Protokoll der Sitzung vom 01.06.2001

- Aus der Sicht der FDP ist das Anliegen legitim, Herr Kubicki! Wir als SPD-Fraktion - sehen Sie uns das bitte nach - sind nicht übermäßig geneigt, uns durch Wahlrechtsmanipulation selbst zu beschneiden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Was?)

Zu den Punkten im Einzelnen.

Erstens. Hinsichtlich des Auszählungsmodus plädieren wir dafür, es bei d’Hondt zu belassen.

Zweitens. Das Kumulieren und Panaschieren wäre nicht nur umständlicher für die Wählerinnen und Wähler. Herr Hildebrand hat darauf hingewiesen. Wir alle stellen uns sicherlich gern einmal die Stimmzettel in Tapetenrollenlänge vor, wie sie in süddeutschen Ländern üblich sind.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Haben Sie in Ba- den-Württemberg schon einmal gewählt?)

Dieses Verfahren wäre auch erheblich aufwendiger für die auszählenden Mitglieder in den Kommunalwahlvorständen, die schon jetzt immer schwerer davon zu überzeugen sind, an Wahlsonntagen zwölf Stunden lang für ein paar Mark Ehrendienst zu leisten.

Die „Welt“ vom 19. März 2001 schreibt zur Kommunalwahl in Hessen, die am 18. März 2001 stattgefunden hat, unter der Überschrift: „Kompliziertes Wahlrecht schreckt die Hessen ab“ im Einzelnen:

„Die Wahlbeteiligung war deutlich geringer als 1997. Grund ist das neue komplizierte Wahlrecht.“

„Wegen des komplizierteren Wahlrechts wird sich die Auszählung bis Mittwoch hinziehen.“

Drei Tage lang soll also künftig gezählt werden, bis das Kommunalwahlergebnis feststeht. Wir haben eine gewisse Skepsis, ob man diesem Vorhaben nähertreten sollte.

Was nun drittens die Fünf-Prozent-Klausel und die aktuellen Sorgen der Antrag stellenden Fraktion in diesem Zusammenhang angeht, so scheint sich doch eine Vermutung, die ich schon länger gehegt habe, zu bestätigen, Herr Kubicki: Die FDP hat bei ihrem Projekt „18 %“ offenbar das Komma vergessen.

(Heiterkeit und Beifall bei SPD und SSW - Zurufe von der FDP)

(Klaus-Peter Puls)

Was die rot-grüne Koalition angeht, so haben wir in unserem Koalitionsvertrag auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen ÖDP gegen das Land Schleswig-Holstein hingewiesen, die - so haben wir erfahren - in einigen Wochen bevorsteht. Wir bleiben dabei, das Urteil abzuwarten, und sind selbstverständlich bereit, sollte es zugunsten der ÖDP und zugunsten der kleineren Parteien, in dem Falle auch zugunsten der Antrag stellenden Partei, ausfallen, die Fünf-Prozent-Hürde im Kommunalwahlrecht auch in Schleswig-Holstein fallen zu lassen.

Ich schlage nun doch vor, den FDP-Antrag insgesamt wegen des Sachzusammenhangs dem Sonderausschuss „Kommunales“ zu überweisen. Herr Hildebrand, wir können ihn ja kraft unserer Parlamentssouveränität an diesen Ausschuss schicken.

(Klaus Schlie [CDU]: Schon allein wegen der Effektivität der Arbeit! - Beifall bei der SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Maurus das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke zunächst einmal den Vorrednern, dass sie ihre Redezeiten so bemessen haben, dass der letzte Tagesordnungspunkt noch angemessen behandelt werden kann.

Die FDP legt uns heute eine Entschließung zur Reform des Gemeinde- und Kreiswahlrechts vor, die ihrem Inhalt nach dem Koalitionsvertrag von CDU und FDP in Hessen entnommen sein könnte. In der Tat sind die darin angesprochenen Komplexe bei nahezu jeder Regierungsbildung oder jeder Änderung des kommunalen Verfassungsrechtes auf der Tagesordnung der Parlamente. Und so ist es auch nur logisch und konsequent, im Zuge der Beratungen um die Novellierung der schleswig-holsteinischen Kommunalverfassung, die wir aufgrund unseres Gesetzentwurfes hier in erster Lesung begonnen haben und zurzeit infolge mangelnder Entschlusskraft bei den Sozialdemokraten im Sonderausschuss schleppend fortsetzen, auch über die von der FDP nunmehr angesprochenen Punkte zu diskutieren.

Dies ist übrigens keine neue Debatte in SchleswigHolstein. Die letzte Diskussion hierüber haben wir 1992 im Zuge der Enquetekommission zur Änderung der Kommunalverfassung geführt. Das Lorenz-vomStein-Institut hat hierzu sogar eine Fachtagung durchgeführt, deren Ergebnisse auch in die Kommissionsberatungen eingeflossen sind - wirklich eine lesenswerte Kommissionsvorlage, Nummer 13/47.

Frau Kollegin Kähler führte damals unter anderem aus, dass sie überzeugt davon sei, dass unabhängig davon, welches Wahlsystem gewählt würde, immer die beteiligten Personen entscheidend seien. Es sei egal, ob die Möglichkeit des Kumulierens oder Panaschierens durch das Wahlrecht eröffnet werde, es komme immer auf die Wahrnehmung des Mandats durch den Einzelnen an. Ihrer Meinung nach habe sich das bestehende Wahlrecht bewährt.

(Klaus Schlie [CDU]: Recht hat die Frau!)

Ihrer Meinung nach habe sich das bestehende Wahlrecht bewährt. Sie sei auch bereit, über bestimmte Reformmöglichkeiten nachzudenken. Dies gelte aus ihrer Sicht insbesondere für die Öffnung der Listen für Nichtparteimitglieder.

Unser ehemaliger Kollege Klaus Haller lehnte damals eine Absenkung der Fünf-Prozent-Hürde ab. Er begründete dies damit, dass in Zeiten, in denen schon Wahlergebnisse unter Berücksichtigung der FünfProzent-Klausel Anzeichen der politischen Instabilität erkennbar werden ließen, nicht noch eine weitere Möglichkeit zur Verstärkung dieses Prozess eröffnet werden sollte.

(Silke Hinrichsen [SSW]: Auf kommunaler Ebene?)

Es haben also auch damals Überprüfungen und Abwägungsprozesse stattgefunden. Ich betone dies noch einmal deutlich und ausdrücklich, da dies in diesem Haus offenbar ein Stück weit in Vergessenheit geraten ist.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben in der 14. Legislaturperiode im Innenausschuss nach solchen Anhalten gesucht und kurzfristig nichts feststellen können. Aber es gibt diese Diskussion tatsächlich, auf die ich gern verweise. Nichtsdestotrotz sehe ich im Zuge der Beratungen über unseren Gesetzentwurf geradezu die Notwendigkeit oder sogar die Verpflichtung, die Fünf-Prozent-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht zu überprüfen.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon früh betont, dass die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht ein für alle Mal abstrakt beurteilt werden kann. Eine Wahlrechtsbestimmung könne in dem einen Staat zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt sein und in einem anderen Staat oder zu einem anderen Zeitpunkt nicht; bei ihrem Erlass seien die Verhältnisse des Landes, für das sie gelten sollen, zu berücksichtigen. Dies stammt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1982.

(Heinz Maurus)

Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen geht daher in seiner Entscheidung vom 29. September 1994 zu Recht davon aus, dass der Wahlgesetzgeber die Pflicht hat, eine einmal erlassene und bei ihrem Erlass mit dem Recht auf Gleichheit der Wahl und der Chancengleichheit der politischen Parteien in Einklang stehende beziehungsweise verfassungsgerichtlich als vereinbar mit diesem Recht bewertete Sperrklausel unter Kontrolle zu halten und zu prüfen, ob die Verhältnisse, derentwegen die Sperrklausel ehemals für erforderlich gehalten worden ist, unverändert fortbestehen oder sich in erheblicher Weise geändert haben. Diesen Standpunkt hat der Verwaltungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 6. Juli 1999 aufrecht erhalten.

Wir haben die Klage anhängig. Unabhängig davon, wie hier entschieden werden wird, werden wir uns dieser Frage stellen und auf der einen Seite die Chancengleichheit der Parteien, auf der anderen Seite die Funktionalität der Vertretungen überprüfen müssen.

Auch die Frage, den Wählerinnen und Wählern mehr Einfluss durch Kumulieren und Panaschieren einzuräumen, werden wir uns im Ausschuss stellen. Dabei stelle ich mir schon jetzt die Frage, ob ein Wahlverfahren dadurch transparenter wird, dass den Wählerinnen und Wählern tischtuchgroße Wahlzettel statt übersichtlicher DIN-A4- oder DIN-A5-Bögen vorgelegt werden.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist wirklich die Frage!)

Eine Umstellung bedarf, um auch nur einigermaßen praktikable Ergebnisse zu zeigen, einer vorherigen intensiven längerfristigen Informationskampagne, in der die Wählerinnen und Wähler mit ihrem neuen Wahlschein und dem neuen Wahlrecht vertraut gemacht werden müssen. Ich weiß im Moment nicht, ob wir es hier nicht mit denjenigen halten sollten, die 1992 zu dem Schluss kamen, dass sich das schleswig-holsteinische Wahlrecht bislang prima bewährt habe und keiner Veränderung bedürfe.

Welche Gründe uns dazu bewegen sollten, die Verteilung der Sitze nach dem System Hare-Niemeyer vorzunehmen, das ausschließlich kleine Parteien bevorzugt, müssen Sie uns im Ausschuss erst noch einmal deutlich darlegen.

(Glocke des Präsidenten)

- Letzter Satz, Herr Präsident! - Ich freue mich auf eine sachlich fundierte Aussprache im Sonderausschuss.

(Beifall bei CDU, SPD und SSW)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen den Antrag der FDPFraktion. Das fällt uns auch nicht weiter schwer, hat doch die FDP-Fraktion viele der Punkte aufgegriffen, die vonseiten der Grünen bereits seit langem gefordert werden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Von uns auch, Frau Fröhlich!)

Beispielhaft möchte ich folgende Punkte des Antrags herausgreifen. Zunächst ist die Forderung nach Einführung des Stimmzählverfahrens nach HareNiemeyer zu nennen, das übrigens nichts mit diesen Haaren zu tun hat und deswegen nur mit einem „a“ geschrieben wird. Das Zählverfahren findet seit einigen Jahren bei der Berechnung der Zusammensetzung des Bundestages Verwendung.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Weil die Wählerin- nen und Wähler ihren Willen damit genau zum Ausdruck bringen!)

- Ja! So ist es. Ich komme gleich dazu. Wir sind uns einig.

Nun ist die Einführung dieses Zählverfahrens sicherlich nicht aus dem Wunsch unserer Kolleginnen und Kollegen auf Bundesebene nach mehr Abwechslung entstanden. Vielmehr hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass dieses auch mathematisches Proportionsverfahren genannte Verfahren das Ergebnis der Stimmabgabe am präzisisten im Verhältnis zu den vergebenen Parlamentssitzen widerspiegelt.

(Beifall bei FDP und SSW)

Von einer bloßen Bevorteilung kleiner Parteien kann an dieser Stelle überhaupt nicht die Rede sein. Sonst würde man das auf Bundesebene auch gar nicht so praktizieren. Das haben die Großen offensichtlich irgendwann einmal mit beschlossen. Sonst würde das so nicht praktiziert werden. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies einfach ein Mehr an Demokratie, wofür wir uns alle im Haus einsetzen sollten.

Wir können das Interesse der großen Parteien an der Beibehaltung des d’hondtschen Verfahrens nachvollziehen.