Protokoll der Sitzung vom 12.05.2000

fast nie oder nur sehr selten Verständnis oder gar Unterstützung, wenn überhaupt, höchstens einmal von einer anderen Mutter, die sich als Leidensgenossin auf Ihrer Seite fühlt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Der Anspruch an die Qualität von Erziehung und Betreuung von Kindern materiell und immateriell steigt. Kinder haben zu Recht hohe zeitliche, emotionale und materielle Ansprüche. Eltern werden stärker im Beruf gefordert. Frauen erhalten nach wie vor kaum Unterstützung durch ihre Männer und die Väter ihrer Kinder. Arbeitsteilung und Entlastung im Generationengeflecht nehmen ab. Außerfamiliäre Angebote sind häufig nicht flexibel und bedarfsorientiert und darüber hinaus auch teuer.

So gesehen begrüße ich das Anliegen, einen Bericht über die bestehenden Hilfsangebote in SchleswigHolstein zu hören, nachdrücklich. Erst nach einer Reflexion über bestehende Hilfen und ihren Erfolg - ehrlicherweise sicherlich auch über ihre Lücken und Defizite - können wir gemeinsam dafür Sorge tragen, dass Eltern und Kinder die Unterstützung erhalten, die sie wirklich benötigen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Monaten ist die Bevölkerung gerade auch in Schleswig-Holstein mehrfach durch Fälle aufgeschreckt worden, in denen Eltern ihre Babys erstickt oder zu Tode geschüttelt haben. Als Gründe wurden dann mehrfach genannt, dass die Eltern das Schreien der Kinder nicht mehr ertragen hätten. Man fragt sich dann unwillkürlich: Was bringt Menschen so weit? Sogar Menschen, die von ihrer Charakterfestigkeit, ihrer Bildung oder ihrem sozialen Umfeld her betrachtet nach landläufiger Meinung nicht in den Verdacht kämen, dass sie ihren Kindern etwas antun könnten, verfallen fatalen Handlungen. Sie kommen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Die Gefahr, dass man unüberlegte Schritte tut, ist manchmal sehr groß. In den meisten Fällen geht es dann wohl noch einmal gut - die Notsicherungen funktionieren dann noch -, aber dass manche Mütter oder Väter den Belastungen nicht mehr standhalten können, ist eine traurige Wahrheit.

Die Fälle zeigen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Wichtig ist die Feststellung, dass das Problem alle sozialen Gruppen betrifft oder betreffen kann und dass es daher niedrigschwellige Präventions- und Hilfemöglichkeiten geben muss. Die Niedrigschwelligkeit bezieht sich dabei auf alle Gruppen: Ein Ehepaar muss sich genauso angesprochen fühlen wie der allein erziehende Elternteil, gut Verdienende genauso wie sozial Schwache, Mütter genauso wie Väter.

In München gibt es die vorhin bereits zitierte so genannte „Schreiambulanz“; in anderen Städten gibt es ähnliche Angebote und Einrichtungen unter anderem Namen. Entscheidend sind bei einer solchen Einrichtung das schnelle und unbürokratische Erreichbarsein, die Bekanntheit vor Ort und die fachliche Kompetenz. Die schnelle Erreichbarkeit muss in jedem Fall berücksichtigt werden. Eine solche Einrichtung muss in ein Gesamtkonzept der Kinder- und Familienhilfe beziehungsweise der frühen Hilfen integriert sein. Ganz wichtig ist dabei, dass wir die Arbeit der Kinderschutzzentren und der anderen beteiligten Einrichtungen finanziell sichern und ausbauen. Diese Zielsetzung sollten wir uns gleich vornehmen.

Man darf nicht vergessen, dass Kinderschutzzentren, aber auch viele andere Verbände und Einrichtungen bereits seit Jahren vorbildliche Arbeit in diesem Bereich leisten. Erforderlich ist jedoch ein Gesamtkonzept, das nur in intensiver Zusammenarbeit mit den betroffenen Einrichtungen erarbeitet werden kann.

(Lars Harms)

Für den SSW kommt es darauf an, dass eine effiziente Mischung aus präventiven Maßnahmen und akuten Hilfemöglichkeiten geschaffen beziehungsweise ausgebaut wird.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der SSW unterstützt daher den interfraktionellen Berichtsantrag, um ein detaillierteres Wissen darüber zu erlangen, was in unserem Lande in diesem Bereich bisher getan wurde und wo noch Lücken bestehen. Wir möchten dabei genau wissen, wie die einzelnen Angebote miteinander verzahnt sind, wo Kooperationen bestehen und wo es sie in Zukunft geben soll. Danach sollten wir auch bei der Umsetzung von Maßnahmen bei unserer parteiübergreifenden Gemeinsamkeit bleiben.

(Beifall)

Ich erteile Frau Ministerin Lütkes das Wort.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Wieso ist sie dafür zuständig? - Unruhe)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch dieses Thema eignet sich - da sind Sie sich Gott sei Dank einig - nicht für eine parteipolitische Auseinandersetzung, sondern diesem Thema liegt eine große gesellschaftliche Verantwortung zugrunde. Deshalb ist es richtig, wenn Sie beabsichtigen, im Ausschuss nicht nur meinen Bericht, den ich natürlich sehr gern erstatte, zu diskutieren, sondern auch alle gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen anzuhören, die sich mit diesem wichtigen Thema beschäftigen und da wegweisende Arbeit leisten.

Es ist unbestritten - Sie selber haben es bereits ausgeführt -, dass schreiende Kleinkinder den Eltern, den Müttern und Vätern den Nerv rauben können. Schüttelkinder sind Kinder, die unter diesen genervten Situationen leiden und in manchen Fällen auch getötet werden. Der Begriff „Schreikinder“ und „Schüttelkinder“ ist etwas zwiespältig, aber es ist zulässig, ihn zu benutzen, weil er auch die emotionale Situation deutlich macht, eine Situation, in der sich Eltern, vor allem Mütter, befinden, wenn sie durch ihre soziale, aber auch ihre persönliche Gesamtsituation nicht die geeigneten Mechanismen und Verhaltensformen abrufbar haben, um dem Kind, das sie in einer persönlichen Entwicklungssituation schlicht nervt, angemessen zu begegnen. Dadurch kommt es in der Familie zur Stö

rung des Eltern-Kind-Verhältnisses, das sehr sensibel ist, und zur Störung der Balance zwischen den Beteiligten. Eine Situation, die, wenn die betroffene Mutter, der Vater, die Eltern gemeinsam dazu in der Lage sind und über die Mechanismen verfügen, von ihnen auch stabilisiert werden kann. Diese Stabilisierung muss allerdings gelernt werden.

Wir haben in unserer Gesellschaft eine Situation - das wurde gerade gesagt -, in der Elternschaft nicht gelernt, sondern als natürliche Fähigkeit begriffen wird. Nun hat sich die Gesellschaft derart kompliziert entwickelt, dass ein reines, natürliches Umgehen, ein Vertrauen auf die Fähigkeit zur Elternschaft nicht ausreicht, die sozialen und familiären Konflikte zu bestehen und konstruktiv im Sinne einer liebevollen Entwicklung der Kinder zu nutzen.

Deshalb ist es eine gemeinsame Verpflichtung der gesamten Landesregierung, insbesondere aber der schulischen und der Jugendarbeit, hier im Rahmen einer Elternbildung tätig zu werden. Hier gibt es gute Ansätze in Schleswig-Holstein. Der Begriff der Elternschule ist vielleicht nicht der Begriff, den wir auf die Schiene setzen sollten. Aber wir können ja im Ausschuss gemeinsam überlegen, wie mit dieser gesellschaftlichen, familienpolitischen Verpflichtung umgegangen wird. Denn das Thema Schüttelkinder ist eines, das dringend bearbeitet werden muss, das zwar in vielen Einzelfällen immer wieder auf die Tagesordnung kommt, aber als jugendpolitische Verpflichtung noch nicht ganz akzeptiert ist. Die Änderung von § 1631 BGB zeigt, dass es familienpolitisch akzeptiert ist. Mit dieser Änderung wurde versucht, das Recht auf gewaltfreie Erziehung für Kinder zu verankern. Dass die Verankerung im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht ausreicht, zeigt der vorliegende Gesetzentwurf. Ich hoffe sehr, dass er auf Bundesebene verabschiedet wird.

Unabhängig von der bundesgesetzlichen Ebene zeigt in Schleswig-Holstein gerade der Deutsche Kinderschutzbund, der für die so genannten frühen Hilfen zuständig ist und sehr gute Beratungsarbeit macht, wegweisende Tätigkeiten. Wenn Sie den Bericht anfordern, dürfen wir nicht verkennen, dass die landespolitische Zuständigkeit nicht in der konkreten Arbeit liegt, sondern dass das Aufgabe der Kommunen ist, die diese Hauptverpflichtung, aber auch unstreitig die Hauptlast haben. Das Jungendministerium als Landesjugendamt hat eine begleitende, fördernde und auch ein wenig moderierende Funktion. Diese und die beispielhaften Ansätze im Lande wollen wir gern darstellen. Ich denke, dass uns das in einer der nächsten Ausschusssitzungen gelingt und wir dann zu einer guter Öffentlichkeitsarbeit kommen, die auch

(Ministerin Anne Lütkes)

auf der Ebene der schulischen Ausbildung Lehrer inspiriert, das Thema „Elternherausbildung“ - so möchte ich es einmal vorsichtig formulieren - auf die Tagesordnung zu setzen, und dass wir zu einer gesellschaftlichen Situation kommen, die die Staatsanwaltschaften nicht zum Eingreifen veranlasst, denn das Thema „Schüttelkinder“, Kinder als Opfer von Gewalt, hat selbstverständlich strafrechtliche Konsequenzen. Aber wir sollten zu einer Gesellschaft kommen, in der es eben nicht einer strafrechtlichen Sanktion bedarf, sondern ein gutes und offenes Zusammenleben von Kindern mit ihren Eltern vorherrscht, das eben friedlich und nicht von Gewalt bestimmt ist und insofern nicht den Staatsanwalt auf die Tagesordnung ruft.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie vereinzelt bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Beratung. Ernte ich Widerspruch, wenn ich die beiden Anträge gemeinsam zur Abstimmung stelle? - Das ist nicht der Fall. Dann beschließen wir über die Anträge der Fraktion der CDU -

(Wolfgang Baasch [SPD]: Es liegt ein ge- meinsamer Antrag vor! - Weitere Zurufe)

- Ist das ein gemeinsamer Antrag? Dann ist mir die Drucksachennummer nicht bekannt.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Drucksache 15/91!)

- Das ist die Drucksache Nummer 91. Dann beschließen wir nur über die Drucksache 15/91. Vielen Dank, Herr Baasch. Wer dieser Drucksache 15/91 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Donnerwetter, das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:

Tätigkeitsbericht des Eingabenausschusses in der Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2000

Bericht des Eingabenausschusses Drucksache 15/25

Das Wort erteile ich dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Poppendiecker.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Auf Platt jetzt!)

Nein, ich werde das mal auf Hochdeutsch machen, lieber Kollege Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin nicht schuld daran, dass die Zeit inzwischen so weit fortgeschritten ist. Es tut mir Leid, aber ich möchte Ihnen den Bericht trotzdem kurz geben, denn ich denke, auch die neuen Kolleginnen und Kollegen hören sich gern einmal an, was wir so im letzten Vierteljahr gemacht haben.

(Vereinzelter Beifall)

Wir hatten in dem ersten Vierteljahr des Jahres 2000 133 neue Eingaben und haben diese in insgesamt sechs Sitzungen behandelt. An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal ein Dankeschön an die Geschäftsstelle dafür aussprechen, dass wir sehr viele alte Eingaben aus dem letzten Jahr noch haben abarbeiten können, sodass also die neuen Kolleginnen und Kollegen nicht mit vielen alten Eingaben belastet werden.

Wir haben zu diesen sechs Sitzungen noch zehn Orts-termine durchgeführt. Ich wiederhole es immer wieder gern, dass die Ortstermine eigentlich immer wieder dadurch zu Erfolgen führen, dass wir versuchen, alle Institutionen und Behörden an einen Tisch zu bekommen und irgendwo die Tür einen kleinen Spalt aufzumachen. Dann finden wir auch meistens eine Lösung.

Dazu kommt, dass wir zwei Anhörungen durchgeführt haben und sechs Gesprächsrunden außerhalb der Ausschusssitzungen und zusätzlich zu den Ortsterminen abgehalten haben. Von den 154 Eingaben haben wir 23 positiv erledigt, 50 Eingaben teilweise positiv, sodass wir also eine positive Gesamtquote von fast 50 % erreicht haben. Ich denke, darauf können wir auch stolz sein.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drei Eingaben wurden zurückgezogen.

Der Präsident hat gesagt, ich muss die fünf Minuten Redezeit nicht voll ausfüllen, aber lassen Sie mich einmal darstellen, wie einige Eingaben abgelaufen sind. Abgelehnt haben wir zum Beispiel die Eingabe, mit der eine Gefahrenzulage für Lehrer gefordert wurde. Das heißt, für unsere über 20.000 Lehrer hatte er gefordert, eine Gefahrenzulage einzurichten, da Schüler ein Gefahrenpotential bedeuteten. Ich weiß nicht, zu meiner Zeit gab es das nicht. Als Schüler hatte ich immer das Gefühl, dass der Lehrer für mich ein Gefahrenpotential darstellte.

(Heiterkeit)

- Na gut, das hat aber geholfen, sonst würde ich

(Gerhard Poppendiecker)

wahrscheinlich heute nicht hier stehen. Das haben wir also abgelehnt.

(Glocke des Präsidenten)