Protokoll der Sitzung vom 23.03.2001

Der Bericht der Bürgerbeauftragten schildert zum Beispiel eine Problematik - das wurde eben schon angesprochen - aus dem Kindertagesstättengesetz. Sigrid Warnicke spricht vom „Wirrwarr beim Kostenausgleich“. Wer sich die Debatte über eine Änderung des § 25 a des Kita-Gesetzes, die wir im vergangenen Jahr hier geführt haben, nochmals vor Augen führt, der stellt fest, ähnlich wirr verliefen die Beratungen im Sozialausschuss und im Plenum zu dieser Thematik. Für uns ist es jetzt natürlich interessant - und das müs

(Torsten Geerdts)

sen wir im zuständigen Fachausschuss hinterfragen -, ob die geschilderten Probleme vor dem In-KraftTreten der Gesetzesänderung zum 1. August 2000 aufgetreten sind oder etwa danach. Dann würde das Urteil über unsere Parlamentsentscheidung nämlich lauten: Die Abgeordneten waren redlich bemüht, doch leider erfolglos.

Nachdenklich müssen uns auch die Anmerkungen der Bürgerbeauftragten zum Thema kinderreiche Familien machen. So stellt Sigrid Warnicke fest, dass die geschaffenen Förder- und Hilfsmöglichkeiten für kinderreiche Familien, die über keine Eigenmittel zum Erwerb eines Hauses verfügen, nicht ausreichen. So wird uns weiter geschildert und damit auf ein Zusatzproblem aufmerksam gemacht, dass Wohnraum in ausreichender Größe für kinderreiche Familien - darunter fallen nach dem Gesetz Familien ab drei Kindern -, kaum vorhanden ist. Die Initiativen von Sigrid Warnicke, vorhandene Mietwohnungen zu größeren zusammenzulegen, sind lobenswert, aber nur selten von Erfolg gekrönt. Auch hier gilt es, die Problematik im Sozial- sowie im Innen- und Rechtsausschuss weiter zu vertiefen. Dabei müssen wir uns über den Vorschlag unterhalten, die Förderrichtlinien entsprechend zu verändern. Die Bürgerbeauftragte schlägt vor, nach einem Weg zu suchen, kinderreiche Familien auch ohne Eigenmittel verstärkt zu unterstützen.

Betroffen machen erneut die Schilderungen der Bürgerbeauftragten zum Umgang einzelner Sachbearbeiter in den Sozialämtern mit Leistungsbeziehern. An dieser Stelle möchte ich unmissverständlich feststellen, dass die CDU-Landtagsfraktion immer mit dabei ist, wenn es darum geht, den Missbrauch Einzelner im Bereich der Sozialhilfe zu bekämpfen. Das bedeutet für uns aber gleichermaßen, dass die wirklich Bedürftigen einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe haben. Sie haben Diskriminierung nicht verdient und sie sind auch keine Bittsteller und Almosenempfänger.

(Beifall im ganzen Haus)

Richtig bleibt aber auch, dass wir die Sozialhilfe weiterentwickeln müssen, um die Eigeninitiative zu stärken. Sozialhilfe muss verstärkt zu einer Hilfe reformiert werden, die vom Empfänger ganz selbstverständlich eine Gegenleistung einfordert. Dazu müssen wir die Kommunen noch stärker in die Lage versetzen.

Die Schilderung der Bürgerbeauftragten, dass sie, als sie in einer kleinen Gemeinde irgendwo in SchleswigHolstein eines Tages um 12:05 Uhr in einem Sozialamt an die Tür eines Mitarbeiters klopfte, ziemlich barsch hereinbefohlen wurde und ihr dann der Hinweis gegeben wurde, seit 12 Uhr sei eigentlich Dienstschluss, muss nachdenklich machen. Was für ein Pech für den zuständigen Sachbearbeiter, dass sich hinter

der ratsuchenden Bürgerin die Bürgerbeauftragte verbarg. Dieser reale Fall macht beispielhaft deutlich, wie wichtig es bleibt, die Forderung aufrechtzuerhalten, unsere öffentliche Verwaltung landauf und landab zu einem bürgernahen Dienstleistungsbetrieb zu entwikkeln. Der Fall unterstreicht aber auch meine Forderung aus dem letzten Jahr, verstärkt Fortbildungs- und Qualifizierungsangebote - gerade für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sozialämtern - anzubieten. Es kann außerdem nicht gut sein, dass viele Bedienstete ihre Versetzung in ein Sozialamt als eine Art Strafversetzung empfinden. Außerdem sollte man prüfen, ob es richtig ist, Berufsanfänger nach dem Motto „Der Weg nach oben ist eben steinig" im Sozialamt einzusetzen.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Manchmal kann ein größerer Schatz an Lebenserfahrung gerade in diesem Amt von besonderer Wichtigkeit sein.

(Beifall im ganzen Haus)

Es ließen sich noch weitere Punkte aus dem Bericht der Bürgerbeauftragten ansprechen. Da wir ihn im Sozialausschuss ja ohnehin beraten werden, verzichte ich an dieser Stelle darauf. Ich möchte vielmehr die Gelegenheit nutzen, um mich im Namen der gesamten CDU-Landtagsfraktion bei Sigrid Warnicke zu bedanken.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir waren uns zwar über den Zuschnitt Ihres Amtes nicht immer einig, wir waren aber als CDULandtagsfraktion mit Ihrer Arbeit immer hoch zufrieden. Die Zusammenarbeit mit Ihnen hat Spaß gemacht. Regelmäßig waren Sie Gesprächspartnerin im Arbeitskreis Soziales unserer Fraktion. Bei diesen Treffen haben Sie die Probleme der Hilfe Suchenden nochmals verdeutlicht und Hinweise für eine mögliche Abhilfe gleich mitgeliefert. Auf Sigrid Warnicke war dieses Amt zugeschnitten.

In der Zeit vor 1995 haben wir Frau Warnicke als eine engagierte und faire Sozialpolitikerin hier im Hause kennen gelernt. Ihr ganz besonderes Interesse galt der Einführung und Durchsetzung der solidarischen Pflegeversicherung. Frau Warnicke, Sie haben Ihr Amt parteipolitisch neutral geführt und waren stattdessen für die sozial Schwachen parteiisch. Es war nicht alles angenehm, was Sie zu sagen hatten. Es war aber wichtig, es von Ihnen zu hören. Aus Sicht der CDUFraktion stelle ich fest: Sie waren eine gute Bürgerbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein!

(Beifall im ganzen Haus)

(Torsten Geerdts)

Liebe Frau Warnicke, die CDU-Fraktion bedankt sich bei Ihnen für die Arbeit in den vergangenen sechs Jahren. Wir wünschen Ihnen jetzt einen fröhlichen Unruhestand sowie Glück und Kraft für die Zukunft.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Warnicke! Der sechste Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten macht einmal mehr deutlich, dass die praktische Auswirkung von Gesetzen und Verordnungen leider nicht immer so ist, wie wir - der Gesetzgeber - es uns vorgestellt haben; denn auch wir als am Gesetzgebungsverfahren maßgeblich Beteiligte tragen nicht immer dazu bei, dass Gesetze klar und nachvollziehbar ausgestalten sind.

Wenn ich mich an eine meiner ersten Reden im Landtag im letzten Jahr zum fünften Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten erinnere und flapsig davon geredet habe, es müssten weniger Gesetze und Verordnungen geben, hat der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Hay, dazwischengerufen: Am besten gar keine Gesetze! Das war polemisch gemeint, ich weiß das, Herr Hay. In der Tat haben Sie Recht. So einfach kann man es sich in der Tat nicht machen. Wir sollten aber die vorhandenen Gesetze und Verordnungen einmal gründlich durchforsten und ausmisten, um den Bürgern und den Anwendern in der Verwaltung einen besseren Durchblick zu verschaffen.

(Beifall bei F.D.P. und CDU sowie der Ab- geordneten Lothar Hay [SPD] und Anke Spoorendonk [SSW])

Die Materie, die geregelt werden muss, ist oftmals gerade im Bereich der sozialen Absicherung außerordentlich komplex und sie wird auch noch komplexer werden. Die Wunschvorstellung, alles, was auch nur in der Realität auf uns zukommen kann, gründlich regeln zu müssen, kann nur zu immer undurchsichtigeren Regelungen führen. Die Regelungsdetails überfordern nicht nur den einzelnen Bürger, sondern auch die Verwaltungen. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht weiter auf die Probleme, die möglicherweise auf uns zukommen werden, eingehen, wenn wir uns mit dem neu zu schaffenden SGB IX konfrontiert sehen. Mit Sicherheit wird auf der einen Seite der Anspruch, etwas klarzustellen, und auf der anderen Seite das Bedürfnis nach zusätzlichen Regeln zu einem Konflikt führen, mit dem möglicherweise Ihre Nachfolgerin oder ihr

Nachfolger noch jede Menge zu tun haben wird, Frau Warnicke.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.] Sicher ist nur: Die Durchsetzung der in Gesetzen for- mulierten Ansprüche werden in der Praxis noch zu Ungereimtheiten führen. Deshalb kann ein Weniger in manchem Fall auch ein Mehr bedeuten Sehr konsequent und bürgerfreundlich finde ich es, dass es Hessen innerhalb der letzten zwei Jahre ge- schafft hat, 39% seiner Verwaltungsvorschriften und 15% seiner Rechtsverordnungen außer Kraft zu setzen. Insoweit werte ich Ihren damaligen Zwischen- ruf, Herr Hay, als einen wichtigen Beitrag der SPD zum Abbau von Bürokratismus. Mal sehen, was dar- aus wird, Herr Hay! (Beifall bei der F.D.P.)

Insgesamt wurden in Hessen rund 3.500 Regelungen gestrichen. Eine Lichtung dieses Dschungels würde mit Sicherheit auch Schleswig-Holstein ganz gut tun und möglicherweise Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger ein wenig bei der Arbeit helfen.

Im 6. Bericht der Bürgerbeauftragten wird ganz deutlich herausgestellt, dass gesetzliche Bestimmungen oftmals in der Praxis zu sozialen Ungerechtigkeiten führen können, wenn sie zwar getreu der Gesetzesbuchstaben umgesetzt, die eigentlichen Ziele des Gesetzes aber nicht erkannt werden.

Gestatten Sie mir, jetzt etwas kritisch zu werden im Hinblick auf die Presseerklärung, die Frau Birk neulich verbreitet hat. Dass Sie, Frau Birk, darüber hinaus eine zunehmende Tendenz des Schwindens sozialer Gerechtigkeit in politischen Entscheidungsprozessen beklagen, finde ich etwas komisch. Ich wäre geneigt zu fragen, wen die Verantwortung trifft. Ich will aber nur fragen, wer im Moment die Verantwortung trägt. In diesem Zusammenhang stelle ich aber infrage, ob ein gemeinsames Bürgerbüro tatsächlich die richtige Lösung sein kann, jedenfalls wenn ich mir Ihre Begründung für ein solches Bürgerbüro ansehe.

Wenn Sie Defizite sozialer Gerechtigkeit bei Regierungshandeln feststellen, ist es doch vor allem auch Ihre Aufgabe als Mitglied einer Regierungsfraktion, Frau Birk, dafür zu sorgen, dass solche Defizite nicht auftreten. Dafür brauchen wir kein neues Bürgerbüro zu schaffen. Ich glaube, dass Frau Warnicke in puncto Niederschwelligkeit ganz bestimmt keinen Nachholbedarf hat und ganz bestimmt nicht der Belehrung in dieser Presseerklärung bedarf.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU)

(Dr. Heiner Garg)

Was die Niederschwelligkeit, die Bürgerfreundlichkeit und die Offenheit ihrer Angebote anbelangt, so hat Frau Warnicke Zeichen gesetzt.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ich wünschte mir, dass, wer auch immer in ihre Fußstapfen tritt - das wird schwer genug werden -, weiter auf ihrem Weg geht.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Sehr gut!)

Lassen Sie mich deshalb gerade für die Niederschwelligkeit ihrer Angebote meinen ganz herzlichen Dank im Namen meiner gesamten Fraktion aussprechen. Sie haben durch großes Engagement und Ausdauer gezeigt, wie man als Institution bürgernah in Form von Sprechstunden, Dienstleistungsabenden und Außensprechtage arbeiten kann. Öffentliche Veranstaltungen und die Nutzung neuer Kommunikationsformen erleichterten darüber hinaus den Ratsuchenden den direkten Kontakt zu ihrer Bürgerbeauftragten.

Ein kleiner Tipp von mir: Für die Zukunft wäre die Verbesserung des Internetauftritts der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten wünschenswert, sodass man Sie beispielsweise direkt per E-Mail erreichen kann. Die Nutzung dieses neuen Mediums wäre für die zukünftige Arbeit sinnvoll.

(Beifall bei der F.D.P. sowie der Abgeordne- ten Bernd Schröder [SPD] und Ursula Kähler [SPD] - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Sauber!)

Liebe Frau Warnicke, ich kann mir gut vorstellen, dass die bürgernahe Arbeit nicht immer besonders prikkelnd war, insbesondere dann nicht, wenn die Krankenkassen - lassen Sie mich das so sagen - mal wieder quer geschossen haben. Es ist schon erstaunlich, wie Krankenkassen unter dem Deckmantel der Wirtschaftlichkeit den Gedanken an Menschenwürde mit Füssen treten, obwohl es sich hier um die eigenen Beitragszahler handelt, also um diejenigen, die einen Anspruch auf eine solche Sicherungsleistung durch ihre Beiträge erworben haben. Da wird einem Heimbewohner ein Rollstuhl verweigert. Die Begründung der Kasse lautet, dass der Versicherungsnehmer sowieso nicht mehr in der Lage sei, am täglichen Leben teilzunehmen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Unglaublich!)

Bei einer solch zynischen Begründung kann ich nur ganz provokant zurückfragen: Die Eskimos haben ihre Alten auf einer Eisscholle ausgesetzt, wenn sie den rauen Bedingungen des Alltags nicht mehr gewachsen waren. Ist dieses Handeln der Krankenkassen eigentlich humaner als das, was man früher dort getan hat? Ich finde, nein.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Nein!)

- Genau. Es ist völlig inakzeptabel, dass man juristische Abgrenzungsprobleme zwischen Leistung des V. Sozialgesetzbuches, etwa bei der häuslichen Krankenpflege, und des XI. Sozialgesetzesbuches, also der Pflegeversicherung, auf dem Rücken der Patienten und Pflegebedürftigen austrägt. Ich erinnere nur an den Versuch der Kassen, einseitig und - wie wir von der F.D.P.-Fraktion meinen - vertragswidrig die Pauschalen für die ambulante Tagespflege um die Hälfte zu reduzieren.

(Beifall bei der F.D.P.)

Das ist für mich ein weiteres Beispiel dafür, dass Machtspielchen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Rücken der Betroffenen ausgefochten werden. Ob man das nun juristisch Ermessensspielraum nennt oder untechnisch als unsensiblen Umgang mit Betroffenen bezeichnet, kann dahin gestellt bleiben, wenn man immer wieder den Eindruck gewinnt, dass soziale Hilfe gerade dann versagt wird, wenn sie besonders schnell und im Rahmen von Ermessensentscheidungen erbracht werden sollte.

Offene Regeln bedürfen einer vertraglichen Grundlage mit den verschiedenen Institutionen. Es darf nicht passieren, dass offene Regelungen in einem kleinlichen Hickhack auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden, wie dies beispielsweise bei der Kostentragung für Fehlfahrten von Rettungsdiensten geschehen ist.

Liebe Frau Warnicke, dass über 82 % der Rat- und Hilfesuchenden geholfen werden konnte, ist ein Beleg für die Qualität Ihrer Arbeit und Ihres Engagements. Das haben meine Vorredner schon gesagt. Ich möchte es an dieser Stelle trotzdem wiederholen. Selbstverständlich gebührt auch Ihren Mitarbeitern herzlichen Dank. Ich möchte mich aber heute ganz besonders im Namen der F.D.P.-Landtagsfraktion für Ihr Engagement und für Ihre Arbeit bedanken.

Meine Fraktion hat zwar nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir uns eine andere Struktur der Beratung und der Hilfe für die Bürger gewünscht hätten. Das ist allerdings niemals als Geringschätzung Ihrer Arbeit einzuschätzen gewesen. Ich hoffe, Sie haben es auch nie so verstanden. Ich glaube, dass wir immer wieder im Dialog gemeinsam Lösungen finden konnten. Das gilt im Übrigen insbesondere für meine Vorgängerin, für meine Kollegin Aschmoneit-Lücke.

(Beifall bei der F.D.P.)