Protokoll der Sitzung vom 21.02.2001

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wer immer sich jetzt noch gegen Reduzierung und Umstrukturierung der Bundeswehr stellt und wer nicht die neuen Aufgaben der Bundeswehr im internationalen Rahmen in den Vordergrund stellt, der stellt sich außerhalb der ernsthaften Diskussion.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])

Eines wäre in dieser Diskussion möglich gewesen; das muss man auch einmal sagen. Wenn das Land Schleswig-Holstein wollte, dass Standorte in SchleswigHolstein erhalten bleiben und dafür Standorte in Niedersachsen geschlossen werden, dann hätte es Alternativen anbieten müssen. Als aber die Ministerpräsidenten die Anhörung durchgeführt haben, ist dies von keinem in dieser großen Runde gefordert worden. Niemand hat sich getraut und gesagt: Wir bieten in Niedersachsen etwas anderes an, damit die Hubschrauber in Hohenlockstedt bleiben. Das hat sich doch niemand getraut.

(Zurufe von CDU und F.D.P.)

Es ist auch völlig logisch, dass sich niemand getraut hat. Denn der Erste, der das gesagt hätte, wäre doch als Verräter an den Interessen Schleswig-Holsteins gebrandmarkt worden, von Sylt bis nach Lauenburg.

(Klaus Schlie [CDU]: Bei uns ist schon alles weg!)

Sie haben es sich auch nicht getraut. Deswegen sollen Sie sich jetzt nicht hier hinstellen und erzählen, dass Sie alles besser gemacht hätten und dass Sie etwas anderes gemacht hätten. Diese Entscheidungen sind notwendig. Schleswig-Holstein ist in der Tat im Verhältnis zur Bevölkerungszahl überproportional betroffen. Aber das ist auch logisch, weil SchleswigHolstein eines der Länder mit der höchsten Truppendichte ist. Im Verhältnis zur Truppendichte sind wir unterproportional betroffen. Das müssen Sie auch feststellen. Das sind zwei verschiedene Zahlen. Wenn man bruchrechnet, kommt es immer darauf an, was unten im Zähler steht.

(Karl-Martin Hentschel)

Wirklich diskutieren müssen wir über ein Konversionsprogramm und darüber, wie dieses Konversionsprogramm gestaltet wird. Ich freue mich, dass jetzt alle hinter einem solchen Konversionsprogramm stehen. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als das Wort „Konversion“ bei der CDU große Aufregung auslöste.

(Martin Kayenburg [CDU]: So alt sind Sie schon? Ich glaube, dass wir in der Pflicht sind, ein vernünfti- ges Konversionsprogramm zu erarbeiten, wenn man- che Ortschaften mehr als 10 % ihrer Bevölkerung und ihrer Steuereinnahmen verlieren. Wir sollten uns auch hierbei nicht in die Tasche lügen. Auch insofern bin ich Frau Aschmoneit-Lücke dankbar. Wir werden nicht riesige Geldsummen vom Bund locker machen, um Konversionsprogramme zu finanzieren. Schleswig- Holstein hat gerade von der EU und vom Bund Mittel aus den größten regionalpolitischen Programm erhal- ten, die es jemals in der Geschichte gab. Ich meine die Programme „ziel“ und „ZAL“. (Martin Kayenburg [CDU]: Sagen Sie doch einmal, wo diese Mittel sind!)

Wer realistisch ist, weiß, dass nicht ein neuer großer Geldsegen kommen wird, um ein Konversionsprogramm zu finanzieren. Diese Programme sind für die strukturschwachen Regionen geeignet. Insofern finde ich die Änderungsanträge der F.D.P. richtig. Ich unterstütze sie auch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.)

Wir sollten unsere Anstrengungen auf die Punkte konzentrieren, bei denen etwas erreicht werden muss und bei denen auch tatsächlich etwas erreicht werden kann.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Im Zentrum des Konversionsprogramms müssen die Liegenschaften stehen. Das größte Problem, das die Kommunen haben, besteht darin, dass sie über die Flächen nicht verfügen können. Die größten Probleme werden dann auftreten, wenn diese Flächen von der Kommune nicht erworben werden können, wenn die Kommune also nicht in der Lage ist, Konversionsprogramme überhaupt zu gestalten, weil sie die Mittel hierfür nicht hat, und wenn dann Privatinvestoren hierauf etwas gestalten wollen. Deswegen brauchen wir vom Bund die Zusage, dass es eine flexible Preisgestaltung geben wird, damit die Kommunen frei sind, Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Gerade an den peripheren Standorten müssen Preisnachlässe und im Extremfall muss auch eine kostenlose Übergabe von

Flächen möglich sein, damit die Kommunen überhaupt in der Lage sind, etwas Neues zu gestalten.

Es ist auch so, dass gewährleistet sein muss, dass die Kommunen die Flächen frei von Altlasten übergeben bekommen beziehungsweise dass der Bund zusichert, dass die Entsorgung der Altlasten finanziell sichergestellt ist, sodass die Kommunen nicht Flächen übernehmen müssen, die sie anschließend noch zu sanieren haben. Das darf nicht sein.

Es muss in Einzelfällen auch möglich sein, dass dann, wenn die Gebäude nicht verwendbar sind oder die Nutzung strukturpolitisch nicht sinnvoll sind, der Bund den Abriss der bestehenden Anlagen übernimmt. Ich meine, man muss ja einmal bedenken, dass an einigen Standorten - ich erinnere einmal an Sylt - im Dritten Reich der Kommunen faktisch um die Flächen enteignet worden sind, dass ihnen dann Gebäude hingestellt wurden. Heute sagt man den Kommunen: Nun nehmt einmal den Kram zurück! Die Kommunen können damit nichts anfangen, aber sie sollen noch Millionen dafür bezahlen. Das kann nicht richtig sein. Das sind die Punkte, bei denen der Bund wirklich in der Pflicht ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD], Thorsten Geißler [CDU] und Lars Harms [SSW])

Um das zu erreichen, ist es wichtig, dass wir aufhören, die üblichen Spielchen zu spielen nach dem Motto: Wer ist der konsequenteste Vertreter der Region? Wir müssen stattdessen gemeinsam, und zwar gegenüber dem Bund - natürlich müssen wir selber auch unsere Hausaufgaben machen -, für das eintreten, was realistisch und erreichbar ist.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident!

Wir sollten dafür sorgen, dass dann die Landesregierung und die Abgeordneten Schleswig-Holsteins aus den verschiedenen Fraktionen in der Sache in Berlin an einem Strang ziehen. Dafür ist der vorliegende gemeinsame Antrag der Fraktionen, ergänzt um die Punkte der F.D.P. - ich meine jetzt nicht den Einleitungssatz; den werden Sie nicht durchbekommen -, eine gute Grundlage und ich freue mich, dass wir das hier gemeinsam verabschieden können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Redezeittableau ist erschöpft, aber flugs greifen wir zur Geschäftsord

(Präsident Heinz-Werner Arens)

nung, und zwar zu § 56 Abs. 4. Nach dieser Bestimmung habe ich eine Reihe von Wortmeldungen, die ich der Reihe nach aufrufen werde. Ich bitte die Rednerinnen und Redner zu berücksichtigen, dass die Verfahrensvorschläge etwas präziser werden müssen, weil ich sonst über den F.D.P.-Antrag und über den gemeinsamen Antrag alternativ abstimmen lassen muss.

(Holger Astrup [SPD]: Kommt gleich!)

Aber wir haben ja noch Zeit, sodass noch konkrete Vorschläge gemacht werden können.

Dann erteile ich als Erstem Herrn Abgeordneten Stritzl das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich erst einmal für den Redebeitrag von Herrn Hentschel bedanken,

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Was?)

denn er macht eines eindeutig klar: Für die Grünen gilt heute noch das, was Sie 1996 in der Landtagswahl in Ihr Landtagswahlprogramm geschrieben haben. Sie wollen offensichtlich ein bundeswehrfreies SchleswigHolstein. Wir wollen das nicht, Herr Hentschel!

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.] - Lachen bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Punkt! Ich hätte von Ihnen erwartet, Herr Hentschel, dass Sie, weil auch die Ministerpräsidentin von Ehrlichkeit und Fairness in der Politik gesprochen hat, einmal etwas zum Stil der Entscheidungsfindung aus schleswig-holsteinischer Sicht gesagt hätten und dazu, wie sich Rot-Grün eigentlich vorstellt, dem eigenen Anspruch von Ehrlichkeit und Fairness bei den Entscheidungen zur Bundeswehr Nachdruck zu verschaffen. Nichts davon habe ich vernommen.

Nehmen Sie es wirklich so hin, dass ein Innenminister, der sich sehr eingesetzt hat, in der Zeitung sagen kann - wie es Dr. Wadephul schon vorgetragen hat -: Höhere Einsichten hätten zum Schließen der Wehrbereichsverwaltung in Kiel geführt? - Höhere politische Einsichten!

(Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Hört, hört!)

Keine Sachargumente!

Was waren denn die Sachargumente, die der Bundesverteidigungsminister selbst bei der Frage, welcher Standort Sitz der Wehrbereichsverwaltung werden soll, aufgestellt hat? Es war die Frage der Wirtschaftskraft der Region. Ist hier einer im Haus, der

sagt, die Wirtschaftskraft Kiels ist größer als die von Hannover?

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Natürlich! Wir sind überall besser!)

Es war die Frage des Investitionsbedarfs für die Liegenschaften der Wehrbereichsverwaltung. Da sagt das Bundesverteidigungsministerium, 22 Millionen DM kostet Hannover zusätzlich, um die zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufzunehmen, in Kiel wären es nur 4 Millionen DM gewesen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.])

Es war die Frage: Was liegt infrastrukturell günstiger? Auch da ist klar, wenn die A 20 ihren zweiten Anschluss hat, liegt Kiel günstiger als Hannover.

In allen drei zentralen Fragen war völlig klar - auch im Bundesministerium der Verteidigung -: Kiel muss den Zuschlag kriegen. Es war offensichtlich nicht möglich, dies umzusetzen. Offensichtlich hat der Kanzler ein Machtwort gesprochen und gesagt: Es darf nicht Kiel bleiben, es muss Hannover werden.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Beifall der Abgeordneten Christel Aschmoneit-Lücke [F.D.P.])

Dazu muss ich Ihnen offen sagen, Frau Ministerpräsidentin: Das ist nicht nur ärgerlich, das halte ich für politisch schlichtweg skandalös. Ich hätte erwartet, dass Sie sich dann, wenn Sie selbst als Kabinett über diese Einsicht verfügen, sich entschieden dagegen aufbäumen und es nicht einfach nur hinnehmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich hätte erwartet, dass wir nicht zulassen, dass faktisch eine Region in einem Stadtteil „platt gemacht“ wird; denn in der Wik entsteht in großen Teilen eine Bundeswehrbrache. Die IHK sagt, 60 Millionen DM Kaufkraftverlust pro Jahr für unsere Region! Und wir haben Hunderte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit ihren Familien, die keine Perspektive mehr haben. Das ist die Situation, Herr Kollege! Reden Sie doch mit einmal denen!

Wenn jetzt gesagt wird, bis zum Jahre 2008 bleiben 550 Stellen, wird doch wieder ein falscher Schein erweckt; denn das heißt doch nicht, bis 2008 bleiben 550 Beschäftigte, es heißt, im Jahr 2008 ist der Letzte aus der Wehrbereichsverwaltung in Kiel gegangen. Das ist die Situation, die wir haben.