Protokoll der Sitzung vom 28.04.2004

Die kommunale Seite mit dem so genannten Deutschen Verein, aber auch die Bundesagentur haben jetzt konkrete Vorstellungen vorgelegt, wie die Kooperationsvereinbarung vor Ort entstehen kann. Dies setzt eine demokratische Kontrolle vor Ort voraus. Denn genau dies ist ja das Essential. Die Bundesagentur für Arbeit hat bisher dieses Element nicht. Bundesagentur und Kommunen müssen auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten. Beide müssen dabei über ihren Schatten springen, anstatt wie die Opposition nur schattenzuboxen.

(Widerspruch des Abgeordneten Werner Ka- linka [CDU])

Denn das, was sich in den letzten Tagen in der öffentlichen Bundes- und Landesdebatte abspielt, erinnert fatal an das Verhalten der Konservativen und Liberalen bei der Gesundheitsreform: Erst chaotisieren Sie, und dann schieben Sie das Chaos der Regierung in die Schuhe. Das werden wir uns nicht bieten lassen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Jetzt geht es darum, den Kommunen konkret zur Seite zu stehen, damit die Vereinbarung abgeschlossen werden kann. Ich bin mir sicher: Wenn auf Bundesebene die Details ausgearbeitet sind - Sie nannten das Datum, Herr Kalinka: bis Mai -, dann wird man, wenn man sich dieses Tableau ansieht, überlegen: Wie viel Zeit brauchen die Verwaltungen, um das umzusetzen? Wenn man dann feststellt, dass die Computerschulungen und dergleichen nicht so schnell vorangehen, wird der Termin des In-Kraft-Tretens des Gesetzes unter Umständen sinnvollerweise verschoben werden. Aber jetzt eine Verschiebedebatte zu führen, ohne den Knoten wirklich durchzuschlagen, bedeutet, sich wegzuducken, und dabei machen wir nicht mit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der angepeilten Umsetzung von Hartz IV, nämlich der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zum 1. Januar 2005, stehen die Bundesregierung und die Bundesagentur für Arbeit vor einem Scher

benhaufen, der sich, wenn nicht noch gegengesteuert wird, zu einem Desaster gleichen Ranges wie Toll Collect entwickeln kann. Dabei ist es schon bemerkenswert, dass der neue Chef der Bundesagentur, Frank Weise, in einem Interview ganz unbekümmert erklärt hat, er würde die Finger von der Zusammenlegung lassen, wenn er in einem privaten Unternehmen wäre.

Da nützt es auch nichts, wenn Bundeswirtschaftsminister Clement am Tag darauf klarstellt, dass der Termin der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe weiterhin feststehe. Angesichts der enormen technischen Probleme allein bei der neuen Software, die für die Auszahlung des neuen Arbeitsgeldes II sorgen soll, ist das eine sehr mutige Aussage.

Ich möchte für den SSW klar und deutlich machen: So geht es nicht. Die Bundesagentur und die Bundesregierung müssen wissen, dass es sich hier um Millionen von Menschen aus Fleisch und Blut handelt,

(Beifall des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Menschen, die auf diese Gelder angewiesen sind und die damit ihr Essen und ihre Haushaltskosten bezahlen sollen. Diese Menschen haben ein Anrecht darauf, das Arbeitslosengeld II rechtzeitig zu bekommen. Das heißt, es muss spätestens am 2. Januar ausgezahlt werden, damit sie sich auch etwas zu essen kaufen können.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Sollte sich herausstellen, dass die von der Telekom entwickelte Software diese enorme Datenmenge nicht liefern kann, muss die geplante Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe erst einmal verschoben werden.

Neben den technischen Problemen stehen wir leider auch vor einer ganzen Reihe von anderen Herausforderungen in diesem Prozess, die es ebenfalls zurzeit sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass Hartz IV rechtzeitig in Kraft treten kann.

Bereits mit der Diskussion um das Optionsmodell wird wertvolle Zeit verloren. Denn dieses ist tot. Ich glaube, wir sollten diesem von Ministerpräsident Koch vorgeschlagenen Modell auch keine Träne nachweinen. Die praktische Umsetzung war in den meisten Kommunen nicht möglich. Deshalb verstehe ich auch nicht die Nummern 1 und 2 des FDPAntrags, denn es wird ja nach den bisherigen Angaben kein Optionsmodell mehr geben.

(Silke Hinrichsen)

Auch der CDU-Antrag, der die Aufteilung der Bundesagentur nach den Kreisgrenzen in SchleswigHolstein fordert, macht durch das Ende des Optionsmodells keinen Sinn mehr.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wo wollen Sie es denn haben?)

- Bei der Arbeitsgemeinschaft sieht es so aus, dass sich die Bundesagentur mit den involvierten Kreisen und kreisfreien Städten hinsichtlich der Einrichtung der Job-Center einigen muss, die natürlich vor Ort vorhanden sein müssen.

Aus Sicht des SSW müssen jetzt die Bundesagentur und die Kommunen die Zeit nutzen, um alles zu tun, damit die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wie geplant am 1. Januar 2005 in Kraft treten kann, und zwar so, dass diejenigen, die davon betroffen sind, auch Geld bekommen.

Es geht immerhin um mindestens 3 Millionen Menschen, die ab diesem Datum das Arbeitslosengeld II bekommen und aus einer Hand vermittelt werden sollen. Die zukünftige Vermittlung der Langzeitarbeitslosen aber ist ein weiterer Kritikpunkt im ganzen Desaster. Die Bundesagentur sollte im Zuge der Zusammenlegung durch Strukturänderungen sicherstellen, dass in Zukunft auf einen Vermittler nur noch 75 und nicht wie bisher 200 Arbeitssuchende kommen. Wenn Herr Weise jetzt öffentlich erklärt, dass dieses Ziel in absehbarer Zeit überhaupt nicht erreichbar sei, so ist das eine weitere Bankrotterklärung der Bundesagentur. Denn es war ja gerade das Ziel der HartzReformen, dass sich die Bundesagentur mehr auf die Vermittlung der Arbeitssuchenden und nicht so sehr auf Verwaltung der Arbeitslosen konzentrieren sollte.

Auch für die Kreise wird die Zeit knapp. Denn nach dem Aus des Optionsmodells ist jetzt vorgesehen, dass die Arbeitsämter vor Ort zusammen mit den Kreisen und kreisfreien Städten Kooperationsmodelle entwickeln.

Die Kommunen verfügen naturgemäß über wertvolle Erfahrungen in der Arbeit mit Langzeitarbeitslosen, die auch von der Bundesagentur genutzt werden müssten. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die pragmatische Haltung der Städte und kreisfreien Städte hier in Schleswig-Holstein hinweisen, die zwar nicht begeistert sind von Hartz IV, die aber im Interesse der Betroffenen versuchen, mit den Vorgaben der Bundesregierung zurechtzukommen.

Nummer 3 des FDP-Antrages können wir unterstützen, wobei wir aber davon ausgehen, dass uns die Landesregierung Ende August über den aktuellen Stand der Umsetzung von Hartz IV, insbesondere

hinsichtlich der Maßnahmen bei der Bundesagentur, berichten wird. Wenn es Ende August keine wesentlichen Fortschritte bei der Umsetzung gegeben hat, wird der SSW im Interesse der Betroffenen eine Verschiebung der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe einfordern.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Sehr gut!)

Folgendes möchte ich noch deutlich machen: Wenn die Anträge an einen Ausschuss überwiesen werden, sollten sie in den nach der Geschäftsordnung dieses Landtages vorgesehenen Ausschuss, also an den Sozialausschuss, überwiesen werden.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Mir liegen noch einige Wortmeldungen zu Kurzbeiträgen vor. Zunächst erteile ich aber dem Herrn Minister Professor Dr. Rohwer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich klarstellen: Die vierte Stufe der Hartz-Reform, insbesondere die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, ist eine sinnvolle und notwendige Reform.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie soll nicht nur Doppelstrukturen und Verschiebebahnhöfe vermeiden, sondern Sie soll vor allem zu einer intensiveren Betreuung und Vermittlung der Hilfeempfänger führen. Fast alle haben diese Reform seinerzeit - jedenfalls im Grundsatz - unterstützt.

Klar ist aber auch: Diese Reform ist zu wichtig, als dass wir uns handwerkliche Risiken leisten könnten. Es geht um mehr als Handwerk. Die Betroffenen - das sind in Schleswig-Holstein immerhin etwa 100.000 Hilfeempfänger und ihre Familien - haben Anspruch darauf, auch nach dem 1. Januar des folgenden Jahres mindestens so gut wie bisher betreut zu werden. Ich halte das Thema für so wichtig, dass wir die Debatte hierüber ernsthaft führen sollten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Hilfeempfänger haben Anspruch darauf, dass es keine Auszahlungspannen gibt. Nicht 100-prozentig, sondern 200-prozentig muss das System gesichert werden.

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

Verantwortlich - das muss ich an dieser Stelle aber auch eindeutig sagen; denn hier wird immer schon ein bisschen Wahlkampf betrieben - für die Umsetzung sind zunächst einmal ganz klar Bund und Bundesagentur für Arbeit. Sie müssen sicherstellen, dass alle Voraussetzungen für den Start zuvor verlässlich gesichert sind: Erstens. Die Neuorganisation muss geklärt und eingeübt sein. Zweitens. Die technischen Systeme müssen erprobt sein und funktionieren.

(Beifall des Abgeordneten Uwe Eichelberg [CDU])

Drittens. Die finanziellen Voraussetzungen müssen eindeutig geklärt sein.

(Unruhe)

Ich bitte um etwas mehr Ruhe. Der Geräuschpegel ist sehr hoch.

Leider ist die Umsetzung durch den Vermittlungsausschuss nicht einfacher geworden. Das Funktionsmodell ist mit ziemlich heißer Nadel genäht worden und weist auch verfassungsrechtliche Probleme auf. Wir werden sehen, ob sie noch zu lösen sind.

Die Warnungen des Vorstands der Bundesagentur, Weise, sind natürlich ernst zu nehmen. Das ist keine Frage; sie sind ernst zu nehmen. Wenn die oben genannten Voraussetzungen bis zum Sommer nicht zuverlässig geklärt sind, dann muss eine Verschiebung in Betracht gezogen werden. Qualität geht vor Geschwindigkeit.

(Beifall bei SPD und SSW)

Einer Aufforderung an die Landesregierung, Herr Kalinka, den Umsetzungsprozess aktiv zu unterstützen, bedarf es nicht. Sie hätten sich vielleicht ein bisschen ausführlicher als durch diese eine Kleine Anfrage informieren lassen können. Es ist Unsinn, dass die Landesregierung für Computerprogramme zuständig ist; das wissen Sie ganz genau. Sie behaupten offensichtlich etwas anderes. Die Computerprogrammierung wird zurzeit auf Bundesebene bei der Bundesagentur vorbereitet. Das wird dort getestet und muss anschließend umgesetzt werden. Wir wären verrückt, wenn wir noch eigene Landesprogramme dafür programmieren würden.

Ich sage Ihnen ganz klar, was wir tun: Erstens. In einer Arbeitsgruppe mit den kommunalen Landesverbänden und der Regionaldirektion Nord klären

wir bereits seit geraumer Zeit die offenen Punkte. Wir sprechen mit allen Kreisen und kreisfreien Städten. Zweitens. Der Finanzminister klärt federführend alle finanziellen Aspekte. Es bleibt dabei - das wissen Sie auch; das hätten Sie heute auch sagen können; das haben wir öffentlich zugesagt und dabei bleibt es -, dass das Land seine Einsparungen im Wohngeldbereich vollständig an die Kommunen weitergeben wird.

An dieser Stelle - wir können es auch noch im Ausschuss besprechen -, Herr Garg, möchte ich Folgendes sagen: Die Änderung des Grundgesetzes, die dazu führen soll, dass die Finanzmittel direkt vom Bund an die Kommunen weitergegeben werden, bedeutete einen Systemwechsel im gesamten deutschen Finanzsystem. Das kann man nicht einmal so mit links anhand eines Beispiels machen. Wenn, dann sollten wir das gründlich diskutieren.

Drittens. Wir werden die Bundesregierung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, den Kommunen tatsächlich die zugesagte Entlastung von 2,5 Milliarden € zu gewähren. Wir werden auch darauf drängen, dass die Bundesregierung schnell endgültige Klarheit hinsichtlich des Optionsrechts schafft.