Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

(Beifall bei SPD und SSW)

Um den Gemeinden zu helfen, hat die Landesregierung in den letzten Tagen in verschiedensten Runden die ersten Schritte eingeleitet. Der Weg über Konversionsangebote muss der Ausgangspunkt für neue Überlegungen in den betroffenen Standorten sein. Jetzt wird es darauf ankommen, gerade gemeinsam mit den Betroffenen, die die nötigen Ortskenntnisse haben, neue Ansätze zu entwickeln.

Gelingen kann ein Neuanfang an verschiedenen Orten vor allem dann, wenn die Bundesregierung Bereitschaft entwickelt, den Umgang mit den frei werdenden Immobilien zu verändern. Das Beispiel Eckernförde wurde schon genannt. Ich glaube, es ist durchaus möglich, auch unterhalb dieser Diskussion etwas zu bewirken.

Ich habe die Absicht, mich gemeinsam mit einer Kollegin Ihrer Fraktion erneut an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zu wenden, um darauf hinzuweisen, dass die Bedenken des Bundesrechnungshofes, hinsichtlich des Verkaufs von Liegenschaften unterhalb des marktüblichen Preises zwar nicht wegdiskutiert werden können, dass sie aber nicht beachtet werden müssen, wenn es darum geht, betroffenen Gemeinden eine Chance für die Zukunft zu geben. Hier wäre es wichtig, fraktionsübergreifend tätig zu werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zurufe von der CDU)

(Lothar Hay)

Sollten meine Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion dies noch nicht erkannt haben, sichere ich Ihnen zu, dass wir weitere Gespräche führen werden, um sie auf den richtigen Weg zu bringen, der uns allen im Lande hilft.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] - Wortmeldung des Abgeordneten Heinz Maurus [CDU])

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu, weil die Zeit schon so weit fortgeschritten ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Standorte können nur, wenn wir diesen Weg gehen und wenn sich Verkaufsverhandlungen nicht über Jahre oder Jahrzehnte hinziehen, für Investoren interessant werden. Ein positives Beispiel ist das Projekt Sonvig in Flensburg. Weitere Projekte dieser Art brauchen wir. Wir werden die Kommunen bei diesem Weg besonders unterstützen.

Richtig ist: Am Anfang muss die Idee stehen, und erst dann wird das Geld gebraucht. Deswegen ist es richtig, dass entschieden wurde, das Landesprogramm zur Förderung der Konversion für die besonders stark betroffenen Kommunen um insgesamt rund 7 Millionen € aufzustocken. Davon werden 5,1 Millionen € für die betroffenen Kommunen zur Verstärkung der Fördergebietskulisse bereitgestellt. 1 Million € wird Standorten im Süden des Landes außerhalb des Fördergebietes zugeordnet. Dabei ist unter anderem an Mölln zu denken. Hinzu kommen eine Erhöhung der Fördersätze und eine besondere Förderung der notwendigen Gutachten.

An dieser Stelle muss ich die Erwartung aussprechen, dass sich unser Innenministerium in Einzelfällen flexibel zeigt, was die Unterstützung betroffener Kommunen angeht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden gemeinsam mit der Landesregierung den Kontakt zu den betroffenen Kommunen halten und in Gesprächen mit ihnen versuchen, neue Konzepte für die Zeit danach zu entwickeln. Auch in diesen Entscheidungen steckt eine Chance. Wir werden sie gemeinsam nutzen und gemeinsam Konzepte entwickeln, die in den nächsten Jahren Stück für Stück gemeinsam mit der rot-grünen Landesregierung umgesetzt werden. Das kann ich den Kommunen auf jeden Fall zusichern.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung schrumpft die Bundeswehr, die Bundesregierung schrumpft den Wehretat. Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, denn die Verteidigung der deutschen Grenze wäre sowieso zu teuer. Gut, dass diese Bedrohung wenigstens unwahrscheinlicher geworden ist.

Kein Wunder, dass sich die Bundesregierung nicht mehr so viele Bundeswehrstandorte leisten will. Erstens braucht sie sie nicht mehr, und zweitens fehlt das Geld, um die Standorte zu bezahlen. Die Bundeswehr braucht sie nicht mehr, weil alle deutschen Standorte ungefähr gleich weit weg vom Hindukusch sind. Der Bund kann Geld sparen, wenn er seine Fixkosten auf weniger Standorte konzentriert. Er hebt Synergien.

Trotzdem fehlt der Bundeswehr an fast allen Ecken und Enden immer noch Geld. Das überrascht nicht, Herr Kayenburg, denn der Finanzminister muss immer mehr davon in den bodenlosen schwarzen Löchern der umlagefinanzierten Sozialversicherung versenken.

Peter Struck, der Bundesverteidigungsminister, musste handeln, um das Gesetz des Handelns in der Hand oder wenigstens im Auge zu behalten. Getreu des militärischen Grundsatzes: „Ein falscher Entschluss ist besser als keiner“, hat er die Lage festgestellt, sie beurteilt und entschieden, in welchen Kasernen er das Licht ausmachen will. Er wollte nicht zu spät kommen, denn auch er weiß: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Zu spät gekommen ist in jedem Fall Heide Simonis. Denn der Verteidigungsminister hat erklärt, diesmal werde er nur nach strategischen und betriebswirtschaftlichen Kriterien über Standorte entscheiden. Die Bundeswehr sei kein Instrument der Arbeitsbeschaffung und er sei nicht zuständig für regionale Strukturpolitik. Ich sage: Endlich ein rot-grüner Politiker, der sich traut, die Dinge beim Namen zu nennen.

(Beifall bei der FDP)

Aber was steht denn hinter seiner Botschaft, „diesmal“ werde nach strategischen und betriebswirtschaftlichen und nicht nach strukturpolitischen Krite

(Wolfgang Kubicki)

rien entschieden? - Bei den vorangegangenen Streichkonzerten haben strukturpolitische Kriterien also eine erhebliche Rolle gespielt, anscheinend aber nicht in Schleswig-Holstein. Dafür hat die Ministerpräsidentin frühzeitig gesorgt. Denn schon sehr früh hat sie sich beim Vorgänger von Peter Struck beliebt gemacht. Für die Sozialdemokraten, die sich nicht mehr an ihn erinnern können: Das war Rudolf Scharping, von Heide Simonis öffentlich liebevoll als Autist beschimpft. Herr Austermann glaubt, Herr Struck würde sich dafür jetzt an ihm rächen.

Meine Damen und Herren, nach diesem ausführlichen Exkurs über die Verschwörungstheorien eines einsamen christlichen Haushaltspolitikers zurück zu den strukturpolitischen Kabinettstückchen von Heide Simonis. Früh hat sie also dafür gesorgt, dass Schleswig-Holstein bei den Entscheidern negativ in Erinnerung blieb. Das hat sich dann auch gelohnt: Keinen einzigen strukturpolitisch begründeten Verhandlungserfolg mit dem Verteidigungsministerium kann die Ministerpräsidentin vorweisen, seitdem sie dieses Amt bekleidet.

(Beifall bei der FDP)

Ganz anders als zum Beispiel Stoiber-Edi, Herr Kollege Benker. Er hat den rot-grünen Bundesregierungen wahrscheinlich mindestens so viele Dienstposten für das „arme“ Bayern abgeluchst wie Frau Simonis aus dem „reichen“ Schleswig-Holstein vertrieben hat. Und jetzt ist es zu spät für Verhandlungen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn in der Standortplanung der Bundeswehr spielen strukturpolitische Überlegungen ab jetzt keine Rolle mehr. Schlecht gemacht, Frau Ministerpräsidentin.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ganz nebenbei: Diese schlechten Erfahrungen hat die Landesregierung erfolgreich bei den Standortverhandlungen für die Rüstungsindustrie genutzt. Als es darum ging, bei ThyssenKrupp dafür zu werben, das Hauptquartier des neuen Werftenverbundes in Kiel anzusiedeln, hat die Landesregierung zugunsten des „armen Hamburg“ großzügig auf jeden Einsatz verzichtet. Der strukturpolitische Erfolg war der gleiche wie bei den Standorten der Bundeswehr: Das Hauptquartier des Werftenbundes liegt außerhalb Schleswig-Holsteins.

Wahrscheinlich hat unsere Ministerpräsidentin erleichtert aufgeatmet, als sie von Verteidigungsminister Struck hörte, dass Strukturpolitik diesmal keine Rolle spielen würde. Da konnte kaum noch etwas vermasselt werden.

Aber sei’s drum. Heide Simonis ist eben, wie sie ist. Die Folgen ihres Verhandlungsungeschicks sind versunkene Kosten. Aber in ihren letzten 100 Tagen in der Staatskanzlei könnte sich die Ministerpräsidentin endlich einmal nützlich machen. Frau Ministerpräsidentin, sorgen Sie dafür, dass die Bundesregierung folgende Fragen beantwortet, und zwar konkret:

Erstens. In Schleswig-Holstein sind weniger als 20 % der Bundeswehr stationiert. Warum entfallen mehr als 20 % der gestrichenen Dienstposten auf SchleswigHolstein?

Zweitens. Warum zieht die Marine von Olpenitz nach Kiel um? Welche strategischen Vorteile bringt das im weltweiten Kampf für Freiheit und Frieden? Welche betriebswirtschaftlichen Vorteile erhofft man sich in Berlin?

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, außerdem fordern wir von der Bundesregierung die Konversion finanziell zu unterstützen. Frau Ministerpräsidentin, ich finde es beschämend, dass Sie heute Morgen im „Info-Radio“ des NDR gesagt haben, diese Auffassung teilten Sie eigentlich auch, aber weil Sie glaubten, damit keinen Erfolg zu haben, stellten Sie diese Forderung erst gar nicht.

(Heiterkeit bei der CDU)

Wer darauf verzichtet, hat bereits verloren. Ein Verhandlungsergebnis zurückzunehmen, noch bevor man in Verhandlungen eintritt, finde ich ziemlich komisch.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung soll erklären, welche Standorte als Nächstes geschlossen werden.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Herr Kollege Astrup, wir sind aufgefordert worden - das machen wir gern -, im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages dafür Sorge zu tragen, dass die Liegenschaften für 1 € oder zumindest für ganz geringe Preise veräußert werden können. Auch das lehnt die Bundesregierung ab, wie Sie wissen. Trotzdem sagen Sie, wir sollen das machen, und fordern es von uns. Warum fordern Sie nicht auch ein Konversionsprogramm des Bundes in dreistelliger Millionenhöhe?

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Bundesregierung soll erklären, welche Standorte als Nächstes geschlossen werden, damit man sich darauf vorbereiten kann, und sie soll den aktuell betroffenen Kommunen die Liegenschaften unbürokra

(Wolfgang Kubicki)

tisch, schnell und preiswert übertragen; denn nur so - Zeit spielt wirklich eine erhebliche Rolle - kann den betroffenen Gemeinden geholfen werden.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung hat die Konversion direkt und indirekt finanziell zu unterstützen. Schleswig-Holstein war während des Kalten Krieges der größte Flugzeugträger der freien Welt. Nicht nur die Soldaten, auch die Menschen, die Unternehmen und die Gemeinden in Schleswig-Holstein haben mit ihrem Engagement für die Bundeswehr zum friedlichen Sieg im Kalten Krieg beigetragen, über Jahrzehnte überdurchschnittlich. Das muss der Bund unseres Erachtens bei all seinen Entscheidungen berücksichtigen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern die Bundesregierung auf, zügig ihre weiteren Kürzungspläne offen zu legen. Gestern wurde bekannt, dass der Bundeskassenwart dem Verteidigungsminister fürs nächste Jahr eine halbe Milliarde € streichen will, und es ist angekündigt worden, in den Zeiten danach weitere 1,5 Milliarden € zu streichen. Man muss das nur einmal aufmerksam lesen. Einfach so! Da wird sich der der eine oder andere Standort mit Sicherheit auch nicht mehr finanzieren.

Außerdem weiß die Bundesregierung, dass der Grundwehrdienst bald ausgesetzt werden muss. Die Wehrpflicht wird selbstverständlich bleiben, aber sie wird nicht mehr konkret eingefordert. Der Verteidigungsminister hat bereits erklärt, dass er bei Aussetzung der Wehrpflicht gleich noch einmal 60 Standorte schließen müsste. Diese 60 Standorte kennt der Minister schon; denn er hat schon alle Standorte geprüft. Also weiß er auch, welche als Nächste auf seiner Abschließliste stehen. Wir haben einen Anspruch darauf, uns darauf vorzubereiten. Das muss nicht öffentlich geschehen, Frau Ministerpräsidentin, aber die Regierung muss unterrichtet werden, um entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu treffen.