Protokoll der Sitzung vom 16.06.2004

Den von Ihnen zitierten Willen zur Aufklärung nehme ich Ihnen ab. Das Sie nichts tabuisieren wollen, nehme ich Ihnen auch ab. Dass Sie eine klare Analyse fordern, nehme ich Ihnen auch ab. Nur, Frau Ministerin, dann gehört zu dieser klaren Analyse die Frage: Wie hat sich die zuständige Dienst- beziehungsweise Rechtsaufsicht in den letzten 12 Monaten verhalten? Genau an dieser Stelle sage ich Ihnen ganz deutlich, die Dienstaufsicht - nicht Sie, weil Sie erst seit einem

(Dr. Heiner Garg)

Monat dafür verantwortlich sind - Ihres Hauses, die Rechtsaufsicht hat eklatant versagt.

(Beifall bei der FDP)

Das gehört auch dazu, wenn man eine schonungslose Analyse auf den Tisch legen will. Die Kollegin Hinrichsen hat sehr eindrucksvoll die Historie der Pflegeskandale seit 2000 skizziert. Wir standen immer wieder relativ einig an dieser Stelle und haben uns mit den Pflegeskandalen auseinander gesetzt. Ich kann mich sehr wohl erinnern, wie insbesondere der Kollegin Kleinert immer wieder vorgeworfen wurde, sie verwechsele Dienst- mit Fachaufsicht. Auch wir beide haben uns da immer wieder beinahe in der Wolle gehabt. An dieser Stelle, wenn MDK und Fachaufsicht gravierende Mängel feststellen, und zwar vor 12 Monaten, und die nicht behoben werden, dann frage ich Sie, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen: Wann, wenn nicht dann, soll eigentlich die Dienstaufsicht einschreiten? Sie hätte einschreiten müssen, hätte viel früher einschreiten müssen.

Aus diesem Grund gehört bei aller Gemeinsamkeit dann auch dazu, dass man sich überlegt, wie die Dienstaufsicht in Ihrem Hause organisiert ist und ob es möglicherweise Ansatzpunkte gibt, diese Dienstaufsicht in Ihrem Hause zu verbessern und zu optimieren, damit in der Tat das, was Frau Franzen so energisch, wenig Gemeinsamkeiten betonend, hier vorgetragen hat, nicht passiert, dass wir nämlich nicht erst darüber reden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sondern dass in Zukunft so etwas möglichst vermieden wird.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Ich möchte für den SSW noch einmal Folgendes klarstellen. Wir wollen gute Pflegequalität, wir wollen auch, dass es eine Prävention gegen solche Vorfälle, wie sie hier geschehen sind, gibt. Das ist ganz klar. Es gibt ein Controlling. Hier ist aber Folgendes geschehen. Bei den früheren Skandalen ist schon der MDK-Bericht jedenfalls zu Teilen in die Öffentlichkeit gekommen. Der öffentliche Druck auf die Träger war dann so groß, dass auch mit Hilfe dieses Drucks die Verbesserungen vorgenommen wurden. Hier ist aber Folgendes geschehen, und davon wäre ich auch ausgegangen, wie ich zugeben muss, dass der Landesverband des DRK die Prüfberichte selbstverständlich genau liest und sofort ent

sprechende Qualitätsverbesserungen vornimmt. Dieses ist begleitet worden. Wir haben auf der Veranstaltung der Kollegin Franzen in Flensburg gehört, dass sogar Herr Horstmann vom MDK sogar die Ärzte gelobt hat, die sich bei ihm über die Pflegemängel beschwert haben, und dass es eben ständige Überprüfungen gegeben hat. Es ist nichts passiert. Mein Problem liegt jetzt darin: Genau so etwas darf nicht wieder geschehen.

Hinsichtlich der Kritik, die Sie an meinen Notfallplan geäußert haben, möchte ich klarstellen: Für die Menschen auf dem Friesischen Berg ist Folgendes geschehen. Sie haben schon eine Katastrophe erlebt, indem innerhalb eines Jahres die Pflege immer schlechter geworden ist. Dann ist ihnen noch innerhalb von 14 Tagen nach Presseveröffentlichungen ein Umzug zugemutet worden, über den sie wiederum auch nur aus der Zeitung erfahren haben. Für diesen allerschlimmsten Fall hätte ich gerne einen „Katastrophenplan“, dass so etwas nie wieder passiert, dass Menschen, die alt sind, die schon sehr lange in einem Heim leben, zunächst vor Ort geholfen wird und erst dann überlegt wird, ob ein Umzug notwendig ist, und wenn ja, dann bitte schön unter geordneten Bedingungen und nicht, weil ein Verband einen Versorgungsvertrag zurückgegeben hat und sich damit überhaupt nicht mehr für diese Situation verantwortlich fühlt. Ich finde, den Menschen muss dann direkt geholfen werden.

Deshalb auch meine Bitte, für diesen Fall wirklich einen Plan in der Schublade zu haben, dass so etwas nicht wieder passiert. Ich finde es ganz, ganz schrecklich, was dort im Heim Friesischer Berg jedem Einzelnen geschehen ist.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich erteile Frau Ministerin Dr. Trauernicht-Jordan das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den vielen Beiträgen versuchen wir zurzeit eines, wir versuchen festzustellen, wie das System zur Sicherung der Qualität in der Pflege eigentlich ist, wo wir damit eigentlich stehen. Ich versuche einmal, das ein bisschen zu sortieren und dann auch auf die einzelnen Beiträge einzugehen.

(Ministerin Dr. Brigitte Trauernicht-Jordan)

Zunächst einmal: Ich persönlich finde, dass es ein großer politischer Erfolg war, die Pflegeversicherung zu beschließen,

(Beifall des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

denn mit dieser Pflegeversicherung wurde festgestellt, dass die unmittelbare Verantwortung für die Sicherstellung einer angemessenen Qualität der pflegerischen Versorgung in den Heimen liegt. Ich sage einmal: Sie haben sich bei der Zulassung als Pflegeeinrichtung vertraglich gegenüber den Pflegekassen verpflichtet, pflegefachlich anerkannte Standards zu erfüllen. Die Pflegekassen und der Medizinische Dienst der Kassen sind berechtigt und verpflichtet, die Einhaltung von Leistungen und Qualitätsanforderungen in den Pflegeeinrichtungen zu prüfen.

Ich halte also fest: Mit diesem Bundesgesetz ist festgestellt worden, dass ein Träger, der ein Angebot im Bereich der Altenpflege unterbreitet, einen Vertrag eingeht. Ich gehe davon aus, dass wir alle der Ansicht sind: Verträge müssen eingehalten werden. Das als erstes.

Das reicht aber nicht. Deshalb gibt es vielfältige andere Maßnahmen. Zunächst einmal: Was hat der Träger zu tun, um diesen Vertrag einhalten zu können? Er muss ein Konzept vorlegen, möglicherweise - das finde ich auch wünschenswert - Qualitätsentwicklungsprozesse einschließlich Zertifizierung ermöglichen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit.

Er muss sein Personal durch Fort- und Weiterbildung qualifizieren. Er muss ein Klima schaffen, in dem die Stärken der Bewohnerinnen und Bewohner für die Gesamtheit der Einrichtung zum Tragen kommen können, ebenso wie die der Angehörigen, die gern für ihre Verwandten noch etwas tun wollen und er muss Ehrenamtliche mit einbeziehen. Er muss ein offenes Klima schaffen, da gebe ich Frau Kleiner ausgesprochen Recht.

Die Aufgabe, die zentralhistorische Aufgabe ist die, den Anstaltscharakter von Heimen zu überwinden - den Anstaltscharakter, der mit den Mechanismen totaler Institution verbunden werden muss, Entpersönlichung, Entindividualisierung, man wird versorgt, es ist letztlich nur eine Wartestation vor dem Tod. So

haben wir viele Anstalten erlebt. Und jetzt haben wir die Situation, dass sich die knapp 600 Einrichtungen in Schleswig-Holstein auf den Weg gemacht haben und machen, diesen Anstaltscharakter zu überwinden. Dazu ist viel Kraft erforderlich und auch viel Unterstützung von außen. Deshalb gibt es die Qualitätsoffensive des Landes, diverse Maßnahmen des Bundes, runde Tische „Zukunft der Altenpflege“, Modellprogramme, es gibt Handbücher, Handreichungen, Fortbildungskonzepte, Anreizsysteme, um genau diesen Prozess zu forcieren.

Auf der anderen Seite wissen wir, dass Vertrauen gut ist, aber Kontrolle auch erforderlich ist. Deshalb gibt es die Kontrollen der Heimaufsicht und die Kontrolle des Medizinischen Dienstes der Kassen.

Jetzt sind wir offensichtlich im Streit, wenn wir die Rolle der Heimaufsicht und der Dienstaufsicht des Ministeriums in den Fokus nehmen.

Mein Angebot an Sie: Wir sprechen im Ausschuss intensiv darüber. Wir gucken uns erst einmal an, wie das genau funktioniert. Denn die Frage, die sich letztlich stellt, ist: Haben wir das Zutrauen, dass die örtlichen Heimaufsichten das machen, oder wollen wir das operative Geschäft der örtlichen Heimaufsicht in das Ministerium ziehen?

(Werner Kalinka [CDU]: Nein, das haben wir auch nicht vorgeschlagen!)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das ernsthaft wollen. Deshalb stellt sich die Frage, wann konkret das Ministerium eingreifen soll.

(Werner Kalinka [CDU]: Genau!)

Wir haben dazu ein System. Es gibt ein Landesverwaltungsgesetz, in dem die Dienstaufsicht genau beschrieben ist. Es gibt ein Heimgesetz. Mit dem Heimgesetz ist operationalisiert, welche Aufgaben die jeweiligen Träger, örtliche Ebene und ministerielle Ebene, wahrnehmen müssen. Und wir haben eine Vernetzung über den Landespflegeausschuss.

So, ich denke, wir haben nichts zu verbergen. Wir haben ein gutes System, wir sind offen für jede Verbesserung. Mein Vorschlag: Wir debattieren darüber im Ausschuss. Ich glaube, Sie werden verblüfft sein, was sich alles dahinter verbirgt. Ich bin erst seit drei Wochen in Schleswig-Holstein und erlaube mir zu sagen: Der Blick von außen ist so, dass alle nach Schleswig-Holstein gucken und sagen, diese Qualitätsoffensive und dieses System ist beispielhaft.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Ministerin Dr. Brigitte Trauernicht-Jordan)

Gerade letzte Woche hat ein Professor aus Skandinavien noch gesagt: Wir dürfen mit Fug und Recht die Tatsache, dass hier Pflegeskandale aufgedeckt werden, als Zeichen für eine gute Politik werten und nicht als Zeichen für eine schlechte Politik. Ich glaube, dafür spricht in der Tat einiges.

(Zurufe von der CDU)

Sie haben das Thema PLAISIR angesprochen. Auch solche Missverständnisse können wir möglicherweise in der Ausschussarbeit ausräumen. Es ist nicht Sache des Landes und auch nicht in der Möglichkeit des Landes, PLAISIR einzuführen, sondern das ist eine Bundesangelegenheit. Die Diskussion darüber ist auf Bundesebene in der heißen Phase. Wir müssen uns hier die Möglichkeit erkaufen, dieses System anwenden zu können.

(Glocke des Präsidenten)

Ich komme zum Schluss. - Ich gehe davon aus, dass das jetzt auch erreicht werden wird, sodass mehr Personal in den Einrichtungen ist. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein: Mehr Personal allein löst das Problem nicht, wenn nicht die Verantwortung wahrgenommen wird und nicht der Geist, den wir miteinander beschrieben haben, in eine Einrichtung hineinkommt. Und das hat viel mit Trägern zu tun. Da setze ich auch auf ehrenamtlich strukturierte Träger, weil letztlich die Gemeinschaft ein Interesse daran haben muss, dass dieser Anstaltscharakter überwunden wird.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Beran das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben genügend Instrumente, seien es Gesetze oder Kontrollinstrumente, die eine gute Grundlage für eine menschenwürdige Pflege bilden. Ich glaube, die Landesregierung hat gut daran getan, diese durch ihre Pflegequalitätsoffensive zu ergänzen. Dass die Offensive gezogen hat, kann man daran erkennen, dass zum Beispiel der MDK in seinem Bericht - der vorhin hier auch schon einmal angeführt worden ist - sehr deutlich gemacht hat, dass sich die Pflegequalität in den letzten Jahren, seit dem Jahr 2000, erheblich verbessert hat.

Ich versuche jetzt einmal auf ein paar Dinge einzugehen, die hier noch im Raum stehen. Zum einen ist mir ganz wichtig auf eines hinzuweisen: Es wurde vorhin

gesagt, dass Haushaltsanträge abgelehnt worden seien, mit denen mehr Ausbildungsplätze hätten geschaffen werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und von der CDU, das mag zwar vordergründig so sein, aber es standen genügend Mittel aus der Pflegequalitätsoffensive zur Verfügung.

(Werner Kalinka [CDU]: Nein!)

Denn es zeigte sich deutlich, dass die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in der Pflege in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen ist. Das heißt, es war zwar Geld da, aber die Ausbildungsplätze konnten nicht besetzt werden. Das sollte man dabei auch sehen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Zurufe von CDU und FDP)

- Ja, das ist tatsächlich so. Gucken Sie einmal nach. Ich glaube, auch Sie wissen alle, woran das mit gelegen hat. Das liegt nämlich mit Sicherheit auch daran, dass das Ansehen in diesem Beruf in den letzten Jahren durch all diese Skandale, die wir hatten, erheblich gelitten hat.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])