Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir an dieser Stelle, einen herzlichen Gruß nach Bäk zu senden, denn eigentlich wäre es der Redebeitrag von Frau Dr. Happach-Kasan gewesen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Ich dachte schon, das sei eine gentechnische Verände- rung! - Jürgen Weber [SPD]: Wir bedauern, dass sie nicht da ist!)

Ich werde mir Mühe geben, sie würdevoll zu vertreten.

Im September haben sich die SPD-geführten Landesregierungen bei der Bundesregierung über die geplante Verteilung von Fördermitteln für gentechnische Forschung beschwert. Die Mittel würden überwiegend in den Süden der Republik fließen. In diesen Chor stimmte natürlich auch die schleswig-holsteinische Landesregierung mit ein. Ich frage Sie: Was soll eine solche Beschwerde, wenn im Koalitionsvertrag von Rot-Grün in Schleswig-Holstein die Gentechnik gefährlich nahe an eine Geißel der Menschheit herangerückt wird?

(Beifall bei der F.D.P. und der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

Wir sollten uns bei einer solchen Politik und einer solchen Einstellung nicht wundern, wenn kaum Fördermittel für gentechnische Vorhaben nach SchleswigHolstein fließen.

(Jürgen Weber [SPD]: Abwarten!)

Die gentechnik-basierte Biotechnologie gehört zu den Wachstumsbranchen der Hochtechnologie und den Wachstumsquellen der Zukunft. Die Zeitschrift „The Economist" nennt die Gentechnik als eine von

(Dr. Heiner Garg)

drei Quellen für einen neuen langen Wachstumsschub der Weltwirtschaft gemeinsam mit der Informationsund der Brennstoffzellentechnologie.

Wenn wir in Schleswig-Holstein Einfluss auf den Umgang mit der Gentechnik nehmen und direkten Nutzen aus ihr ziehen wollen, müssen wir für die Gentechnik in Schleswig-Holstein mehr tun; denn nur wer mitmacht, wird auch beim Mitreden ernst genommen. Schleswig-Holstein darf nicht zum gentechnischen Niemandsland werden!

(Beifall bei der F.D.P. und der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

Das ist das Anliegen des vorliegenden Antrages.

Die Bundesregierung und andere Landesregierungen haben die Zeichen der Zeit längst erkannt. Sie erkennen nicht nur die Chancen der Gentechnik, sie lassen ihrer Erkenntnis auch Taten folgen. In Mecklenburg-Vorpommern entsteht das BioCon-Valley, ein Projekt, das unser Nachbarland in ein internationales bio- und gentechnisches Forschungsnetz einbindet. In Rheinland-Pfalz wird in den nächsten Jahren massiv in die Forschung an grüner Gentechnik investiert. Bayern und Baden-Württemberg sind bei gentechnischer Forschung die Vorreiter in Deutschland.

Die Bundesregierung bezeichnet die Gentechnik in ihrem Bericht „Genomforschung in Deutschland Stand und Perspektiven“ als das zentrale Wissenschaftsfeld für den Erkenntnisfortschritt in den Lebenswissenschaften und für die Innovationsfähigkeit der Medizin, der Pharma- und Biotech-Industrie, der Agrarwirtschaft, des Nahrungsmittelsektors und des Umweltschutzes“. Weiter heißt es:

„Die Dynamik des Erkenntnisfortschritts in den Lebenswissenschaften und die daraus erwachsenden Innovationen für viele Wirtschaftsbereiche machen auch in Deutschland eine in Breite und Tiefe exzellente und international konkurrenzfähige Genomforschung erforderlich.“

Dies ist eine rot-grüne Erkenntnis, der sich der F.D.P. nicht nur nicht verschließt, sondern die wir voll und ganz unterstützen. Es ist dann aber an der Zeit, dass sich unsere Landesregierung ihren Parteifreunden in Berlin anschließt und ihr Verhalten von Betroffenheitsprosa und Verhinderungspolitik auf aktive Förderung der Gentechnik umstellt.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Leider weist der Antrag der Koalitionsfraktionen zur Technologiefolgenabschätzung in Richtung Verhinderung. Das ist aber auch nicht weiter überraschend, denn entsprechend dem Antrag soll die einzu

richtende TA-Einheit unter anderem auch Alternativen entwickeln und öffentliche Diskursverfahren verbessern. Das geht weit über die Bewertung von Chancen und Risiken hinaus. Die TA-Einheit müsste ihre begrenzten Mittel in wesensfremden Aufgaben verzetteln. Dies würde die Schätzung der Folgen der Gentechnik verzögern und Schleswig-Holstein einen weiteren Wettbewerbsnachteil bringen. Technologiefolgenabschätzung sollte keine Parallelforschung zur Entwicklung gentechnischer Verfahren und gentechnisch veränderter Produkte sein. Technologiefolgenabschätzung sollte auch kein Verfahren zur Entwicklung von Diskussionsformen und Marketingprozessen in gentechnikbezogenen Diskursen sein. Technologiefolgenabschätzung sollte ein Verfahren des Risikomanagements sein, in dem die Chancen und Risiken vorhandener oder entstehender gentechnischer Verfahren und gentechnisch veränderter Produkte mit nachvollziehbaren Verfahren gemessen und bewertet werden.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

In diesem Sinne ist Technologiefolgenabschätzung nicht nur wichtig, sondern unbedingt notwendig. Die Ergebnisse der begleitenden Forschung sind eine wichtige Grundlage für die öffentliche Diskussion der Gentechnik. Als Diskussionsgrundlage werden die Ergebnisse aber nur dann brauchbar, wenn die Ablehnung der Gentechnik nicht a priori mittels eines politischen Auftrages in die Bewertung von Chancen und Risiken hineingetragen wird.

(Beifall der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dieses Ziel scheint Ihr Antrag offensichtlich zu haben. Wir wehren uns dagegen, die notwendige begleitende Forschung für Chancen und Risiken der Gentechnik als Mittel der Verhinderung gentechnischer Forschung zu instrumentalisieren;

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU)

denn das würde erstens eine fruchtbare öffentliche Diskussion behindern und zweitens SchleswigHolstein im Wettbewerb der Regionen um die Ansiedlung gentechnischer Forschungs- und Produktionsstätten weiter zurückwerfen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: So ist es!)

Wenn wir uns nicht beeilen, wird Schleswig-Holstein auf dem Gebiet der Gentechnik so weit zurückfallen,

(Dr. Heiner Garg)

dass der Boom in diesem Sektor uneinholbar an uns vorbeizieht.

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU)

Wenn wir in Schleswig-Holstein direkten wirtschaftlichen Nutzen aus der Entwicklung der Gentechnik ziehen wollen und wenn wir Einfluss auf den verantwortungsvollen Umgang mit gentechnischen Erkenntnissen nehmen wollen, dann muss Schleswig-Holstein eine der ersten Adressen für Gentechnik in dieser Republik werden.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: So ist es!)

Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie die Gentechnik positiv unterstützt und weiter voranbringt. Es reicht nicht aus, wenn sich die Vertreter der Regierung nur bei Unternehmensbesuchen für gentechnische Forschung aussprechen. Die Landesregierung muss die Chancen der Gentechnik endlich auch der breiten Öffentlichkeit nahe bringen.

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU)

Die Gentechnik entwickelt sich so schnell, dass Rückstände nur schwer aufholbar sind. Man wird nicht auf Schleswig-Holstein warten. Deshalb müssen wir so schnell wie möglich entschlossen handeln.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: So ist es!)

Auf dieses Ziel wollen wir die Landesregierung verpflichten, damit wir unsere Zukunft wirklich im eigenen Land bestimmen können.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Dem Antrag der Union stimmen wir selbstverständlich zu.

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Weber.

(Zuruf: Aber diesmal ehrlich, bitte! - Jürgen Weber [SPD]: Immer!)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat ist es bedauerlich, dass Kollegin HappachKasan heute nicht hier sein kann; sonst könnte ich ihr persönlich sagen, dass es - analog zu den Ausführungen, die Herr Garg vorgetragen hat - offensichtlich ein zentrales Missverständnis über Funktion und Bedeutung von Technikfolgenabschätzung gibt. Das hat

keinesfalls mit Verhinderung, sondern sozusagen mit systematischer Begleitung von neuen Technologien zu tun. Ich werde darauf gleich noch zurückkommen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Zurufe von CDU und F.D.P.)

Biotechnologie ist in ihrer Gesamtheit ein Bereich, der einem beständigen Wachstum unterworfen ist. Auch Schleswig-Holstein hat im Rahmen seiner Möglichkeiten seinen Anteil daran. Jüngstes Beispiel dafür ist das vor kurzem fertig gestellte BiotechnologieGroßlabor an der CAU. Hier wird übrigens genau das realisiert, was die Enquetekommission im letzten Jahr einmütig empfohlen hat: ein interdisziplinäres Zentrum und eine sinnvolle Konzentration von Ressourcen aus der Mikrobiologie, der Biochemie, der Biophysik und der Agrarwissenschaft. Ich bin sicher, dass mit der MUL in Lübeck und mit dem Zentrum in Borstel weitere Kompetenzzentren im Land vorhanden sind, die sich entsprechend positiv entwickeln werden. Die Ankündigung eines neuen Studienganges Molekulare Biotechnologie in Lübeck ist ja erfolgt.

Die ökonomische Bedeutung der Biotechnologie wächst auch in unserem Land. Es ist vor kurzem vom Minister dargestellt worden, dass sich die 17 neuen Biotech-Unternehmen, die wir im Land haben, positiv entwickeln.

Ich will gar nicht ausführlich darauf eingehen - wir haben das hier in vielen Debatten gemacht -, wo die spezifischen Chancen und Risiken und auch Perspektiven für Schleswig-Holstein liegen. Die besondere Situation mit dem Schwerpunkt im Bereich Nahrungsmittel, Landwirtschaft, Gesundheit und Umwelt zeigt, dass dies für die Biotechnologie besonders interessante Bereiche sind, die in Schleswig-Holstein stark verankert sind. Wir wissen, dass wir an Hochschulen jetzt schon viele Dinge, die häufig unerwähnt bleiben, an Strukturen haben - angefangen von der Bioverfahrenstechnik an der Fachhochschule in Flensburg bis hin zu dem, was unsere Universitäten im Bereich der Medizin anbieten. Das muss ich Ihnen hier gar nicht alles noch einmal en détail ausbreiten.