Protokoll der Sitzung vom 30.05.2001

Selbstverständlich können auch die Angehörigen von Opfern heute schon am Prozess teilnehmen. Der Weg über die Prozesskostenhilfe ist keineswegs unzumutbar oder gar verwerflich. Sie können mir nicht erklären, warum der reiche Vater in einem Strafverfahren, bei dem es um den Tod seines Sohnes geht, für den Fall, dass er mit einem Anwalt seine Interessen dort weiter verfolgen will, nicht selbst bezahlen soll.

Völlig überflüssig ist des Weiteren die Forderung in Nummer 2 des Antrages, das Opfer über bestimmte Rechte zu unterrichten. Das ist bereits heute geltendes Recht: § 406 a StPO.

(Wolfgang Kubicki)

Ich sage Ihnen: In allen Kriminalpolizeidienststellen, spätestens jedoch bei der Staatsanwaltschaft erhalten alle Opfer in Schleswig-Holstein ein Merkblatt, über dessen Sinnhaftigkeit man sich durchaus unterhalten kann, ein Merkblatt, in dem sämtliche Rechte und sämtliche Möglichkeiten aufgeführt sind, die Opfer nach der Strafprozessordnung und ergänzenden Regelungen in Schleswig-Holstein haben. Vielleicht hätten Sie sich diesbezüglich einmal erkundigen sollen.

Die gleichgeschlechtliche Untersuchung ist ebenfalls in den allgemeinen Grundsätzen der StPO vorgesehen und dürfte mithin auch auf Opfer entsprechend Anwendung finden. Das ist § 81 d StPO. Auch die Forderung, das Opfer sofort über die Entlassung des Beschuldigten zu unterrichten - auch hier sage ich Ihnen: ein Beschuldigter ist nach der Menschenrechtskonvention immer noch einer, für den die Unschuldsvermutung gilt - und die dafür maßgeblichen Gründe zu benennen, hat mich lange beschäftigt. Was wollen der Kollege Lehnert und die CDU-Fraktion damit erreichen? Einen Beitrag zum Rechtsfrieden stellt dieses Verlangen jedenfalls kaum dar. Nicht von ungefähr ist in der StPO deshalb geregelt, dass dem Verletzten nur, aber auf jeden Fall auf seinen Antrag der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens mitzuteilen ist, soweit es ihn betrifft.

Ein Glanzstück ist dieser Antrag gerade nicht; im Gegenteil, angesichts dieses Rechtsverständnisses, dieses Verständnisses vom Sinn des Strafverfahrens muss es in der CDU-Fraktion recht düster aussehen. Die möglichen populistischen Effekte, Kollege Lehnert, machen den Antrag nicht besser. Deshalb lehnt ihn die FDP-Fraktion in Gänze ab.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Rainder Steenblock.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun muss ich doch etwas anders anfangen, als ich es mir vorgenommen habe, Kollege Kubicki. Was Sie gesagt haben, teile ich in den Teilen, in denen es rechtspolitisch auf das Strafverfahren bezogen ist. Das ist - glaube ich - auch die Schwäche des Antrages, dass er sich rein auf das Strafverfahren bezieht. Wir sind als Fraktion dafür, den Antrag - wie es auch die SPD vorgeschlagen hat - an den Ausschuss zu überweisen. Ich persönlich bin aber sehr dafür, dann die Thematik deutlich auszuweiten. Denn das politische

Problem ist nicht wegzudiskutieren, das wir in Deutschland mit dem Opferschutz insgesamt haben. Das Opferschutzgesetz - darauf hat Herr Puls eben hingewiesen - hat jetzt 25-jähriges Jubiläum in dieser Republik und es ist eines der unbekanntesten Gesetze in dieser Republik.

Wenn man sich vorstellt, dass nur 10 bis 12 % der Opfer dieses Gesetz in Anspruch nehmen und die Hälfte der Fälle davon auch noch im Verlauf des nicht einfachen Verfahrens abgelehnt werden, muss man deutlich sagen, dass wir an mehreren Stellen ein Defizit haben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Dann müssen wir dort heran!)

Ich glaube, dass die Frage des Opferschutzes nicht so sehr auf das Problem im Strafverfahren selber zu reduzieren ist; auch da gibt es noch im Detail Probleme, die man regeln kann. Generell muss aber an dieser Stelle an sehr viel mehr Stellschrauben gedreht werden, um die Denkweise in der justizpolitischen und polizeipolitischen Debatte zu ändern, wie wir sie in der Vergangenheit geführt haben, in der sich letztlich alles auf den Täter bezog - die Verfolgung des Täters, die Bestrafung des Täters - und das Opfer häufig lediglich als Zeuge in Erscheinung trat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Opfer muss in seinen Rechten stärker in die Solidarität dieser Gesellschaft einbezogen werden. Das muss Grundkonsens sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, CDU und SSW)

Mit dieser Intention halte ich eine Landtagsdebatte durchaus für sinnvoll. Wir führen hier viele Debatten, deren gesellschaftliche Relevanz begrenzt ist. Wenn sich aus dieser Debatte heraus nur einzelne Opfer von Verbrechen und Gewalt bestärkt fühlen, ihre rechtlichen Möglichkeiten, die Sie hier angesprochen haben, Kollege Kubicki, tatsächlich wahrzunehmen, hätte diese Debatte sehr viel mehr Erfolg und gesellschaftliche Bedeutung als viele andere Debatten, die wir in diesem Hause führen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, CDU und SSW)

Deshalb bin ich dafür, dass wir die rechtlichen Dimensionen, die Kollege Kubicki angesprochen hat, im Ausschuss relativ schnell beschreiben. Die Justizministerin wird dazu sicherlich gleich etwas sagen. Ich gehe weitgehend mit Ihnen konform, dass der Regelungsbedarf an der Stelle eher dünn ist.

(Rainder Steenblock)

Wir können da von Ländern wie Amerika eine ganze Reihe konkreter Punkte abschreiben, allein solch einfache Geschichten wie die Frage von häuslicher Gewalt gegen Frauen. Das ist ein Thema, bei dem Opferschutz im Zentrum stehen muss. Wenn beispielsweise der prügelnde Ehemann oder Partner aus der Wohnung entfernt ist, müssen Frauen den Anspruch haben, noch in derselben Nacht ein neues Schloss in die Haustür eingebaut zu bekommen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Platzverweise werden heute von Polizeibeamten ausgespro- chen!)

Das mögen Peanuts sein, aber es sind reale Probleme, die vielen betroffenen Menschen in dieser Republik helfen werden, Sicherheit zu erlangen. Sicherheit zu erlangen, ist ein zentrales Moment von Prävention.

Neben den Überlegungen, die im Rahmen von Strafverfahren angestellt worden sind, muss in Zukunft die Frage des Opferschutzes im Bereich der Prävention eine sehr viel größere Bedeutung haben. Wir überlegen uns immer, wie potenzielle Täter nicht zu wirklichen Tätern werden. In diesem Bereich des Opferschutzes muss es auch darum gehen, dass potenzielle Opfer nicht zu tatsächlichen Opfern werden. Das hat auch mit der Präventionsstrategie, die wir als Gesellschaft fahren, eine ganze Menge zu tun.

Die Debatte ist wichtig, sie muss allerdings sehr viel breiter geführt werden, als es im Antrag angedeutet wird. Deshalb freue ich mich darauf, dies im Ausschuss zu debattieren. Dann muss es allerdings weiter gehen, als im Antrag angedacht ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, CDU und SSW)

Für den SSW erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der SSW unterstützt grundsätzlich die Intention des Antrages. Ich kann mich nicht den Worten des Kollegen Kubicki entziehen, dass ich sagen würde: Wenn der Antrag so stehen bleiben würde, würde ich auch dagegen stimmen. Nur, was dahinter steht und was ich als Zielsetzung wirklich begrüße, ist, dass die Rechte eines Opfers beziehungsweise gegebenenfalls seiner Angehörigen beim Strafverfahren in der Nebenklage zu verbessern sind. Ich hatte - offen gesagt - Probleme, Ihren Antrag zu verstehen, aber ich habe mich positiv darum bemüht.

Die Nebenklage eröffnet den Opfern bestimmter Straftaten die Möglichkeit, in der Gerichtsverhandlung die eigenen Interessen zu unterstreichen und damit gegebenenfalls Einfluss auf die Verurteilung des Täters zu nehmen. Dieses Recht besteht bisher bei bestimmten Straftaten und wenn der Beschuldigte zur Tatzeit mindestens 18 Jahre alt war. Das halte ich für ganz wichtig und dabei sollte es unbedingt bleiben. Das Opfer kann sich des Beistandes eines Rechtsanwaltes oder einer -anwältin bedienen und sich von ihnen vertreten lassen, es kann es aber auch selber machen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Man kann auch zusammen auftreten!)

- Ja. - Der Vorteil der Nebenklage besteht darin, dass das Opfer als Nebenkläger bestimmte zusätzliche Rechte erhält, nämlich das Recht, Akten einzusehen, das Recht auf ständige Anwesenheit in der Hauptverhandlung, das Recht, gegebenenfalls Richter oder Sachverständige abzulehnen, Fragerecht, Beweisantragsrecht, das Recht, eigene Erklärungen abzugeben, und darüber hinaus in bestimmten Fällen eine Rechtsmittelbefugnis. In besonderen Fällen steht dieses Recht der Nebenklage auch Angehörigen zu, aber als Stellvertreter des Opfers; es ist wichtig, dass es nicht grundsätzlich heißt „Opfer und Angehörige“, sondern -

(Im Plenarsaal klingelt ein Handy - Unruhe)

- Irgendein Telefon klingelt!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist Ihr Tele- fon!)

- Ich habe mein Handy ausgestellt.

Ich darf doch bitten, dass das elektronische Gerät ausgeschaltet wird.

(Unruhe)

- Das ist wirklich nicht mein Handy; es hört sich anders an.

Die CDU-Fraktion fordert jetzt, dass weitere Opfergruppen Anspruch auf einen staatlich gestellten Anwalt bekommen sollen. Der Gesetzgeber hat aber festgelegt, dass die notwendigen Auslagen des Verletzten grundsätzlich durch den Verurteilten zu tragen sind, nicht durch den Staat.

Bezüglich des zweiten Punktes des Antrages wäre nach meiner Ansicht eine Ergänzung notwendig: Auch Angehörige sollten gegebenenfalls über die Möglich

(Silke Hinrichsen)

keit unterrichtet werden, als Nebenkläger aufzutreten. Da kann ich dem Kollegen Kubicki nur Recht geben: In § 406 a StPO steht das sowieso schon. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob die bestehenden Regelungen - wie gesagt - ausreichend sind. Im Übrigen werden sowohl Opfer als auch gegebenenfalls Angehörige bei der Polizei hierüber aufgeklärt. Ein Problem tritt sicherlich in der Situation selbst auf, wenn man bei der Polizei ist, dass man es nicht immer wahrnimmt; aber es wird darüber aufgeklärt.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ja, ein Merkblatt ist nur ein Papier und in so einer Situation ist das schon sehr schwierig.

Auch die Richtlinien für die Staatsanwaltschaft enthalten hierzu Ausführungen und in § 406 h StPO gibt es ebenfalls diesen Hinweis. § 406 h ist im Rahmen des Rechtspflegeentlastungsgesetzes von einer MussVorschrift in eine Soll-Vorschrift geändert worden. Da ist wirklich zu überlegen, ob man das nicht vielleicht wieder rückgängig machen sollte.

Den dritten Punkt halte ich grundsätzlich für begrüßenswert, allerdings müssen hier die praktischen Grenzen gesehen werden. Es darf nicht sein, dass wegen des Wartens auf einen Rechtsbeistand die Täterverfolgung verzögert oder verhindert wird. Das ist sicherlich nicht im Sinne des Opfers. Festzuhalten ist aber - das wird auch wirklich praktiziert -, dass es Hinweise auf die Beistandsmöglichkeit gibt und auch das Angebot der Vernehmung durch eine Person des gewünschten Geschlechts. Aber auch dies müsste noch näher besprochen werden. Es gibt diese Weisung im Übrigen auch in den Leitlinien zu Sexualstraftaten.

Zum vierten Punkt des Antrages wäre es wichtig zu ergänzen, dass gegebenenfalls die Angehörigen zu informieren sind. Fraglich erscheint mir jedoch, ob die Gründe mitgeteilt werden müssen. Nach meiner Ansicht hat auch ein Beschuldigter ein Recht auf Datenschutz. Dann könnte es sein, dass persönliche Gründe - aus welchen Gründen auch immer - möglicherweise dazu führen, dass es zu einer Freilassung kommt, und ich weiß nicht, ob das immer so angebracht ist.

Was den Punkt 5 des Antrages angeht, so halte ich es für sinnvoll, das Opfer beziehungsweise die Angehörigen bereits bei Hafterleichterungen und nicht erst bei Haftentlassung zu informieren.

Grundsätzlich begrüßen wir die Intention des Antrages, halten aber eine Ausschussberatung für unbedingt notwendig, da der Antrag so nicht stehen bleiben kann.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der CDU)