Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schlechte Bildungspolitik ist Diebstahl an den Zukunftschancen junger Menschen. Gute Bildungspolitik sichert die Zukunftschancen der jungen Generation. Ohne eine genügende Zahl qualifizierter Lehrer kann es aber keine gute Bildungspolitik geben. In einem Interview mit „Focus-online“ ist vor einigen Tagen zum Thema Lehrermangel gesagt worden, „dass man einfach versäumt hat, die Leute in der Vergangenheit einzustellen, obwohl kein Feld so gut planbar ist wie die Bildungspolitik“.
Das ist das Ende des Zitats von Ute Vogt, SPDSpitzenkandidatin in Baden-Württemberg. Im Kern hat Frau Vogt Recht: Umfang und Zeitpunkt der Pensionierungswelle waren seit langem genauso bekannt wie die Entwicklung der steigenden Schülerzahlen, die einen Zusatzbedarf an Lehrkräften nach sich ziehen. All das war lange bekannt.
Vor diesem Hintergrund ist festzustellen: Auf das Konto der rot-grünen Landesregierung in SchleswigHolstein gehen katastrophale Fehler, unter deren Folgen die Schulen unseres Landes noch lange zu leiden haben werden. An erster Stelle war dies die Verschwendung dreistelliger Millionenbeträge für eine unsinnige Entbeamtungspolitik, die im Sommer letzten Jahres viel zu spät gestoppt worden ist. Dieser Kardinalfehler hat in den zurückliegenden Jahren dazu geführt, dass die Mittel für einen breiteren Einstellungskorridor, wie ihn die F.D.P. in den 90er-Jahren stets
gefordert und durch Haushaltsanträge Jahr für Jahr auch eingefordert hat, nicht zur Verfügung standen.
Der zweite große Fehler, den die rot-grüne Landesregierung in puncto Sicherung der Lehrerversorgung begangen hat, war die Schließung dringend benötigter Lehramtsstudiengänge an der Universität Kiel.
Die Landesregierung hat dadurch den Lehrermangel weiter verschärft, und zwar in den von ihrer Entscheidung betroffenen Bereichen der Grund- und Hauptschullehrer sowie der Sonderschullehrer. Ich will dies einmal mit ein paar Zahlen beleuchten.
In der Antwort auf die Große Anfrage der F.D.P.Fraktion zur Entwicklung des Lehrerbedarfs hat die Landesregierung im Januar letzten Jahres Zahlen vorgelegt. Ich greife jetzt diejenigen aus dem Bereich der Grund- und Hauptschullehrer heraus. Nach den damals vorgelegten Daten brauchen wir in den nächsten Jahren Jahr für Jahr 330 bis 350 Grund- und Hauptschullehrer, allein um die ausscheidenden, in Pension gehenden Kräfte zu ersetzen. Wenn man dann noch 20 zusätzliche Stellen schafft, wie das im Haushalt dieses Jahres getan worden ist, ergibt sich ein jährlicher Einstellungsbedarf von mindestens 350 - wenn nicht sogar noch mehr - Lehrkräften. Die Zahlen liegen Ihnen ja vor. An der Universität Flensburg schwankte die Zahl der Studenten für dieses Lehramt in den letzten vier Jahren zwischen 120 und 230 pro Jahr, also Sommer- und Wintersemester zusammengerechnet. Mit anderen Worten: Selbst dann, wenn jeder dieser Studenten ein Examen machen sollte - damit ist nicht zu rechnen -, klafft eine große Lücke.
Diese Lücke wird drastisch deutlich werden, wenn aus Kiel, wo man den Neuzugang ja vor drei Jahren gestoppt hat, demnächst keine Absolventen mehr kommen werden. Vor einem Jahr kamen von der vor der Schließung stehenden Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Kieler Universität noch 153 Absolventen für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Wenn diese Absolventen in absehbarer Zeit nicht mehr da sind, weil man vor drei Jahren aufgehört hat, in Kiel Studenten für dieses Lehramt aufzunehmen, wird die Lücke in Schleswig-Holstein dramatisch groß.
Ich verweise hier auf einen Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ von heute. Sie haben ihn im Pressespiegel des Landtages vorliegen. Professor Klaus Klemm, ein
Bildungsforscher aus Essen, weist darauf hin, dass die Bundesländer Hessen, Saarland und alle nördlichen Bundesländer - also auch Schleswig-Holstein -, gemessen an den Jahrgangsstärken, 25 % Lehrer weniger ausbilden als zum Beispiel Bayern, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz. Wir sind hier in einer sehr ungünstigen Situation.
Auf einem in problematischer Weise enger werdenden Arbeitsmarkt, aus dem die großen Länder immer mehr Nachwuchskräfte herausholen werden, wird es in den nächsten Jahren schwer werden, sich zusätzlich von außen noch Leute heranzuholen. Wer darauf hofft, den steigenden schleswig-holsteinischen Bedarf durch vermehrte Anwerbung von außen zu decken, wird sich bald auf dem harten Boden eines ausgetrockneten Lehrerarbeitsmarktes wiederfinden. Ich brauche jetzt nicht die Zahlen zu nennen, wie viele Lehrkräfte andere Bundesländer wie Baden-Württemberg, Hessen, aber auch NRW in den nächsten Jahren noch zusätzlich einstellen werden, wodurch die Gesamtsituation für uns noch problematischer wird. Es bleibt deswegen wirklich kein anderer Weg übrig als der, auch wieder in Kiel - neben Flensburg - zusätzlich Studienangebote einzurichten.
Das gilt im Übrigen gerade auch für die Sonderschullehrer. Vor drei Jahren hat man ja beschlossen, dass das Grundstudium für Sonderschullehrer nur noch in Flensburg absolviert werden kann. Das Hauptstudium folgt dann in Kiel. Die Entwicklung in den letzten drei Jahren ist auf der Website der Flensburger Universität nachvollziehbar. Die Zahl der Studienanfänger für das Lehramt an Sonderschulen ist dort von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Im Wintersemester 1998/99 gab es noch 69 Studienanfänger. Im Wintersemester 1999/2000 waren es nur noch 65. Im jetzt gerade zu Ende gegangenen Wintersemester waren es nur noch 57. Es sind also rückläufige Studienanfängerzahlen zu registrieren. Bei dieser Tendenz ist ein Bildungsnotstand auch für die Sonderschulen hier im Lande vorprogrammiert.
Dramatisch ist die Entwicklung auch im Bereich der berufsbildenden Schulen, wo wir traditionell nur wenige Ausbildungsangebote haben. Deswegen meint die F.D.P., dass wir neben dem Studienangebot in Flensburg für gewerblich-technische Berufsschullehrer entsprechende Angebote komplementär auch in Kiel einrichten müssen. Wir haben dort die Technische Fakultät. Sie ist geradezu ideal geeignet, für die ITFächer auszubilden, also Informatiklehrer auszubilden. Sie ist übrigens nicht nur für die Ausbildung von Lehrern für Berufsschulen, sondern auch für die Ausbildung von Lehrern für den allgemein bildenden Bereich geeignet. Angesichts des absehbaren Bedarfs halte ich es für sinnvoll, die Ausbildungskapazität in unserem
Land zu erhöhen. Wir werden die benötigten Kräfte in den nächsten Jahren nicht von außerhalb des Landes bekommen.
Weil diese Lösungsansätze nur mittelfristig helfen, müssen kurzfristige Lösungsansätze dazukommen. Über die Hereinnahme von Quereinsteigern in den Schuldienst ist schon viel diskutiert worden. Wir meinen, dass bei diesen Quereinsteigern im Hinblick auf fachliche Eignung und pädagogische Nachqualifizierung hohe Standards gelten müssen. Wir schlagen deshalb ein Modell vor, das in Schleswig-Holstein im Bereich der berufsbildenden Schulen schon einmal praktiziert worden ist. Es ist das so genannte Kieler Modell. Es ist in unserem Antrag im Einzelnen erläutert worden. Ich möchte aus Zeitgründen jetzt nicht im Detail darauf eingehen. Es geht darum, die fachliche Eignung, aber auch die Nachqualifizierung im pädagogischen und fachdidaktischen Bereich ganz hoch anzusetzen.
Soweit auch dies nicht ausreicht, sollten die Schulen nach unserer Auffassung Geldmittel - wir sprechen von Unterrichtsergänzungsfonds - erhalten, um mit diesen Geldmitteln flexibel Honorarkräfte oder auch Stundengeber engagieren zu können. Es muss sich wirklich um ein sehr flexibles Instrumentarium handeln, das gegebenenfalls auch eine Vergütung von Mehrarbeit für die Lehrkräfte an den Schulen ermöglicht. Dieses letzte Mittel ist, wie wir meinen, ein besserer Weg, als weniger qualifizierte Seiteneinsteiger - und dann möglicherweise auch noch auf Dauer in die Schulen zu holen. Letzteres würde die Qualität des Unterrichts auf lange Sicht eher belasten, als zur Lösung der Probleme beizutragen.
Was die Frage der Unterrichtsergänzungsfonds angeht, so habe ich mich gefreut, heute in den „Kieler Nachrichten“ zu lesen, Jürgen Weber, dass die Koalitionsfraktionen diesem Ansatz offen gegenüberstehen und uns jedenfalls in diesem Punkt zu folgen bereit sind.
Die CDU-Fraktion hat kürzlich vorgeschlagen, auf einen Schlag 500 zusätzliche Lehrerstellen zu schaffen und damit die für diese Wahlperiode vorgesehenen 1.000 zusätzlichen Lehrer sozusagen frühzeitig zu engagieren, also die Einstellungen, die für die nächsten Jahre vorgesehen sind, vorzuziehen. Was diese Idee angeht, so möchte ich zu bedenken geben: Was nützt es, dort, wo man derzeit zum Beispiel keine Physiklehrer findet, Stellen einzurichten, die möglicherweise mit Deutschlehrern oder Lehrern anderer Fachrichtungen besetzt werden? Mit anderen Worten: Wir müssen
immer daran denken, dass die Probleme, die wir heute haben, schulartspezifische und vor allem mangelfachspezifische Probleme sind. Man kann sicherlich darüber diskutieren, wie breit der jährliche Einstellungskorridor sein sollte. Wir selber sind ja in den Haushaltsberatungen Ende letzten Jahres über die von der rot-grünen Koalition vorgesehenen 200 Stellen hinausgegangen und haben weitere Stellen beantragt. Man kann darüber diskutieren, wie viel Stellen es sein sollten. Ich meine, dass der Vorschlag von Jürgen Weber, einen breiteren Einstellungskorridor flexibel speziell im Hinblick auf die Mangelfächer zu schaffen, als Lösungsansatz vernünftiger ist als sozusagen jener große Schluck aus der Pulle, den die CDU-Fraktion zu nehmen vorschlägt.
Mich erinnert dieser Vorschlag ein wenig an die bekannten Panikeinkäufe, die in Krisenzeiten immer um sich greifen.
Man sollte mit mehr Überlegung an die Dinge herangehen, um den Schulen in unserem Land gerade im Bereich der Mangelfächer wirklich nachhaltig zu helfen.
Im Übrigen wäre - dies ist meine letzte Anmerkung all das Bemühen um mehr Lehrerstellen und auch richtig zugeordnete Lehrerstellen „für die Katz“, wenn unser Land nicht auch die Attraktivität seiner Beschäftigungsangebote erhöhte. Referendar- und Anwärterbezüge unter dem Sozialhilfeniveau oder ein Siebtel unterwertig besetzter Funktionsstellen - ich meine beispielsweise den Fall, dass ein Konrektor seinen Job macht, aber bis zu zwei Jahre oder vielleicht sogar länger darauf warten muss, bis er die Besoldungsgruppe, die dafür vorgesehen ist, erhält
- ich komme zum Schluss, Herr Präsident - tragen nicht dazu bei, den Schuldienst in unserem Land attraktiv zu machen. Hier wird nachzubessern sein. Das ist natürlich alles nicht zum Nulltarif zu haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ein bisschen überrascht, dass ich jetzt schon dran bin. Ich nehme die Gelegenheit aber gern wahr, jetzt direkt nach dem Kollegen Klug zu sprechen.
Ich möchte Folgendes voranstellen. Bei den Überlegungen, wie man dem Lehrermangel begegnen kann, ist es für die CDU wichtig - das ist eine wichtige Eingangsfeststellung -, dass die Professionalität der Pädagogen, der Schulartbezug der Lehrerausbildung und das Fachprinzip gewahrt bleiben.
Ich sage das mit Bedacht vor dem Hintergrund der Vorschläge, die die Grünen Ende Januar dazu gemacht haben und die in eine andere Richtung gehen, als wir uns das vorstellen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht deshalb, weil wir jetzt einen Lehrermangel haben, die Quantität vor die Qualität setzen. Es geht nach wie vor darum, möglichst viele qualifizierte Bewerber zu finden,
die hinterher qualifizierten Unterricht machen können. Deshalb kommen eine Verkürzung des Referendariats auf eineinhalb Jahre, wie es jetzt auch in Hamburg geschehen soll, und zum Beispiel eine Umschulung von Sozialpädagoginnen und -pädagogen zu Lehrerinnen und Lehrern, nur um dem Lehrermangel zu begegnen, für uns nicht infrage. Ebenso lehnen wir die Einführung des Stufenlehrers, der nur deshalb vorgeschlagen wird, weil er flexibler einsetzbar sein soll, ab. Das sind Dinge, die zu weit gehen.
Ich entnehme ja der Tatsache, dass es keinen eigenen Antrag von Rot-Grün zu dieser Debatte gibt, dass offenbar die Vorschläge der Grünen auch aus Sicht der SPD keine Parlamentsreife erreicht haben und wir deshalb keinen Antrag der rot-grünen Koalitionsfraktionen hierzu vorfinden. Das finde ich, was die Vorschläge der Grünen anbelangt, ja durchaus in Ordnung. Ich frage mich allerdings, wo die Vorschläge der SPD bleiben. Wir haben zwar das eine oder andere dazu zum Beispiel heute in den „Kieler Nachrichten“ lesen können, aber richtige Vorschläge und Forderungen gibt es nicht. Ich habe so ein bisschen die Befürchtung, Kollege Weber, dass Sie nach dem Reader’s-Digest-Prinzip vorgehen werden: Sie werden sich einmal angucken, was die Einzelnen vorlegen, nehmen die besten Stücke heraus und das ist hinterher die SPD-Politik.
Es muss unser Ziel bleiben, auch mittel- bis langfristig genügend Bewerberinnen und Bewerber für ein Lehramtsstudium zu finden, weil wir uns sonst die Pläne, die wir in diesem Frühjahr für eine Verbesserung der Lehrerbildung insgesamt und damit auch zur ersten Phase der Lehrerausbildung in der Universität parallel diskutieren werden, eigentlich sparen können. Insofern muss man über Quereinsteiger nachdenken, aber es darf nicht unsere erste Priorität sein.
Aus unserer Sicht ist der beste Weg, eine Kontinuität bei der Gewinnung des Lehrernachwuchses zu erhalten, ein verlässlicher Einstellungskorridor über die Jahre und über das Jahr 2005 hinaus; denn eines der Probleme, die wir natürlich haben, dieser Wechsel zwischen einem Überangebot von Lehrerinnen und Lehrern und einem Lehrermangel, dieser so genannte „Schweinezyklus“, wie er heißt, liegt ja darin, dass es keine verlässlichen Einstellungskorridore gibt. - Das Wort „Schweinezyklus“ ist nicht auf die Pädagoginnen und Pädagogen gemünzt, sondern ist ein wirtschaftlicher Fachbegriff, wie ich mir habe sagen lassen.
Dieser Zyklus resultiert aber daraus, dass es zu sehr schwankende Einstiegsbedingungen gibt. Die müssen wir verhindern, indem wir feste Einstellungskorridore schaffen.
Es ist ja kurios: Bislang drehte sich die Debatte darum, dass wir eine schlechtere Unterrichtsversorgung hatten, weil es zwar genügend Lehrerinnen und Lehrer gab, aber zu wenig Planstellen, und jetzt schaffen wir zwar mehr Planstellen, aber finden womöglich nicht mehr die Lehrerinnen und Lehrer dafür. In beiden Fällen leidet die Unterrichtsversorgung und das können wir nicht in Kauf nehmen.
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, etwas zu den F.D.P.-Vorschlägen sagen. Die F.D.P.Vorschläge halten wir im Ergebnis für okay und können sie mittragen. Das gilt in Teilen auch für die Erweiterung der Studienangebote für Lehramtsstudiengänge an der Uni Kiel. Das ist ja ein etwas änigmatischer Begriff für eine komplette Kehrtwendung, was die Entscheidung anbelangt, eine Teilkonzentration der Lehramtsstudiengänge in Flensburg vorzunehmen.
Ich glaube, dass wir diesen Vorschlag im Ausschuss sehr intensiv beraten sollten. Ich denke, es ist ein Vorschlag, der eigentlich weniger mit Schulpolitik zu tun hat als vielmehr mit Hochschulpolitik. Nur, die empirischen Entwicklungen, die auch der Kollege Klug dargestellt hat, sind ja richtig. Insofern muss man sich die Frage stellen - auch im Zusammenhang mit konzeptionellen Überlegungen, die wir zur Neuordnung der Hochschulen anstellen, zum Landeshochschulplan -, ob dies nicht ein Teil einer Korrektur dessen sein kann, was hier im Lande einmal gemacht wurde.