Protokoll der Sitzung vom 28.09.2001

Frau Heinold, wir sind ja in den Punkten, was die Neufinanzierung von sozialer Sicherheit angeht, gar nicht so weit auseinander. Aber zu Ihrem Lohnzusatzkostensenkungsprogramm gehört eben auch, dass beispielsweise die Erhöhungen der Tabak- und der Versicherungssteuer dazu führen werden, dass den Leuten wieder weniger Geld für Konsum bleibt. Weniger Geld für Konsum heißt auch wieder weniger Wachstum und weniger Arbeitsplätze.

(Zuruf des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

- Ja, aber Sie haben es doch bis heute nicht verstanden, auch wenn Sie es zwanzigmal sagen.

(Beifall bei FDP und CDU - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie mal einen Vorschlag!)

- Herr Hentschel, die Ökosteuer, weiter die Erhöhung der Tabaksteuer bis hin zur Erhöhung der Versicherungssteuer, das sind Reparaturmaßnahmen, die - das garantiere ich Ihnen: wenn Sie in vier Jahren noch hier säßen, dann würden Sie mir Recht geben - falsch sind. Wir müssen diese Systeme strukturell von ganz unten wieder neu aufbauen.

(Beifall bei FDP und CDU - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie mal einen Vorschlag!)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich jetzt der Frau Arbeitsministerin Moser.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin versucht, unseren großen Nationaldichter Goethe mit seinem „breit getretenen Quark“ zu zitieren.

(Konrad Nabel [SPD]: Sehr gut!)

Ich habe das Zitat aber nicht genau im Kopf; deshalb lasse ich es.

Ich möchte heute keinen generellen Beitrag zur Debatte um das 630-DM-Gesetz leisten. Ich möchte nur anmerken: So etwas wie heute kommt heraus, wenn man versucht, wirklich wichtige zu führende Systemdebatten an solchen Minianträgen aufzuhängen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

(Ministerin Heide Moser)

Sehr geehrte Frau Kollegin Aschmoneit-Lücke, es wird Sie hoffentlich nicht überraschen, dass ich mit dem Wirtschaftsminister einer Meinung bin und auch als Arbeitsministerin das Ziel habe, Beschäftigung zu steigern und natürlich auch, im Bereich der niedrig qualifizierten Arbeit mehr Beschäftigung und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Ich finde Ihr Anliegen hier richtig.

Nur was Ihr Vorschlag zur Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze dazu beitragen soll, ist mir nicht ganz klar. Dann sollten wir in diesem Hause lieber über vernünftige Modelle des Kombilohnes diskutieren. Wenn dieser Antrag dazu dient, dass wir das im Wirtschafts- und im Sozialausschuss tun, bin ich zufrieden.

Denn mit solchen Kombilohnmodellen kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens kann man dem Grundsatz gerecht werden, der der unsere ist: Jede Arbeit ist im Prinzip auch sozialversicherungspflichtig. Zweitens kann man über die Subventionierung der Sozialversicherungsbeiträge Entlastungen sowohl für Unternehmen als auch für Arbeitnehmer herstellen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es hat mich schon verblüfft, Herr Kollege Dr. Wadephul, weshalb Sie nicht wissen, dass die Rentenbeiträge abgesenkt worden sind. Sie haben heftig mit dem Kopf geschüttelt und „Nein“ gerufen. Das hat mich fast umgehauen.

Zu Ihnen, Herr Kollege Arp: Ich werde natürlich im Sinne der Frauen dafür plädieren, dass Arbeit im Prinzip sozialversicherungspflichtig bleibt und wir nicht gerade die Frauen in geringfügige Arbeitsverhältnisse abschieben

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

mit dem Erfolg, dass sie immer diejenigen sind, die, was Leistungsansprüche angeht, bei Renten- und anderen Ansprüchen herunterfallen.

Meine Damen und Herren, Sie haben zu Recht gesagt - Sie haben es erkannt, Frau Aschmoneit-Lücke -: Die Festschreibung und die Herausnahme der Dynamisierung bei der Geringfügigkeitsgrenze sollten dazu dienen, diesen Bereich zu begrenzen und, wenn Sie so wollen, auch auszutrocknen.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hans-Jörn Arp?

Frau Ministerin, überlassen Sie doch den Frauen die Wahl. Warum müssen wir ihnen das vorschreiben? Überlassen Sie doch einfach den Frauen die Wahl, ob Sie es wollen oder nicht. Das war doch bisher auch so.

(Unruhe bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Kollege Arp, die Lebenserfahrung lehrt, dass es Situationen gibt, in denen Frauen nicht die für sie selbst beste Entscheidung treffen.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei CDU und FDP)

- Das mögen Sie komisch finden, meine Damen und Herren. Aber sehen Sie sich doch einmal um. Sehen Sie sich die Renten- und die Gehaltsentwicklung an.

(Zurufe von der CDU - Glocke des Präsiden- ten)

- Da Sie das nur komisch finden, werde ich jetzt nicht weiter darauf eingehen. Ich finde es schon zynisch, sich derart über die Realität hinwegzusetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und SSW - Wortmeldung der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

- Und wenn mich die Frau Kollegin Strauß jetzt fragen will, ob ich Frauen für nicht in der Lage halte, vernünftige Entscheidungen zu fällen, dann sage ich: Selbstverständlich halte ich Frauen dazu in der Lage. Aber Situationen erzwingen manchmal etwas, was unvernünftig ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage es noch einmal: Erwerbsarbeit soll prinzipiell Versicherungsschutz bedeuten. Es gibt im Moment keine Veranlassung, davon Abstriche zu machen. Es besteht aber sehr wohl die Notwendigkeit, sich über den Bereich von Niedriglöhnen zu unterhalten und sich Gedanken darüber zu machen, wie er zu gestalten ist.

Meine Damen und Herren, anders als Sie hier glauben machen wollen, hat die gesetzliche Neuregelung im Übrigen keine Einbrüche im Arbeitsmarkt hervorgerufen. Sie hat allerdings Mehreinnahmen bei den Sozialkassen, insbesondere bei den Kranken- und Rentenversicherungskassen, bewirkt, und das hat wiederum dazu beigetragen, die Krankenkassenbeiträge we

(Ministerin Heide Moser)

nigstens an der Stelle ein bisschen zu entlasten und zu stabilisieren.

(Zuruf des Abgeordneten Günther Hildebrand [FDP])

Lassen Sie uns, wenn wir das System unserer sozialen Sicherung diskutieren wollen, dies wirklich profund und solide tun. Ich bin dazu gern bereit und ich bin auch keineswegs dogmatisch, sondern für neue Vorschläge und für Veränderungen offen, auch in Richtung auf mehr Steuerfinanzierung. Nur, Herr Dr. Garg, dann kommen Sie ja wieder und sagen: Das geht auch auf die Taschen der Leute. Irgendwo müssen wir schon eine klare Linie haben. Es gibt auch keinen Weg, der niemandem wehtut und allen nutzt.

(Beifall bei SPD und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Ausschussberatung beantragt ist?

(Zurufe von der SPD)

- Ich frage zunächst einmal den Antragsteller. - Der Antragsteller weiß es nicht.

(Zuruf von der FDP: Überweisung!)

- Der Antragsteller beantragt Ausschussüberweisung. Abstimmung in der Sache? - Herr Abgeordneter Baasch!

Ich hatte Abstimmung in der Sache vorgeschlagen, weil nichts Neues zu erkennen ist.

Zunächst müssen wir über die beantragte Ausschussüberweisung abstimmen. Wer dem Antrag des Antragstellers auf Ausschussüberweisung folgen möchte, den darf ich um ein Handzeichen bitten. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag auf Ausschussüberweisung ist gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt worden.

(Zurufe von der CDU: Das ist ein Ding!)

Damit treten wir in die Abstimmung in der Sache ein. Ich darf fragen, wer dem Antrag in der Sache seine Zustimmung erteilen will. - Gegenprobe! - Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Stimmen von CDU und FDP in der Sache abgelehnt und der Tagesordnungspunkt ist erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf: