Zudem muss auch das Verhältnis von Schule, Schulunterricht, christlicher Religion und christlichem Religionsunterricht auf Länderebene kritisch betrachtet werden.
Stücken getragen oder unfreiwillig aufgrund von religiösem und/oder familiärem Zwang? Ist das Kopftuch überhaupt ein Symbol und wenn ja, ein religiöses oder ein frauendiskriminierendes? Ist das Tragen eines Symbols bereits Manipulation? Ist die Schule und ist der Staat zur religiösen Neutralität verpflichte und wenn ja, was passiert dann mit dem christlichen Religionsunterricht und mit christlichen Symbolen?
Dies sind Fragen über Fragen, auf die es nicht die eine, sondern viele verschiedene, eben individuelle Antworten gibt. Es sind ebenso Fragen, auf die es gleiche Antworten, aber mit unterschiedlichsten Begründungen gibt.
Wir haben im Bildungsausschuss beschlossen, dem Landtag zu empfehlen, den Antrag der CDU, und zwar auch den modifizierten Antrag abzulehnen. Wir halten eine gesetzliche Regelung zum derzeitigen Zeitpunkt für nicht geboten, weil wir - erstens - keinen Handlungsbedarf in Schleswig-Holstein sehen, weil wir - zweitens - letztlich der Auffassung sind, dass das staatliche Neutralitätsgebot und die demokratischen Bürgerrechte der Lehrerinnen nicht gegeneinander in Stellung gebracht werden sollten, weil - drittens - unsere obersten Ziele die Integration und das gleichberechtigte gesellschaftliche Zusammenleben sind und weil - viertens - für den Fall, dass Lehrerinnen faktisch versuchen, die ihnen anvertrauten Schülerinnen in irgendeiner Art und Weise zu benutzen oder zu manipulieren, die vorhandenen dienstaufsichtsrechtlichen Instrumente ausreichend sind.
Wir wollen diese Diskussion dort weiterführen, wo Religion und gesellschaftliche Werte täglich gelebt werden: in der Mitte der Gesellschaft. Recht und Rechtspraxis müssen dem realen Leben Rechnung tragen. Wir werden weiterhin mit denen sprechen, die direkt betroffen sind: Schülerinnen, Eltern, Lehrerinnen und Religionsgemeinschaften. Wir sind bereit, dann über weiteren Handlungsbedarf nachzudenken, wenn es zu konkreten Problemen kommen sollte.
Der CDU möchte ich mit auf den Weg geben, sich davor zu hüten, nicht selber in eine Parallelgesellschaft zu geraten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ab Jahresbeginn 2005 tritt im Bundesland Bayern ein Gesetz in Kraft, das religiöse Symbole und das Tragen von Kleidungsstücken in Schulen verbietet, die eine - ich zitiere - „mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten unvereinbare Haltung“ ausmachen. Dies geschieht, obwohl es keinen einzigen bekannten Fall in Bayern gibt, der dieses Gesetz erforderlich machen würde.
Warum erfolgt nun diese komplizierte Formulierung für ein schlichtes Kopftuchverbot? - Weil man sich hiermit ein Schlupfloch für christliche Symbole und den Schleier der katholischen Nonnen schafft.
Der SSW meint: Egal, ob es ein Kopftuch oder ein Kruzifix ist, religiöse Symbole haben in staatlichen Schulen nichts zu suchen, jedenfalls nicht außerhalb des Religionsunterrichts. Das sagten wir bereits vor einem Jahr, als dieses Thema zum ersten Mal diskutiert wurde. Die öffentlichen Schulen sind zu religiösweltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Neutralität in der Schule heißt aber nicht, dass sich dort alle Religionen gleichwertig äußern dürfen, sondern bedeutet, dass wir in öffentlichen Schulen gar keine religiösen Glaubensbekenntnisse sehen wollen. Informationen zu den vielen Religionen dieser Welt bejahen wir, aber zu Glaubensbekenntnissen und Missionsarbeit in der Schule sagen wir Nein.
Es muss eine strikte Trennung zwischen privaten Überzeugungen und Schule stattfinden. Dabei ist es nachrangig, ob der Glaube aus einer religiöspolitischen Motivation zu Markte getragen wird oder ob es nur ein privater Akt der Glaubensausübung und der Traditionspflege ist, wie die Verfechter des Kopftuches argumentieren.
Entscheidend ist die Wirkung auf und für Schulkinder. Diese ist unabhängig von der persönlichen Motivation.
Mit dem Kopftuch wird der persönliche Glaube in einer Art ausgelebt, die das äußere Erscheinungsbild der Person insgesamt prägt. Noch komplizierter wird die Situation aber dadurch, dass das Kopftuch auch als weltanschaulich-politische Aussage betrachtet werden kann, die sich bewusst von einem laizistischen Staatsverständnis abgrenzt. Angesichts der Erstarkung des politischen Islamismus in den letzten
Jahrzehnten müssen wir ein deutliches Signal setzen. Blauäugig ist, wer nicht erkennt, dass die Fahne des Pluralismus von Islamisten hochgehalten wird, weil sich so ihre Zielsetzungen, die mit Pluralismus sehr wenig zu tun haben, besser erreichen lassen.
Trotzdem: Wir unterstellen keiner kopftuchtragenden Muslimin, dass sie mit dem Stoff schon zwangsläufig ein Glaubensbekenntnis zum fundamentalistischen Islamismus und zu Frauenunterdrückung ablegt. Deswegen sollten wir auch nicht der türkischen Vorgehensweise nacheifern, wo jegliches Tragen von Kopftüchern in offiziellen Zusammenhängen verboten ist, weil das Tuch per se als politische, antilaizistische Meinungsäußerung gilt.
Ich möchte gar nicht bewerten, ob dies für die türkische Republik eine angemessene Vorgehensweise ist oder nicht. Dort lebt man unter anderen Rahmenbedingungen. Für uns in Schleswig-Holstein sollte es ausschließlich um Personen gehen, die eine besondere Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche haben. Hier ist bemerkenswert, dass es in unserem Land ebenso wie in Bayern keinen einzigen Fall einer kopftuchtragenden Lehrerin gibt.
Nun frage ich mich, ob hier nicht von einigen ein Gesetz um des Gesetzes willen gefordert wird. Egal, wie wir es drehen und wenden, wir haben vor einem Jahr angekündigt, dass wir nur eine überparteiliche Lösung dieser Frage akzeptieren könnten. Ein Kopftuchverbot muss einstimmig beschlossen werden. Ein Kopftuchverbot kann aus unserer Sicht nur für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen gelten. Da im Ausschuss eine solche Lösung nicht gelungen ist, werden wir gegen den CDU-Antrag stimmen. Das werden wir nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Redebeitrags des Kollegen Klug tun. Zuerst hatten wir uns überlegt, uns einfach der Stimme zu enthalten. Aber ich muss sagen, der Beitrag von Herrn Klug war so überzeugend, dass wir jetzt nicht sagen können: Wir werden uns einfach enthalten.
Noch schöner wäre es natürlich, wenn es zu einer bundeseinheitlichen Regelung käme. Allerdings sieht der SSW wenig von einer Grundlage für einen Konsens, wenn die süddeutschen Länder das Gebot der Neutralität so interpretieren, dass die Religion des christlichen Abendlandes gleicher ist als andere. Denn um eines geht es uns garantiert nicht: die leidige Leitkulturdebatte mit anderen Mitteln fortzusetzen.
Zu einem Kurzbeitrag gemäß § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten gestern in unserer Fraktion eine sehr lange Diskussion über die Frage des Kopftuchverbots. Da standen der Kollege Klug und ich zunächst nahezu einsam auf weiter Flur. Denn die erste automatische Reaktion aller Beteiligten war: Unsere Fraktion will das Kopftuchverbot, weil wir den damit verbundenen Gedanken nicht mittragen wollten, uns mit der Intoleranz anderer abzufinden. Nach längerem Nachdenken, Frau Kollegin Eisenberg, ist es uns gelungen, auf Folgendes hinzuweisen.
Im Prinzip führen wir eine verkehrte GesslerhutDebatte. Es gibt Leute, die haben gewollt, dass man sich vor einem Hut verneigt. Jetzt gibt es Leute, die glauben, dass das Kopftuch das Problem sei. Dabei ist das Kopftuch nicht das Problem. Ich stehe ausdrücklich zur Bekenntnisfreiheit und bin tolerant gegenüber jedem, der seine eigene Überzeugung ausleben will. Aber ich bin manifest intolerant gegenüber den Personen, die Menschengruppen oder andere Menschen als minderwertig betrachten, welche sich von ihnen abgrenzen wollen, und zwar unabhängig davon, welches Symbol dabei benutzt wird. Das Problem ist nicht das Kopftuch, sondern im Zweifel der Mensch darunter.
Wir werden das Problem nicht dadurch bewältigen, dass wir sagen, dass wir Kopftücher verbieten, während die gleichen Personen, die wir für intolerant halten, den Unterricht ohne Kopftuch gestalten dürfen.
Wir haben, Frau Kollegin Eisenberg, in der Vergangenheit ein Problem verdrängt. Ich wiederhole, was ich früher von hier aus schon einmal gesagt habe. Kollege Lothar Hay wird wissen, was ich meine. Wir haben zugelassen, Frau Kollegin Fröhlich - damit befinde ich mich in absolutem Gegensatz zu Ihnen -, dass sich Parallelkulturen entwickelt haben, die mit unserer Werteordnung im Sinne der Verfassung und mit der Achtung der Menschenwürde gegenüber jedermann nichts gemein haben.
Ich habe einmal darauf hingewiesen, dass mich Vormundschaftsrichter angesprochen und gesagt haben: Wir haben das Problem, dass junge Menschen von 14 oder 15 Jahren zu uns kommen und sagen, dass ihre
Eltern sie zwangsweise in die Türkei bringen wollten. Und dann sagen sie: Wir müssen den Eltern das Sorgerecht wegnehmen. Aber der politische Mainstream ist momentan nicht entsprechend, weil wir damit Lebensgefühl und Kultur beeinträchtigen würden. Ich habe darauf geantwortet: Das interessiert mich einen Dreck. Denn derjenige, der sich auf dem Boden unseres Landes befindet, befindet sich im Geltungsraum unserer Verfassung und hat sich dementsprechend zu verhalten.
Wir dürfen nicht akzeptieren, dass die Schulpflicht nicht durchgesetzt wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass Eltern sagen: Meine Kinder machen nicht mit, wenn es um Klassenfahrten, Sport- oder Schwimmunterricht geht. Hier geht es nicht um eine Frage der religiösen Wertschätzung oder deren Über- oder Unterordnung. Ich will auch keine Debatte darüber führen, ob das Christentum dem Islam überlegen ist. Das ist eine völlig falsche Diskussion. Diese Diskussion gibt es gar nicht.
Wir führen eine Diskussion unter Demokraten und mit toleranten Menschen, die ein bestimmtes Menschenbild haben, das in unserer Verfassung verankert ist. Es gibt ein anderes Menschenbild bei denjenigen aus unseren Reihen von rechts und auch bei Islamisten, die die Religion für sich missbrauchen, die unser Menschenbild nicht haben. Ich sage noch einmal: Da beginnt meine Intoleranz - aber nur da. Aber dieses Problem werden wir mit dem Kopftuchverbot, egal, in welcher Form, überhaupt nicht bewältigen.
Ich sage noch einmal: Lassen Sie uns dafür Sorge tragen, dass wir mit den Menschen nach unseren Gesetzen angemessen umgehen, die ihrerseits Intoleranz predigen und praktizieren. Dann müssen wir solche virtuellen Scheindebatten, wie sie gegenwärtig stattfinden, nicht führen.
Ich erteile der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur, Frau Erdsiek-Rave, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe hier vor ziemlich genau einem Jahr meine Position erläutert und begründet und habe mich seinerzeit klar gegen das Tragen eines Kopftuchs von Lehrerinnen
Ich habe seinerzeit auch entschieden dafür plädiert, dass die Religionen gleichbehandelt werden. Das ist selbstverständlich. Ich meine, dafür sogar Zustimmung von Ihnen bekommen zu haben. Ich habe auch auf die Vorbildwirkung von Lehrerinnen und Lehrern verwiesen. Das Schulgesetz fordert von den Lehrkräften, dass sie im Unterricht in jeder Weise die Werte des Grundgesetzes vertreten und vorleben. Es geht um religiöse Toleranz, Menschenwürde, Freiheitsrechte und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen.
Ich will trotzdem gerade nach dem Beitrag von Wolfgang Kubicki wiederholen, was ich damals nach meiner Erinnerung gesagt habe: Muslime tragen das Kopftuch aus religiöser Überzeugung, oder sie tragen es, weil der Druck von den Eltern oder vom familiären Umfeld vorhanden ist. Diesen Druck darf man nicht unterschätzen. Man muss nicht Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um eine eindeutige islamistische Expansion in Deutschland zu beobachten, für die die Unterdrückung von Frauen sozusagen zum Programm gehört. Ich möchte, dass unsere Schülerinnen und Schüler und gerade auch die muslimischen Schülerinnen und Schüler vor Druck und Beeinflussung geschützt werden, auch vor ungewollter Beeinflussung.
Damit will ich aber auch sagen: Selbst wenn das Kopftuchtragen eben nur religiös begründet ist, darf man die objektive und manchmal auch ungewollte Wirkung dessen nicht unterschätzen.
Es geht hier also nicht darum, Frau Eisenberg, über eine isolierte Frage zu entscheiden, sondern es geht um eine Güterabwägung, und zwar nicht nur im juristischen Sinne. Man muss das natürlich auch im Kontext unserer eigenen emanzipatorischen und kulturellen Tradition sehen. Man kann viel zerstören, wenn man vorschnell eine Regelung vom Zaun bricht. Manchmal gibt es ja wirklich gute Gründe, abzuwarten und die Entwicklung zu beobachten, insbesondere dann, wenn man überhaupt keinen akuten Anlass hat, eine rechtliche Regelung zu schaffen. Wir warten bewusst auch deswegen ab, endgültig über diese Frage zu entscheiden, weil wir eine verbindliche Rechtslage haben wollen. Im Übrigen steht auch noch die Antwort der EU-Kommission aus, der die Gesetzestexte übermittelt worden sind, um sie vor dem Hintergrund der Antidiskriminierungsrichtlinie der EU zu prüfen.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns damit auch im Einklang mit einer ganzen Reihe anderer Bundesländer, nämlich Sachsen, Sachsen-Anhalt und auch Hamburg, das im Gegensatz zu uns wegen des höheren Ausländeranteils mit dieser Frage sehr viel stärker konfrontiert ist. Für gesetzliche Verbotsregelungen hat sich bisher also nur eine Minderheit der Bundesländer ausgesprochen. Unterlassen Sie deswegen den Vorwurf an Rot-Grün. Das greift ein bisschen zu kurz und spricht eher dafür, dass wir uns immer wieder sehr sorgfältig mit dieser Frage befasst haben.
Das Thema ist komplex. Es betrifft ja nicht nur das Kopftuch und die Symbolkraft des Kopftuchs, sondern damit sind auch ganz wesentlich christliche und jüdische Symbole berührt. Diese Frage berührt auch Grundwerte unseres Zusammenlebens: das Gebot der Toleranz, der Religionsfreiheit und die Frage, wo dies seine Grenzen findet.
Ich finde, wir können uns die Zeit des Prüfens und Darübernachdenkens auch deswegen nehmen, weil - das ist völlig richtig - die derzeitige Rechtslage absolut ausreicht, um im Einzelfall auf gegebenenfalls verfassungswidriges, die Normen, die ich vorhin genannt habe, verletzendes Verhalten reagieren zu können.
Ich will noch ein Wort zur aktuellen deutschen Debatte über Integration, Parallelgesellschaften und das Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft sagen. Für mich gilt dabei immer noch dasselbe, was hier vor einem Jahr - so hoffe ich jedenfalls - Konsens war: dass Integrationspolitik und Integration eben nicht heißt, einer naiven Multikultur das Wort zu reden.
Integration heißt immer, sich auch mit radikalen Tendenzen und missionarischen Tendenzen auseinander setzen zu müssen, sich dieser Auseinandersetzung immer wieder zu stellen und sie nicht einfach unter den Teppich zu kehren. Aber diese Art von Auseinandersetzung darf eben in unseren Schulen so nicht stattfinden, meine Damen und Herren.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und ich finde, wir sollten uns immer wieder mit diesem Thema befassen.