- Dann haben Sie Ihr eigenes Papier nicht gelesen. Aber ich kann es Ihnen gern einmal geben, damit Sie es nachlesen können.
Ein anderes Problem von Hartz IV ist das 16-seitige Formular zur Beantragung von ALG II. Dieses absurde Formular ist für viele Betroffene völlig unverständlich. Ich weiß das selber, da ich mir diesen Antrag angeguckt habe. Ich habe angefangen, zu versuchen, ihn auszufüllen. Ich darf Ihnen sagen, dass auch mir das nicht gelungen ist.
Auch wenn es seitens der Kommunen und der Bundesagentur viele Bemühungen gibt, den Betroffenen zu helfen, so steht leider zu befürchten, dass viele Menschen im Januar 2005 gar keine Leistungen bekommen, weil sie den Antrag nicht rechtzeitig ausgefüllt zurückgeschickt haben.
Selbst der Chef der Bundesagentur, Frank-Jürgen Weise, befürchtet laut „Frankfurter Rundschau“ vom 19. August, dass es zeitlich nicht zu schaffen sei, alle Anträge vor dem 1. Januar 2005 ordnungsgemäß zu behandeln. Wollen wir wirklich zulassen, dass diese Menschen dann im Januar ohne irgendwelche Leistungen dastehen?
Man kann natürlich der Auffassung sein, die geplanten Hartz-Regelungen seien sinnvoll, wenn es wirklich gelingt, die Arbeitslosen innerhalb eines Jahres oder schnell danach wieder in Arbeit zu bringen. Gerechterweise muss man hier auch sagen: Das ist ja
auch das Ziel dieser ganzen Operation. Im HartzGesetz selbst steht sogar, dass in Zukunft ein Vermittler höchstens 75 Arbeitslose betreuen soll. Im Moment haben wir allerdings eine ganz andere Situation.
Es gibt Berichte über Arbeitsvermittler in den Arbeitsämtern, die zwischen 600 und 700 Arbeitslose betreuen. Obwohl im Gesetz etwas andres steht, werden sich diese Zahlen bis zum 1. Januar 2005 wohl kaum ändern.
Es versteht sich deshalb von selbst, dass es unter solchen Umständen unmöglich ist, die Betroffenen ordentlich zu vermitteln. Immer noch sind zwischen 80 und 90 % der Beschäftigen der Bundesagentur für Arbeit mit der Verwaltung der Arbeitslosigkeit beschäftigt. Es ist natürlich sehr, sehr schwer, einen derartigen Supertanker zum Wenden zu bringen. Allerdings ist nicht einsehbar, warum dann vor diesem Hintergrund der größte Umbau unseres Sozialsystems in der Geschichte der Bundesrepublik so schnell und chaotisch durchgeführt werden soll.
Kurz gesagt: Nach unserer Ansicht kann es nicht angehen, dass zum 1. Januar 2005 nur die negativen Folgen der Hartz-Reform für die Betroffenen umgesetzt werden, während der positive Ansatz, nämlich die verstärkte Vermittlung der Langzeitarbeitslosen, organisatorisch überhaupt nicht klar ist.
Wer in diesem Zusammenhang behauptet, dass es so etwas wie Hartz IV in Dänemark bereits gibt - nur heißt es anders -, der gibt leider nur einen kleinen Teil der Wahrheit preis. Denn in Dänemark beziehen arbeitslose Menschen trotz einiger Leistungskürzungen weiterhin bis zu vier Jahren Arbeitslosengeld, und zwar 90 % vom letzten Lohn, allerdings höchstens bis zu 2.000 € monatlich, die auch versteuert werden müssen. Entscheidend ist aber, dass in Dänemark das Fördern und Fordern gerade der Langzeitarbeitslosen im Zentrum dieser Arbeitsmarktpolitik steht.
Man tut alles dafür, dass die Arbeitslosen spätestens nach einem Jahr wieder in Arbeit kommen. Nach einen Jahr hat ein arbeitsloser Mensch in Dänemark ein Recht auf ein Arbeits-, Aus- oder Weiterbildungsangebot seitens des Arbeitsamtes.
Da hier durchschnittlich 60 Arbeitslose auf einen Vermittler kommen, ist es möglich, ein passgenaues Angebot für den Arbeitslosen zu entwickeln. Wer ein solches Angebot ablehnt, muss dort - das will ich nicht verhehlen - allerdings auch mit Leistungskürzungen rechnen. Aber das ist im Kern die aktive Ar
beitsmarktpolitik nach skandinavischem Vorbild, die sich auch der SSW für Schleswig-Holstein wünscht.
Von solcher zukunftweisenden Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose sind die aktuellen Hartz-IVPläne allerdings meilenweit entfernt. Wir dürfen auch eines nicht vergessen: Man kann Arbeitsangebote nur machen, wenn Arbeitsplätze vorhanden sind. Deshalb plädiert der SSW für bessere Eingliederungshilfe der Arbeitslosen auf dem ersten Arbeitsmarkt, zum Beispiel durch flächendeckende Einführung von befristeten Lohnkostenzuschüssen an die Betriebe für die Einstellung von Arbeitslosen. Dieses Arbeitsmarktinstrument hat sich nördlich der Grenze sehr gut als Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt bewährt.
Aus Sicht des SSW ist die Konsequenz aus der bisherigen Umsetzung der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe klar. Hartz IV muss sofort verschoben werden und darf auf keinen Fall zum 1. Januar 2005 in Kraft treten. Das mögliche Chaos, das durch das Festhalten an diesem Termin entsteht, wird das Vertrauen in unsere Demokratie weiter verringern. Hartz IV darf erst in Kraft treten, wenn die Bundesagentur und die Kommunen alle organisatorischen und technischen Voraussetzungen erfüllt haben.
Dazu muss Hartz IV aber auch grundlegend geändert werden, bevor der SSW der Umsetzung der Pläne zustimmen kann. So fordern wird, dass die Periode, in der Arbeitslosengeld an langjährig Arbeitslosengeldversicherte gezahlt wird, wieder länger als zwölf Monate sein muss. Auch müssen die Freibeträge für Vermögen, Lebensversicherungen und so weiter so ausgestaltet werden, dass eine ausreichende private Altersvorsorge angespart werden kann.
Falls der Bericht an einen Ausschuss überwiesen werden soll, bitte ich, ihn an den zuständigen Sozialausschuss zu überweisen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht hier offensichtlich um die Frage des Ob und nicht um die Frage des Wie in dieser Hartz-IVAngelegenheit. Auf einer Informationstagung zum Thema „Ich-AG“ - viele Arbeitslose flüchten ja derzeit in die Ich-AG, weil sie dem Arbeitslosengeld II
entgehen wollen -, so können wir heute in der Presse nachlesen, antwortete eine Referentin der Bundesanstalt auf eine Frage: „Keine Ahnung! Wir kriegen hier täglich neue Informationen.“ - Ich glaube, das ist genau das Chaos, das sich in dieser Problematik derzeit überall widerspiegelt.
Etwa 400.000 Arbeitslose ab 58 Jahre sind von der Bundesanstalt für Arbeit gerade in der jüngsten Vergangenheit ermuntert worden, aus der Arbeitsplatzvermittlung wegen Chancenlosigkeit auszuscheiden. Sie sollten bis zum Rentenbeginn Arbeitslosenhilfe beziehen. Etwa 180.000 Menschen sind dadurch so betroffen, dass sich für sie kaum hinnehmbare Verschlechterungen ergeben, weil vorher über die eigentliche Entwicklung gar nicht informiert worden ist. Wäre dies geschehen, wären viele der Ermunterung gar nicht erst gefolgt. Das ist ein handwerklicher Fehler, der für mich unbegreiflich ist.
Professor Rohwer formuliert in seiner Rede: „Der erste Arbeitsmarkt gibt zurzeit nicht genügend Arbeitsplätze her.“ - Das ist richtig. Nur, in Ihren Worten klingt das so, als würde das sozusagen eine vorübergehende Erscheinung sein. Wenn wir aber die gegenwärtigen Indikatoren beobachten, sehen wir, dass es genau umgekehrt ist. Wer sich realistisch mit diesem Thema beschäftigt, muss feststellen, dass kaum ein gegenwärtiges Symptom dafür spricht, dass sich der erste Arbeitsmarkt verbessern wird, auch nicht die kleinen Ansätze, die Sie genannt haben. Im Gegenteil, wer irgendwie Arbeitsplätze ins Ausland verlagern kann, hat es bereits getan oder ist auf dem Wege dazu. Dieser Prozess schreitet völlig ungebremst voran.
Wenn heute zum Beispiel in der Ukraine ein Zwölftel der deutschen Löhne gezahlt wird, können wir in Deutschland Lohnnebenkosten senken, so viel wir wollen. Wir können diese auch völlig streichen. Konkurrenzfähig werden wir dadurch noch lange nicht.
Diese Realität müssen wir einfach sehen. - Leider ist meine Redezeit heute so kurz. - Deshalb müssen wir dringend eine Generaldebatte darüber führen, wie die negativen Folgen der Globalisierung gebremst werden können und wie die Rolle der Volks- und Nationalwirtschaften wieder so gestärkt werden kann, dass die Nationalstaaten, in denen sich alles vollzieht, ihren Grundnotwendigkeiten gerecht werden können.
Der erste Arbeitsmarkt entscheidet über die Zukunft und nicht das, was wir im Moment mit Hartz IV gestalten.
Ein letzter Satz: Wenn wir die Deindustrialisierung Deutschlands, die wir derzeit erleben, nicht weiter als Zuschauer verfolgen wollen und glauben, als Dienstleistungsgesellschaft oder Informationsgesellschaft zu überleben, ist das ein politischer Kernirrtum, der unbedingt und schnell korrigiert werden muss.
Jetzt gilt der Satz, den ich eben schon einmal formuliert habe: Die Beratung ist abgeschlossen. Ich schlage Ihnen vor, den Bericht der Landesregierung federführend dem Wirtschaftsausschuss und mitberatend dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so verfahren will, den bitte ich um das Handzeichen.
(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte noch auf den Rede- beitrag antworten! - Zurufe)
Es ist gesagt worden: Überweisung federführend an den Sozialausschuss und mitberatend an den Wirtschaftsausschuss. Wer das so will, der hebt die Hand. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das haben wir wunderbar über die Bühne gekriegt.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich will über den Antrag abstimmen lassen, dass der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen will, den bitte um das Handzeichen. - Alle. - Gegenstimmen sehe ich nicht, Enthaltungen auch nicht.
Ich erteile dem Herrn Innenminister Buß das Wort, nachdem wir zugestimmt haben, dass er hier bitte Bericht erstatten möge.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der schriftliche Bericht liegt Ihnen vor. Ich will kurz darauf eingehen. Der Bericht betrifft Punkte der Innenministerkonferenz, der IMK, die im Juli in Kiel stattgefunden hat. Dabei ist zu beachten, dass die Beratungen der Fachministerkonferenz noch nicht abgeschlossen und Einzelthemen der IMK nicht für die Öffentlichkeit freigegeben worden sind.