Protokoll der Sitzung vom 18.02.2004

Doch wie uns der Bericht verdeutlicht, besteht die genannte Bildungsstättenlandschaft nicht nur aus Einrichtungen, die unter das Förderkonzept Bildungsstätten fallen, das heißt unter das Förderkonzept des Bildungsministeriums, sondern auch aus vielen anderen, also aus Bildungsstätten, die auch in anderen Ressorts angesiedelt sind.

Im Ausschuss wurde unter anderem thematisiert, dass es eine Reihe von Ungleichheiten in der Förderpraxis gibt. Daher findet die Ankündigung des Kollegen Weber, dass die regierungstragenden Fraktionen ein ressortübergreifendes Konzept zur Förderung der Bildungsstätten erarbeiten wollen, unsere Zustimmung. Der vorliegende Antrag greift dieses auch auf. Ich bin erfreut darüber, dass wir in die Ausschussberatungen kommen. Ich denke, man könnte vielleicht noch einige Formulierungen verschärfen.

In diesem Zusammenhang wird es auch darauf ankommen, das Verhältnis von institutioneller Förderung und Projektförderung zu hinterfragen. Für den SSW steht fest, dass die völlige Umstellung auf Projektmittel nicht die Lösung der Probleme oder aller Probleme sein kann. Hier müssen wir aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

(Lars Harms [SSW]: So ist das!)

Zu kurz gekommen ist in den bisherigen Beratungen die inhaltliche Weiterentwicklung der Bildungsstättenlandschaft. Als Beispiele nenne ich das Verhältnis von allgemein bildenden und berufsbildenden Einrichtungen oder die Frage nach der Weiterentwicklung der Familienbildungsstätten.

Als Anregung hierzu möchte ich nochmals diesen berühmten Blick über die Grenze wagen, weil es dort Aktivitäts- beziehungsweise Bürgerhäuser gibt. Dieses Konzept beinhaltet, dass Häuser für Menschen geschaffen werden, die sich kulturell entfalten wollen. Das heißt, man kann dort Kurse anbieten und Arbeitskreise durchführen. Man kann sich dort aber auch einfach aufhalten und mit denjenigen Kaffee trinken, mit denen man etwas diskutieren möchte. Das ist ein sehr guter Ansatz. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Familienbildungsstätten, die vor Ort eine wichtige Rolle spielen, vielleicht in diese Richtung weiterentwickeln würden.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Daher als Schlusssatz: Transparente Förderkonzepte sind wichtig. Sie sind nicht alles. Wir müssen den

Bildungsbegriff immer hinterfragen. Wir müssen ihn modernisieren. Das heißt, dass unsere Aufgabe hier im Parlament darin bestehen muss, dafür zu sorgen, dass die veränderten Bedürfnisse der Menschen in der Strukturierung der Bildungseinrichtungen berücksichtigt werden. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Zu einem Kurzbeitrag gemäß § 56 Absatz 4 der Geschäftsordnung erhält Herr Abgeordneter Nabel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Dr. Klug von der FDP hat heute wiederholt, was er schon einmal in seiner Presseerklärung darzustellen versuchte. Im Ausschuss hat er das ja auch getan.

Es wurden hier Äpfel mit Birnen verglichen. Herr Dr. Klug, Sie meinen, hier Fakten vorzutragen. Dann sollten Sie Seite 21 des Bildungsstättenberichts lesen. Dann müssten Sie Ihre Aussage hier korrigieren.

(Rolf Fischer [SPD]: Sehr gut!)

Der Jugendhof Scheersberg und die Akademie für Natur und Umwelt sind nicht miteinander zu vergleichen. Das eine ist eine Bildungsstätte, die durch das Bildungsministerium unterstützt wird, und das andere ist eine nicht rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts im Zuständigkeitsbereich des Umweltministeriums. Die Akademie nimmt ganz andere Aufgaben als der Jugendhof Scheersberg wahr. Sie hat auch Aufgaben in Service- und Vernetzungsangelegenheiten. Sie ist in diesem Sinne vom Landesrechnungshof geprüft worden und die Wirtschaftlichkeit der Mittel ist nicht nur geprüft, sondern auch attestiert worden.

Insofern sollten Sie genau bedenken, was Sie verglichen haben. Im Internationalen Jugendhof führen große Gruppen mehrtägige Veranstaltungen durch, die sich zumindest teilweise immer wieder wiederholen. In der Akademie für Natur und Umwelt gleicht keine Veranstaltung der anderen, weil sie immer auf die speziellen Probleme derjenigen abhebt, die in die Bildungsarbeit gehen. Das sind Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Von daher wird der Bildungseffekt der Arbeit der Akademie für Natur und Umwelt um ein Vielfaches erhöht. Er potenziert sich durch die

(Konrad Nabel)

Multiplikatorenarbeit geradezu. Auch das haben Sie hier nicht erwähnt.

(Beifall beim SSW)

Ich finde das unfair, zumal sich die Umweltakademie hier nicht persönlich wehren kann. Sie hat es aber in einem Brief an Sie getan, Herr Dr. Klug. Ich habe diesen Brief zur Kenntnis bekommen. Ich finde es schon sehr merkwürdig, dass Sie heute diese Behauptung wiederholt haben, obwohl Sie diesen Brief erhalten haben. Deswegen erfolgte meine Richtigstellung.

(Beifall bei SPD und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Ich lasse zunächst über den Bericht der Landesregierung, Drucksache 15/3002, abstimmen. Der Ausschuss empfiehlt, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.

Dann lasse ich über den Antrag Drucksache 15/3238 abstimmen. Hier ist beantragt worden, diesen Antrag in den Bildungsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses über den europäischen Haftbefehl

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/3189

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der Änderung von Artikel 16 des Grundgesetzes im Jahre 2000 ist es möglich, deutsche Staatsbürger unter anderem auch an EU-Mitgliedstaaten zu überstellen. Damit wurde der bis dahin unverrückbar geltende Grundsatz relativiert, dass kein deutscher Staatsbürger an das Ausland ausgeliefert werden darf.

Die FDP-Fraktion teilt die Auffassung, dass in einem zusammenwachsenden Europa nationale Grenzen auch bei der Strafverfolgung beziehungsweise der Überstellung von Staatsbürgern der EU ihre Bedeu

tung verlieren müssen beziehungsweise keine Rolle mehr spielen dürfen.

(Beifall bei der FDP)

Je mehr und je enger wir zusammenwachsen, desto weniger sinnvoll ist es, strafprozessuale Grenzen einzurichten.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Was jedoch der Europäische Rat in seinem Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten vom 13. Juni 2002 niedergelegt hat, kann jedenfalls gegenwärtig von einer Rechtsstaatspartei nicht befürwortet werden.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Zurzeit befindet sich der EU-Haftbefehl in Umsetzung in nationales Recht, in das so genannte Europäische Haftbefehlsgesetz, welches eine Änderung des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen zum Ziel hat.

Nach Auffassung meiner Fraktion darf der Rahmenbeschluss nicht in nationales Recht umgesetzt werden. Er ist rechtlich in höchstem Maße problematisch. Ich bin gespannt, wer uns dazu zwingen will, unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze etwas, was auf europäischer Ebene beschlossen worden ist, in nationales Recht zu transformieren. Ich würde mich in dieser Frage gern auf ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof einlassen. Denn dieses Urteil würde klären, ob diese Grundsätze nationales Recht, das bei uns gewachsen ist, zur Rechtskultur gehört und Verfassungsbestand hat, konterkarieren.

So kann nach Artikel 2 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses ein europäischer Haftbefehl bereits bei Handlungen erlassen werden, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsstaates mit einer Freiheitsstrafe von nur bis zu zwölf Monaten bedroht sind. Grundsätzlich findet dann eine Überprüfung statt, ob die im Ausstellungsstaat begangene Tat auch im Auslieferungsstaat strafbar ist. Ist dies nicht der Fall, dann wird nicht ausgeliefert. So lautet der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, der für Rechtshilfeabkommen mit anderen Staaten in gleicher Weise gilt.

Allerdings benennt Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses im Rahmen eines Positivkataloges insgesamt 32 Straftaten, bei denen Staatsbürger nach Vorlage eines europäischen Haftbefehls ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit

(Wolfgang Kubicki)

überstellt, das heißt ausgeliefert werden müssen. In diesem Katalog sind Straftaten aufgeführt, die - wie zum Beispiel die Umweltkriminalität - völlig unscharf bezeichnet sind oder die es - wie zum Beispiel die Cyber-Kriminalität - im deutschen Recht gar nicht gibt.

Für uns ist es kaum vorstellbar, dass ein deutscher Staatsbürger aufgrund eines Haftbefehls wegen einer in der Bundesrepublik Deutschland nicht strafbaren Handlung in ein EU-Land ausgeliefert werden kann oder muss, um sich dann einer Untersuchungshaftsituation zu stellen, die den hiesigen Maßstäben nicht entspricht.

Über die Jahrhunderte haben sich in Europa unterschiedliche Rechtskulturen entwickelt. Es bedarf daher zunächst gleicher Maßstäbe, bevor eine Überstellung deutscher Staatsbürger auch an das EUAusland erfolgen darf. Vor diesem Hintergrund müssen wir bedenken, dass es ab Juni 2004 zehn weitere Beitrittsländer gibt, die eine Rechtskultur haben, die mit unserer auch nicht ansatzweise vergleichbar ist.

Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel: Dem Deutschen Christian G. wurde vorgeworfen, an den Anschlägen auf der Ferieninsel Djerba beteiligt gewesen zu sein. Die französische Justiz erließ Haftbefehl, weil er nicht plausibel erklären konnte, warum der Djerba-Attentäter ihn angerufen hatte. In Deutschland hingegen wurde nicht nur aufgrund der Unschuldsvermutung, sondern auch aufgrund des Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts kein Haftbefehl erlassen.

Legte man nun den EU-Haftbefehl zugrunde, der jetzt umgesetzt werden soll, hätte in diesem Fall der Verdächtige ohne eine weitere Rechtsprüfung an Frankreich ausgeliefert werden müssen. Dies wäre unter der Maßgabe erfolgt, dass er in den ersten sechs Tagen nicht einmal seinen Verteidiger hätte sehen dürfen. Ein deutsches Gericht hätte keinen Haftbefehl erlassen dürfen.

Was also auf den ersten Blick als Fortschritt im Kampf gegen Kriminalität erscheint, kann sich sehr schnell als eine massive Verletzung der Bürgerrechte entpuppen.

(Beifall beim SSW)

Auch mit einer in der Form des Wahlrechts für den Betroffenen gewährleisteten Strafvollstreckung im Heimatland ist nichts gewonnen, da sowohl die Untersuchungs- als auch die Strafhaft unterschiedlich geregelt sind. Angesichts erheblicher Unterschiede des Strafprozesses in den Mitgliedsländern, aber auch der partiell unvergleichbaren Strafzumessung mit unterschiedlichsten Konsequenzen im Bereich der

Strafvollstreckung und des Strafvollzuges einschließlich der Möglichkeiten der Amnestie muss erst ein einheitlicher Rechtsraum zumindest im strafprozessualen Rahmen geschaffen werden.

(Beifall bei der FDP)