Protokoll der Sitzung vom 27.09.2001

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Er könnte auch zurückziehen!)

Herr Präsident! Frau Kollegin Heinold, es ist nicht Aufgabe der Opposition, die Regierung und die Regierungsmehrheit zu schonen, sondern der Wahrheit ans Licht zu verhelfen.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei der SPD)

Erstens möchte ich dem Herrn Innenminister sehr herzlich dafür danken, dass er sich hier und heute ausdrücklich dazu bekannt hat, dass er sein Amt nach Recht und Gesetz ausüben möchte. Vorgestern klang das noch anders.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was?)

Da sollten Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung noch ohne rechtliche Grundlage - Originalzitat „Kieler Nachrichten“ - ausgeführt werden.

(Zuruf von Minister Klaus Buß)

- Herr Minister, das haben Sie so gesagt. Ich begrüße, dass Sie heute den Weg zurück in unsere Verfassung gefunden haben.

(Widerspruch bei der SPD - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen die Presseerklärung lesen, nicht die „KN“!)

Zweitens. Dass das Amt des Flüchtlingsbeauftragten notwendig ist als vertrauensbildende Maßnahme, damit unsere Mitarbeiter in den Ausländerbehörden überhaupt richtig mit den Ausländerinnen und Ausländern, die sich in diesem Land aufhalten, umgehen, das bestreite ich. Unsere Mitarbeiter handeln nicht nur nach Recht und Gesetz, sondern auch mit sehr viel Einfühlungsvermögen gegenüber den betroffenen Ausländern. Ich finde es überhaupt nicht notwendig und halte es auch nicht für eine besondere Aktion der Solidarität, dass Sie sagen, wir brauchten als zusätzliche vertrauensbildende Maßnahme den Flüchtlingsbeauftragten. Den brauchen wir nicht. Wir haben Fachleute dafür.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte in der Tat auf einen Vorgang hinweisen. Herr Minister, nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter. Ich bin schon erschrocken, dass sich ein Mitglied einer die Regierung tragenden Fraktion zu so weit reichenden Äußerungen hat hinreißen lassen. In dem Bericht des Flüchtlingsbeauftragten ist auf Seite 43 - ich habe vorhin zitiert - in fetter Schrift - das ist extra hervorgehoben - von häufiger auftretenden Diskriminierungen durch Polizeibeamte und auch durch andere Beamte der Ausländerbehörden die Rede. Ich möchte hier für die größte Oppositionspartei und die CDU-Fraktion an dieser Stelle erklären, dass wir volles Vertrauen in unsere Polizeibeamten haben und dass wir davon ausgehen, dass sie nach Recht und Gesetz handeln und keinen einzigen Ausländer in Schleswig-Holstein diskriminieren. Das ist unsere Auffassung.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag erteile ich der Frau Abgeordneten Heinold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte etwas zu der Auseinandersetzung um die Frage sagen: Brauchen einige Menschen in diesem Lande jemanden, der parteiisch für sie steht? Das ist ja die zentrale Frage. Ich beantworte diese Frage mit Ja.

Das sage ich auch als Mitglied des Eingabenausschusses. Im Eingabenausschuss sind wir uns alle darüber einig, dass Petenten, Leute, Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande, die Probleme mit der Ausübung von Verwaltung haben, Ansprechpartner und -partnerinnen haben sollen, damit es ein sozialer Staat bleibt, in dem es noch gesonderte Vermittlungsorgane gibt. Auch der Eingabenausschuss handelt im Sinne der Petenten. Er

(Monika Heinold)

nimmt ihre Anliegen wahr. Daneben haben wir den Flüchtlingsbeauftragten. Nun könnten wir ja sagen: Auch die Flüchtlinge können zum Eingabenausschuss gehen.

(Beifall bei der CDU)

Ein Teil - das wissen die Mitglieder des Eingabenausschusses - entscheidet sich für den Eingabenausschuss und nicht für den Flüchtlingsbeauftragten. Das ist das gute Recht der Betreffenden. Es gibt aber Migranten und Flüchtlinge in unserem Land, die sich beim Flüchtlingsbeauftragten besser aufgehoben fühlen und diese spezielle Vertretung wünschen und brauchen.

Angesichts des Kosten- und des Arbeitsaufwandes in Gegenüberstellung mit den Menschen, die dieses Angebot in Anspruch nehmen, sage ich, dass das eine richtige und sinnvolle Maßnahme ist. Wenn wir das machen, dann muss und kann das nur im Interesse sozusagen der Petenten, also der Flüchtlinge, sein. Anders geht das überhaupt nicht. Wenn das dazu beiträgt, dass unser Staat ein Stück friedlicher ist und wir ein besseres Miteinander haben, dann haben wir sehr viel gewonnen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung. Es ist bereits Überweisung beantragt worden. Ich empfehle, den Bericht zur abschließenden Beratung federführend an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Mitberatung?

(Klaus-Peter Puls [SPD]: Sozialausschuss!)

- Es ist Überweisung zur Mitberatung an den Sozialausschuss beantragt.

Wer so verfahren will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 47:

Erhalt von Sprachheilgrundschulen

Landtagsbeschluss vom 9. Mai 2001 Drucksachen 15/916 und 15/937

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/1170

Ich erteile zunächst der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur, Frau Erdsiek-Rave, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Redezeit ist kurz, der Bericht allerdings ist dafür umso länger, ausführlicher, tiefer und er stellt ausführlich die wissenschaftlichen und konzeptionellen Grundlagen und die Organisationsformen der sprachheilpädagogischen Förderung in Schleswig-Holstein dar von der Elternberatung eines sprachlich auffälligen dreijährigen Kindes bis zum 18-jährigen Schüler mit schweren Stotterbehinderungen, der einen Intensivkurs in der Internatsschule in Wentorf besucht.

Daraus ergibt sich - deswegen habe ich diesen Bogen geschlagen - das abgestimmte Konzept der sprachheilpädagogischen Förderung unseres Landes, das auf Prävention im vorschulischen Bereich setzt und sich im schulischen Bereich in Integration oder im Unterricht in Sonderschulen fortsetzt. Zentrales Anliegen dabei ist die frühzeitige Prävention von Sprachstörungen und die Bereitstellung von Sprachheillehrkräften und dafür besonders fortgebildeten Erzieherinnen und Erziehern in den Kindertageseinrichtungen.

Die Zeiten des Sprachheillehrers, an die sich der eine oder andere vielleicht noch erinnert, der sich noch 1960 mit weißem Kittel den Respekt von Eltern verschaffte und diese eher wenig oder gar nicht an seiner Therapie teilnehmen ließ, sind überwunden. Die Sprachheilpädagogik bündelt die individuell unterschiedlichen pädagogischen Ressourcen, die die Eltern einbringen, also die Familie, die Kindertageseinrichtungen, die Grundschulen und die Sonderschulen. Sie nutzt gewissermaßen alle Energieströme im Umfeld eines Kindes. Hier kann man wirklich sagen, dass das Stichwort oder Unwort von der Elternkatastrophe in diesem Bereich nicht gilt.

Vor Jahren schon ist begonnen worden, die Eltern kontinuierlich in die Prävention einzubeziehen. Das ist als Ansatz sehr wichtig. Wir wissen aus Rückmeldungen, dass Eltern sich ihrer Möglichkeiten, das Kind zu fördern, gerade in diesem Bereich gar nicht bewusst waren.

Die Entwicklung in den letzten Jahren lässt Weiteres erkennen. Diese Förderung kann kaum erfolgreich sein, wenn sie nur von einer Person wahrgenommen wird, auf die sich die Erwartungen der Eltern richten. Grundlage unseres Konzeptes ist daher Interdisziplinarität. Dabei ist nicht nur die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Ärztekammer gemeint, die zu einer ganzen Reihe von Fachtagungen geführt hat, sondern dieses Konzept hat auch vor Ort zu kontinuierlicher und verlässlicher Zusammenarbeit der Sprachheileinrichtungen mit den Kindertageseinrichtungen und den ortsansässigen Ärzten und Therapeuten geführt.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Sprachstörungen von Kindern werden nicht mehr wie früher oft als Folge des Versagens von Eltern gesehen, sondern Eltern werden in diesem Konzept als Partner einbezogen. Die Tatsache, dass rein rechnerisch inzwischen jede zweite Kindertageseinrichtung über eine Erzieherin verfügt, die im Rahmen unseres sprachheilpädagogischen Netzwerkes fortgebildet ist, lässt erkennen, dass es sich hier längst nicht mehr um einen begrenzten Modellversuch handelt, sondern um weit reichende Veränderungen sprachheilpädagogischer Förderung.

Ebenso informiert der Bericht darüber, wie wir das in den Kindertageseinrichtungen aufgebaute Netzwerk inzwischen auch für eine dringend erforderliche Förderung der phonologischen Bewusstheit, also der Sprechbewusstheit, schon vom Schulanfang an nutzen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Schriftsprache störungsfrei erworben wird und auch Legasthenie vermieden werden kann. Auch hier sind wir das erste Bundesland, das einen flächendekkenden Ausbau der notwendigen Förderung eingeleitet hat. Wir beabsichtigen, in Zusammenarbeit mit der CAU, mit dem Institut für Heilpädagogik eine Evaluation dieses Projekts vornehmen zu lassen.

Ausdrücklich ist den kommunalen und freien Trägern der Kindertageseinrichtungen dafür zu danken, dass sie dieses Präventionskonzept unterstützen, indem sie den Erzieherinnen und Erziehern die Möglichkeit geben, an den ganzjährigen Fortbildungen teilzunehmen, und auch sprachfördernden Material bereitstellen. Das ist angesichts der begrenzten Ressourcen auch in den Kommunen und im Kindertagesstättenbereich nicht selbstverständlich.

Diese Vielfalt des sprachheilpädagogischen Angebots ist nur durch die Entwicklung einer flächendekkenden Konzeption der Landeskoordinatoren für Sprachheilpädagogik und durch die engagierte Mitarbeit vieler Sonderschullehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher in den Kreisen und den kreisfreien Städten möglich, die ebenso mit ihrem Engagement Neues gewagt und damit - das können wir, meine Damen und Herren, mit allem Selbstbewusstsein sagen - wirklich auch Erfolg haben.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Dieser Bericht enthält nicht nur die Darstellung der präventiven Förderung vor Schulbeginn, sondern zeigt auch die unterschiedlichen Formen sprachheilpädagogischer Förderung im Schulbereich auf. 40 % aller Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich der Sprache werden bereits integrativ im Bereich der örtlichen Grundschulen durch Sonderschullehrkräfte gefördert und die vielfäl

tigen Gestaltungsmöglichkeiten stationärer sprachheilpädagogischer Förderung werden durch die Sprachheilgrundschulen und die Förderschulen genutzt; aber eben nicht allein durch diese, sondern durch die Vielfalt der Maßnahmen hat sich ein breites Spektrum ergeben, das, regional oder konzeptionell bedingt, unterschiedliche Schwerpunkte aufweist. Gemeinsam ist das Bestreben, eine möglichst schnelle und problemlose Rehabilitation der Schülerinnen und Schüler in die Regelgrundschulen zu verwirklichen.

Um ein Bild auch dieser zum Teil unterschiedlichen Schwerpunktsetzung zu vermitteln, wurden die Sprachheilgrundschulen und Förderschulen mit Sprachheilklassen gebeten, für diesen Bericht die Schwerpunkte und Erfolge ihrer integrativen oder stationären Arbeit auch einmal selbst darzustellen. Aus diesen Berichten ergibt sich ein sehr vielfältiges Bild ihrer Arbeit.

Der Beitrag zu einer professionell angelegten sprachheilpädagogischen Arbeit, der durch die Lehrerausund -fortbildung erfolgt, wurde ebenfalls durch die beiden zuständigen Institutionen, das Institut für Heilpädagogik in Kiel und das Landesseminar für Sonderpädagogik, selbst erstellt. Auch diese bilden einen notwendigen Teil des Gesamtkonzepts der Sprachheilarbeit in Schleswig-Holstein.

Sie können dem Bericht entnehmen - ich bin dankbar, dass das in dieser Form einmal so ausführlich dargestellt werden konnte -, dass es nachrangig - ich betone: nachrangig - um die Frage des Förderortes, also Integration in der Grundschule oder Unterricht in der Sprachheilgrundschule, geht, vorrangig aber darum, wie alle erforderlichen und vorhandenen Ressourcen genutzt werden können, um frühzeitig Probleme in der Schullaufbahn zu vermeiden oder abzubauen.

Ich weiß, dass hier wie auch in anderen Bereichen der sonderpädagogischen Förderung eine gute, engagierte und für die Kinder sehr erfolgreiche Arbeit geleistet wird. Ich nutze die Gelegenheit, mich bei allen Akteurinnen und Akteuren sehr herzlich zu bedanken, die dazu beigetragen haben, nicht nur diesen Bericht zusammenzutragen, sondern auch diese langjährige erfolgreiche Arbeit zu leisten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke der Frau Ministerin für den Bericht und eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Eisenberg.