Protokoll der Sitzung vom 26.09.2001

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die Grünen sind dazu nicht in der Lage!)

Je mehr die Gesetzgebung auf Europa-, Bundes- und Landesebene ineinander greift, desto schwerer fällt es den Fraktionen, auch nur halbwegs den Überblick zu behalten und alles nachzuvollziehen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Quatsch!)

- Herr Kubicki, den Einwurf habe ich erwartet.

Im Ergebnis kommen immer mehr Gesetzesvorlagen aus den Verwaltungen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Diese Entwicklung bedeutet auch ein Demokratiedefizit. Je mehr die verschiedenen Ebenen miteinander verwoben sind, desto schwieriger wird es für die Wählerinnen und Wähler zu erkennen, wer denn nun eigentlich die politische Verantwortung für die Entscheidungen trägt. Dabei ist der politische Gestaltungsspielraum für die Länder keineswegs gering. Nicht nur die zentralen Aufgaben Polizei und Bildung sind originäre Länderaufgaben. Dass die Länder diese nicht wahrnehmen, sondern ständig in Abstimmung mit den anderen Bundesländern handeln, ist nicht ein Problem der Bundesregierung, sondern das ist ein Problem der Länder untereinander.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Fast alle Bundesgesetze und EU-Richtlinien werden in Deutschland von den Ländern exekutiv umgesetzt. Es sind die Länder, die entscheiden, wie die europäischen Naturschutzrichtlinien umgesetzt werden; es sind die Länder, die weitgehend über die Verwendung der riesigen Summen für die Verkehrsinfrastruktur entscheiden beziehungsweise mitentscheiden; es sind die Länder, die die Milliardensummen für die Strukturförderung der EU in Form der Gemeinschaftsaufgabe vor Ort in Programme umsetzen. Nur: Die Parlamente sind an diesen Entscheidungen lediglich peripher beteiligt.

Meine Fraktion ist der Überzeugung, dass der allgemeine Ruf nach Stärkung der Länder - wie er in der Mehrheitsresolution durchklingt - diese Probleme nicht lösen wird.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen klare und eigenverantwortliche Kompetenzen für jede Ebene. Das heißt aber, wir brauchen sowohl eigene klar abgegrenzte Kompetenzen für die Länder für Bereiche, in denen sie selbst entscheiden, wir brauchen aber auch genauso klar abgegrenzte Kompetenzen für Bund und EU. Wir stimmen mit den anderen Fraktionen in den Punkten überein, mit denen eine stärkere Trennung der Ebenen angestrebt wird. Wir stimmen in den Punkten nicht mit ihnen überein, in denen das Konnexitätsprinzip gefordert wird.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist sehr scha- de! - Zurufe von der CDU)

Beides sind in der Konsequenz Instrumente der gegenseitigen Blockade. Das Subsidiaritätsprinzip ist doch das Prinzip, das zurzeit in der Bundesverfassung, im Grundgesetz, steht. Das heißt, die Aufgaben des Bundes sind definiert durch die Gemeinschaftsaufgaben, aber die Aufgaben der Länder sind nicht definiert. Die Länder sind lediglich für das zuständig, was übrig bleibt. Sie dürfen dann aber über den Bundesrat jedes Mal mitmischen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist völlig falsch! - Zurufe von der CDU)

Das hat zum Ergebnis, bei immer mehr grundsätzlichen Entscheidungen dieser Republik dürfen alle mitreden und dürften sich alle an der Diskussion beteiligen; Länder, Bund und EU beteiligen sich durcheinander an der Gesetzgebung und es existieren keine klaren Kompetenzen. Das haben wir gerade in den letzten Jahren bei der Bundesgesetzgebung ständig erlebt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Welchen Stuss reden Sie eigentlich, Herr Hentschel! Das ist unglaublich!)

Wir halten ein ständiges Mitregieren der Länder auf Bundes- und Europaebene nicht für die Lösung des Problems, sondern wir wollen eigenständige Kompetenzen und Verantwortlichkeiten für die Länder, die festlegen, wo sie allein zuständig sind. Das Gleiche gilt für den Bund und für die EU.

Wir sind sogar der Meinung, dass länderübergreifende Regelungen wie zum Beispiel die Anerkennung der Bildungsabschlüsse besser durch eine Rahmengesetzgebung des Bundes als durch das Einstimmig

(Karl-Martin Hentschel)

keitsprinzip der Kultusministerkonferenzen geregelt werden könnte.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Verfassung sollte dann allerdings auch vorschreiben, dass die Rahmengesetzgebung minimalistisch gehandhabt werden muss und sie nicht - wie heute praktiziert - exzessiv gehandhabt wird und den Ländern nur geringe Spielräume gelassen werden.

Ich könnte mir vorstellen, dass der Bund beispielsweise festlegt, dass die Bundesländer zur Anerkennung der Bildungsabschlüsse verpflichtet werden, ohne dass er im Detail regelt, wie diese Abschlüsse auszusehen haben.

Ein Konnexitätsprinzip, wie es in Ihrer Resolution gefordert wird, würde die Blockademöglichkeiten in der Politik nur noch auf die Spitze treiben. Keine der großen Reformen wäre dann möglich; wenn, würde sie nur durch einen der üblichen Kuhhandel möglich, bei dem sich die Landesregierungen weitere Kompetenzen im Bundesrat sichern und zugleich weitere Spielräume der Landesparlamente geopfert werden.

(Glocke des Präsidenten)

Das kann doch nicht unser Interesse sein.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Herr Kollege Hentschel, darf ich Ihren Worten entnehmen, dass die Grünen einen Antrag einbringen werden, das Konnexitätsprinzip in der Verfassung Schleswig-Holsteins wieder abzuschaffen?

- Herr Kubicki, darüber denken wir nach.

(Heiterkeit bei CDU und FDP)

- Ja, über Ihre Anregung denke ich nach. Ich denke immer über Ihre klugen Anregungen nach, Herr Kubicki. Wir haben doch selber erlebt, dass das Konnexitätsprinzip das Problem zwischen Land und Kommunen, das wir hatten und haben, nicht gelöst hat. Das ist doch das Problem.

(Zuruf von der CDU)

- Nein, es hat die Probleme nicht gelöst, weil der wirkliche Streit um die Aufgabenverteilung und um die Kosten der Aufgaben geht. Das ist doch das Problem. Die Lösung kann nicht in zusätzlichen Mitspracherechten der Landesparlamente gegenüber Bundesrat und EU liegen. Vielmehr muss darüber nachgedacht werden, wie der Bundesrat institutionell so neu gestaltet wird, dass er wirklich eine Legislative ist, die die Interessen der Regionen vertritt.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich darf um etwas mehr Aufmerksamkeit bitten.

Da macht es vielleicht Sinn, sich einmal Modelle aus anderen föderal konstituierten Staaten wie der Schweiz und den USA anzusehen.

Schwieriger ist die Frage des Mitwirkens der Regionen in der EU. Das Problem liegt einerseits in der Konstitution des Bundesrates - darüber habe ich geredet -, andererseits aber auch in der Verfassung der EU. Die Verfassungsdiskussion in der EU muss dieses Problem lösen, aber wir müssen uns auch klar darüber sein, dass die Struktur Deutschlands auf die anderen EU-Staaten nicht übertragbar ist. Es ist eine völlig andere Struktur. Das heißt, wenn wir wollen, dass die Regionen, die in der Bundesrepublik - ich nehme nur das Beispiel Nordrhein-Westfalen - häufig größer sind als ein großer Teil der EU-Länder, in der EU berücksichtigt werden, dann müssen wir uns auch fragen, was Deutschland dazu tun kann. Kann es zum Beispiel sein, dass in bestimmten Politikbereichen oder auch im Parlament Deutschland nicht durch die Bundesrepublik, sondern durch die einzelnen Länder vertreten wird, die größer sind als andere EU-Staaten? Das ist ein Gedanke, den wir uns dann konsequenterweise überlegen müssen. Das heißt, wir müssen uns selber auch die Frage stellen, wie wir uns in Deutschland auf die EU einstellen. Dann stellt sich natürlich auch erneut die Frage nach einer Reform der Länder, die Frage, ob die kleinen Länder, wie wir sie in Norddeutschland haben, EU-fähig sind.

Meine Damen und Herren, der Föderalismus in Deutschland hat sich nach Auffassung meiner Fraktion bewährt. Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass in den alten Bundesländern die Gleichheit der Lebensverhältnisse und die Eigenständigkeit der Regionen bewahrt wurden. Dies unterscheidet Deutschland erheblich von Zentralstaaten wie Frankreich und Groß

(Karl-Martin Hentschel)

britannien, in denen ganze Regionen von der Entwicklung abgehängt werden konnten.

Ich glaube, der Föderalismus bietet auch eine wichtige Grundlage dafür, dass die Gleichheit der Lebensbedingungen auf mittlere Sicht auch in den neuen Bundesländern hergestellt werden kann.

Meine Fraktion ist nicht für Zentralismus, aber wir sind für handlungsfähige Strukturen auf allen Ebenen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind für klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, damit die Wählerinnen und Wähler die gewählten Parlamente und die Regierungen daran messen können. Es tut mir Leid, dass wir uns in das Selbstmitleid der Mehrheitsresolution nicht einklinken, aber ich glaube, dass es für das Ziel der Debatte so besser ist.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident! - Der amerikanische Schriftsteller Ezra Pound sagte einmal: „Regieren ist die Kunst, Probleme zu schaffen, mit deren Lösung man das Volk in Atem halten kann.“ Ich hoffe, uns gelingt das häufiger.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Dafür haben Sie ge- sorgt!)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Das Parlament erstarrt immer öfter in einer selbstgewählten Ohnmacht“, heißt es in einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“, der sich vor rund einem Jahr mit der Einsetzung einer Enquetekommission des Bayerischen Landtages zum Thema „Reform des Föderalismus - Stärkung der Landesparlamente“ befasste. Die Mitglieder der interfraktionellen Arbeitsgruppe Föderalismus kennen diesen Zeitungsartikel. Daher möchte ich ihn jetzt nicht im Einzelnen zitieren. Wer Lust hat, ihn zu lesen, kann ihn sich ja ausleihen.

Interessant ist aber, wie in einer Momentaufnahme plastisch dargestellt wird - ich zitiere nun doch aus dem Artikel -, wie der Bayerische Landtag Stück für Stück seine Macht an die Staatsregierung verliert.