Protokoll der Sitzung vom 24.01.2001

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrüßen alle die seit zehn Jahren in Gang gekommene militärische und politische Entspannung. Ich glaube, wir alle hier im Hause und auch unsere Bürgerinnen und Bürger haben sich immer nach Frieden mit unseren Nachbarn und nach Abrüstung der Militärblöcke gesehnt. Wir sind also froh darüber, dass wir heute von Freunden und nicht mehr von Bedrohern umgeben sind.

(Beifall im ganzen Haus)

Aus dem „waffenstarrenden Flugzeugträger Schleswig-Holstein“ ist unbestritten ein normales Land geworden.

Abrüstung allerdings hat Konsequenzen: Die Sollstärke der Bundeswehr wird von inzwischen nur noch 335.000 Soldaten auf Empfehlung der WeizsäckerKommission auf rund 280.000 Soldaten verkleinert. Diese von allen begrüßte Verringerung wiederum bedeutet, Standorte der Bundeswehr zu schließen beziehungsweise zu verkleinern. Anders geht das leider nicht. Denn ohne Reduzierung der Standorte ist eine Verkleinerung nicht zu machen und eine Verkleinerung hat Folgen für die einzelnen Standorte.

Der Verteidigungsminister hat dem Innenminister und mir am vergangenen Mittwoch die Kriterien genannt, die als Entscheidungsgrundlage für die Auswahl jener Standorte herangezogen werden, die entweder geschlossen, verlegt oder verkleinert werden müssen. Diese Kriterien teilen sich in etwa drei Gruppen, die gleichzeitig auch deren Rangordnung darstellen.

Erstens: militärische Kriterien. Die Erfordernisse der Bundeswehr gelten bei der Verkleinerung unserer Streitkräfte natürlich vorrangig. Über diese Planungen beraten die militärischen Stäbe. Hier kann, darf und will sich die Landesregierung nicht einmischen.

Zweitens: zivile Kriterien. Das Bundesverteidigungsministerium wird bei der Wahl der zu schließenden und zu verkleinernden Standorte Arbeitsmarkt, Wirtschaftskraft, Chancen der Nachwuchsgewinnung, Ausbildungsstand, Infrastruktur und so weiter berücksichtigen. Bei diesem und auch beim nächsten Kriterium ist das Land gefordert, seine Argumente einzubringen und die Entscheidungen des Ministeriums zu prüfen.

Drittens: finanzielle Kriterien. Der Verteidigungsminister ist naturgemäß an einer Verwertung der Liegenschaften interessiert. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf der bundeswehreigenen Liegenschaften will er die Modernisierung der Bundeswehr weiter vorantreiben.

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Diese Kriterien sind im Bundeskabinett verabschiedet, vom Parlament und von allen Ländern akzeptiert worden.

Bei dem offenen Gespräch mit Rudolf Scharping übrigens nicht das erste, das ich mit ihm hatte - wurde deutlich, dass der Verteidigungsminister unsere Argumente ernst nimmt und sie in seine Planungen mit einbeziehen will.

Ich will Ihnen die wichtigsten Argumente in Stichpunkten kurz vortragen. Sie beziehen sich - wie ich bereits festgestellt habe - nicht auf die militärischen Kriterien.

Erstens. Wir stellen uns grundsätzlich den notwendigen Truppenreduzierungen nicht in den Weg - das haben wir auch das letzte Mal schon gesagt -, wollen aber nicht noch einmal überproportional mit Standortschließungen gegenüber anderen Bundesländern benachteiligt werden.

(Beifall im ganzen Haus)

Zweitens. Wir brauchen eine notwendige Truppenstärke in einer ausgewogenen territorialen Verteilung für den Katastrophenschutz. Wir in Schleswig-Holstein haben die längsten Deichlinien und für Schiffsbrände und ähnliche Havarien ist die Bundeswehr ein unentbehrlicher Helfer. Ohne Kooperation mit der Bundeswehr ist der Katastrophenschutz in Schleswig-Holstein nicht zu gewährleisten.

(Beifall im ganzen Haus)

Denn die Bundeswehr wirkt auch auf Wunsch der Bundesregierung bei der Umsetzung der Empfehlungen der Grobecker-Kommission mit. So bieten zum Beispiel die SAR-Hubschrauber bei Schiffsunfällen ihre Hilfe an.

Drittens. Schleswig-Holstein hat sich in der Vergangenheit vor allem wirtschaftlich auf die überproportional starken Bundeswehrstandorte eingestellt. Deswegen muss diese Anpassungsleistung beim Abbau berücksichtigt werden. Hier erwartet der Verteidigungsminister unsere Argumente zu den einzelnen Standorten, die in seine Entscheidung mit einfließen werden. Der Innenminister hat entsprechende Arbeitsgruppen eingerichtet und auch die Kommunen und Kreise gebeten, daran teilzunehmen.

Viertens. Darauf bezieht sich unsere stärkste Forderung, nämlich dass die Bundeswehr für eine sozialverträgliche Lösung für die betroffenen Beschäftigten sorgt. Insbesondere sollen dazu arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergriffen werden. Bundesminister Scharping hat zugesagt, dass die Bundeswehr für sozialverträgliche Lösungen eintreten wird. Er wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass entgegen

früheren Standortreduzierungen ein langer Zeitraum der Abwicklung vorgesehen ist. Ich muss fairerweise hinzufügen: Auch die Rühe-Vorschläge sind noch nicht alle abgearbeitet, sondern über eine Zeitschiene geschoben worden, sodass man Zeit für die Anpassungen bekommen kann.

Fünftens. Die Bundeswehr bleibt auch in der Verantwortung, bei reduzierten Standorten eine Flächenbereitstellung unbürokratisch und lastenfrei zu gewährleisten. Ein Leerstand ist für die Kommunen am schwersten erträglich. Das traf auch auf Verständnis beim Bundesverteidigungsminister. Er will hier zu schnellen, flexiblen und vernünftigen Lösungen kommen. Das Land wird bei der unter Umständen notwendigen Konversion auf die bewährten Erfahrungen der vergangenen Jahre zurückgreifen, die vielerorts zu respektablen und sehenswerten Ergebnissen geführt haben.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir sehr sachliche und konstruktive Gespräche hatten, dass wir jetzt darauf warten, relativ schnell, spätestens Montag, die Ergebnisse zu bekommen und sie dann bewerten zu können. Der Verteidigungsminister hat unsere Argumente ernst genommen und fest zugesagt, sie in seine Erwägungen und Entscheidungen mit einzubeziehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bundesverteidigungsministerium wird am kommenden Montag, also am 29. Januar, seine Vorschläge nach den militärischen Kriterien offiziell mitteilen. Am 15. Februar 2001 werden diese Vorschläge mit den Stellungnahmen der Bundesländer abgeglichen und erörtert. Ich bin dem Bundesverteidigungsminister dafür dankbar, dass wir keine Hängepartie bis zum ursprünglich geplanten 31. März haben werden.

Die Bürgerinnen und Bürger, insbesondere die der betroffenen Kommunen, brauchen schnell Klarheit. Wir werden deswegen bereits am kommenden Mittwoch, am 31. Januar - also zwei Tage nach Bekanntgabe der Pläne des Bundesverteidigungsministeriums -, die kommunalen Vertreter des Landes einladen, die dann hoffentlich schon erste Skizzen gemacht haben, um zu diesen Vorschlägen eine gemeinsame Stellungnahme Schleswig-Holsteins zu verabschieden.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])

Die ruhige und konstruktive Sitzung mit allen Kommunalvertretern und Vertretern der Bundeswehr beziehungsweise der zivilen Streitkräfte vom letzten Mittwoch gibt mir die Gewissheit, dass wir das gut schaffen können, wenn wir zusammenstehen. Ich danke Admiral Leder ausdrücklich, der angeboten hat, uns in militärischen Fragen beratend zur Seite zu stehen, in

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

denen uns der eigentliche Sachverstand fehlt und in denen wir auch keine Eingriffsrechte haben.

Ich glaube, dass sich die Reduzierung von Standorten nicht für parteipolitisches Gezänk eignet.

(Beifall bei SPD, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir haben auch in der letzten Runde versucht, die Argumente des Bundesverteidigungsministers nachzuvollziehen. Zum Teil haben wir sie auch politisch verteidigt. Unser damaliger Widerspruch bestand im Wesentlichen darin, dass wir uns dagegen wehrten, überproportional abbauen zu müssen, und zwar überproportional zu unserer überproportionalen Besetzung. Das war der eigentliche Knackpunkt. Wir haben das dem Verteidigungsminister klar gemacht. Wir sind bereit, die positiven Folgen einer friedlichen Europäischen Union mitzutragen. Wir sehen auch ein, dass es nicht möglich ist, die Mitglieder aus dem Osten, die jetzt in der EU sind und unter Umständen auch in der NATO sein werden, sozusagen mit einem waffenstarrenden Deutschland zu bedrohen. Die Folge wird sein, dass wir uns zusammenreißen müssen und uns anstrengen müssen, vernünftige Lösungen für die einzelnen Regionen zu finden. Dabei sind wir auf Ihre Mitarbeit genauso angewiesen wie auf die Mitarbeit der Kommunen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

In der Loge begrüße ich zunächst unseren ehemaligen Kollegen Hans-Klaus Solterbeck

(Beifall)

sowie auf der Tribüne Besucher der Heeresflieger „Hungriger Wolf“, der Marine Glückstadt sowie deren Personalvertreter, kommunale Vertreter und Bürgermeister.

(Beifall)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Aschmoneit-Lücke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 15. Januar lud die Ministerpräsidentin viele Betroffene ins Landeshaus, um argumentative Munition für den Kampf um Bundeswehrstandorte in Schleswig-Holstein zu sammeln. Tatsächlich wurden dort von allen Seiten - aber auch von der Ministerpräsidentin - Forderungen und Argumente vorgetragen, die Sie, Frau Simonis, dem Verteidigungsminister am

17. Januar in einem persönlichen Gespräch präsentieren wollten. Am 18. Januar war sinngemäß in der Presse zu lesen: Ministerpräsidentin Simonis hat nichts erreicht.

Trotz Ihrer Forderung, von politischem Gezänk abzusehen, der ich ausdrücklich zustimme, muss ich nach Ihrem heutigen Bericht sagen: Dass der Bundesverteidigungsminister unsere Argumente ernst nimmt, damit habe ich eigentlich gerechnet. Dass Sie dies heute in Ihrem Bericht als einzige Neuigkeit mitteilen, finde ich nicht besonders bemerkenswert.

(Beifall bei F.D.P. und CDU - Wolfgang Ku- bicki [F.D.P.]: Für Frau Simonis ist das schon ein Erfolg!)

- Ja, das ist schon ein Erfolg. Den anschließenden Aktivitäten der Pressestelle der Landesregierung konnte man entnehmen, dass es auch keine Verlautbarungen gegeben hat. In der Zeit vom 15. bis 18. Januar hat es immerhin 25 Pressemitteilungen der Landesregierung gegeben. Bedauerlicherweise war darunter keine einzige zum Thema Standort.

Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Bundesangelegenheit. Trotzdem müssen uns die materiellen Auswirkungen interessieren, denn die Bundeswehr ist in Schleswig-Holstein zwar nicht der Wirtschaftsfaktor, aber zumindest ein Wirtschaftsfaktor. Die Schließung von Standorten kann einer Region einen abrupten Strukturwandel aufzwingen. Strukturbrüche bieten Chancen für Neuanfänge, sie sind aber grundsätzlich mit hohen Anpassungskosten verbunden. Unser Land sollte deshalb nicht schon wieder überdurchschnittlich getroffen werden. Da sind wir uns offensichtlich einig.

(Beifall bei F.D.P., CDU und SSW)

Die Ministerpräsidentin hat in ihrer Jahresanfangspressekonferenz angekündigt, sie wolle den kontinuierlichen Strukturwandel in Schleswig-Holstein gestalten. Frau Ministerpräsidentin, hier ist eine Chance dazu. Ich hoffe, Sie nutzen sie.

Ich betone, dass es der F.D.P. nicht darum geht, jedwede Standortschließung zu verhindern. Diese Forderung wäre utopisch und schwächte nur die Position des Landes bei ernsthaften Verhandlungen. Die Verkleinerung der Bundeswehr ist notwendig. Wir brauchen professionelle Streitkräfte, die sich in Umfang und Ausstattung an dem neu formulierten Auftrag der Bundeswehr ausrichten. Streitkräfte im bisherigen Umfang werden nach der Beurteilung der sicherheitspolitischen Lage nicht mehr benötigt. Es ist nur logisch, dass im Zuge der Verkleinerung der Bundeswehr auch Standorte aufgegeben werden müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Christel Aschmoneit-Lücke)

Die Standortplanung der Bundeswehr muss sich in erster Linie an sicherheits- und verteidigungspolitischen Kriterien ausrichten. Wenn es im Rahmen dieser Überlegungen Spielraum gibt, strukturpolitische Argumente zu berücksichtigen, dann wäre es allerdings verantwortungslos, wenn wir diese Spielräume nicht für unser Land nutzten.

(Beifall bei F.D.P., CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Verteidigungsminister hat diese Spielräume in der Liste der Kriterien aufgezeigt, die bei der Prüfung der Standortschließungen angelegt werden. Es kommt nun darauf an, dass die Landesregierung auf Grundlage dieser Kriterien überzeugende Argumente für Standorte in Schleswig-Holstein entwickelt. Zum Teil ist dies schon geschehen. So schließe ich mich ausdrücklich den Forderungen für den Erhalt der Standorte in der Region Neumünster/Bad Segeberg, in Schleswig, Hohenlockstedt und Kiel an. Wir brauchen in Schleswig-Holstein Truppen mit schwerem Gerät für den Katastrophenschutz im Land und an der Küste.