Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/762
Das Wort zur Begründung wird offensichtlich nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drogenpolitik ist in eine Sackgasse geraten und das schon ziemlich lange. Bisher ist aber niemand gewillt gewesen, neue Wege zu beschreiten, weil man Angst hatte, Wählerstimmen zu verlieren. Wir sitzen aber nicht hier im Parlament, um wieder gewählt zu werden, sondern um politische Probleme zu lösen.
Es muss unbedingt etwas getan werden, denn die Bilanz der Drogenpolitik ist verheerend. Das Drogenangebot ist so vielfältig und leicht verfügbar wie noch nie. Die Strafverfolgungsbehörden leisten Großes, um den Markt auszutrocknen, aber dem illegalen Drogenhandel geht es trotzdem bestens. Wir werden nie so viel beschlagnahmen können, dass dadurch der Drogenkonsum gestoppt wird.
Der Drogenkonsum ist in den letzten Jahrzehnten weiter gestiegen, ohne dass die repressive Politik einen Schritt weitergekommen wäre. Mittlerweile haben über 25 % der westdeutschen Bundesbürger zwischen 18 und 29 eine illegale Droge probiert.
Es ist also nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass das strikte Betäubungsmittelgesetz seine Ziele sehr begrenzt erreicht hat. Die Bestrafung macht nur einen Sinn, wenn man dadurch den Strom der Drogen ins Land unterbrechen kann oder wenn man junge Menschen abschrecken kann, Drogen zu nehmen. Heute sind Drogen aber mittlerweile sogar in den ländlichsten Gegenden verfügbar und sie werden auch gekauft.
Aber als ob das nicht genug wäre, hat das strenge Drogenverbot nicht nur nicht gewirkt, sondern es hat auch noch Schaden angerichtet. Alles das, was man sich im Allgemeinen Furchtbares unter Drogenabhängigkeit vorstellt, kommt in den meisten Fällen nicht von den Drogen selber, sondern vom Verbot und der
Verfolgung der Drogenkonsumenten. Die gesundheitlichen Schäden der Drogenkonsumenten, ihre Verelendung, die Beschaffungskriminalität und der riskante Drogenkonsum sind keine Eigenschaften bestimmter Drogen, sondern hängen mit den illegalen Lebensumständen zusammen. Sie haben also weniger mit Drogenabhängigkeit zu tun als mit unserer Drogenpolitik.
Als ob das nicht genug wäre, sitzt da noch der illegale Drogenhandel und lacht sich ins Fäustchen. Ohne das Verbot nämlich könnte er nicht so große Gewinne für diese dreckigen Drogen absahnen. Das Drogenverbot ist die wichtigste Geschäftsgrundlage für die organisierte Kriminalität. Je stärker man Drogenhandel und -konsum staatlich verfolgt, desto mehr verdient die Drogenmafia daran.
Eine wirklich verheerende Bilanz einer gut gemeinten Politik! Drogenpolitik kann nicht vom Drogenkonsum abhalten. Die Verfolgung von Drogenkonsum richtet viel Schaden an. Zudem wird auch noch die organisierte Kriminalität staatlich gemästet.
Das sind genug Gründe, um sich zu überlegen, ob man nicht vielleicht mit einer weniger harten Politik mehr erreichen kann. Es liegt wirklich nahe zu fragen, ob weniger Härte zu weniger Drogenproblemen führen könnte. Es mag absurd klingen, aber erst, indem wir etwas von der strafrechtlichen Kontrolle aufgeben, gewinnen wir die Kontrolle über das Drogenproblem selbst wieder.
Solange wir alles ohne Unterschied verbieten, können wir auch nicht anders eingreifen, als die Polizei loszuschicken oder Therapie gerichtlich zu erzwingen. Wenn dies nicht hilft - und das tut es offensichtlich nicht -, dann sind wir machtlos. Wir wollen aber die Drogenpolitik wieder zurück in die Politik holen. Wir wollen wieder etwas tun können, weil die jetzige Politik offensichtlich nicht mehr funktioniert.
Das können wir aber nur tun, wenn nicht alles von vornherein verboten ist. In der Drogenpolitik wurde ein falscher Weg eingeschlagen. Lange Zeit haben aber die wenigsten gewagt, die Scheuklappen abzulegen und nüchtern nach Alternativen zu schauen. Wer es doch tat, weil er sich mehr um die Wirklichkeit unserer Jugendlichen kümmerte als um die einzig richtige Moral, wurde entweder als bekifft, unverantwortlich oder sogar als Mörder der Kinder beschimpft.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass wir heute erst vorsichtig erkunden müssen, welche neuen Wege
gangbar sind. Viele der Alternativen sehen Erfolg versprechend aus. Mittlerweile haben auch die meisten Experten erkannt, dass wir eine neue Politik brauchen, und entsprechende Modelle entwickelt. Dies sind aber Wege, die mit weniger strafrechtlicher Verfolgung zu tun haben. Im Moment sind diese Wege nämlich durch das Strafrecht versperrt. Das wollen wir ändern, denn wir müssen unbedingt weiterkommen. Das heißt aber bestimmt nicht, dass wir jetzt irgendwelche Drogen freigeben wollen - nur zur Klarstellung, denn ich bin schon darauf angesprochen worden, ob wir jetzt Coffeeshops einrichten wollen. Darum geht es nicht. Aber es gibt zwischen dem totalen Verbot und der Legalisierung doch unendlich viele Zwischenstufen. Weniger Repression heißt eben nicht nur, dass der Verfolgungsdruck entfällt, sondern auch, dass neue Formen der Vorbeugung und der Hilfe erst möglich werden. Wir sind da ganz zuversichtlich, denn bisherige Erfahrungen im Ausland sind positiv.
Wir reden hier aber über kleine kontrollierte Schritte in eine neue Richtung. Wie groß die Schritte sein dürfen, hängt letztendlich auch von der Gefährlichkeit einer Substanz ab.
Die Drogenpolitik kann nur glaubhaft bleiben, wenn sie die Drogen gleich behandelt, die gleich gefährlich sind. Wir müssen uns gemeinsam gut überlegen, wie wir die Drogenpolitik unter kontrollierten Formen ins Lot bringen können. Ansonsten können wir Kinder und Jugendliche nicht wirklich glaubhaft vor Drogen warnen, die sehr gefährlich sind. Drogenpolitik muss logisch sein, sonst wirkt sie nämlich nicht.
Drogenpolitik muss auch nüchtern sein. Es geht hier nicht um Moral, sondern es geht um die Gesundheit von Menschen. Drogenkonsumenten sind keine schlechteren Menschen. Wer Menschen, die Drogen nehmen, nur mit der Moral beurteilt, hilft wirklich niemandem.
Eben deshalb müssen wir auch weg von der Dominanz des Strafrechts. Dadurch geben wir gerade nicht Menschen auf oder bringen sie in Gefahr. Nein, im Gegenteil, wir gehen auf sie zu, wir unterstützen sie, wir schützen sie und bieten ihnen so viel Hilfe, wie möglich ist, statt sie zu jagen und aus unserem Blickfeld zu vertreiben. Nur so können wir verhindern, dass es unseren Kindern und Jugendlichen schlimm ergeht.
Die Parteien, die in der Bundesregierung sitzen, haben das auch längst erkannt. Als sie die Mehrheit im Bundesrat hatten, haben die roten und rot-grünen Landesregierungen zahlreiche Initiativen zur Änderung des
Betäubungsmittelgesetzes in den Bundestag eingebracht. Als sie im Bundestag noch in der Opposition waren, hat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in zahllosen Gesetzentwürfen und Anträgen Forderungen aufgestellt, die noch weit über den hier nunmehr vorliegenden gemeinsamen Antrag hinausgehen.
Das ist leider etwas in Vergessenheit geraten, nachdem man 1998 die Regierung im Bund übernommen hat.
Die bisher ergriffenen Maßnahmen betreffen nur einen sehr, sehr kleinen Teil der Konsumenten von illegalen Drogen, nämlich die, die vollkommen verelendet sind.
Drogenpolitik ist ein brisantes Thema. Wer dieses heiße Eisen anfasst, läuft Gefahr, beim Wähler anzuecken. Deshalb ist es für Politiker natürlich einfacher, so weiterzumachen wie bisher. Damit lässt man aber die Menschen im Stich. Die Kosten für diese gescheiterte Drogenpolitik zahlen wir alle. Trotzdem ist für die Bundesregierung die eigene Popularität bösartige Zungen würden sagen: Populismus - offensichtlich wichtiger als die Lösung dieser gesellschaftlichen Probleme. Die Regierung muss aber bald etwas tun. Sonst macht sie sich mitschuldig an den Drogentoten, an dem Drogenelend und an dem Ausschluss von ganz normalen jungen Menschen aus dieser Gesellschaft.
Wir freuen uns deshalb sehr, dass eine große Mehrheit in diesem Hause ebenso wie wir endlich Taten sehen will. Wir bedanken uns hiermit ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der SPD, der F.D.P. und der Grünen für die Zustimmung zu einem gemeinsamen Antrag.
Wir wollen mit den ersten beiden Punkten unseres Antrages erreichen, dass schnell etwas geschieht. Modellversuche mit den Drogen aus der Anlage I des Betäubungsmittelgesetzes müssen endlich möglich sein, sonst kommen wir nämlich nicht weiter. Wir schlagen vor, dass den Ländern die Möglichkeit eingeräumt wird, Modellversuche mit diesen Substanzen durchzuführen. Dies ist ein erster kleiner Schritt, der sehr behutsam gewählt ist. Alle werden verantwortungsvoll damit umgehen.
Außerdem wollen wir, dass die Gefangenen in allen Gefängnissen des Landes Hilfe bekommen, um aus ihrer Abhängigkeit aussteigen zu können. Da gibt es zurzeit leider eine etwas uneinheitliche Praxis. Wir wissen, woran das liegt.
Punkt 3 und 4 sollen als Grundlage für eine weitere Debatte dienen. Wir müssen eine gemeinsame Bestandsaufnahme machen, um zu sehen, wie wir in den
drei Feldern der Drogenpolitik - der Prävention, der Drogenhilfe und dem Strafrecht - weiterkommen. Es geht darum, bestehende Angebote abzusichern, sie zu verbessern und zu sehen, was wir vielleicht noch zusätzlich leisten können.
Ich möchte mich bei allen für die sachliche Aufnahme unserer Initiative bedanken. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Ausschuss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin den Abgeordneten des SSW überaus dankbar - insofern gebe ich den Dank zurück, Silke -, dass sie mit dem Antrag Drucksache 15/727 den Anstoß zu einer erneuten Debatte zur Drogen- und Suchthilfepolitik im Schleswig-Holsteinischen Landtag gegeben haben, wenngleich ich sagen muss, dass die Aussage, in Schleswig-Holstein sei nichts passiert, nicht den Tatsachen entspricht. Es gibt zwei umfangreiche Berichte aus den letzten Jahren, deren Lektüre sich durchaus lohnt und auf deren Basis die Suchthilfepolitik in Schleswig-Holstein seit 1988 umgekrempelt worden ist.
Als uns der Antragstext des SSW in der vorletzten Woche erreichte, waren wir im Arbeitskreis Soziales gerade im Gespräch mit dem Leiter der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, Rolf Hüllinghorst, der uns unter anderem über die aus Gesprächen mit allen Fraktionen des Deutschen Bundestages ersichtliche Bereitschaft berichtete, die seit Ende der 90er-Jahre eingeleiteten Änderungen in der Drogenpolitik nicht nur zu akzeptieren, sondern auch mehr oder minder behutsam fortzusetzen. Dass Teile der CDU inzwischen bereit sind, auch Wege außerhalb der Repression zu akzeptieren, hat uns ermutigt zu hoffen, dass wir auch in unserem Land zu einem gemeinsamen Vorgehen kommen könnten.
Leider hat uns die Reaktion der schleswig-holsteinischen CDU zunächst eines Besseren belehrt. Ich sage extra „zunächst“, denn ich erinnere noch sehr gut, dass die Anhörung des Landtages vor nunmehr etwa elf Jahren auch bei der Landes-CDU von SchleswigHolstein ein Umdenken eingeleitet hatte, das sich heute in der Zustimmung der CDU zum gemeinsamen Antrag aller anderen Parteien dieses hohen Hauses dokumentieren könnte.
Die Sucht- und Drogenpolitik in der Bundesrepublik hat sich seit dem Regierungswechsel 1998 deutlich zum Besseren gewandelt. Die Drogenpolitik ist - der Einsicht folgend, dass Sucht insgesamt eine Krankheit ist - eindeutig dem Gesundheitsressort zugeordnet worden. Ich erinnere darüber hinaus an die endlich erreichte Rechtssicherheit von Drogenkonsumräumen, an erhebliche Verbesserungen bei der Substitution und die Entscheidung, Schwerstabhängige unter wissenschaftlicher Begleitung mit Originalstoffen zu behandeln. Zahlreiche - auch CDU-regierte - Städte in der Bundesrepublik haben sich an dem Modellprojekt für eine heroingestützte Behandlung beteiligt, dessen Ziel es ist, genauere Kenntnis darüber zu erlangen, ob und wie die Gruppe langjährig verelendender Drogenabhängiger mit diesem zusätzlichen Behandlungsangebot erreicht werden kann und ob ihre gesundheitliche und soziale Situation damit verbessert wird. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob die Motivation für eine Abstinenzbehandlung steigt. Diesen Ansatz unterstützen wir.
Immer noch offen ist aber der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts von 1994 an den Gesetzgeber, nämlich einzuschätzen,
„ob und inwieweit die Freigabe von Cannabis zu einer Trennung der Drogenmärkte führen und damit zur Eindämmung des Betäubungsmittelkonsums insgesamt beitragen kann.“
Nach der von der damaligen Bundesregierung - maßgeblich durch den CSU-Mann Seehofer - beeinflussten Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittelund Medizinprodukte, den Modellversuch einer kontrollierten Abgabe von Haschisch in SchleswigHolstein im September 1997 abzulehnen, haben wir auf eine entsprechende Initiative der Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnisgrünen - genauso wie Sie, Frau Hinrichsen - gewartet. Jetzt ist es höchste Zeit, von uns aus den von uns einmal ausgegangenen Faden wieder aufzunehmen und durch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen solchen wissenschaftlich zu begleitenden Versuch zu schaffen.