Protokoll der Sitzung vom 27.09.2001

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst gilt mein Dank natürlich den Berichterstatterinnen und Berichterstattern vor allen Dingen für die Zusammenfassung der wissenschaftlichen Erkenntnisse bezogen auf die Notwendigkeit der Frühförderung für Kinder mit sprachheilpädagogischem Förderbedarf. Ich denke, in diesem Punkt herrscht Konsens. Darüber brauchen wir nicht weiter zu reden.

Aber einige Anmerkungen bezogen auf den weiteren Inhalt des Berichtes seien dennoch erlaubt und, ich denke auch, notwendig. Ich will mich in Anbetracht der Kürze der Zeit auf drei Punkte beschränken.

Erstens. 70 % der durch die Sprachheilambulatorien betreuten Kinder konnten im Vorfeld der Schule erfasst und gefördert werden, so die Aussage des Berichtes. Allerdings frage ich mich, mit welchem Erfolg? Ist das Ergebnis auch bezogen auf den späteren Schullaufbahnerfolg jemals evaluiert worden? Sie halten ja so viel von Evaluation.

(Zuruf von der SPD: Das ist kein Schimpf- wort!)

Und, die weitere Frage: Was geschah mit den anderen 30 %? - Hier fehlen im Bericht die Angaben.

Zweitens liegt nach dem Vorschulalter ein weiterer sprachheilpädagogischer Förderbedarf vor, so der Bericht; das heißt also, wenn die präventiven Maßnahmen nicht zum erwünschten Erfolg geführt haben, entscheidet die Schulaufsicht, wo das Kind unterrichtet wird, entweder integrativ in der Grundschule, in einer Förderschule oder in einer Sprachheilgrundschulklasse, jeweils - so heißt es - nach den in der Region vorhandenen Möglichkeiten.

Meine Damen und Herren, hier liegt ein weiteres Problem: Die Schulaufsicht der Kreise entscheidet „entsprechend den ihr vom Bildungsministerium vorgegebenen Planstellen, die auf alle Arten der Förderschulen“ - also nicht speziell auf die Sprachheilgrundschule bezogen - „zu verteilen sind, und nach den Vorgaben der örtlichen Politik“. Ob diese Entscheidung immer sachgerecht ausfällt, habe ich bereits am 9. Mai bezweifelt. Das war der Anlass für diesen Berichtsantrag.

Haben Sie eigentlich schon einmal überlegt, ob möglicherweise auch die behandelnden Kinderärzte in die Entscheidung, ob integrativ oder im Schonraum der Sprachheilgrundschulen zu fördern ist, einzubeziehen sind, diejenigen nämlich, die die Kinder in der Regel in acht oder neun Vorsorgeuntersuchungen im frühen Stadium betreut haben und die Sie, Frau Erdsiek-Rave,

ja auch sehr gern in die Sprachheilförderung einbezogen haben wollen?

Drittens. Der Bericht weist auch darauf hin - damit kommen wir zum Kernproblem -, dass die Novellierung des Schulgesetzes und die 1992 erlassene „Ordnung für Sonderpädagogik“ zu unterschiedlichen pädagogischen und strukturellen Schwerpunktsetzungen auch in der Frage der Sprachheilpädagogik geführt haben. Die „Landesregierung präferiert“, so der Bericht, „die integrative Förderung“ der sprachheilbedürftigen Kinder in der Grundschule: „Sprachheilgrundschulen sollen sich daher zukünftig noch stärker dem präventiven und integrativen Bereich öffnen.“

Meine Damen und Herren, ich frage mich: Was heißt das eigentlich anderes als ein Herunterfahren der traditionellen Sprachheilgrundschulen?

(Beifall bei der CDU)

Wenn in Kiel innerhalb von drei Jahren ein Drittel der damals 46 Planstellen aus den Sprachheilgrundschulen abgezogen wird, so stützt das unsere Befürchtung, dass die Sprachheilgrundschulen, zumindest mittelfristig, zum Sterben verdammt sind. Diese Befürchtung, die meiner Auffassung nach dadurch noch verstärkt wird, dass Sie mit sehr fadenscheinigen Argumenten den angeblich geringeren Erfolg der Sprachheilgrundschulen belegen wollen.

(Glocke des Präsidenten)

Ein Beispiel: Alter des Einstiegs in die Sprachheilgrundschule, Anzahl der Klassenwiederholungen und die Quote der Überweisungen an Förderschulen werden mit denen einer normalen Grundschulklasse verglichen. Sie sollten doch wissen, dass man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen kann, ganz davon abgesehen, dass Sprachheilgrundschüler, wie Ihr Bericht beweist, häufig auch noch Mehrfachbehinderungen aufweisen, die außerdem therapiert werden müssen.

Jetzt komme ich zum Ende, Herr Präsident. Der Minister für Wirtschaft und Verkehr hat sich heute Morgen auch zwei Minuten mehr herausgenommen.

(Heiterkeit)

Wenn Sprachheilgrundschulen - das sagt Ihr Bericht allerdings nicht, Frau Erdsiek-Rave - eine Übergangsquote von 75 bis 80 % auf weiterführende Regelschulen aufweisen, so zeigt das nur, welche Leistungen die Lehrkräfte an Sprachheilgrundschulen mit ihren Schülerinnen und Schülern erbringen. Ich bedanke mich dafür herzlich. Wir halten selbstverständlich unseren Antrag vom 9. Mai aufrecht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Höppner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört zu den gewohnten Übungen der Oppositionsparteien dieses Hauses, Berichtsanträge im Hinblick auf vermutete Problemfelder, Unterlassungen oder Veränderungsabsichten der Landesregierung zu stellen. Im Nachhinein sind wir Ihnen, Frau Eisenberg - ich denke auch an meine Fraktion - ausgesprochen dankbar, dass Sie für einen solchen Bericht Anlass gegeben haben, der nach Auffassung meiner Fraktion in mehrfacher Hinsicht den Beifall dieses Hauses verdient hat.

Das Lob gilt zuallererst der Qualität dieses Berichtes. Frau Ministerin, ich möchte Ihnen im Namen meiner Fraktion und Ihrem Hause den außerordentlichen Dank für diesen Bericht aussprechen. Er setzt, was die Darstellung des wissenschaftlichen Fundamentes der Sprachheilpädagogik in unserem Lande, was Sorgfalt, Verständlichkeit und Aussage betrifft, durchaus Maßstäbe für das Berichtswesen unseres Parlamentes.

(Beifall bei SPD und SSW)

Das gilt zum Zweiten für die Erkenntnisse, die wir aus diesem Bericht herleiten können. So dürfen wir festhalten, dass sich die Lehrerausbildung am Institut für Heilpädagogik der CAU Kiel aufgrund der personellen Voraussetzung, aber auch inhaltlich auf dem aktuellen Stand von Forschung und Lehre befindet. Das gilt genauso für die Lehrerfortbildung und die Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher an unseren Kindertagesstätten.

Kern der schleswig-holsteinischen sprachheilpädagogischen Förderung ist das Sprachheilambulatorium, das Teil einer Förderschule mit Sprachheilklassen oder einer Sprachheilgrundschule ist. Sprachheilambulatorien werden in der Breite ihres pädagogischen Auftrages unmittelbar vor Ort tätig. Dieses geschieht im Rahmen der Frühförderung in den Kindertagesstätten mit den Erziehern und Eltern im Sinne präventiver Förderung sowie im schulischen Bereich durch integrative Förderung. Schleswig-Holstein verfügt über ein weit verzweigtes und sehr engmaschiges Netz aus 124 Sprachambulatorien an den 13 Sprachheilgrundschulen und 111 Förderschulen.

Rund 70 % der von den Ambulatorien betreuten Kinder werden bereits im Vorfeld der Schule erfasst und gefördert.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu diesem Netzwerk gehört auch die Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher an den Kindertagesstätten des Landes. Mittlerweile sind fast 1.500 Erzieherinnen und Erzieher in Kursen über allgemeine sprachfördernde Maßnahmen fortgebildet worden. Das sind mehr als 90 % der an unseren Kindertagesstätten tätigen Erzieherinnen und Erzieher.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Netzwerk ist bundesweit vorbildlich.

Wir wissen aber, dass es zwischen den Sprachheilpädagogen des Landes durchaus unterschiedliche Auffassungen über die Prinzipien schulischer Arbeit gibt. So unterrichtet die Sprachheilgrundschule des Kreises Rendsburg-Eckernförde ausschließlich integrativ, während andere Sprachheilgrundschulen das Prinzip des Schonraumes betonen. Die Diskussion wird auch bundesweit in beiden Richtungen geführt. Eigentlich hat nur dieser Prinzipienstreit unsere Diskussion am 9. Mai dieses Jahres hier im Hause bestimmt. Um nichts anderes ging es Ihnen auch eben in Ihrem Beitrag, Frau Eisenberg.

Wenn wir feststellen müssen, dass nach dem Bericht 489 Schülerinnen und Schüler Sprachheilgrundschulen, 166 Schülerinnen und Schüler Sprachheilklassen an den Förderschulen und 111 Schülerinnen und Schüler die staatliche Internatsschule in Wentorf besuchen, sind das insgesamt 766, aber insgesamt 6.004 Kinder wurden durch die Ambulatorien sprachheilpädagogisch versorgt.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Vorschulbe- reich!)

So werden auch Sie feststellen müssen, welche Bedeutungsdimension die ambulante, präventive und integrative Sprachheilförderung inzwischen eingenommen hat. Das fordert im Übrigen auch die Wissenschaft so.

Herr Dr. Klug, wenn Sie am 9. Mai dieses Jahres davon gesprochen haben, dass die sprachheilpädagogischen Fördermöglichkeiten in Schleswig-Holstein eingeschränkt würden,

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Natürlich!)

und wenn Sie von einem bildungspolitischen Skandal erster Güte und einem wirklichen Schandfleck auf der Weste der Landesregierung gesprochen haben, weiß ich eigentlich gar nicht, wohin Sie im Lande geschaut haben oder wer versucht hat, Sie mit gezielten Informationen nach vorn zu ziehen.

Wenn ein Bericht, den wir als Parlament von der Regierung anfordern, ein Spiegelbild der Wirklichkeit sein soll - und dieser Bericht ist ein Spiegelbild der

(Dr. Henning Höppner)

Wirklichkeit -, dann macht er uns deutlich, dass wir in Schleswig-Holstein über eine vorbildliche Struktur der sprachheilpädagogischen Förderung verfügen. Sie werden dies insbesondere dann feststellen müssen, wenn Sie den Vergleich zu anderen Bundesländern anstellen: Es gibt kein anderes Bundesland, das über ein annähernd engmaschiges Fördernetz in der Sprachheilpädagogik verfügt wie das Land SchleswigHolstein.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kultusministerium hat zum Thema sprachheilpädagogische Förderung in Schleswig-Holstein einen wirklich aufschlussreichen Bericht vorgelegt. Das Papier vermittelt einen Einblick in die unterschiedlichen Strukturen in diesem Schul- und Vorschulbereich. Der Bericht ist mit reichhaltigen Informationen ein guter Ausgangspunkt für die weitere schulpolitische Diskussion, und zwar nicht nur, weil er - wie gesagt - wichtige Informationen bietet, sondern auch deshalb, weil er offene Fragen verdeutlicht und in einzelnen Punkten auch zu kritischen Anmerkungen herausfordert.

Ich möchte jedoch mit dem beginnen, was nach meiner Einschätzung im Landtag unstrittig sein dürfte. Angesichts einer wachsenden Zahl von Kindern, die im Vorschulalter Sprach- und Kommunikationsstörungen aufweisen, ist die Frühförderung im Kindergarten ein besonders wichtiger Ansatzpunkt, wenn wir diesen Kindern für ihre folgende Schulzeit und damit für den weiteren Lebensweg gute Entwicklungschancen geben wollen. Die im Bericht enthaltenen Aussagen zur besonderen Effektivität von Fördermaßnahmen im Vorschulalter schon ab dem dritten Lebensjahr zeigen die Wirksamkeit und Bedeutung dieses Ansatzes. Die präventiven Maßnahmen im Vorschulbereich Stichwort „Sprachheilambulatorium“ - bilden, egal ob sie an Förderschulen oder Sprachheilgrundschulen angesiedelt sind, das Rückgrat für ein erfolgreiches Förderkonzept. Diese Angebote erreichen aber nur jene Kinder, die einen Kindergarten oder eine Spielstube besuchen. Was ist eigentlich mit jenen Kindern, die man dort nicht antrifft? Auf diese Frage habe ich im Bericht keine Antwort gefunden.

Auch wenn über 6.000 Kinder eine Frühförderung im Vorschulalter erhalten, besteht für einen Teil von ihnen - vermutlich für die schwierigeren Fälle - auch nach der Einschulung noch die Notwendigkeit, weiter

sprachheilpädagogisch gefördert zu werden. Dafür gibt es in den einzelnen Teilen unseres Landes ganz unterschiedliche Arten von Schulangeboten: Sprachheilgrundschulen, einzelne Sprachheilgrundschulklassen und natürlich die integrative Förderung in der „normalen“ Grundschule. Hier beginnt bekanntlich der Streit zwischen den unterschiedlichen Denkrichtungen und sicherlich auch zwischen unterschiedlichen praktischen Erfahrungen.

Unverkennbar stehen der Bericht und dessen Autoren der traditionellen Sprachheilgrundschule tendenziell eher skeptisch gegenüber. Das ist nicht zu übersehen, wenn man den Bericht liest. Einen Nachweis, dass es sich bei den Sprachheilgrundschulen um überholte oder weniger geeignete Schulangebote handele, kann der Bericht jedoch nicht liefern. Die dazu angeführten Argumente sind nicht stichhaltig. Der Bericht moniert zum Beispiel auf Seite 27 die relative Überalterung der Schülerinnen und Schüler der Sprachheilgrundschulen. Er vergleicht den Anteil der Schüler, die sich dort noch in den Einschulungsjahrgängen befanden, mit den entsprechenden Durchschnittsquoten der regulären Grundschulen. Ein zuverlässiger Vergleich dürfte sich aber nicht auf die Gesamtheit aller Grundschüler beziehen, sondern wäre speziell auf die Gruppe der an „normalen“ Grundschulen integrativ beschulten Kinder mit Sprachstörungen auszurichten und müsste natürlich deren weiteren Bildungsweg betrachten.

Außerdem wird das Argument genannt, die Sprachheilgrundschulen hätten eine wesentlich höhere Übergangsquote an Förderschulen, als dies bei „normalen“ Grundschulen der Fall sei. Dieser Befund ist überhaupt nicht verwunderlich. Dass Kinder mit schwerwiegenden Handicaps, die das Lernen erschweren, zu einem größeren Prozentsatz als der Durchschnitt aller Grundschüler später in der Förderschule landen, ist wirklich nicht erstaunlich. Ein sinnvoller Vergleich müsste sich auch hier auf die Gruppe jener Kinder mit Sprachstörungen beziehen, die in den „normalen“ Grundschulen integrativ beschult werden. Indem der Bericht jedoch die Bildungskarrieren aller Grundschüler zum Vergleichsmaßstab macht, verfährt er in etwa so wie ein Beobachter, der verblüfft feststellt, dass die Schüler von Sportleistungskursen bessere sportliche Leistungen hervorbringen als der Durchschnitt des jeweiligen Schülerjahrganges. Oh Wunder! Das kann nicht weiter erstaunen.

(Zurufe)

Man braucht nicht den Einführungskurs in die Methoden der empirischen Sozialforschung I, den man in einem sozialwissenschaftlichen Studium absolviert, um zu verstehen, dass die Art und Weise des Vergleichs,