Protokoll der Sitzung vom 18.10.2001

Wird das Wort zur Begründung der Großen Anfrage gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

(Vizepräsident Thomas Stritzl)

Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich der Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie, Frau Lütkes, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schriftliche Beantwortung der Großen Anfrage liegt Ihnen vor. Deshalb möchte ich mich in meinem Beitrag auf einige wesentliche kurze Bemerkungen beschränken.

Der internationale Frauen- und Mädchenhandel ist ein Bereich der organisierten Kriminalität, der weltweit zunimmt. Hierbei ist Schleswig-Holstein sowohl Transitland als auch Zielland. Vor ungefähr noch zwölf Jahren kamen die Frauen aus den so genannten DritteWelt-Ländern. Heute sind sie zu fast 90 % in mittelund osteuropäischen Staaten beheimatet. Die Europäische Union schätzt, dass circa eine halbe Million Frauen in den westlichen Ländern zur Prostitution gezwungen werden.

Menschenhandel ist Menschenrechtsverletzung, das muss in dieser Eindeutigkeit formuliert werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Die schleswig-holsteinische Polizei kämpft gegen dieses Verbrechen in einem System regionaler, nationaler und internationaler Zusammenarbeit. Sämtliche polizeilichen Erkenntnisse werden mit den Herkunftsländern ausgetauscht, weil nur durch den Kontakt mit den Herkunftsländern an die Wurzeln des Frauenhandels herangekommen werden kann. Die regionale Bekämpfung des Frauenhandels setzt aus Sicht der Landesregierung eine vertrauensvolle und enge Kooperation mit den Stellen voraus, die Fachfrauen für die Problematik des Frauen- und Mädchenhandels sind. Das bedeutet für Schleswig-Holstein, dass wir die Fachberatungsstelle „contra“ auch in Zukunft brauchen und finanzieren müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD sowie der Abgeordneten Uwe Eichel- berg [CDU] und Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])

Wir haben deshalb im Haushaltsentwurf für das Jahr 2002 100.000 DM für „contra“ eingestellt. Ich bin der Nordelbischen Landeskirche dankbar, dass sie den gleichen Betrag für die Arbeit von „contra“ zur Verfügung stellt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Neben dieser Betreuung durch die Fachberatungsstelle ist es wesentlich, dass die betroffenen Frauen Beratung und Unterkünfte finden und dass im Rahmen von Zeuginnenbegleitprogrammen und Opferschutzprogrammen sichergestellt wird, dass die Frauen als Zeuginnen im Strafverfahren durchhalten. Das meine ich wahrsten Sinne des Wortes, denn nur, wenn die Zeuginnen auch in der Hauptverhandlung noch bereit sind, gegen die Täter auszusagen und die furchtbare Tat in der mündlichen Verhandlung darzustellen, können wir die Zahl der Verurteilungen erhöhen und näher an die Wurzeln und an die Täter herankommen.

In diesem Zusammenhang halte ich es aber für erwähnenswert, dass der Bundesinnenminister bei der Diskussion des Entwurfs des Zuwanderungsgesetzes geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe nicht in die von ihm geführte Debatte aufgenommen hat. Die Menschenrechtsverletzungen durch Frauenhandel und Zwangsprostitution sind oder können geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe sein, die im Inland zu beachten sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Bekämpfung des Frauenhandels steht - so glaube ich - nicht nur im Handlungskatalog der Landesregierung ganz oben, sondern auch im Katalog des Landtages. Ich denke, darin sind wir uns einig.

Ich möchte noch eine Bemerkung zum vorgelegten CDU-Antrag machen, Herr Präsident. Wenn ich es richtig verstehe, intendiert der Antrag eine Verstärkung der finanziellen Mittel für die Begleitung und Unterstützung in Form des Opferschutzes und der Zeuginnenbegleitung. Damit laufen Sie offene Türen ein. Die Bundesjustizministerin hat auf Bundesebene bereits entsprechende Vorschläge gemacht.

(Uwe Eichelberg [CDU]: Sehr gut!)

Ich bin der Ansicht, dass das noch sehr genau diskutiert werden muss, denn es reicht nicht, darauf hinzuweisen, dass in einem angemessenen Maße die für verfallen erklärten Gelder umverteilt werden müssen, sondern wir müssen uns sehr genau darüber unterhalten, wie die Organisation dieser Umverteilung erfolgen soll und wie die unterschiedlichen Opferschutzorganisationen an dieser Verteilung partizipieren sollen. Denn eine Dominanz eines Opferschutzvereins kann nicht gewollt sein, sondern es muss eine gerechte und breit gefächerte Verteilung sichergestellt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Darüber hinaus muss ich natürlich in der jetzigen Finanzsituation - auch wenn der Herr Finanzminister

(Ministerin Anne Lütkes)

gerade nicht anwesend ist - darauf hinweisen, dass die Justiz zwar nicht kostendeckend arbeitet, aber auch an den Kostendeckungsgrad zu denken hat, den sie zu erzielen hat. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt - Sie wissen das, Sie kennen den Haushalt - sind die Einnahmen aus Geldbußen und Geldstrafen unmittelbar in den Justizhaushalt einzustellen. Das ist ein sehr unerfreulicher Zielkonflikt, um den wir uns hier zu kümmern haben. Man darf die Augen vor diesem Zielkonflikt nicht verschließen.

Zur Nummer 2 des CDU-Antrages! Ich habe Ihre Forderung so verstanden, dass Sie die finanziellen Mittel deshalb benötigen, damit die betroffenen Frauen schneller an die dem Verfall unterliegenden Gegenstände herankommen. Sie sollen den durch die Tat erlittenen Schaden wieder gutmachen. Der § 111 b StPO verweist auf den § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB - so meine ich. Mir scheint es etwas kompliziert, was Sie hier wollen. Es wäre einfacher, wenn man dafür sorgt, dass die Frauen in dem Verfahren vertreten werden und die Vertretung nach den §§ 395 ff. StPO finanziert werden kann. Aber meine Redezeit ist jetzt zu Ende. Vielleicht können wir das später noch diskutieren.

(Heinz Maurus [CDU]: Das können wir im Ausschuss nacharbeiten!)

Mir scheint Ihr Vorschlag sehr kompliziert zu sein, zumal der Staat verpflichtet ist, alle Gegenstände auch wenn sie nicht dem Verfall unterliegen - einzuziehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der CDU hat Frau Abgeordnete Ursula Sassen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Große Anfrage und die Fachtagung zum Frauen- und Mädchenhandel haben deutlich gemacht, dass mehr für die Opfer getan werden muss. Das ist Grundlage unseres Antrages.

Die von der Beratungsstelle „contra“ veröffentlichten Zahlen zeigen allein von März 1999 bis Mitte September 2000 54 Beratungsfälle auf, wobei sich im Jahr 2000 die Anzahl der Beratungen bereits um das Fünffache erhöht hat.

Unsere Frage nach der Bereitschaft auf Bundesebene, die juristische Definition des Menschenhandels neben der Zwangsprostitution und der sexuellen Ausbeutung auch auf den Handel mit der Zwangsarbeit,

der Zwangsheirat et cetera auszuweiten, wurde damit beantwortet, dass derzeit ein Gesetzgebungsvorhaben nicht vorliege. Hier sieht die CDU Handlungsbedarf.

Was tut nun die Landesregierung neben der Beteuerung, dass die Bekämpfung dieser menschenverachtenden Form der Kriminalität einen hohen Stellenwert hat, ganz konkret? Was tun Sie, Frau Ministerin Lütkes? - Das Modellprojekt „contra“ läuft aus. Die Zuschüsse der Landesregierung haben Sie von 180.000 DM auf 100.000 DM reduziert. Sie übertragen aber gleichzeitig eine Fülle von Aufgaben an „contra“ als Koordinierungs- und Beratungsstelle. Sie können von Glück reden, dass die Nordelbische Landeskirche Ihre Mittelkürzung auffängt.

Sie haben unsere letzte Frage nach speziellen Maßnahmen zur Bekämpfung des Frauen- und Mädchenhandels nur sehr dürftig und allgemein beantwortet. Anlässlich der Fachtagung und auch heute haben Sie eindrücklich das Leid der Frauen geschildert, nun müssen Taten folgen.

Wir brauchen neue Strafverfolgungsstrategien, häufigere Razzien, damit sich die Täter nicht sicher fühlen. Es darf nicht geschehen, dass die Landesregierung wegen Mangel an Polizei- und Kriminalbeamten - die jetzt sicher auch woanders dringend gebraucht werden - den Frauen- und Mädchenhandel und die damit einhergehenden Verbrechen duldet.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir müssen bessere Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Bereitschaft der Opfer steigt, ihre Ausbeuter anzuzeigen.

Hier möchte ich Herrn Generalstaatsanwalt Rex zitieren: „Staatliche Reaktionen müssen so gestaltet werden, dass sie dem Täter wehtun.“ Dazu gehört auch die Vermögensbeschlagnahme. Die Ermittlungsgruppe ist ja jetzt schon aktiv und arbeitet erfolgreich. Das haben wir ihren Pressemeldungen entnommen und auch Herr Minister Buß hat es gesagt.

Im Zusammenhang mit Straftaten wie Menschenhandel oder Förderung der Prostitution werden alljährlich Millionenbeträge bei Straftätern sichergestellt und anschließend gerichtlich für verfallen erklärt. Einzelheiten hat die Landesregierung hierzu in der Beantwortung meiner Kleinen Anfrage mitgeteilt. Um diese Gelder sind Menschen geprellt worden, die Opfer dieser Straftäter sind, und die Gelder sollten eigentlich diesen Opfern auch wieder zukommen oder Organisationen, die im Sinne der Opfer arbeiten. Das aber ist gegenwärtig nicht der Fall. Der Finanzminister verbucht diese für verfallen erklärten Gelder als Einnahme und führt sie der allgemeine Deckungsmasse zu.

(Ursula Sassen)

Ich halte dies für ungerecht und unbefriedigend. Es bieten sich aus Sicht meiner Fraktion drei Lösungsmöglichkeiten an:

Erstens. Die Landesregierung könnte dem Opferschutz eine höhere Priorität zukommen lassen und Opferschutzorganisationen - beispielsweise das Projekt „contra“ - durch entsprechende Haushaltsansätze wieder stärker fördern.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

- Danke, Herr Kubicki!

Zweitens. Die Landesregierung könnte bei den zuständigen Justizbehörden stärker dafür werben, dass Geldbußen in Zukunft häufiger Opferschutzorganisationen zugute kommen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Drittens. Die Landesregierung könnte ihre Beratungsund Unterstützungstätigkeit für die geschädigten Opfer, aber auch für Opferschutzorganisationen ausweiten.

Über die Einzelheiten können wir im Ausschuss gern sprechen.

Es gibt einen Weg, wie die Geschädigten das Geld zurückerhalten können, um das sie geprellt wurden, oder aber wie Opferschutzorganisationen diese Gelder erlangen können, um sie anschließend für ihre Arbeit im Sinne der Geschädigten zu verwenden. Es besteht nämlich die Möglichkeit, diese Ansprüche durch Mahnbeziehungsweise Vollstreckungsbescheide durchzusetzen oder auch an Opferschutzorganisationen abzutreten, die sie im Sinne der Geschädigten verwenden können.

Ich fordere die Landesregierung auf: Tun Sie mehr für den Opferschutz! Geben Sie den Opfern den Anteil, der ihnen zusteht!

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Anna Schlosser-Keichel.