Protokoll der Sitzung vom 14.11.2003

(Wolfgang Kubicki)

und manche andere. Wollen Sie denen jetzt sagen: Die, die ohnehin schon wirtschaftlich schwach sind, sollen noch zusätzlich aus den eigenen Mitteln eine Ausbildungsplatzabgabe erwirtschaften und umlegen, damit die Leute Beschäftigung finden können?

(Beifall bei FDP und CDU)

Die wirtschaftlich starken Regionen, wie Bayern und Baden-Württemberg, haben das Problem überhaupt nicht, weil ausreichend Betriebe Angebote an die Jugendlichen machen. Das heißt, damit verschlechtern Sie noch die Standortbedingungen in den Bereichen, die Sie jetzt regionalisieren wollen. Das kann doch nicht Ihr ernst sein, dass kann doch nicht wirklich Ihr ernst sein, dass Sie diese Form der Regionalisierung wollen.

Wenn das richtig wäre, warum machen wir das dann eigentlich nicht auch bei den Krankenversicherungen und bei den sonstigen Sicherungssystemen? - Da sagen Sie, das sei eine Sauerei, weil wir das dann im Rahmen der Solidarität sozusagen gemeinschaftlich umlegen müssten. Aber hier kommen Sie jetzt mit der Regionalisierung, weil Sie sich hier rausschleichen wollen aus einer wirklich entscheidenden Fragestellung, nämlich ob Sie dafür oder dagegen sind.

(Beifall bei FDP und CDU)

Deshalb sage ich Ihnen: Wir lassen Ihnen das nicht durchgehen.

Ich bitte Sie nur: Man kann über verschiedene Formen der Finanzierung der beruflichen Ausbildung sprechen, aber nicht jetzt, in der jetzigen Situation und nicht zu einem Zeitpunkt, wo ich wirklich sagen kann, dass eine Vielzahl von Betrieben - das werden wir in diesem Jahr erleben, Herr Wirtschaftsminister, das sagen Sie ja selbst -, dass 20 bis 30 % der Betriebe, um ihre Existenz kämpfen, weil sie von den Banken keine Kredite mehr bekommen, weil ihnen die ökonomische Situation die Luft zum Atmen nimmt. Wenn Sie in dieser Situation das Signal geben, Sie wollen eine Ausbildungsplatzabgabe erheben, kann ich Ihnen nur sagen, verabschieden sich damit einige aus diesem Gemeinwesen und von der ernsthaften Politik, die wir hier betreiben wollen.

Ich bitte Sie im Interesse der Jugendlichen, die ausgebildet werden sollen: Nehmen Sie davon - jetzt jedenfalls - Abstand!

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Präsidium möchte nicht die Lebhaftigkeit der Debatte in irgendeiner Weise begrenzen, aber ich

möchte darauf hinweisen, dass der Begriff „Sauerei“ für meinen Geschmack etwas grenzwertig in einer Parlamentsdebatte ist.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU] - Holger Astrup [SPD]: Wenn Sie auf die Zeit geachtet hätten, wäre es gar nicht dazu bekommen!)

- Herr Kollege, wenn Sie da etwas zu kritisieren haben, können Sie das dem Präsidium vortragen. Wir können das dann in geeigneter Form gemeinsam besprechen.

Sie hatten sich aber nicht zu Wort gemeldet, sondern es hatte sich zu einem Kurzbeitrag der Oppositionsführer, Herr Abgeordneter Kayenburg, zu Wort gemeldet. Daneben liegt noch je eine Wortmeldung der Frau Abgeordneten Strauß und des Herrn Abgeordneten Professor Müller vor.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Baasch, Ihre Lippenbekenntnisse sind wir wirklich langsam leid. Sie verdrehen die Tatsachen. Diese Geschichtsklitterung werden wir uns nicht gefallen lassen. Sie behaupten, die Wirtschaft habe ihre Versprechen nicht eingelöst. Ich will Ihnen sagen, wer die Versprechen nicht eingelöst hat: diese Bundesregierung und diese Landesregierung. Es hat weder den Aufschwung und die Entlastung gegeben, die versprochen waren, noch hat es die Chance gegeben, neue Arbeitsplätze, geschweige denn neue Ausbildungsplätze, zu schaffen. Der Fehler liegt also eindeutig bei den Regierungen und nicht etwa bei der Wirtschaft.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU - Zuruf der Abgeordneten Renate Gröpel [SPD])

Wir werden nicht Ihre ideologischen Gründe hinnehmen, mit denen Sie die Ausbildungsplatzabgabe fordern. Mit Ausbildungsplatzabgaben, mit Regulierungen, haben Sie noch nicht einen einzigen Ausbildungsplatz geschaffen - ganz im Gegenteil, die Wirtschaft wird sich von der Ausbildung verabschieden.

(Beifall der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Was machen Sie denn eigentlich mit den Gewerkschaften, mit den öffentlichen Arbeitgebern? Sollen sie auch in die Ausbildungsplatzabgabe einzahlen? Und wie planen Sie Ausbildungsplätze im öffentlichen Bereich, wenn Sie das bejahen? Warum haben

(Martin Kayenburg)

Sie nicht längst diese Ausbildungsplätze geschaffen? - Dazu wären Sie doch in der Lage gewesen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Der „Bürokratiemoloch“ wird durch die Abgabe ungeahnt groß werden. Die ersten Schätzungen gehen dahin, dass allein für die Verwaltung 690 Millionen € erforderlich sind. Ich frage mich: Was soll diese zusätzliche Belastung? Das wird dazu führen, dass wir neue Belastungen haben, dass der Faktor Arbeit noch teurer wird und dass die Wirtschaft abwandert und noch weniger Arbeitsplätze vorhanden sein werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das ist das, was Ihre Abgabe bewirken wird.

Und wie wollen Sie eigentlich die Kosten bei denjenigen - Herr Kollege Kubicki hat auf die Lausitz und andere Gebiete hingewiesen - erheben, die überhaupt nicht in der Lage sind auszubilden? Wollen Sie bei denen die Arbeit noch teurer machen? Wollen Sie denen die wirtschaftliche Basis entziehen? Und was machen Sie eigentlich bei denen, für die es gar keine Berufsbilder gibt? Sollen die zwangsweise in irgendeiner Form einen Ausbildungsberuf erfinden, für den sie jemanden ausbilden können?

Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist nach meiner Meinung völlig unausgegoren. Sie haben für Ihren Gruselspielplatz neben Dosenpfand und Ökosteuer ein neues Monster gefunden, das heißt Ausbildungsplatzabgabe.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Ich möchte nicht die Terminologie der IHK Koblenz wählen, die gesagt hat, das sei eine Strafsteuer und eine Kriegserklärung an den Mittelstand, sonst wird der Präsident möglicherweise wieder erklären, dass dieses nicht parlamentskonform sei.

(Zurufe von der CDU)

Aber das, was Sie hier vorschlagen, Herr Kollege Baasch, ist unausgegorener Unfug. So vernichten Sie Ausbildungsplätze, so belasten Sie die Wirtschaft und so machen Sie den Faktor Arbeit teuer. Damit werden Sie in der nächsten Zeit keine zusätzliche Ausbildung erreichen. Sie sind verantwortlich dafür, dass wir vom dualen System wegkommen, dass die Wirtschaft nicht ausbilden wird und dass wir dann eine Verstaatlichung der Ausbildung haben werden.

Und wenn Sie wirklich etwas anderes meinen, dann verhalten Sie sich bei der Abstimmung entsprechend und stimmen dem Kollegen Kubicki und dem Antrag der FDP zu.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Professor Klaus-Dieter Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich bin immer ein Gegner der Ausbildungsplatzabgabe gewesen,

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- fall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

weil auch ich glaube, dass das zu mehr Bürokratie führt und das falsche Signal ist. Vor allen Dingen aber betrifft es nur wenige Arbeitsamtsbezirke in Deutschland tatsächlich. Wenn man sich das genau anschaut, sind das weniger als zwei Hand voll Arbeitsamtsbezirke von über 300 in Deutschland, die das wirklich betrifft. Deshalb halte ich eine deutschlandweite Ausbildungsplatzabgabe für falsch.

Aber ich glaube auch, dass die Diskussion, wie Sie sie führen, zu undifferenziert ist. Wenn hier gesagt wird, die IHK Koblenz spreche von einer Kriegserklärung gegenüber dem Mittelstand, muss ich sagen: Der Mittelstand hat eigentlich am wenigsten zu befürchten, denn er bildet aus, und zwar so viel, dass er das in vielen Betrieben kaum noch verantworten kann. Er macht es wirklich.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn der Mittelstand weiß, wenn er nicht ausbildet, fehlen ihm die Leute. Er kann in wenigen Jahren seine Leistungen mit irgendwelchen Menschen, die nicht wissen, worüber sie reden, nicht mehr erbringen. Er braucht diese Leute, diese jungen Menschen, um die Aufgaben in dem Betrieb erfüllen zu können.

Wer bildet denn nicht aus? - Das sind die Damen und Herren, lieber Herr Wagner, in den großen deutschen Unternehmen, von denen Sie sagen, es sei ihnen nicht mehr möglich, die seit Jahren keine Steuern gezahlt haben, weil diese Bundesregierung ihnen diese Erleichterung - wie ich finde fälschlicherweise - gewährt hat.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die war und ist es allemal möglich auszubilden. Aber was machen die? - Sie holen die im Mittelstand gut ausgebildeten Menschen zu sich und leisten sich den Luxus auf Kosten unserer Gesellschaft und unserer jungen Leute, sich zu verweigern. Und das muss man auch hier im Parlament gemeinsam so darstellen

(Klaus-Dieter Müller)

und sagen: Wir fordern die Industrie in diesem Land auf, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen und sich ihr nicht länger zu entziehen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU: An wen denn? Wen konkret?)

Meine Damen und Herren, auch mit einer Äußerung in dem Sinne, dass man keine Menschen mehr finde, um sie auszubilden, wäre ich ein bisschen vorsichtiger und ein wenig sensibler. Es gibt sicherlich Ausbildungsdefizite aus der Schulausbildung heraus. Das will ich gar nicht bestreiten.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Erhebliche!)

Aber es gibt auch sehr viele äußerst engagierte junge Menschen, die es wirklich nicht verdient haben, dass ein Parlament so pauschal über sie urteilt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie vereinzelt bei CDU und FDP)