Ein Problem ist auch die Frage, welche anwaltlichen Gütestellen es geben wird. Nach dem Gesetzentwurf sieht es im Moment so aus, dass die Anwälte sicherstellen müssen, dass dann, wenn sie anwaltliche Gütestellen sein werden, nie eine der Parteien in irgendeiner Angelegenheit vertreten oder beraten haben. Es dreht sich also nicht um dieselbe Angelegenheit, sondern um irgendeine Angelegenheit. Das wäre für mich zu diskutieren. Im Gesetzentwurf steht, dass sie nie für eine der Parteien tätig geworden sein dürfen.
Ich denke, dies kann Probleme aufwerfen und kann für die Parteien, wenn sie sich denn auf eine anwaltliche Gütestelle einigen, zu einer Ablehnung führen.
Die Grundidee dieses Gesetzentwurfs halten wir für richtig und hilfreich für die Parteien. Wir sollten aber, wie gesagt, über die näheren Einzelheiten unbedingt noch einmal im Ausschuss sprechen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf an den zuständigen Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Eine Mitberatung wird nicht gewünscht. Wer so verfahren will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Lehnert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch das erste Opferschutzgesetz, das am 18. Dezember 1986 in Kraft trat, wurde dem Opfer im Rahmen der Nebenklage eine umfassende Beteiligungsbefugnis am Strafverfahren verschafft. Die damit verbundenen Rechte des Opfers wie beispielsweise die Akteneinsicht, können nur mit einem Anwalt wahrgenommen werden. Einen vom Gemeinwesen getragenen Opferanwalt analog dem vom Staat ge
stellten Pflichtverteidiger für den Angeklagten erhalten bisher aber nur die Opfer von Sexualstraftaten und von versuchten Tötungsdelikten. Die Schaffung eines Opferanwaltes allein für diese Opfer reicht jedoch nicht aus. Das Prozesskostenrisiko darf auch bei schweren Gewaltdelikten nicht dem Opfer auferlegt werden.
So müssen auch die Hinterbliebenen von Mordopfern, wie zum Beispiel die Eltern eines ermordeten Kindes, Anspruch auf einen vom Staat bezahlten Rechtsbeistand haben, denn sie sind im Strafverfahren erheblichen psychischen Belastungen ausgesetzt.
Die Ausweitung eines Persönlichkeitsschutzes schwer betroffener Opfer auch auf weitere Deliktsbereiche ist zwingend erforderlich. So müssen zurzeit zum Beispiel Opfer schwerster Misshandlungen oder einer Entführung Schutz über den Weg der Prozesskostenhilfe suchen.
Ebenso haben die Eltern von getöteten Kindern in aller Regel keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz, weil sie nicht selbst unmittelbar zum Opfer geworden sind. Selbst wenn sie aufgrund seelischer Schäden infolge des Verbrechens an ihrem Kind mit erheblichen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben und dadurch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit eintritt, wird diesen Menschen staatliche Hilfe aus dem Opferentschädigungsgesetz nicht gewährt.
Anspruch auf eine so genannte Elternrente besteht nur, wenn eine wirtschaftliche Abhängigkeit zum getöteten Kind bestand.
Zeitgleich mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, das dem Rückfall von Sexualstraftätern vorbeugen soll, und die obligatorische Begutachtung bei vorzeitiger Haftentlassung von besonders rückfallgefährdeten Tätern, die Therapie als Bedingung für eine Strafaussetzung zur Bewährung und die Erleichterung der Anordnung von Sicherungsverwahrung enthält, wurde am 30. April 1998 vom Deutschen Bundestag das Zeugenschutzgesetz verabschiedet. Es trat am 20. Juli 1998 in Kraft.
Die CDU hat mit diesem Gesetz erreicht, dass die Opfer von Straftaten bei den Vernehmungen im Strafverfahren einen größeren Schutz bekommen. Schutzwürdige Zeugen sind beispielsweise Frauen, die vergewaltigt worden sind und als Zeugen dieser Vergewaltigung vor Gericht stehen müssen. Schutzwürdig sind auch Kinder, denen Gewalt widerfahren ist und die wegen dieser Gewalttat als Zeugen gehört werden. Diese Opfer, denen nicht nur körperlich, sondern auch
seelisch schlimmstes Leid zugeführt worden ist, werden durch ihre Vernehmung abermals psychisch schwer belastet.
Mit der Verabschiedung des Zeugen- und Opferschutzgesetzes, das den besonderen Bedürfnissen von Vergewaltigungsopfern sowie kindlichen Opfern Rechnung trägt, hat die CDU verhindert, dass Opfer im Strafverfahren abermals zum Opfer werden.
Die gestärkte Rechtsstellung der durch eine strafbare Handlung verletzten Personen setzt allerdings verbesserte Informationen voraus, um wirksam werden zu können. Die Staatsanwaltschaften und die Gerichte müssen daher verpflichtet werden, Opfer über ihre Verfahrensrechte zu belehren, sobald Ermittlungen gegen eine bestimmte Person geführt werden.
Besonders wichtig ist, dass jedes Opfer eines Sexualdelikts, das wegen der Verletzung seines höchstpersönlichen privaten Intimbereichs erhöhten psychischen Belastungen ausgesetzt ist, über seine Rechte informiert wird. So darf das Opfer vor der Befragung mit einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt oder einer Beratungseinrichtung Kontakt aufnehmen. Außerdem besteht das Recht, im gesamten Ermittlungsverfahren von einer Person des gleichen Geschlechts vernommen zu werden.
Aus Gründen des Opferschutzes müssen außerdem Maßnahmen zur Sicherheit des Opfers getroffen werden. Insbesondere nach Gewalthandlungen im familiären und sonstigen sozialen Nahverhältnis werden in der Regel betroffene Frauen von der Freilassung des Beschuldigten und seiner Rückkehr überrascht. Um der Gefahr des Eintretens des Täters in den Lebensbereich von Opfern und Angehörigen vorzubeugen, soll jedes Opfer über eine Freilassung des Täters aus der Haft informiert werden. Bei der Entscheidung über eine vorzeitige Haftentlassung muss der Nebenklage auch ein Recht auf Anhörung und Information eingeräumt werden.
Diese Schwachstellen im Bereich des Opferschutzes und der Opferentschädigung müssen geschlossen werden. Verbrechensopfer sind keine lästigen Bittsteller, sondern haben Anspruch auf Solidarität und praktische Hilfestellung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die SPD-Landtagsfraktion beantrage ich die Überweisung des CDU-Antrages an den Innen- und Rechtsausschuss.
In der Zielsetzung sind wir uns mit der antragstellenden Fraktion darin einig, für eine Stärkung des Opferschutzes in Strafverfahren alle denkbaren Wege einzuschlagen. Alle sinnvollen Maßnahmen zu ergreifen und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, Herr Kubicki, ist essenzieller Teil auch unserer landespolitischen Verantwortung.
Wir sollten nicht immer nur täterorientiert politisch aktiv sein, sondern auch für die Opfer das Denkbare politisch realisieren.
Hinsichtlich der konkreten Maßnahmen, die von der CDU-Fraktion vorgeschlagen werden, erlauben wir uns allerdings den Hinweis, dass vieles von dem, was hier gefordert wird, auch in Schleswig-Holstein bereits praktiziert wird oder zumindest praktiziert werden könnte. Insbesondere was die geforderten Informations- und Belehrungspflichten angeht, ist aus unserer Sicht eine Bundesratsinitiative nicht erforderlich, weil eine landeseigene Regelung möglich erscheint.
Im Einzelnen zu Ihrem Antrag, Herr Kollege Lehnert! Was die Erweiterung des Anspruchs auf einen vom Staat gestellten Opferrechtsanwalt oder eine Opferrechtsanwältin angeht, müssten wir darüber im Ausschuss sicherlich noch im Einzelnen beraten. Hier wäre sicherlich auch die bundespolitische Initiative erforderlich, sollten wir zu einem Ergebnis in dem Sinne kommen. In landeseigener Vollzugskompetenz Herr Kubicki hat eben durch einen Zwischenruf darauf hingewiesen - müsste es eigentlich möglich sein, die von der CDU geforderten Informations- und Belehrungspflichten auch zu gewährleisten. Wir halten es selbstverständlich in der Sache auch für sinnvoll, dass gewährleistet wird, dass Kriminalitätsopfer über ihre Rechte, sich am Verfahren als Nebenkläger zu beteiligen, und über die mit dieser Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte unterrichtet werden.
Wir halten es auch für sinnvoll, dass jedes Kriminalitätsopfer, das in seiner sexuellen Integrität verletzt worden sein könnte, vor einer ersten Befragung über seine prozessualen Möglichkeiten belehrt wird. Wir halten es schließlich auch für sinnvoll, dass Kriminalitätsopfer von der Freilassung verhafteter Beschuldigter verständigt werden.
Wir bitten die Justizministerin - vielleicht schon hier und heute, sonst aber im Ausschuss - um Aufklärung darüber, was von den CDU-Forderungen in Schleswig-Holstein in der Tat schon realisiert wird oder realisiert werden könnte, ohne die Bundespolitik, wie von der CDU beantragt, zu bemühen. Was darüber hinaus für den Schutz von Kriminalitätsopfern politisch noch erreicht und angestrebt werden sollte, sollten wir im Einzelnen im Fachausschuss besprechen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal muss man sich über Sozialdemokraten wirklich wundern. Wir wollten die Anträge eigentlich in Gänze ablehnen, und zwar sofort. Ich komme gleich zu der Begründung, warum das eigentlich sinnvoll wäre.
Als ich den Titel des CDU-Antrages las, war ich wirklich neugierig, welche weitreichenden Änderungen die Landesregierung im Wege einer Bundesratsinitiative zur Stärkung des Opferschutzes im Strafverfahren auf den Weg bringen soll. Doch meiner Neugier folgte schnell das Erstaunen - ich nenne es einmal so -, mit welchem Rechtsverständnis der Kollege Lehnert und die CDU-Fraktion an diese Problematik herangehen. Kollege Graf Kerssenbrock ist ja da. Es gibt offensichtlich doch noch einen Strafverteidiger. Ich hätte mir gewünscht, er hätte auf die Willensbildung in der CDU-Fraktion maßgeblichen Einfluss genommen. Dann wäre uns der Antrag erspart geblieben.
Erlauben Sie mir deshalb eingangs zunächst einen Satz zu Sinn und Zweck des Strafverfahrens. Bereits hier scheint ein grundlegendes Missverständnis bei den Kolleginnen und Kollegen vorzuliegen. Ziel des Strafprozesses ist die Schaffung von Rechtsfrieden. Der Strafanspruch der Rechtsgemeinschaft ist Gegenstand des Verfahrens. Auch der Schuldspruch ist wesentlicher Bestandteil des Urteils. Seine Repressivwirkung besteht in der Missbilligung durch die Rechtsgemeinschaft. Dagegen geht es nicht um eine Genugtuung des Verletzten für erlittenes Unrecht. Nicht seine Rehabilitation oder sein subjektives Empfinden über den erlittenen Rechtsverstoß steht im Vordergrund, sondern Ziel ist ein objektiver Ausspruch über Schuld, Strafe oder sonstige strafrechtliche Maßnahmen. Nicht von ungefähr macht deshalb der Staat, und zwar für
die Rechtsgemeinschaft, den Prozess und nicht der Verletzte. Es ist wichtig, das im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich fragt, inwieweit der Opferschutz über die bestehenden Regelungen hinaus ergänzt werden sollte.
Da ist zunächst, Herr Kollege Lehnert, die Forderung in Nummer 1 nach dem generellen Anspruch auf einen vom Staat gestellten Opferanwalt. Ich habe mich lange gefragt, warum diese Forderung aufgestellt wird. Der Verletzte ist nicht Partei. Er kann sich allerdings heute im Strafverfahren des Beistandes eines Rechtsanwalts bedienen oder sich durch einen solchen vertreten lassen. Ich gebe Ihnen die Fundstelle gleich mit: § 406 f StPO.
Außerdem kann er in bestimmten Verfahren auch als Nebenkläger auftreten oder sich anwaltlich vertreten lassen. Warum soll das künftig vollständig auf Staatskosten abgewickelt werden? Mit der Zielsetzung des Strafverfahrens, dem Strafanspruch der Rechtsgemeinschaft, geht diese Forderung jedenfalls nicht konform, abgesehen davon, dass das möglicherweise angenommene Klischee, dass das arme Opfer jetzt auch noch seinen Anwalt bezahlen muss, auch nicht stimmt oder zumindest schief ist. Der Verletzte bleibt bereits im Falle der Verurteilung des Beschuldigten nicht auf den Kosten hängen. Im Übrigen gewährt auch das Strafprozessrecht die Möglichkeit einer Prozesskostenhilfe. Ich habe mich wirklich gefragt, ob Sie Prozesskostenhilfe jetzt wieder zum Armenrecht deklassieren wollen. Das hat mit Armenrecht überhaupt nichts zu tun, sondern orientiert sich objektiv an wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen der jeweils Betroffenen.
Erklären Sie mir, Herr Lehnert, warum das Unfallopfer bei einer Körperverletzung in einem Zivilverfahren mit Prozesskostenhilfe streiten soll, während das Verletzungsopfer einer Schlägerei in einem Strafverfahren auf Kosten der Rechtsgemeinschaft ohne Prozesskostenhilfe im Adhäsionsverfahren streiten darf. Erklären Sie mir diese Ungleichbehandlung und dann können wir intensiver diskutieren.