Protokoll der Sitzung vom 01.06.2001

„Zunächst aber ist es das Recht der Opposition, Schwerpunkte zu formulieren. Dann werden wir alles andere auf den Prüfstand stellen und genau fragen: Was ist wirklich wichtiger als Bildung und Familie? - Ich sage Ihnen als innen- und rechtspolitischer Sprecher der Fraktion ganz klar: Wenn wir mehr für die Bildung tun wollen, dann sind alle Ressorts gefordert.“

Dem schließe ich mich an.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Klaus Schlie [CDU]: Das ist kein Widerspruch zu mir! Der Mann hat Recht!)

Weitere Wortmeldungen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung. Es ist beantragt worden, die beiden Anträge dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem folgen will, den bitte ich um Zustimmung. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe als vermutlich letzten Punkt Tagesordnungspunkt 18 auf:

Entschließung zur Reform des Gemeinde- und Kreiswahlrechts

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/966

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Herr Abgeordneter Hildebrand eilt bereits in die Aussprache hinein, die hiermit eröffnet ist. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Grund, warum wir diesen Antrag heute hier und nicht im Sonderausschuss einbringen, besteht darin, dass das Kommunalwahlrecht nicht vom Auftrag des Sonderausschusses abgedeckt ist. Dennoch hat auch das Wahlrecht unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der Gemeinden, Städte und Kreise, da durch das Wahlrecht die Zusammensetzung der einzelnen Vertretungen letztlich mitbestimmt wird.

Wir von der FDP haben uns sowohl bei der Debatte über die Neugestaltung des kommunalen Verfassungsrechts als auch um die Gestaltung des kommunalen Wahlrechts von der Grundfrage leiten lassen, wie wir den Bürgerinnen und Bürgern noch mehr Einfluss auf die Zusammensetzung und Arbeit ihrer Vertretungen geben können.

(Unruhe)

Wir sind davon überzeugt, dass eine Änderung des jetzigen Wahlverfahrens hin zum Kumulieren und Panaschieren eine echte Verbesserung darstellt.

(Beifall bei der FDP)

Zu diesen beiden Verfahren eines vorweg! Es gibt nur noch einen Wahlkreis, eben das Gemeinde-, Stadtoder Kreisgebiet. Jede Partei oder Wählervereinigung stellt eine Liste mit Kandidatinnen und Kandidaten auf, die Wählerinnen und Wähler können dann so viele Stimmen abgeben, wie Mandate zu vergeben sind. Dies können sie gebündelt für eine Liste durch ein Kreuz, verteilt auf die Kandidaten einer Liste oder aber verteilt auf mehrere Listen, in denen die Wähle

(Günther Hildebrand)

rinnen und Wähler die von ihnen bevorzugten Personen ankreuzen, egal, welcher Partei sie angehören. Außerdem können noch bis zu drei Stimmen pro Kandidatin oder Kandidat angehäuft werden. Andererseits besteht aber auch die Möglichkeit, Kandidaten aus einem Listenvorschlag zu streichen.

(Holger Astrup [SPD]: Kubicki zum Bei- spiel!)

- Beispielsweise, ja.

(Heiterkeit)

Mir ist aber unbekannt, ob er das nächste Mal in Strande als Gemeindevertreter kandidieren wird.

(Zurufe)

Somit ist die größtmögliche individuelle Auswahl für die Wählerinnen und Wähler gegeben. Bei der Auszählung wird zuerst ermittelt, wie viele Stimmen auf eine Liste entfallen sind, und danach die Sitzverteilung errechnet. In einem weiteren Schritt wird festgestellt, wie viele Stimmen die einzelnen Kandidaten innerhalb einer Liste erhalten haben, und danach ein neues Ranking hergestellt. Die an eine Liste vergebenen Mandate werden dann den erfolgreichsten Kandidatinnen oder Kandidaten zugeordnet.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Die Wählerinnen und Wähler werden also die Reihenfolge der von uns vorgegebenen Liste verändern.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Eine Person mit einem aussichtsreichen Listenplatz kann sich auf einmal am Ende wiederfinden und umgekehrt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ja, Astrup!)

Die Parteien treten also Macht an die Wählerinnen und Wähler ab. Dieses Wahlverfahren ist auch ein Ansporn für die Kandidatinnen und Kandidaten, sich dem Wähler positiv zu präsentieren

(Beifall bei der FDP - Zurufe - Glocke des Präsidenten)

beziehungsweise während der Legislaturperiode -

Meine Damen und Herren, vielleicht können wir noch ein bisschen zuhören. Wenn wir nicht zuhören, geht es auch nicht schneller.

Dieses Wahlverfahren ist auch ein Ansporn für die Kandidatinnen und Kandidaten, sich dem Wähler positiv zu präsentieren beziehungsweise während der Legislaturperiode gute Arbeit zu leisten, um wiedergewählt zu werden. Wenn Sie so wollen, findet also auch ein Wettbewerb zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten einer Liste statt. Aber das kann doch eigentlich nur positiv gewertet werden.

Dieses Wahlverfahren ist das bürgerfreundlichste Modell, das man sich vorstellen kann. Zugegebenermaßen kann dieses Wahlverfahren zunächst noch manche Bürgerin beziehungsweise manchen Bürger verwirren, da es für sie oder ihn ungewohnt ist. Aber die Erfahrung zeigt, dass dieses Verfahren auf eine hohe Akzeptanz stößt und viele Wählerinnen und Wähler vom Kumulieren und Panaschieren Gebrauch machen.

So haben in Hessen - die Wahl liegt noch nicht allzu lange zurück - insgesamt 42 % der Wählerinnen und Wähler und in Gemeinden von bis zu 25.000 Einwohnerinnen und Einwohner sogar 67 % von ihnen die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens genutzt. In den kleineren Gemeinden kennt man ja bekanntlich die Kandidaten besser. Bei allen Komplikationen, die es am Anfang mit diesem Wahlverfahren geben kann, zeigen diese Zahlen, dass die Menschen nicht nur in der Lage sind, das Verfahren anzuwenden, sondern dass sie dies auch tun. Es ist in jedem Fall für die Menschen leichter umzusetzen als beispielsweise die neue Rechtschreibreform.

Unsere Forderung im Antrag nach der Abschaffung der uns allen bekannten Fünf-Prozent-Hürde ist eigentlich eher ein Hinweis auf die sowieso notwendige Abschaffung dieser Klausel im Kommunalwahlrecht. Die Fünf-Prozent-Hürde steht auch in Schleswig-Holstein im Widerspruch zur Verfassung. Die Lektüre insbesondere des Urteils des NordrheinWestfälischen Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahre 1999 zeigt uns, dass im kommunalen Bereich keine Rechtfertigung für die Beibehaltung dieser Klausel besteht. Die Grundfrage hierzu ist ja nicht, welche Gründe für eine Abschaffung der Fünf-ProzentKlausel sprechen, sondern mit welcher Rechtfertigung sie auf kommunaler Ebene beibehalten wird.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn zum Beispiel die GRÜNEN bei der letzten Kommunalwahl in der Stadt Preetz mit 4,85 % an der Fünf-Prozent-Klausel scheiterten, muss man sich fragen, wieso diese Wählerstimmen bei der Zusammen

(Günther Hildebrand)

setzung der Ratsversammlung keine Berücksichtigung fanden.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In der Vergangenheit wurde immer wieder die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen als Argument für die Fünf-Prozent-Klausel angeführt. Hierzu stellt der Verwaltungsgerichtshof zu Recht fest, dass Erfahrungen anderer Länder gezeigt haben, dass dieses Argument nicht sticht. Auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, können die Vertretungen ohne Fünf-Prozent-Hürde einwandfrei arbeiten.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Seit Jahrzehnten!)

- Seit Jahrzehnten! Vielen Dank! - Im Ergebnis bleibt festzustellen: Die Fünf-Prozent-Klausel ist rechtlich nicht mehr haltbar und sollte abgeschafft werden. Wir sollten als Parlament die Chance nutzen, dies selbst in die Hand zu nehmen, und uns nicht die Blöße geben, dass sie aufgrund der Klage der ÖDP vor dem Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wird.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir sollten durch den Grundsatzbeschluss für ein neues Kommunalwahlrecht mit dem Verfahren des Kumulierens und Panaschierens den Menschen im Lande ein Zeichen geben, dass wir sie ernst nehmen und für mündig halten. Einige Fraktionen haben bereits Zustimmung signalisiert, die Zweifler können wir sicherlich gemeinsam überzeugen.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Herr Abgeordneter Puls, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ein reines Mehrheitswahlrecht weder auf Kommunalnoch auf Landesebene durchsetzbar sein dürfte, ist es sicherlich sinnvoll, regelmäßig zu überprüfen, ob das bei uns praktizierte personalisierte Verhältniswahlsystem noch optimal ausgestaltet und organisiert oder ob es funktionell verbesserungsfähig oder gar reparaturbedürftig ist. Dazu macht die FDP - Herr Hildebrand hat darauf hingewiesen - drei Vorschläge: erstens Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde, zweitens Einführung des Kumulierens und Panaschierens bei der Stimmabgabe und drittens Stimmenauszählung nach Hare-Niemeyer, nicht mehr nach d’Hondt.

Alle drei FDP-Vorschläge zielen darauf ab, die kleineren Parteien zu begünstigen. Die größeren würden dementsprechend geschwächt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das stimmt ja nicht!)

- Aus der Sicht der FDP ist das Anliegen legitim, Herr Kubicki! Wir als SPD-Fraktion - sehen Sie uns das bitte nach - sind nicht übermäßig geneigt, uns durch Wahlrechtsmanipulation selbst zu beschneiden.