Protokoll der Sitzung vom 22.02.2001

(Zuruf von der CDU: Ja, genau, zukunftsori- entiert!)

Noch einmal ein kleiner Blick in die Wirklichkeit der betrieblichen Strukturen in Schleswig-Holstein! Rund 98 % der Betriebe in unserem Land haben weniger als 100 Beschäftigte. Wenn Sie sich einmal anschauen, was sich seit dem Riesterschen Ursprungsentwurf im jetzigen Kabinettsentwurf geändert hat, werden Sie sehen, dass bei vielen Fragen, die Sie hier anklagend gestellt haben, eine „100er-Schwelle“ in den Entwurf aufgenommen worden ist.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das gilt nur für die Ausschüsse und die haben wir nicht er- wähnt! Wir kennen den Entwurf!)

Es ist so, dass nach unserer Schätzung zwei Drittel dieser Betriebe weniger als 100 Beschäftigte haben und deshalb nicht vom Regelwerk des Betriebsverfassungsgesetzes betroffen sind.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das stimmt nicht, Frau Ministerin! Das ist definitiv falsch!)

Auch das muss man sich klarmachen. Für die betroffenen Betriebe sind entscheidende Verbesserungen in

dem Kompromiss zwischen den Ministern Müller und Riester erreicht worden.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Gemessen an der Höhe streikbedingter Produktionsausfälle in der Bundesrepublik und besonders in Schleswig-Holstein muss man sich klarmachen - hierzu will ich Ihnen eine Zahl nennen -: Bei rund 800.000 Beschäftigten im Land und grob geschätzten 154 Millionen Arbeitstagen gingen in SchleswigHolstein im Jahr 2000 ganze 198 Tage verloren. Bei einer solchen Relation darf die Konsenskultur der Beschäftigten und der Betriebsräte getrost politisch gefördert werden,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

auch und gerade durch mehr Betriebsräte. Die Betriebsräte - Herr Kayenburg, eigentlich müssten Sie das wissen, wenn Sie in der betrieblichen Wirklichkeit stehen - sind doch längst zu Partnern ihrer Unternehmen in guten wie in schlechten Zeiten geworden.

(Martin Kayenburg [CDU]: Nichts anderes habe ich gesagt! Sie müssen zuhören!)

- Ich habe auch etwas von Lippenbekenntnis gesagt!

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist Ihre In- terpretation! Die ist falsch!)

Betriebsräte sind kein Hemmnis im Bereich des Strukturwandels, sondern sie vertreten in der Regel die Unternehmensinteressen, um die Arbeitsplätze und Lebensgrundlagen der Beschäftigten zu sichern.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Martin Kayenburg [CDU]: Nichts anderes habe ich gesagt! Ich finde das schon ziemlich unver- schämt!)

Auch die Forderung der Arbeitgeber, Herr Dr. Garg, Tarifverträge betriebsnäher zu differenzieren und durch Betriebsvereinbarungen zu ergänzen, verträgt sich doch schon rein logisch betrachtet mit dem, was in der Modernisierung der Betriebsverfassung vorgesehen ist. Für solche Vereinbarungen braucht es doch Betriebsräte. Mit wem wollen sie denn sonst etwas vereinbaren?

(Martin Kayenburg [CDU]: Die wollen wir doch auch! Erzählen Sie doch nicht neben der Sache! Sie versuchen, Dinge zu rechtfertigen, die wir gar nicht infrage gestellt haben! - Zu- ruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.])

(Ministerin Heide Moser)

Unterm Strich heißt das: Das System der deutschen Betriebsverfassung bleibt ein wichtiges Instrument zur Stabilisierung der Produktivität, der demokratischen Wirtschaftsverfassung und des sozialen Friedens. Investitionen hierfür lohnen sich volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch. Ich finde es gut, dass unter diesem Gesichtspunkt das Thema und das Gesetz auch im Bündnis für Arbeit besprochen werden. Die Landesregierung wird entsprechende KostenNutzen-Rechnungen im Gesetzgebungsverfahren gemeinsam mit allen Beteiligten - das heißt, den Beschäftigten und den Arbeitgebern - anstellen. Wir unterstützen die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. Vor allen Dingen ist sich die Landesregierung einig und - wie ich gehört habe - auch mit großen Teilen dieses Hauses einig.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Fuß das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich plädiere für ein Stückchen mehr Gelassenheit.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir sollten gemeinsam schauen, wer eigentlich was in der Diskussion sagt. Da kann man gelegentlich den Eindruck haben, dass die Arbeitgeber am heftigsten gegen die Reform des Gesetzes wettern, die gar keine Betriebsräte haben.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn Sie sich die betriebliche Praxis anschauen, stellen Sie fest, dass die Betriebsräte und die Arbeitgeber, die gemeinsame Erfahrungen in der Betriebsratsarbeit haben, konkrete Erfordernisse und Erwartungen an uns stellen. Ich habe im Moment die Befürchtung, dass wir durch den Stil der Diskussion diesen Erwartungen von Arbeitgebern und Betriebsräten nicht gerecht werden. Gelegentlich scheint es mir notwendig zu sein, daran zu erinnern, dass das Betriebsverfassungsgesetz kein Mittel des Klassenkampfes darstellt, sondern ordnungspolitischen Charakter in den Betrieben hat.

(Beifall bei SPD und SSW)

Im Rahmen dieses ordnungspolitischen Charakters haben Arbeitgeber und Betriebsrat - das steht in § 2 BetrVG - unter Mitwirkung der im Betrieb vertretenen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zum Wohle

des Betriebes und zum Wohle der Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten.

Ich finde, das sollte man gelegentlich zur Kenntnis nehmen. Betriebliche Wirklichkeit stellt sich dann ein Stückchen anders dar. Ich räume ein, dass sie sich in den Betrieben sehr unterschiedlich darstellt, weil sie von den handelnden Personen abhängig ist.

(Zuruf von der CDU: Wie im Parlament auch!)

- So ist es. - Vertrauensvolle Zusammenarbeit ist gelegentlich auch eine Einbahnstraße. Das hängt aber von den Menschen, die dort sind, ab. Diese Menschen wurden gewählt oder sind qua Auftrag in Funktionen hineingekommen.

Herr Kayenburg, Sie haben vorhin einen Hinweis auf die Ausländer gegeben. Wir sollten einmal auf das schauen, was bisher schon geregelt ist. Seit 1972 haben wir in § 80 die Aufgabenstellung, geltende Regelungen zugunsten der Ausländer zu überwachen und durchzusetzen. In den Großbetrieben gibt es umfangreiche Berichterstattungen darüber, schriftlich wie mündlich. Das hat die Integration der ausländischen Kolleginnen und Kollegen nicht behindert, um es einmal defensiv auszudrücken.

(Zuruf von der SPD: Im Gegenteil, geför- dert!)

- So ist das.

Wir führen eine Auseinandersetzung über Leiharbeitnehmer. Bis Mitte der 80er-Jahre hatten die Leiharbeitnehmer selbstverständlich das aktive Wahlrecht bei Betriebsratswahlen. Sie wurden bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahl auch mitgezählt. Erst die Rechtsprechung hat eine Veränderung gebracht. Insofern trägt man jetzt im Grunde Dinge nach, die in der Vergangenheit sehr gut gelaufen sind.

Ich möchte Sie alle wirklich bitten - dies entspricht der Erwartung der Menschen in den Betrieben, sowohl derer in leitender Funktion als auch derjenigen, die in der sozialen Verantwortung für die Beschäftigten stehen -, konkrete Vorschläge zu entwickeln. „Konkret“ heißt in der Tat, dass wir Gehirnschmalz in Bezug auf einen Punkt einbringen, den die Frau Ministerin angesprochen hat. Sie hat darauf hingewiesen, dass auch die Verbände und die Gewerkschaften ihre Probleme haben, veränderte Arbeitsabläufe innovativ zu begleiten. Wir müssen uns überlegen, was in diesem Bereich innovativ angegangen werden kann. Ich möchte Sie herzlich zum gemeinsamen Ideenwettbewerb einladen, damit wir ein Stück nach vorn kommen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Dr. Graf Kerssenbrock das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Hay hat eben eine Legende in die Welt zu setzen versucht, nämlich die Legende, dass wir die Abschaffung der Mitbestimmung beabsichtigen, die 1952 von uns mitkonzipiert und eingeführt worden ist. Herr Kollege Hay, es ist eine blanke politische Lüge, wenn Sie eine solche Behauptung aufrechterhalten wollen. Darauf wollen wir uns nicht einlassen. Kein Mensch redet von einer Abschaffung der Mitbestimmung.

(Beifall bei der CDU)

Wir reden von einer zusätzlichen Belastung für die Leistungsträger der schleswig-holsteinischen Wirtschaft. So steht es im Jahreswirtschaftsbericht. Der Wirtschaftsminister dieses Landes hat sich dazu ganz eindeutig geäußert. Ich zitiere eine „dpa“-Meldung aus der „FAZ“ vom 9. Februar:

„Dem bisher vorliegenden Entwurf mangele es an Klarheit, Flexibilität und der Beachtung von Kostengesichtspunkten... Besonders die Erhöhung der Betriebsratsgröße für Betriebe mit mehr als 100 Arbeitnehmern und eine vermehrte Bürokratisierung der Beziehungen zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung wurden als problematisch bezeichnet.“

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bezieht sich aber nicht auf diesen Vorgang! Das ist ein ganz anderer Entwurf gewesen!)

- Herr Kollege Hentschel, das ist die Erklärung. Es ist ja geradezu rührend, wie die Sozialministerin versucht, Herrn Minister Rohwer ins Boot zu ziehen. Er sollte aber einmal selbst vortreten und sagen, wie er dazu steht. Das ist erforderlich.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Tatsächlich geht es hier um Belastungen für Betriebe, die in Schleswig-Holstein teilweise kurz vor der Schwelle stehen, nunmehr hauptamtliche Betriebsräte einführen zu müssen, also Leute beschäftigen zu müssen, die für den Betrieb zukünftig keine Arbeitsleistung mehr erbringen. Das sind natürlich zusätzliche Belastungen für einen Betrieb.

(Zurufe von der SPD)

Sie wissen, dass das bei mittelständischen Betrieben Sand im Getriebe sein kann und sein wird.