Protokoll der Sitzung vom 18.06.2004

(Ursula Kähler [SPD]: Sie machen auch kei- ne Vorschläge!)

Deshalb ist ja auch in acht Monaten Schluss mit der rot-grünen Regierung. Aber leider werden die Menschen und die Unternehmen in Schleswig-Holstein noch länger unter den Folgen Ihrer ordnungs- und strukturpolitischen Kurzsichtigkeit leiden. Aber das wird nachlassen. Je länger das rot-grüne Chaos zurückliegen wird, desto zügiger wird es mit SchleswigHolstein bergauf gehen - weil Menschen und Unternehmen wieder Mut und Zuversicht gewinnen werden. Wir werden den Norden aufbauen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn nicht alle Strukturprogramme der EU die gleiche Wirksamkeit haben, stelle ich fest, dass die Kohäsionspolitik der Europäischen Gemeinschaft eine der größten Erfolgsgeschichten von internationaler Politik ist, die man sich überhaupt vorstellen kann. Im Rest der Welt fallen arme und reiche Länder ständig weiter auseinander. In vielen Regionen breitet sich die Armut in den schwächeren Ländern eher noch aus. Im Unterschied dazu stellen wir innerhalb der Europäischen Union fest, dass die schwächeren Länder aufgeholt haben, dass wir eine zunehmende Annäherung von reichen und armen Ländern haben, dass Länder, die wir als hochproblematisch betrachtet haben, als die EU begonnen hat, heute einen erheblichen Wohlstand erwirtschaftet haben. Das ist eine Erfolgsgeschichte sondergleichen.

Erinnern wir uns an die Zeit, als Italiener aus Süditalien als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, als Spanier kamen und so weiter. Davon ist heute keine Rede mehr. Heute ist das überhaupt kein Problem mehr. Diese Länder haben einen eigenen Wohlstand erwirtschaftet. Das ist die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union. Davon haben die Deutschen am

(Karl-Martin Hentschel)

meisten mit profitiert, weil wir mit unserer großen Exportwirtschaft einen Teil unserer Industriewaren in diese Länder exportieren. Der größte Teil unseres Exportes geht in Länder der Europäischen Union.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Ich glaube, dass diese Erfolgsgeschichte weitergehen wird. Deswegen ist es richtig, dass wir über die Kohäsionspolitik reden. Natürlich muss die Kohäsionspolitik neu organisiert werden, wenn wir zehn neue Länder in der Europäischen Union haben. Das wird zu Verschiebungen des Geldes führen. Darüber müssen wir nicht anfangen zu jammern oder zu sagen, das alles sei konzeptlos. Es wird auch zu neuen Chancen führen, gerade für Schleswig-Holstein neue Exportchancen in den osteuropäischen Raum eröffnen.

Die große Befürchtung, dass Menschen aus Polen massenhaft nach Deutschland kommen, wird nicht eintreten. Sie sind bereits in den letzten Jahren gekommen. In den letzten Jahren sind Hunderttausende nach Deutschland gekommen, weil es in Polen gegenüber Deutschland ein erhebliches Wohlstandsgefälle gibt. Wenn dieses Wohlstandsgefälle in den nächsten Jahren abgebaut wird, wird sich dieser Druck reduzieren. Genauso wie heute keiner mehr darüber redet, dass Italiener als Gastarbeiter nach Deutschland kommen, wird in zehn, 15 Jahren niemand mehr darüber reden, dass Polen nach Deutschland kommen. Dort wird sich entsprechender Wohlstand entwickelt haben und die Europäische Union wird Erfolg haben.

Zurzeit haben die zehn reichsten Regionen der EU ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 171 % des Durchschnitts, also 71 % mehr als der Durchschnitt. Die zehn ärmsten Regionen haben ein Einkommen von 38,7 % des Durchschnitts, liegen also um über 60 % unter dem Durchschnitt. Das ist ein erhebliches Gefälle. Wenn man das in Zahlen fasst, bedeutet das etwa ein Verhältnis von 1:5. Das ist ein erhebliches Gefälle, das zeigt, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben.

Es geht aber auch nicht nur darum, wie viel Geld wir in die einzelnen Regionen stecken, sondern es geht auch ganz entscheidend darum, wie wir das Geld ausgeben. Wenn wir in Schleswig-Holstein weniger Geld bekommen werden, was natürlich ist, dann müssen wir uns überlegen: Was machen wir mit dem Geld, wie setzen wir es ein? Ich glaube, dass wir uns selbstkritisch überlegen müssen, dass wir in Zukunft noch stärker als bisher unser Geld in Innovationen stecken. Wir haben in Schleswig-Holstein in den Regionen eine gut ausgebaute Infrastruktur. Es ist ein

falscher Weg zu glauben, man müsste Fördermittel gleichmäßig flächendeckend über das Land verteilen. Das ist eine Tendenz, die wir immer gehabt haben. Es ist natürlich auch klar, jeder sagt, er möchte etwas abhaben. Es ist aber eine falsche Tendenz, denn wenn wir uns entwickeln wollen, müssen wir dort entwickeln, wo die größten Chancen bestehen, insbesondere bei technologischen Innovationen, wo SchleswigHolstein eine große Chance hat. Man muss alle Kräfte darauf konzentrieren, wo die größten Zukunftschancen liegen.

Ich warne auch davor, die Skepsis allein den Ökonomen zu überlassen. Ich sage das auch in Richtung FDP, weil da die Ökonomen zu überwiegen scheinen. Ökonomen sind gut, wenn man rationalisiert, wenn man sparen will, wenn man eine Firma möglichst auf Einsparpotenziale durchforsten will. Ökonomen sind noch nie gut gewesen, wenn es darum geht, Zukunftschancen zu entdecken. Dort braucht man in der chemischen Industrie Chemiker, in der Windindustrie Ingenieure

(Zurufe von der FDP)

und wir brauchen Fachleute, die auch Visionen haben, wir brauchen Fachleute, die nach vorne weisen.

Herr Abgeordneter Hentschel, kommen Sie bitte zum Schluss.

Wir haben gerade eine Debatte über die Windenergie gehabt und ich finde, sie ist typisch für diese Debatten. Ich wünsche mir, dass wir in der EUStrukturpolitik nach vorn schauen, Visionen entwickeln, was wir qualitativ entwickeln können, und mehr auf Innovationen setzen, damit SchleswigHolstein diese Strukturmittel noch erfolgreicher einsetzt als in der Vergangenheit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang März hat die EU-Kommission ihre Vorschläge für die finanzielle Vorausschau und die Finanzausstattung der künftigen Strukturpolitik für die Jahre 2006 bis 2013 vorgelegt. Wie wir schon

(Anke Spoorendonk)

gehört haben, fordert die Kommission für den nächsten Planungszeitraum Mittel in Höhe von durchschnittlich 1,14 % des europäischen Bruttoinlandsprodukts. Damit würden sich die Zahlungen der Mitgliedsländer an die EU im Vergleich zu 2006 bis 2013 um 24,7 % steigern. Hintergrund dieser Kommissionsvorschläge ist das Argument, dass durch die Osterweiterung viele neue Aufgaben auf die EU zukommen. Neben den Zuschüssen für die EUAgrarwirtschaft werden die neuen EU-Staaten insbesondere Unterstützung durch die EU-Regional- und -Strukturfonds bekommen. Nahezu alle neuen EU-Mitglieder haben eine unterdurchschnittliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Verhältnis zu den alten EU-Staaten und würden daher für eine Förderung infrage kommen.

Um die Ausgaben in Grenzen zu halten, hat die EUKommission eine Reform des Strukturfonds vorgeschlagen. Im Vorfeld gab es natürlich die große Befürchtung in den strukturschwachen Regionen der alten EU-Staaten, dass die Regionalförderung ab 2007 nur auf die neuen EU-Länder konzentriert wird. Ich brauche in diesem Kreis nicht zu erwähnen, dass die EU-Regionalförderung für Schleswig-Holstein eine enorme Bedeutung gehabt hat.

Durch die EU-Kofinanzierung des Regionalprogramms 2000 werden bis 2006 viele sinnvolle und viele zukunftsfähige Projekte im nördlichen Landesteil und an der Westküste gefördert. Es ist aber in Zukunft sehr entscheidend für die Entwicklung strukturschwacher Regionen in Schleswig-Holstein, dass die Strukturförderung auf die eine oder andere Weise bei uns auch nach 2007 fortgesetzt wird. Im Rahmen der Vorlage des 3. Kohäsionsberichts hat die EU-Kommission mitgeteilt, dass künftig circa 336 Milliarden € zur Verfügung stehen. Dabei sehen die Kommissionsvorschläge für unser Land weiterhin eine substanzielle Förderung vor und ich denke, das ist die Richtung.

Der Löwenanteil der EU-Mittel für die Regionalpolitik von 78 % der Gesamtsumme ist für die rückständigen Regionen Ziel 1 und Ziel 1 a vorgesehen. Dazu sollen circa 18 % der Gesamtsumme, also ungefähr 60 Milliarden €, unter dem Titel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung europaweit“ für Förderungen außerhalb der Ziel-1-Gebiete bereitstehen. Mit diesem neuen Ziel kann die bisherige Ziel-2- und Ziel-3-Förderung in Schleswig-Holstein fortgesetzt werden.

Auch für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Stichwort INTERREG-Förderung, werden nach den Plänen der EU-Kommission mit 4 % der Gesamtsumme auch nach 2006 weiterhin Mittel zur Verfü

gung stehen. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat sich Anfang des Jahres in einem klaren Votum für die Fortsetzung der bisherigen INTERREGFörderung ausgesprochen. Bisher ist aber noch unklar, ob sich in Zukunft statt zwei sogar drei Länder an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit oder grenzüberschreitenden INTERREG-Förderung beteiligen sollen.

Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, dass der von uns gemeinsam getragene Antrag vorsah, dass wir an diese traditionelle Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, über INTERREG gefördert, festhalten wollen.

Auch wenn noch nicht alle Details geklärt sind, können wir in Schleswig-Holstein mit dem finanziellen Rahmenvorschlag der EU-Kommission leben. Diese Vorschläge sind aber bei weitem noch nicht das letzte Wort. Entschieden wird erst 2005 und hier haben insbesondere noch der EU-Ministerrat und das EUParlament ein Wort mitzureden. Von daher ist es wichtig, dass wir uns im Schleswig-Holsteinischen Landtag im Europaausschuss noch einmal mit der Problemstellung auseinander setzen und auch eine klare Position in dieser Frage beziehen, die wir dann auch in Brüssel gegenüber der EU-Kommission und im EU-Ministerrat vertreten können.

Ich fordere daher alle Fraktionen auf, dass wir im Europaausschuss bis zur nächsten Landtagstagung einen dementsprechenden gemeinsamen Antrag erarbeiten. Ich werde mich dafür stark machen und hoffe auf Ihre Unterstützung.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag, Herr Abgeordneter Greve.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht hat 207 Seiten, die wir hier diskutieren, die problemlos auf 100 Seiten hätten zusammengefasst werden können, wenn man ihn einmal wirklich durchforstet. Ich will nicht auf die schleswig-holsteinischen Probleme eingehen, die hier von allen Fraktionen gut dargestellt worden sind. Ich möchte auf die Sprache dieses Berichts eingehen. Wir haben wieder einmal diskutiert, wie schlecht der Prozentsatz derer war, die zur Europawahl gegangen sind. Ich glaube, dass in der Sprache, die in Europa gepflegt wird, ein entscheidender Grund liegt.

(Uwe Greve)

Ich nehme einmal den Begriff Kohäsion. Kohäsion heißt auf Lateinisch der innere Zusammenhang eines Körpers. Das Kohärenzprinzip ist in der Philosophie der grundsätzliche Zusammenhang alles Seienden. Gemeint ist aber bei uns nichts anderes als der Bericht über den derzeitigen Stand der Angleichung der Lebensverhältnisse in der Europäischen Union. Das hätte jeder verstanden.

(Beifall bei der FDP)

Ich habe 44 Leute befragt. Ich habe leider keine Zeit, die wunderschönen Anmerkungen, die draußen gemacht worden sind, wiederzugeben. Wir sind in Kiel mit dem Tonband losgegangen. Es hat nur einer unter 44 Leuten herausbekommen, was Kohärenz eigentlich heißt.

Meine Bemerkung richtet sich aber nicht nur auf diesen Begriff. Eine Überschrift lautet: Diskretionäre Mechanismen für den Transfer von Einnahmen in den Regionen. Diskret heißt lateinisch unauffällig, diskretionär heißt, dem Ermessen des Partners anheim stellen. Auf Deutsch hätte es geheißen: Jedes Land hat eigene Systeme zum Ausgleich regionaler und lokaler Finanzunterschiede. Das kann jeder verstehen.

Eine andere Überschrift lautet: Koordinierung der Komplementarität mit anderen Gemeinschaftspolitiken. Deutsch würde das heißen, wenn wir das in einem Satz zusammenfassen: Wir sprechen über die Anpassung der politischen Strukturen der Gemeinschaftsländer. Das könnte jeder verstehen.

Ich sage nur an diesen drei Beispielen: Wenn diese Politik so dargestellt wird, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir Politik völlig bürgerfeindlich machen.

(Beifall bei CDU, FDP und vereinzelt bei der SPD)

Ich möchte noch zwei Schlussgedanken dazusetzen: Dieser Bericht ist auch voller Plattitüden. Ich nenne zwei: Infolge des schwachen Beschäftigungswachstums in den Beitrittsländern ist der Anteil der Erwerbstätigen zurückgegangen. Das muss man sich einmal vorstellen! Das ist eine unglaubliche Erkenntnis!

(Beifall bei der FDP)

Beschäftigt zu sein, ist die bei weitem wirksamste Methode, der Gefahr von Armut und sozialem Ausschluss zu entgehen. Das ist phantastisch! Das hätten wir alle nicht gewusst!

(Beifall bei CDU und FDP - Glocke des Prä- sidenten)

Herr Abgeordneter Greve, Ihr Timelimit ist erreicht!

(Heiterkeit)

Danke! Ich wollte mit diesen Bemerkungen deutlich machen, dass es wertvoll wäre, wenn wir, gerade in Bezug auf die Europäische Union, die so weit von allen Menschen entfernt scheint, eine Sprache sprächen, die wir alle verstehen.

(Beifall bei CDU, FDP und vereinzelt bei der SPD)