineinregiert - gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die sich alles andere gar nicht mehr leisten können. Die wollen keine zusätzlichen Formulare mehr ausfüllen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Kollege Baasch, ich kann Ihnen darlegen, warum beispielsweise wir unsere Ausbildungsplätze beim Arbeitsamt gar nicht melden. Wenn Sie schon vom Arbeitsamt angeschrieben werden: Bitte füllen Sie einen zweiseitigen Zettel mit Schlüsselnummern aus! Abgesehen davon, dass der Name des Kollegen Graf Kerssenbrock jedes Mal falsch geschrieben ist, was ja auch schon für die Behörde spricht, muss ich erst für diese zwei Seiten, die ich ausfüllen soll, eine Anleitung lesen, was die einzelnen Schlüsselnummern für die Jugendlichen bedeuten sollen. Da sage ich doch: Was glauben die eigentlich, was ich in der Stunde koste, dass ich mir die Mühe mache, dem Arbeitsamt diese Fragen zu beantworten.

(Beifall bei FDP und CDU - Zurufe von der CDU)

Die Betriebe haben also gar nicht alle Ausbildungsstellen angegeben. Das ist eine Begründung dafür, warum ich glaube, dass nicht alle Ausbildungsplätze gemeldet sind. Ich sage Ihnen: Für mich ist das Arbeitsamt die letzte Behörde, die darüber entscheiden und feststellen kann, welche Ausbildungsplätze angeboten werden und welche nicht.

(Beifall bei FDP und CDU)

Und was soll die regionale Differenzierung? Herr Wirtschaftsminister, das ist doch nicht Ihr ernst, dass Sie eine regionale Differenzierung unterstützen wollen! Wir haben ganze Regionen, in denen wir in Relation zu den Jugendlichen gar nicht ausreichend Betriebe haben, die ausbilden können - Oberlausitz

(Wolfgang Kubicki)