Protokoll der Sitzung vom 17.10.2001

(Karl-Martin Hentschel)

Das können Sie nicht einfach ignorieren und sagen, das ist uninteressant, Herr Kubicki.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ja, wer regiert ei- gentlich in Berlin und hier?)

Sie regen sich hier auf. Ich habe in der Diskussion in den letzten Tagen mehrfach die Erfahrung gemacht,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie sind ein schlechter Heuchler! Wer regiert in Berlin und hier?)

dass diejenigen, die sich an solchen Stellen aufregen, das meistens deshalb tun, weil sie eigentlich ein schlechtes Gewissen haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Klaus Schlie [CDU]: Sie regen sich doch auf! - Martin Kayenburg [CDU]: Jetzt kann ich mir Ihre Aufregung erklären! - Lachen bei der CDU)

Ich bin froh, dass Jürgen Trittin, der Bundesumweltminister, in der Verantwortung ist und sich sehr darum kümmert, dass diese Fragen beantwortet werden. Ich weiß aber auch, dass es keinen leichten Weg gibt, „Milliardenwerte“ dieser Volkswirtschaft einfach abzuschalten.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ach!)

Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Wir stehen vor dem Problem, dass wir - wenn wir die Atomkraftwerke sofort abschalten wollen - geklärt haben müssen, dass das juristisch einwandfrei ist, weil wir sonst dem Steuerzahler Milliarden DM für Entschädigungszahlungen zumuten müssen.

(Klaus Schlie [CDU]: Ja, aber was machen Sie denn jetzt?)

Das ist eine Situation, die nicht wir geschaffen haben, sondern diese Situation haben verdammt noch mal die Leute geschaffen, die in unverantwortlicher Weise diese Technologie genehmigt und in Betrieb genommen haben,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] - Widerspruch bei CDU und FDP)

obwohl bis heute nicht geklärt ist, welche Folgelasten diese Technologie haben wird und wie die Rückstände beseitigt werden können.

(Klaus Schlie [CDU]: Ja, was machen Sie denn jetzt, wo ist die Lösung? - Dr. Heiner Garg [FDP]: Beruhigen Sie sich doch einmal, entspannen Sie sich! - Weitere Zurufe von der CDU)

Sie versuchen jetzt zum wiederholten Male, sich aus den Konsequenzen dessen, was Sie geschaffen haben, auf billige Art und Weise herauszuziehen, indem Sie uns die Verantwortung zuschieben. Wir stehen zu der Verantwortung,

(Lachen bei der CDU)

wir haben ein Atomausstiegsgesetz eingebracht.

Sie werden mit ziemlicher Sicherheit nicht dafür, sondern dagegen stimmen. Das heißt, Sie wollen diese Technologie noch weiter betreiben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Hentschel!)

Sie brauchen sich hier nicht so polemisch aufzuführen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Nabel das Wort.

(Martin Kayenburg [CDU]: Ob das besser wird? - Heiterkeit bei der CDU - Dr. Heiner Garg [FDP]: Er schreit wenigstens nicht!)

Glauben Sie es mir, Herr Garg: Ich kann das auch!

(Heiterkeit)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 17. September hat der Bundesminister für Umwelt und Reaktorsicherheit der Reaktorsicherheitskommission ein paar Fragen zugeleitet. Minister Möller hat sie zitiert. Nach der im Internet nachlesbaren, nach mehreren Sitzungen erstellten ersten Stellungnahme der RSK zu diesen Fragen ist in wenigen Worten und ohne Panik erzeugen zu wollen festzustellen:

Erstens. Die deutschen Atomkraftwerke sind gegen terroristische Anschläge von Selbstmordkommandos mit voll betankten Flugzeugen nicht gesichert.

Zweitens. Es bestehen keine kurzfristigen Möglichkeiten, das Schadensausmaß zu verringern.

Drittens. Technische Nachrüstmaßnahmen können derzeit nicht benannt werden.

Nicht explizit nachgefragt wurden die Folgen etwaiger Angriffe auf Zwischenlager. Die Antworten wären entsprechend. Man könnte verzweifelt ausrufen: „Da haben wir den Salat!“

Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen falschen und ohne Technikfolgenabschätzung erfolgten Investi

(Konrad Nabel)

tions- und Förderpolitik vor allem der Regierungen Kohl, aber auch der Regierungen davor.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben seit langem vor den unberechenbaren Risiken der Atomenergieerzeugung gewarnt und seit Mitte der 80erJahre den schnellstmöglichen Ausstieg aus dieser nicht beherrschbaren Form der Energieerzeugung gefordert.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter Nabel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Graf Kerssenbrock?

Wenn ich fertig bin. Das mache ich so wie Anke. Das war ein guter Tipp.

Trotzdem mussten wir nach der Regierungsübernahme der Tatsache Rechnung tragen, dass die Genehmigungen der deutschen AKWs zeitlich nicht begrenzt sind und ein sofortiges Abschalten mit nicht erbringbaren Regressforderungen durch die Energieversorger beantwortet würde. Deshalb musste der Atomausstieg im Konsens erreicht werden und alle Beteiligten wussten und wissen, dass sich dieser Ausstieg über Jahrzehnte hinziehen wird.

Aber keiner der Beteiligten - auch Herr Kubicki nicht - an den zähen Konsensverhandlungen konnte sich Terroranschläge dieser Art und dieser Brutalität vorstellen, sodass die Frage nach der Sicherheit - bis auf die bei vielen eher widerwillige Abschätzung einer Katastrophe ähnlich der in Tschernobyl - bisher als eher hypothetisch angesehen wurde. Diese Situation haben wir seit dem 11. September nicht mehr.

Es muss eine Neubewertung der Frage der Sicherheit von großtechnischen Anlagen allgemein und von Atomkraftwerken und atomaren Zwischenlagern im Speziellen erfolgen. Die umwelt- und energiepolitischen Sprecherinnen und Sprecher der sozialdemokratischen Fraktionen der Landtage, der Bürgerschaften und des Bundestages haben am Montag dieser Woche auf ihrer Konferenz in Husum dazu Beschlüsse gefasst, die ich heute auch in diesem hohen Hause mit Nachdruck vertrete:

Atomkraftwerke, die ein unzureichende bauliche Auslegung und unzureichende Notfallsysteme besitzen, gewährleisten keinen hinreichenden Schutz und sind bei einer erheblichen Verschärfung der Sicherheitslage ebenso abzuschalten wie Atomkraftwerke im unmittel

baren Einzugsbereich von Großflughäfen. Unabhängig davon sind diese Kraftwerke unverzüglich auf den Stand der Technik sicherheitstechnisch nachzurüsten beziehungsweise vorrangig stillzulegen. Hierfür bieten der Atomkonsens sowie die Atomgesetznovelle mit der Übertragung der Strommengen einen gangbaren Weg.

Alle atomaren Zwischenlager sind ebenfalls den neuen Sicherheitsanforderungen gemäß mit ausreichenden aktiven und passiven Strukturen auszustatten, um ein Höchstmaß an Sicherheit für die Bevölkerung zu gewährleisten. Energieminister Möller hat diese Form der Sicherung bereits frühzeitig für in SchleswigHolstein zu errichtende Zwischenlager gefordert. Wir stimmen mit ihm hier völlig überein.

Konsequenzen aus der veränderten Sicherheitslage sind aber nicht nur in Bezug auf AKWs zu treffen. Wir sprechen uns heute noch stärker dafür aus, die Energieversorgung auf der Grundlage erneuerbarer Energieträger wie Wind, Sonne und Biomasse umzubauen, um die Risiken der Atomkraft und ihrer lange weiter strahlenden Abfälle möglichst schnell hinter uns zu lassen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Trutz Graf Kerssenbrock.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf diesen Debattenbeitrag mit einer sehr persönlichen Vorbemerkung beginnen. Für die SPD-Fraktion hätte hier heute Frau Kockmann-Schadendorf gesprochen. Ich will hier sagen, dass ich persönlich Folgendes nicht vergessen werde. Sie, die mich überhaupt noch nicht genau kannte, hat, als ich vor einem Jahr im Krankenhaus war, darniederlag und an einer fröhlichen Kernenergiedebatte nicht teilnehmen konnte, mir sehr persönlich gute Genesung gewünscht, wie ich nachlesen konnte. Ich muss sagen: Das hat mich sehr beeindruckt. Trotz alles Trennenden hat sie die Gemeinsamkeit der Demokraten praktiziert. Das war für mich ein sehr beeindruckender Vorgang.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich darf nun zur Sache kommen. Ich hatte gehofft - ich glaube, Frau Fröhlich hat den Antrag unterschrieben -, dass dieser Antrag gar nicht erst gestellt worden wäre. Ich hätte es nämlich für besser gehalten, wenn wir über dieses sehr sensible und brisante Thema vertrauliche Gespräche miteinander geführt hätten. Ich hatte