Protokoll der Sitzung vom 10.05.2000

(Beifall bei der SPD)

Ich werde nach dieser Vorbemerkung in fünf Punkten die Essentials für die Bahnpolitik vorstellen, die uns als Landesregierung und mich als Minister in den nächsten Monaten in den Gesprächen mit Dritten leiten werden.

Erstens. Seit das Land die Regie übernommen hat, gibt es wesentlich mehr Personennahverkehr auf der Schiene. Das heißt, dass die Regionalisierung richtig war. Unsere Bahnpolitik in Schleswig-Holstein hat sich bewährt. Wir haben das Angebot an Zugkilometern im Lande seit 1994 um 13,5 % erhöht.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt: mehr Züge, dichtere Takte und neue Verbindungen! Unser Angebot ist angenommen worden. Die Fahrgastzahlen sind überproportional um 15 % gestiegen. Tag für Tag fahren über 20.000 Menschen mehr als vor zehn Jahren mit der Bahn. Das sind 10.000 Pkw-Pendler weniger. Auch das ist ein beachtlicher Effekt, der zeigt, dass sich ein besseres Angebot auf den Schienen lohnt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Wir werden das Angebot weiter ausbauen und den Bahnverkehr noch attraktiver machen. Dazu werden wir in den nächsten Jahren die Strecke Neumünster - Bad Segeberg wieder in Betrieb nehmen und den Stundentakt zwischen Kiel - Neumünster - Bad Segeberg - Bad Oldesloe einführen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden zwischen Kiel und Hamburg den Halbstundentakt und die Elektrifizierung zwischen Hamburg und Lübeck realisieren und auch dort einen Halbstundentakt einführen. Wir werden auf den Strekken Husum - St. Peter-Ording, Heide - Büsum und Neumünster - Heide ebenfalls den Stundentakt einführen und wir werden alle 150 Bahnhöfe in SchleswigHolstein modernisieren und viele Stationen neu eröffnen. Ich glaube, das ist ein Fortschritt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das ist ein enormes Programm zur Entlastung der Straße, zum Schutz des Klimas und für einen modernen öffentlichen Personennahverkehr in SchleswigHolstein.

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

Jetzt komme ich zu den für die Zukunft besonders wichtigen Punkten.

Drittens. Wir werden unsere Politik des Wettbewerbs auf der Schiene konsequent im Interesse des gesamten Verkehrs und insbesondere der Bahnkunden fortsetzen. Zusammen mit Nordrhein-Westfalen sind wir schon jetzt - was den Wettbewerb auf der Schiene angeht bundesweit führend. Mit der jüngsten Vergabeentscheidung werden 20 % der regionalen Zugkilometer unter Wettbewerbsbedingungen produziert. Das ist mehr als das Doppelte des Bundesdurchschnitts, wobei die interessantesten Strecken erst noch kommen. Mit dieser Wettbewerbspolitik haben wir die Kosten enorm reduzieren können. Das, was wir sparen, kommt der Quantität und der Qualität unseres Schienennetzes zugute. Das ist keine Politik gegen die Deutsche Bahn, sondern das ist eine konsequente Umsetzung dessen, was wir mit der Bahnreform beschlossen haben und es ist das Zeichen dafür, dass wir das umsetzen, was die Deutsche Bahn selbst gewollt hat und jetzt auch selbst für sich umsetzen kann.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Viertens. Die Schieneninfrastruktur muss ertüchtigt, erhalten und ausgebaut werden. Deshalb sage ich ganz deutlich: Wir wollen die Regionalisierung des Regionalnetzes, weil wir damit riesige Chancen verbinden. Mit der Bahnreform sind Infrastruktur und Fahrbetrieb getrennt worden. Daran wollen wir festhalten. Die Frage ist, wie die regionale Schieneninfrastruktur wirtschaftlich betrieben werden kann.

Die DB Netz AG will im Rahmen der so genannten Mittelstandsoffensive Strecken an regionale Unternehmen übertragen. Wir unterstützen die Absicht der Bahn, vor Ort flexiblere Strukturen zu schaffen und verantwortliche Entscheidungen über Investitionen in die Region zu verlagern. Wir können das in der Region besser. Wir wollen allerdings nicht, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, indem das Netz über die Regionalisierung wieder mit dem Betrieb vereint wird, wie etwa bei der ZugBus. Das hieße nämlich ein Rückgängigmachen der Bahnreform und damit eine Behinderung oder Vereitelung des Wettbewerbs, der ja gerade beginnt, seine positive Wirkung zu entfalten.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich setze mich für ein echtes und wettbewerbsneutrales Regionalmodell ein, bei dem die Deutsche Bahn - aber auch andere schleswig-holsteinische Schienenverkehrsunternehmen - und das Land gemeinsam wirken.

Ich verspreche mir von einer solchen regionalen Trassengesellschaft für Schleswig-Holstein zwei zentrale Vorteile: Schienenwege, die dem Bedarf wirklich ge

recht werden und zugleich sinkende Trassenpreise. Frau Aschmoneit-Lücke, die Trassenpreise sind zu hoch, da sind wir uns einig. In der Resolution ist zutreffend ausgeführt, dass wir eine wettbewerbliche Aufsicht brauchen. Das Bundeskartellamt überprüft bereits jetzt die Trassenpreise der Bahn, das ist richtig. Wir brauchen künftig eine laufende Überprüfung der Trassenpreise, weil sie in einigen Fällen um 50 % überhöht sind.

Fünftens. Ich gehe jetzt auf den letzten und politisch gesehen vielleicht wichtigsten Punkt ein. Wir wollen die Fernverbindungen von und nach SchleswigHolstein sichern und ausbauen und dabei Fern- und Regionalverkehr noch enger aufeinander abstimmen. Bekanntlich gibt es Planungen der Bahn, auch in Schleswig-Holstein Fernverbindungen zu streichen. Dagegen wird die Landesregierung - wie ich hoffe mit Unterstützung der Resolution, die heute verabschiedet werden soll - mit allen Möglichkeiten kämpfen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen durchgehende Fernzüge von und nach allen Zentren des Landes: Westerland, Kiel, Lübeck, Flensburg und weiter in Richtung Kopenhagen und Stockholm. Das Interessante ist, dass diese Züge auch eine Nahverkehrsfunktion haben. Dort fahren auch Nahverkehrskunden mit. Deswegen wollen wir mit der Deutschen Bahn darüber sprechen, ob wir nicht gemeinsam neue Wege gehen und bei der Verknüpfung von Fern- und Regionalverkehr zu neuen Aufteilungsund Verknüpfungsmodellen kommen können. Das ist der einzige Ansatz, um zu einer wirtschaftlich vernünftigen Lösung zu kommen. Bisher habe ich aus meinen Gesprächen mit der Bahn den Eindruck, dass die Bahn bereit sein könnte, mit Schleswig-Holstein sogar ein Modellprojekt zu fahren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Heinz Maurus [CDU])

Herr Minister, kommen Sie bitte zum Schluss!

Das wäre besonders chancenreich, weil die Bahn dann zeigen könnte, dass sie in einem konstruktiven Miteinander mit einem Land, das übrigens intakte Strecken hat, bei denen es keinen großen Nachholbedarf gibt -

Herr Minister, kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich komme zum Schluss und sage: Ich würde mich freuen, wenn wir diese Resolution verabschieden würden, weil sie uns - das ist für die Gespräche mit Herrn Mehdorn morgen sehr wichtig - die Rückendeckung dieses hohen Hauses geben würde. Ich sage, wenn wir diesen Kurs halten und diese fünf Maßnahmen in den Bereichen durchführen, die ich eben genannt habe, bin ich optimistisch, dass Schleswig-Holstein seinen Erfolgsweg im Schienenpersonenverkehr fortsetzen wird und wir gute Chancen haben, auch künftig eine moderne Region zu bleiben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelter Beifall bei der F.D.P. sowie Beifall der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Dann schließe ich die Beratung und wir treten in die Abstimmung ein. Wenn ich das richtig verfolgt habe, ist Abstimmung in der Sache beantragt worden. Wer also der Resolution zur Sicherung des regionalen Schienenverkehrs in Schleswig-Holstein, Drucksache 15/54, seine Zustimmung erteilen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Resolution mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, CDU, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des SSW einstimmig angenommen. Ich bedanke mich; damit ist der Tagesordnungspunkt geschlossen.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum PflegeVersicherungsgesetz (Landespflegegesetz - LPfle- geG)

Gesetzentwurf der Fraktion der F.D.P. Drucksache 15/29

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall; dann eröffne ich die Grundsatzberatung. Das Wort hat Herr Abgeordneter Garg.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Dr. Garg!)

- Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Garg.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau übernimmt den Vorsitz)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich zu Beginn ganz deutlich sagen, worum es mir nicht geht: Der vorliegende Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion soll weder als Alternative zur Qualitätsoffensive des Sozialministeriums noch als Alternative zum Pflegenot-Telefon missverstanden werden. Ich glaube, gerade die vergangenen Monate haben gezeigt, wie notwendig die Einrichtung des Pflegenot-Telefons gewesen ist.

Aber es muss doch unser Ziel sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit in Zukunft Einrichtungen wie das Pflegenot-Telefon überflüssig werden. Pflege- und Betreuungsleistungen müssen doch - unabhängig davon, ob sie in der Familie, von einem ambulanten Pflegedienst oder in einem Pflegeheim erbracht werden so erbracht werden, dass Beschwerden und Klagen von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen in Zukunft weitgehend ausgeschlossen werden können.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ich gehe davon aus, dass das gerade das Ziel Ihrer Qualitätsoffensive ist, Frau Ministerin, so habe ich Ihre Ankündigungen jedenfalls verstanden. Abgesehen davon, dass der Personalmangel in vielen Einrichtungen durch die Qualitätsoffensive natürlich nicht bewältigt wird - ich räume gern ein, dass er möglicherweise unter den gegebenen Umständen in diesem Rahmen auch nicht bewältigt werden kann -, fehlen mir aber bislang konkrete Schritte zur Etablierung eines wirksamen und unabhängig arbeitenden Kontrollinstrumentariums. Gerade das ist aber eine ganz entscheidende Voraussetzung für eine kontinuierliche Qualitätssicherung.

(Beifall bei der F.D.P.)

Denn welchen Wert haben noch so hohe Qualitätsstandards, wenn deren Einhaltung nicht regelmäßig kontrolliert und Verstöße nicht sanktioniert werden! Jedes Qualitätssicherungssystem ist ohne ein parallel arbeitendes unabhängiges Kontrollsystem weitgehend nutzlos. Das gilt natürlich auch für die Pflege.

Dabei weiß ich, dass die Forderung nach Kontrollen beziehungsweise nach Implementierung eines ganzen Kontrollsystems durchaus auf Skepsis stößt. Pflegedienstleitungen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen zum Beispiel darauf aufmerksam, dass Kontrollen immer nur zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt stattfinden können. So seien selbst regelmäßig wiederkehrende Kontrollen überhaupt nicht in der Lage, irgendeine Aussage über den permanenten psychischen Zustand des Pflegebedürftigen zu treffen. Folgerichtig lieferten Kontrollergebnisse auch keine oder nur geringe Aufschlüsse darüber, wie die Pflege

(Dr. Heiner Garg)

situation zu verbessern sei. Die Einrichtung eines entsprechenden Kontrollsystems könne daher allenfalls ganz am Ende entsprechender Verbesserungsmaßnahmen stehen.

Meine Damen und Herren, ich will ganz klar und deutlich sagen: Ich teile diese Auffassung so nicht. Selbstverständlich beseitigt ein Kontrollsystem alleine nicht die vorhandenen Missstände. Aber die in der jüngsten Vergangenheit durchgeführten - zum großen Teil im Vorfeld angekündigten - Kontrollen haben Missstände und Verfehlungen zutage gefördert, von deren Ausmaß und Schwere vermutlich nicht nur ich überrascht war.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das ist eigent- lich unglaublich!)

Hierbei geht es nicht darum, bei den Pflegekassen, den Heimleitungen, den Einrichtungsträgern oder gar bei der Landesregierung die alleinige Schuld