Protokoll der Sitzung vom 16.06.2004

Ich erteile der Frau Abgeordneten Franzen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mir unabhängig von diesem Skandal, der Flensburg erreicht hat, vorgenommen, im letzten Dreivierteljahr alle Einrichtungen, in denen Hilfe für alte Menschen gewährt wird, zu besuchen. Ich habe auch im DRK ein Heim besucht, den Valentinerhof, mit gutem Ergebnis - wobei es nicht Pflicht und auch nicht Können und auch nicht Wollen einer Abgeordneten ist, Mängel festzustellen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Daraus resultierend ist mir eines sehr wichtig, und zwar gerade an dieser Stelle: Der Dank an alle in der Pflege tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auch durch diese Diskussion unter die Räder gekommen sind.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich will noch einmal ein Schlaglicht auf das werfen, was inzwischen publiziert worden ist. Im Grunde genommen ist es doch so, dass dort Personal zusätzlich weggenommen worden ist, bis zu acht Kräfte in diesem einzigen Heim, dass dort nachts nur noch eine Fachkraft für 100 Personen zuständig war - wie will man das verantworten? -, dass Pflegerinnen und Pfleger weinend nach Hause gegangen sind, weil sie wussten, dass sie ihre Pflicht nicht getan haben. Das dürfen wir nicht zulassen, das darf niemand zulassen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Pflege ist keine Fließbandarbeit, Pflege passiert mit und an jedem einzelnen Menschen, braucht eine gedeihliche, eine menschenwürdige Atmosphäre auf beiden Seiten; sonst klappt das nicht. Liebe Frau Kleiner, das ist in aller erster Linie Pflicht des Trägers,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

sowohl des privaten wie auch des freigemeinnützigen. Wo leben wir denn, wollen wir das wirklich alles verstaatlichen und kontrollieren?

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Es braucht wechselseitiges Vertrauen, es braucht Transparenz, es braucht selbstverständlich auch Controling. Das alles war am Friesischen Berg nicht gegeben. Ich habe neben einer Mitarbeiterin gesessen, im Friesischen Berg tätig, ungekündigt, im Moment nichts tuend - eine schlimme Situation -, die mir gesagt hat: Wir haben oft genug moniert, aber nach außen Kritik geben hieße, sich gleichzeitig beim Arbeitsamt melden. - Meine Damen und Herren, wenn wir solche Atmosphären in einem Heim gehabt haben, konnte das nicht gut gehen und es ist auch nicht gut gegangen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will mich sehr dafür einsetzen, dass wir eine Differenzierung vornehmen. Das haben auch viele hier schon gesagt. Ich will das noch einmal machen, weil es einen Leserbrief von der DRK-Jugend in der „Landeszeitung“ gab. Man spricht hier vom „DRK“. Wir müssen den DRK-Landesverband ansprechen, das ist richtig. Wir haben Ehrenamtler zu schützen, wir haben Spender zu schützen und wir haben die Kreisverbände zu schützen, die stark sind, die eigene Heime haben und die in Ordnung sind. Das müssen wir hier sehr deutlich machen und das ist mir wichtig.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

(Ingrid Franzen)

Allerdings - auch das ist gesagt worden - muss das DRK schonungslos aufklären. Das wird passieren. Herr Fiedler hat das heute Morgen persönlich bestätigt. Wenn jetzt eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft eingeschaltet werden soll, frage ich, ob das wirklich das Problem des DRK gewesen ist, dass es nicht wirtschaftlich genug war, oder ob es nicht vielmehr umgekehrt war, dass es zu wirtschaftlich ist? Muss hier nicht eine Qualitätsgesellschaft eingeschaltet werden?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist eine Frech- heit, was Sie da loslassen! - Weitere Zurufe von der FDP)

Die Öffentlichkeit ist hergestellt und damit wird es sich zum Guten wenden können.

Lassen Sie mich abschließend sagen, dass ich der Meinung bin, dass der MDK funktioniert hat. Wir haben den Leiter der Pflegeabteilung, Herrn Hoffmann, bei uns in der öffentlichen Diskussion gehabt. Ich denke, es ist in Ordnung.

Die Abwicklung an sich ist ein Skandal im Skandal gewesen. Es musste nicht innerhalb von 14 Tagen passieren, sondern es ist so gemacht worden. Verlangt hat das niemand, wirklich niemand. Das ist die Verantwortung des DRK gewesen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Diese Wahrheit muss auf den Tisch, sie ist auch öffentlich geäußert worden. Deshalb bin ich auch nicht der Meinung, dass wir für diesen Fall Notfallpläne brauchen, sondern ich bin der Meinung, dass wir diesen Fall verhindern müssen. Er darf nicht wieder vorkommen.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] - Zurufe von CDU und FDP)

Pflege ist ein gesellschaftliches Thema. Wir sind alle daran beteiligt, wir sind auch in einem Alter, in den wir sehr motiviert sind, uns daran zu beteiligen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Kalinka das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie es um eine Gesellschaft wirtschaftlich und moralisch bestellt ist, erkennt man daran, wie sie mit ihren Alten und Abhängigen umgeht. - Das hat ein kluger Amerikaner

namens Stevens schon vor 100 Jahren gesagt und das zeigt sich in bedrückender Form in dieser Aktualität.

Die Situation in mehreren vom Landesverband des DRK betriebenen Pflegeheimen ist nicht nur nicht akzeptabel, sie macht betroffen. Die dafür Verantwortlichen haben den zu pflegenden Personen wie auch dem DRK Schaden zugefügt. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen, um die Position hier ganz unmissverständlich zu formulieren. Aber wir sollten es nicht dabei belassen, die Situation zu beklagen, sondern wir sollten fragen, was geschehen muss. Da ist das Thema der Pflegequalität in Schleswig-Holstein, das ja auch Ihr Antrag beinhaltet.

Erstens. Wir brauchen ein wirksames Frühwarn- und Alarmierungssystem. Es ist unvertretbar, dass 12 Monate lang Missstände bekannt sind, aber nichts Effektives passiert. Das können wir nicht hinnehmen, und das ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie, Frau Ministerin, gesagt haben, es habe 30 Kontakte in der Zeit gegeben: Wenn bei 30 Kontakten nicht ein Kontakt zur Leitungsebene erfolgt nach dem Motto: „Ihr müsst uns jetzt helfen und greifen“, was muss denn dann in einem Land wie Schleswig-Holstein erst geschehen? Dies ist das beste Argument dafür, dass hier etwas geschehen muss.

Ihre Kollegin Frau Franzen hat ein Stück weit korrigiert. Frau Franzen, wir brauchen keine Notfallpläne, sondern wir brauchen eine Prävention, dass so etwas nicht stattfindet. Das ist der entscheidende Punkt, über den wir uns Gedanken machen müssen. Dass wir möglicherweise ein strukturelles Problem haben, ergibt sich daraus, dass in 140 von 570 Pflegeeinrichtungen in zwei Jahren in Schleswig-Holstein gravierende Mängel festgestellt worden sein sollen. Dies ist in der Tat eine bedrückende Zahl, die zeigt, dass wir es offensichtlich mit strukturellen Problemen zu tun haben.

Zweitens. Wir brauchen ein beim Sozialministerium angesiedelte Pflegecontrolling, an das sich jeder wenden kann, der einen Verdacht, der eine Besorgnis hat, Angehörige, Personal, Ärzte, alle. Wir müssen als Basis eine Berichtspflicht haben, auf der dann analysiert und gehandelt werden kann. Dieses Pflegecontrolling haben wir bisher nicht. Wenn die Ministerin diesen Weg mit uns gehen will, hat sie uns auf ihrer Seite. Dann gehen wir diesen Weg gemeinsam.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen ein sofortiges Handeln, um bei Verdacht konkreten Hinweisen nachgehen zu können.

(Werner Kalinka)

Drittens. Wir brauchen mehr qualifiziertes Personal. Sie haben über Jahre die CDU- und FDP-Anträge für mehr Ausbildungsplätze in diesem Haus nicht unterstützt.

(Zuruf von der SPD: Jetzt seien Sie aber still!)

- Sie waren es!

Die PLAISIR-Umsetzung stockt in SchleswigHolstein, sie findet überhaupt nicht statt. Ohne diese Dinge kommen wir nicht weiter. Die Förderung der Alten- und Krankenpflegeschulen in SchleswigHolstein muss verstärkt werden. Sie muss verstärkt werden, meine Damen und Herren, sie darf nicht reduziert werden! Die Landesregierung hat in diesem Bereich den Ernst der Lage viel zu spät erkannt.

Viertens. Die Pflege muss den Menschen zugute kommen, nicht den Dokumentationsblättern. Ich zitiere, was nach einer Veranstaltung im Pressedienst der Landesregierung zu lesen war: „Der Zeitaufwand für die Dokumentation kann um die Hälfte gesenkt werden.“ Das ist ein Zitat der Sozialministerin. Ich kann Ihnen nur sagen: Handeln Sie, damit die Pflege wirklich den zu pflegenden Menschen stärker zugute kommt, aber nicht Dingen, die in dieser Form nicht notwendig sind.

Fünftens. Wir regen eine Zertifizierung an. Was wird in welchem Heim für welchen Preis - ich sage es einmal so - geboten. Wie ist der Standard? Wie wird das kontrolliert? Wie ist die Visitenkarte dieses Hauses? Ich kenne aus einer Reihe von Gesprächen Heimleiter, die sagen: „Wir möchten seit Jahren kontrolliert werden und zertifiziert werden, damit man weiß, bei uns ist alles in Ordnung.“ Ich denke, wir sollten diesem Gedanken ernsthaft Nahe treten.

Sechstens. Wir brauchen eine intensive gesundheitspolitische und seniorenpolitische Initiative in Schleswig-Holstein. Ich nenne Beispiele: Einrichtung eines Lehrstuhls für Altersheilkunde an der ChristianAlbrechts-Universität, mehr geriatrische Betten in den Kliniken, intensive Möglichkeiten in der Demenzforschung - das ist ein wichtiger Punkt für dieses Thema -, die Unterstützung der Hospizbewegung und auch - ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, Frau Birk - Mehr-Generationen-Häuser. Das ist notwendig, denn das Pflegeheim kann nicht die einzige Alternative am Lebensabend sein.

Meine Damen und Herren, weder Ministerin noch Staatssekretär waren am letzten Donnerstag in der Lage zu sagen, was sie vom MDK in den letzten 12 Monaten erfahren haben. Welche Lehren sind aus dem Jahr 2001 gezogen worden, worüber wir disku

tiert haben? Die Pflegesituation sei dringend verbesserungsbedürftig, wurde damals geschrieben. Das ist auch heute noch die Situation. Wir brauchen auch heute keinen öffentlichen Aktionismus, wir brauchen ein konzeptionelles und konkretes Handeln. Wenn Sie, Frau Ministerin Trauernicht-Jordan, den Weg in unserem Sinne gehen wollen, wo es ja eigentlich um gemeinsame Gedanken geht, wenn Sie also diesen Weg auch von der Landesregierungsebene aus beschreiten wollen, haben Sie uns an Ihrer Seite. Wenn Sie aber mehr in Pressemitteilungen machen wollen, dann werden wir uns inhaltlich kontrovers auseinander setzen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Schümann, weil Sie sich vorhin gerade so geärgert haben über die Passage im Beitrag des Kollegen Kalinka, als er Ihnen vorwarf, Sie hätten Haushaltsanträge der Opposition abgelehnt: Ich habe das gestern noch einmal nachgeschaut. Die FDPFraktion hat zum Haushalt 2001 mehr Ausbildungsplätze im Pflegebereich gefordert. Das haben Sie mit rot-grüner Mehrheit abgelehnt. Die FDP-Fraktion hat zum Haushalt 2002 mehr Ausbildungsplätze im Pflegebereich beantragt. Das haben Sie mit rot-grüner Mehrheit abgelehnt. Dasselbe haben Sie gemacht zum Haushalt 2003 und zum Doppelhaushalt 2004/2005. Ihre Empörung an dieser Stelle kann ich, offen gestanden, nicht ganz nachvollziehen.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrte Frau Sozialministerin, ich fand Ihre Ausführungen beeindruckend, insbesondere den Appell, Gemeinsamkeiten stärker hervorzuheben und stärker an Gemeinsamkeiten zu arbeiten. Wir stehen vor einem ungeheuren demographischen Problem, wie wir mit älteren und pflegebedürftigen Menschen umgehen.

Den von Ihnen zitierten Willen zur Aufklärung nehme ich Ihnen ab. Das Sie nichts tabuisieren wollen, nehme ich Ihnen auch ab. Dass Sie eine klare Analyse fordern, nehme ich Ihnen auch ab. Nur, Frau Ministerin, dann gehört zu dieser klaren Analyse die Frage: Wie hat sich die zuständige Dienst- beziehungsweise Rechtsaufsicht in den letzten 12 Monaten verhalten? Genau an dieser Stelle sage ich Ihnen ganz deutlich, die Dienstaufsicht - nicht Sie, weil Sie erst seit einem