Protokoll der Sitzung vom 30.05.2001

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Joachim Behm [FDP])

Ich habe es nur einmal gesagt, auch gegen die eigene Regierung. Das ist ja alles nicht so schlimm.

Familienpolitik! Es ist schön, dass aus dem Stiefkind der Politik jetzt ein Mittelpunktkind geworden ist. Alle beschäftigen sich damit. Das ist gut; das sollte man nicht ablehnen. Tatsache ist, dass von Konrad Adenauers falscher Sicherheit „Kinder kriegen die Leute immer“ bis hin zur aktuellen Diskussion um eine bes

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

sere Familienpolitik Bewegung in das Thema gekommen ist. Seit Antritt der rot-grünen Regierung hat sich viel getan: Beim Erziehungsgeld wurden die Einkommensgrenzen erhöht, das Erziehungsgeldgesetz wurde verändert, Väter und Mütter können jetzt gleichzeitig Elternurlaub nehmen, die erste Stufe der Steuerreform ist in Kraft getreten

(Unruhe)

- störe ich? -,

(Heiterkeit und Beifall)

durch die eine vierköpfige Familie mit einem durchschnittlichen Einkommen bis zu 3.000 DM Steuern spart, beim BAföG gelten höhere Sätze und schließlich wurde das Kindergeld in zwei Stufen von 220 DM auf jetzt 270 DM angehoben wird und danach auf 300 DM steigen. Das heißt, dass die Kindergeldzahlungen um 16,5 Milliarden DM auf 66,5 Milliarden DM pro Jahr gestiegen sein werden.

Da müsste jetzt eigentlich Jubel ausbrechen und dennoch müssen wir uns eingestehen, dass die Situation von Familien noch immer unbefriedigend ist. Das zwingt uns dazu, darüber nachzudenken, warum wir so viel Geld ausgeben und so wenig „Dankbarkeit“ dafür bekommen. Das hat aus meiner Sicht vor allem viel damit zu tun, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen immer noch nicht erreicht worden ist. Die Erwerbsquote von Frauen, auch von gut ausgebildeten Frauen, liegt in Deutschland immer noch nur im europäischen Mittelfeld, übrigens sogar noch hinter Italien. Allein erziehende Mütter brauchen tatsächlich mehr finanzielle Hilfen, um ihren Beruf mit ihren Kindererziehungspflichten in Einklang zu bringen. Man kann es milde nennen, dass das Bundesverfassungsgerichtsurteil an dieser Stelle schlicht weltfremd ist. Offensichtlich haben die Damen und Herren dort nie die Situation einer allein erziehenden Person durchleben müssen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir alle wissen in der Zwischenzeit, Kinder allein zu erziehen beziehungsweise drei Kinder zu haben, bedeutet in der Bundesrepublik Deutschland durchaus ein Armutsrisiko.

So wichtig also Kindergelderhöhungen auf der einen Seite sind, sind sie in der Tat nicht der Weisheit letzter Schluss. Herr Wadephul, es ist gut, dass wir uns über das Thema unterhalten, aber Ihr Landeskindergeld von 500 DM ist kaum geeignet, um mehr Kinder auf dieser Welt zu haben. Die Menschen verzichten doch nicht auf Kinder, weil sie auf Geld verzichten wollen,

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

sondern sie verzichten auf Kinder, weil die Bundesrepublik Deutschland eine der kinderunfreundlichsten Gesellschaften ist.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wer hier Kinder in die Welt setzt, ist wirklich wegen Tapferkeit zu belohnen und nicht sozusagen auch noch zu beschimpfen beziehungsweise mit Geld zu ködern.

(Klaus Schlie [CDU]: Wer beschimpft denn?)

Ganz nebenbei, Herr Wadephul: Eine Opposition darf alles, aber eine kleine Neugier plagt mich nun doch. Nehmen wir einmal den Geburtsjahrgang 1998. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes wurden in Schleswig-Holstein etwa 27.700 Kinder geboren. Da schlägt Ihr Landeskindergeld nach Adam Riese, Eva Zwerg mit 166 Millionen DM im Jahr zu Buche. Wie um Himmels willen wollen Sie das bezahlen?

(Lothar Hay [SPD]: Jedes Jahr die LEG ver- kaufen!)

Das würde mich interessieren. Sie brauchen mir das nicht auf den letzten Pfennig zu sagen, aber eine ungefähre Richtung würde ich schon gern wissen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Den Familien ist nicht geholfen, wenn Sie ihnen Luftschlösser präsentieren,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

sondern Sie müssen - wie in den europäischen Nachbarländern - ganz konkret, Schritt für Schritt - dafür haben Menschen auch Verständnis, wenn nicht mehr Geld in den Kassen ist - sagen, wie Sie familien- und kinderfreundliche Rahmenbedingungen so aufbauen, dass es sich wieder lohnt, Kinder zu haben, dass es nicht eine Ausgrenzung für die Familien bedeutet, dass die Frauen weiter mit dabei sein dürfen

(Beifall bei der FDP)

und dass sie nicht die Qual der Wahl zwischen Beruf oder Familie haben, sondern irgendwo einmal sehen, dass sie beides wieder einmal zusammen haben.

Gesellschaftliche Teilhabe, die wir Männern und Frauen, Vätern und Müttern garantieren, kostet auch Geld. Darauf ist zu Recht hingewiesen worden. Deshalb hat die SPD Schleswig-Holstein auf ihrem Parteitag 1997 in Husum ein Finanzierungskonzept formuliert - vor der Wahl, damit jeder wusste, was wir

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

vorhaben -, das die teilweise Umwandlung des Ehegattensplittings in eine Familienförderung enthält. Diesen Antrag haben wir als rot-grüne Landesregierung umformuliert in einen Antrag, den wir in den Bundesrat eingebracht haben. Da ist er auf große Gegenliebe bei der damaligen schwarz-gelben Regierung gestoßen.

Nun fangen wir neu an. Dabei ist es wichtig, dass wir uns darüber einig sind, keine Modelle zu verfolgen, die den Verzicht der Frauen auf Erwerbsarbeit honorieren.

Alles, was Herr Stoiber an dieser Stelle vorschlägt, ist aus meiner Sicht gesellschaftspolitisch, frauenpolitisch, emanzipatorisch und kinderpolitisch falsch. Es läuft in die falsche Richtung. Es bringt die Frauen dazu, darauf zu hören, dass es gut ist, zu Hause zu bleiben, weil man damit 1.200 DM pro Kind verdienen kann. Das wollen wir nicht und andere wollen es offensichtlich auch nicht. Auch der Arbeitgeberpräsident Hundt möchte es nicht. Der Mann, der keine feministischen radikalen Thesen vertritt, ist der Meinung, dass die Verantwortlichen in der Politik den Frauen, auch den Müttern, bessere berufliche Möglichkeiten geben sollten. Ich kann nur sagen: Herr Hundt, da haben Sie Recht. Aber auch Sie müssen etwas dafür tun. Die Betriebe müssen mit ran und dafür etwas tun.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Viele Betriebe in Schleswig-Holstein haben bereits sehr kreative Konzepte entwickelt, um ihren Beschäftigten zu helfen, Familien- und Erwerbsarbeit miteinander zu verbinden. Wenn wir jetzt gemeinsam eine breite gesellschaftspolitische Debatte über die Zukunft von Familie - dabei geht es nicht nur um Familien mit Vater, Mutter und Kindern, sondern auch um Mutter und Kinder oder Vater und Kinder oder um solche Familien, in denen beispielsweise die pflegebedürftigen Eltern leben - lostreten könnten, dann hätte es sich schon gelohnt. Wir sind zwar noch nicht ganz zusammen; aber wenigstens haben wir einmal angefangen.

Ich würde mich freuen, wenn von Schleswig-Holstein Herr Wadephul, da gebe ich Ihnen Recht - das Signal ausgehen würde, dass man für Kinder und Familien mehr tun kann, als bis jetzt in dieser Gesellschaft getan worden ist.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, FDP und SSW)

Ich will nur den geschäftsordnungsmäßigen Hinweis geben, dass die Redezeit um zwei Minuten überschritten wurde. Nach der Geschäftsordnung bedeutet dies, dass die Hälfte davon den Fraktionen noch zur

Verfügung steht. Möge man sich entscheiden, ob man auf die eine Minute zurückkommt. Es liegen mir mehrere Wortmeldungen für Drei-Minuten-Beiträge vor.

Als Erster hat der Oppositionsführer des SchleswigHolsteinischen Landtags, der Fraktionsvorsitzende der CDU, Martin Kayenburg, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerpräsidentin, das war in Teilen eine mutige und auch zustimmungsfähige Rede, bis Sie zu der Kritik an dem Kollegen Dr. Wadephul angehoben haben.

(Lachen bei der SPD)

Sie haben offenbar nicht richtig zugehört. Natürlich ist Familienpolitik mehr als Geldpolitik und auch wir kennen die Notwendigkeit, seriös zu finanzieren. Es ist hier formuliert worden - wenn Sie richtig zugehört hätten, wüssten Sie dies -, dass wir einen Einstieg in das Landeskindergeld machen wollen. Sie haben eine Reihe von Totschlagargumenten gebracht. Es geht uns aber nicht darum, alles auf einmal zu machen, sondern wir wollen das Machbare durchsetzen. Dazu werden wir seriöse Vorschläge vorlegen.

Es muss jedoch auch zulässig sein, Visionen zu haben. Schauen Sie sich einmal Ihre Programme an. Das Ziel ist, ein Landeskindergeld, wenn es finanzierbar ist, entsprechend einzuführen. Wir bitten darum, dass unsere Anträge mit der entsprechenden Seriosität behandelt werden. Der Weg wird von uns mit Augenmaß beschritten werden.

(Beifall bei der CDU)

Recht gebe ich Ihnen in dem Teil, in dem Sie auf die Betriebe verwiesen haben.

Insbesondere bitte ich zu vermerken, dass die CDULandtagsfraktion bei einer alternativen Abstimmung nur die Möglichkeit hat, dem einen oder dem anderen Antrag zuzustimmen. Ich stelle fest, dass der unter Ziffer 1 des FDP-Antrages genannte Betrag von 30 DM unserer Auffassung nach nicht ausreichend ist. Wir hätten gern mehr. Da wir diesen Betrag für zu niedrig halten, tun wir uns schwer, einen solchen Schritt zu begrüßen.

Gleichwohl werden wir dem Antrag insgesamt zustimmen. Ich will allerdings festhalten, dass wir sehr große Sympathie dafür hätten, wenn auch der FDPAntrag den Hinweis enthielte, dass für diesen Zweck die geltende Regelung des Ehegattensplittings überprüft werden sollte.

(Beifall bei CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

(Martin Kayenburg)

Wenn wir uns in dieser Form einigen, dann haben wir, glaube ich, eine Chance, auch gemeinsame Wege zu gehen. Aber dann sollten Sie bitte nicht versuchen, mit Argumenten, die an der Sache vorbeigehen, nicht nur gut gemeinte, sondern für die Familien wichtige Ansätze, die aus der Familienpolitik der CDU, aus unserer Landespartei kommen, schlechtzureden.

(Beifall bei der CDU)