Wir brauchen eine konsequente Wachstumspolitik. Wir werden gleich noch darüber zu diskutieren haben, warum wir eigentlich im bisherigen Jahresverlauf ein höheres Wachstum von 2,2 % in Schleswig-Holstein haben, obwohl keine Neueinstellungen erfolgten. Dies ist ein interessanter Effekt, über den wir reden müssen und der dazu führt, dass die Wachstumsschwelle eben nicht bei 1,5 %, sondern bei 2,2 oder 2,4 % liegt. Aber das können wir beim nächsten Tagesordnungspunkt diskutieren.
Insgesamt - so glaube ich - können wir ein positives Zwischenfazit zu Hartz VI ziehen, aber wir müssen auch feststellen: Vieles liegt noch vor uns.
Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Baasch das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hartz IV steht für die Zusammenlegung der früheren Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Hartz IV bedeutet Förderung, Aktivierung und Vermittlung. Zum 1. Januar 2005 ist die größte und umfangreichste Arbeitsmarktreform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland an den Start gegangen. Arbeitsuchenden werden aktiv neue Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnet. Bisher haben wir gerade bei Langzeitarbeitslosen leider viel zu oft Arbeitslosigkeit statt Arbeitseinstieg finanziert. Finanzielle Unterstützung sollen Arbeitsuchende natürlich immer noch erhalten. Dazu kommen in weit höherem Maße als bisher aber auch Förderung, Aktivierung und passgenaue, schnellere Vermittlung.
Jungen Arbeitslosen unter 25 Jahren wird seit dem 1. Januar eine Beschäftigungsmöglichkeit garantiert. Das ist ein riesiger Schritt hin zur Eingliederung in das Erwerbsleben, denn wir wissen: Je länger junge Menschen arbeitslos sind, desto schwieriger wird der Berufsstart. Mit Hartz IV gilt seit dem 1. Januar 2005 das neue Arbeitslosengeld II, eine einheitliche aktivierende Grundsicherung für Langzeitarbeitslose, die die Aufnahme von Beschäftigung fördert.
Mit dem neuen Arbeitslosengeld II ist verbunden, dass die Beiträge an die gesetzliche Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung gezahlt werden und somit Erwerbslosigkeit nicht zu individuellen Ausfäl
len in der sozialen Sicherung führt. Mit dem Arbeitslosengeld II verbunden ist auch, dass in Zukunft gemeinsam mit den Betroffenen Wege zurück in die Erwerbstätigkeit gesucht werden.
In Zukunft werden Fallmanager 75 Menschen - bei Jugendlichen unter 25 Jahren - und circa 150 Menschen - bei älteren Langzeitarbeitslosen - betreuen. Wir haben nun ein erweitertes Förderinstrumentarium, das Maßnahmen zur Hinführung Langzeitarbeitsloser zur Aufnahme einer regulären Beschäftigung umfasst. Öffentlich geschaffene und geförderte Arbeitsgelegenheiten ebenso wie alle Formen der Beschäftigungsförderung nach dem SGB III, zum Beispiel Lohnkostenzuschüsse, Förderung der beruflichen Weiterbildung und Förderung von Existenzgründungen, stehen jetzt allen Langzeitarbeitslosen offen und nicht nur denen, die im Bezug von Hilfe und Unterstützung durch das Arbeitsamt waren. Dies sind Maßnahmen, die bis jetzt Sozialhilfeberechtigten nicht nur Verfügung standen und die nun durch die Zusammenführung allen offen stehen.
Trotz aller Unkenrufe ist der Start von Hartz IV weitgehend reibungslos abgelaufen. Bis zur letzten Minute haben insbesondere die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit und deren kommunale Partner dafür gearbeitet, dieses zu gewährleisten. Ihnen gilt unser besonderer Dank für ihren intensiven und engagierten Einsatz.
Dass in Schleswig-Holstein die Umsetzung von Hartz IV fast reibungslos verlaufen ist, liegt sicherlich auch daran, dass in vielen Regionen frühzeitig Arbeitsgemeinschaften von der Arbeitsagentur und von kommunalen Gebietskörperschaften gebildet worden sind. Besonders erfreulich ist, dass in vielen dieser Arbeitsgemeinschaften bereits heute ein besonderes Augenmerk auf die Betreuung von jungen Arbeitslosen gelegt worden ist. So wurde im Bereich der Hansestadt Lübeck die gesetzlich vorgeschriebene Aktivierungsquote von jungen Menschen unter 25 Jahren bereits im Januar überschritten. Ziel der Lübecker Arbeitsgemeinschaft ist es, bis zum Sommer dieses Jahres allen erwerbsfähigen Arbeitslosen unter 25 Jahren ein Angebot für einen Job, eine Ausbildung oder eine Bildungsmaßnahme zu ermöglichen. Dies ist eine ausgezeichnete Nachricht für alle jungen arbeitslosen Menschen.
Eines ist aber auch klar, die Arbeitsmarktreformen müssen sich in der Praxis bewähren. Der Prozess der Umsetzung muss kritisch begleitet werden. Kontinuierlich müssen die Erfahrungen ausgewertet werden,
um Unerwartetes umgehend zu erkennen und mögliche Fehlentwicklungen schnell zu beheben. Das Monitoring von Hartz IV wie auch der von der Bundesregierung eingerichtete Ombudsrat sind hierfür die richtigen Instrumente.
Mit der Modernisierung der Arbeitsvermittlung ist ein großer Schritt getan, um die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen des Arbeitsmarktes zu bewältigen. Jetzt nach der Umstellung der Leistungs- und Unterstützungskriterien kommt es darauf an, schnell in die vielfältigen Förder- und Qualifizierungsmaßnahmen einzusteigen. In Zukunft brauchen wir einen weiteren flexiblen Ausbau der Förderinstrumente und eine Stärkung von Arbeitsmarktprojekten.
Sozialtransfers können nicht unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes stattfinden. Wir wollen uns den Sozialstaat weiter leisten, einen aktivierenden, modernen Sozialstaat. Eine nachhaltige Politik für mehr Arbeit muss deshalb die Grundlagen des Wachstums in einer Arbeitsgesellschaft sichern und fördern. Eine Politik, die Arbeit, Wachstum und Gerechtigkeit in Zukunft sichern will, muss weiter mutige Reformschritte gehen. Wir sind auf einem guten Wege.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Jahreswechsel sind die Hartz-Reformen in eine neue Runde gegangen. Alle Augen richten sich nun auf die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, genannt Hartz IV: Ob der damit angepeilte Pusch für den Niedriglohnsektor tatsächlich kommen wird, werden die nächsten Monate beweisen. Die Erwartungen sind allerdings momentan nicht sonderlich hoch, denn von den anderen dringend notwendigen Reformschritten haben sich zu viele als Schuss ins Leere erwiesen.
Mehr als zwei Jahre ist es her, dass VWPersonalvorstand Peter Hartz verkündete: „Heute ist ein guter Tag für die Arbeitslosen in Deutschland.“ Im August 2002, kurz vor der Bundestagswahl, wurde der Endbericht der Hartz-Komission präsentiert, der nach eigenem Anspruch die Blaupause liefern sollte, die Arbeitslosigkeit binnen drei Jahren um 2 Millionen Personen zu senken. Nachdem zweieinhalb Jahre vorüber sind, ist die Zahl der Arbeitslo
sen allerdings nicht gesunken, sondern um 400.000 gestiegen. Dafür gibt es Gründe. Zum Ersten ist das Konzept nie richtig umgesetzt worden. Von den insgesamt 13 Vorschlägen der Hartz-Kommission wurden nur wenige eins zu eins übernommen: die Verbesserung des Kundenservice, die Verschärfung der Zumutbarkeit, die Ich-AG und der Job-Floater.
Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist erst zum Jahreswechsel erfolgt, kann also in ihrer Wirkung noch gar nicht beurteilt werden. Trotz alledem danken wir als CDU-Landtagsfraktion den Kommunen, die sich bemüht haben, dieses viel zu spät verabschiedete Gesetz auf Bundesebene zeitgerecht auf den Weg zu bringen und sicherzustellen, dass alle Menschen zum 1. Januar ihre Leistungen bekommen haben.
Die Personal-Service-Agenturen und die QuickVermittlungen sind dagegen über ihre Ansätze nicht hinausgekommen. Gar nicht umgesetzt wurde das Bonussystem für Unternehmen oder die Maßnahmen für arbeitslose Jugendliche.
Zum Zweiten wäre die anvisierte Senkung der Arbeitslosigkeit wohl auch dann nicht gelungen, hätte man all dieses komplett umgesetzt. Denn an einer Ursache der Arbeitslosigkeit hat Hartz nicht gearbeitet, und zwar an den zu hohen Lohnzusatzkosten. Dort, wo die Arbeitsmarktpolitik etwas ausrichten kann, zum Beispiel beim Abstand zwischen Sozialhilfeleistungen und Niedriglöhnen, wurden die Vorschläge nicht konsequent genug umgesetzt.
Ich nenne das Stichwort Personal-Service-Agenturen. Wir müssen uns am Ende über den gesamten Strauß an Vorschlägen aus der Hartz-Kommission unterhalten. Sie waren ursprünglich das Filetstück der Arbeitsmarktreformen. Nicht weniger als 500.000 Arbeitslose wollte man in solchen Zeitarbeitsunternehmen beschäftigen. Die PSA-Mitarbeiter sollten davon profitieren, dass sie in dem entleihenden Unternehmen Berufserfahrung sammeln können und von ihm eventuell fest angestellt werden. In der Umsetzung schrumpfte das Programm jedoch auf 50.000 Teilnehmer zusammen, von denen im vergangenen November knapp 28.000 Plätze besetzt waren. Die Reduzierung war erforderlich, weil anderenfalls unkalkulierbare finanzielle Risiken auf die Arbeitsverwaltung zugekommen wären.
Die Ich-AG als nächstes Stichwort. Sie ist auf dem ersten Blick ein Renner. Im Dezember 2004 wurden summa summarum 220.000 Existenzgründer gefördert, ohne dass die damit konkurrierende Förderung durch das Überbrückungsgeld zurückgegangen wäre.
Damit ist indes überhaupt noch nicht gesagt, dass die Idee ein arbeitsmarktpolitischer Erfolg werden kann.
Mehr als nur Umsetzungsprobleme gab es bei anderen Hartz-Vorschlägen. So wurde die Idee des „Bridge-Systems“ für ältere Arbeitslose glücklicherweise gar nicht erst in Angriff genommen. Arbeitslose ab 55 Jahren sollten unter Beibehaltung eines reduzierten Arbeitslosengeldanspruchs von der Pflicht entbunden werden, weiterhin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Dabei kostet schon die gegenwärtige Praxis, älteren Arbeitslosen einen gleitenden Übergang in die Rente zu bereiten, die Sozialversicherungen jährlich 36 Milliarden €. Das waren einige Beispiele, die wir in dieser Debatte nennen möchten, weil wir finden, dass wir uns nicht auf Hartz IV ausruhen dürfen.
Das war ein erster und ganz wichtiger Schritt in der Debatte um Sozialreformen. Wir sind froh darüber, dass wir diese gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Wir sind dankbar, dass dies vor Ort umgesetzt werden konnte. Wenn wir aber glauben, dass wir damit die Probleme gelöst haben, sind wir alle auf dem Irrweg. Wir müssen weiter an Hartz arbeiten und die nächsten Punkte aufgreifen, meinetwegen auch über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg. Ich weiß, dass CDU, SPD und FDP dazu bereit sind. Die sollen es dann machen. Wer abseits steht, bleibt abseits und wird den Arbeitslosen eben nicht konkret helfen können.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Bemerkung vorweg, weil ich das Vergnügen habe, sozusagen auf dem Dach eines Gebäudes des ehemaligen Landesarbeitsamtes Nord, also der Regionalbezirksstelle Kiel der Bundesagentur für Arbeit, zu wohnen. Ich habe mitgekriegt, wie die Menschen dort ab Mitte Oktober bis Ende Dezember von morgens 6 Uhr bis abends 22 Uhr auch an Sonnabenden und Sonntagen gearbeitet haben, damit die Hartzreform, diese Reform des Arbeitsmarktes pünktlich in Kraft treten kann, damit die Menschen künftig ihr Geld auf dem Konto haben. Ich
Herr Minister Rohwer, zugleich bin ich nach wie vor der Meinung und habe das an früherer Stelle auch immer gesagt, dass eine solche gewaltige Reform, von der rund 3,5 Millionen Bundesbürger ganz einschneidend betroffen sind, auf Bundesebene einer sorgfältigeren Vorbereitung bedurft hätte. Ich bin nach wie vor der Auffassung, es wäre besser gewesen, wenn diese Reform später in Kraft getreten wäre, als dass sie so übers Knie gebrochen wurde, wie das tatsächlich in den letzten Wochen des vergangenen Jahres geschehen ist.
In den letzten Wochen und Monaten konnten sich nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Agentur für Arbeit und die in den zu gründenden Arbeitsgemeinschaften, die Datenschutzbeauftragten sowie die Bürgerbeauftragte des Landes SchleswigHolstein über zu wenig Arbeit beschweren. Herr Rohwer, Sie haben selber ein Beispiel genannt. Sehr viel mehr arbeiten mussten zum Jahresende auch zahllose Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Banken, damit über Neujahr rund 1,8 Millionen Überweisungen per Hand korrigiert werden konnten. Sonst hätten die Menschen überhaupt kein Geld bekommen.
Ich finde, an dieser Stelle muss schon geklärt werden, wer eigentlich den zusätzlichen Aufwand trägt, der daraus entstanden ist. Wird das aus Mitteln der Beitragszahler bezahlt? Soll das aus Steuermitteln bezahlt werden oder wird - wie ich es hoffe - die Softwarefirma in Regress genommen? Wird die dafür bezahlen, dass sie nicht in der Lage war, ein Softwareprogramm zu schreiben, das sich an dem Standard deutscher Banken orientiert? Ich glaube, eine einzige Bank war in der Lage, dieses Softwareprogramm einzusetzen. Alle anderen Banken lesen und verarbeiten die entsprechenden Daten nämlich genau anders herum, also nicht linksbündig beginnend, sondern rechtsbündig. Wer diese Kosten trägt, ist eine spannende Frage.
Die nächste Frage ist die, wer die zusätzlichen 4,2 Milliarden € trägt, mit denen Finanzminister Eichel nicht gerechnet hat, weil er davon ausging, dass 23 % aller Antragsteller in Zukunft keinen Anspruch auf ALG II haben werden. In der Tat sind es Gott sei Dank „nur“ 9,3 %. Das bedeutet aber automatisch Mehrkosten von bundesweit rund 4,2 Milliarden €. Wo die herkommen sollen, weiß auch Hans Eichel bis heute nicht.
Vormalige Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfänger verlieren ihren Versicherungsschutz in der Krankenversicherung. Auch das ist ein Punkt, der am 3. Januar 2005 von den „Kieler Nachrichten“ thematisiert wurde. Dort wurde die Zahl genannt, dass allein in Schleswig-Holstein derzeit 8.000 Bürger ohne Krankenversicherungsschutz dastehen und sich innerhalb der nächsten drei Monate neu versichern müssen.
Ich will das nicht als Faktum hinstellen, aber zumindest thematisieren, dass auch die Frage besteht, ob ALG II-Empfänger es sich in Zukunft leisten können, ihre Kinder in Kindertagesstätten schicken zu können. Dies wurde in den „Lübecker Nachrichten“ thematisiert.
- Frau Kähler, ich habe gesagt, ich will das thematisieren. Ich will mich mit Absicht nicht hier hinstellen und sagen, das sei so. Das Problem bleibt aber bei dieser Reform - -
- Lieber Wolfgang Baasch, vielleicht sind wir einer Meinung, dass die Kommunikation über eine Reform, die im Grundsatz richtig ist und die wir im Grundsatz auch immer als richtig angesehen haben - -