Protokoll der Sitzung vom 14.12.2001

(Beifall bei FDP, SPD und SSW)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Birk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das moderne Gesundheitsamt ist mehr als ein Amt für Seuchen, Hygiene oder Berufsunfähigkeitsbescheinigungen. Das neue Gesetz definiert die Aufgabe dieser Dienstleistungsbehörde vor allem als Koordinatorin für gesundheitsrelevante Entscheidungen und Strukturen innerhalb der Kommune. Das ist keine neue Aufgabe, sondern das ist eine Neudefinition einer alten Aufgabe. Damit ist nicht verbunden, sinnlos viel Geld auszugeben, wie Herr Kalinka hier unterstellt, sondern es handelt sich um eine Modernisierung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge, die die Kommunen haben.

Das moderne Gesundheitsamt holt hierfür alle für die Gesundheit vor Ort Verantwortlichen - seien es die des öffentlichen Dienstes, seien es die Krankenkassen, die Ärzteschaft oder die Pflege- und Selbsthilfegruppen an einen Tisch, um die Umsetzung gesundheitspolitischer Ziele für die Region zu vereinbaren und zu organisieren. Auf der Grundlage einer soliden interkommunalen und mit der Landesebene abgestimmten Gesundheitsberichterstattung erwarten wir, dass die kommunale Selbstverwaltung die Chance ihrer Rolle nutzt.

(Angelika Birk)

Im Rahmen sich heftig verändernder gesundheitspolitischer Parameter tragen Kreise und Städte mehr denn je die Verantwortung für gesunde Verhältnisse vor Ort. Zu Recht spricht das neue Gesetz in diesem Zusammenhang auch von Umweltmedizin. Genau diesen Gesichtspunkt - dass Kommunen einerseits eigenverantwortlich handeln, andererseits sich mit dem Land über bestimmte Parameter der Gesundheitsberichterstattung abstimmen - haben wir in unserem rot-grünen Änderungsantrag noch einmal zum Ausdruck gebracht. Der Änderungsantrag ist auf unsere Bitte hin eingearbeitet worden.

Bewährte Präventions- und Interventionsfelder der kommunalen Gesundheitsarbeit werden in moderner Form fortgeschrieben. Den Versuchen der kommunalen Landesverbände - ich erinnere, Herr Dr. Garg, auch an die FDP - in der Vergangenheit, sich aus der kommunalen finanziellen Hauptverantwortung für die äußerst erfolgreiche Zahnvorsorgeuntersuchungen in Kindertagesstätten und Schulen herauszustehlen, treten wir mit dem Gesetz entschieden entgegen. Auch hier haben wir als Grüne auf eindeutige Formulierungen bestanden. Hier zu sparen würde sich mit dicken Bakken, schmerzhaft und teuer, rächen. Es ist zwar nach dem neuen Sozialgesetzbuch so, dass die Kommune nicht allein und selbst diese Aufgabe durchführen muss, aber sie muss dafür Sorge tragen, dass sie wahrgenommen wird - und dies nicht nur einmal irgendwo, sondern sowohl in den Kindertagesstätten als auch in den Schulen. Die Gesundheitsberichterstattung in Lübeck zeigt zum Beispiel, welchen Sinn es macht, mehrmals und genau hinzugucken, insbesondere bei den Kindertagesstätten und Schulen in sozialen Brennpunkten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Ich möchte erst mit meinen Bemerkungen zum Gesetzentwurf durchkommen, vielleicht können wir uns danach noch auseinander setzen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich möchte mich gar nicht mit Ihnen auseinander setzen, sondern ich möchte Sie etwas fragen!)

Gestatten Sie nun eine Zwischenfrage, ja oder nein?

Nein. - Im Hinblick auf die Beratung und Hilfe für Bevölkerungsgruppen, die aufgrund rechtlicher Diskriminierung, Scham, Unkenntnis der Zuständigkeiten erschwerten Zugang zu kassenfinanzierten Leistungen haben - wie dies leider immer noch häufig bei Migranten und auch bei Obdachlosen geschieht -, finden wir, dass die Gesundheitsamtstätigkeit hier eine besondere Verantwortung wahrzunehmen hat und Beratung anbieten muss. Ebenso gehört für uns zur Aufgabe der modernen Gesundheitsdienstbehörde nach wie vor die Sexualberatung, der anonyme kostenlose AIDS-Test, die Hilfe von überforderten Eltern von Kleinkindern und auch die Unterstützung von Selbsthilfegruppen. Diesen Katalog wird man sicher von Zeit zu Zeit überprüfen, verengen oder erweitern müssen, je nachdem wie die Lage ist. Insofern finden wir auch den Berichtsantrag vom SSW sehr sinnvoll, nach Ablauf einer bestimmten Zeit zu schauen, wie sich das Gesetz bewährt hat. Wir werden diesen Antrag unterstützen.

Ich möchte meine restliche Redezeit dazu nutzen, auf die Einwände gegen den Gesetzentwurf einzugehen. Es ist schon sehr merkwürdig, dass sich die Ärztekammer erst überhaupt nicht gemeldet hat und dass wir von den Kassen keine sachliche Stellungnahmen erhalten haben, jetzt aber, fünf Minuten vor zwölf, von ihnen ein Panikbrief geschrieben worden ist. Ich habe inzwischen gehört, dass dieser offensichtlich nicht zwischen allen Kassen abgestimmte Brief zurückgenommen worden ist. Ich sage: Das ist auch besser so!

(Wortmeldung des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU] - Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete -

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Ich glaube, wir wollen alle früh nach Hause.

(Zurufe)

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, Herr Kalinka, Ihre Änderungsvorschläge beschränken sich erstens darauf, die Bezeichnung Gesundheitsamt weiter fortführen zu wollen. Das haben Sie dann auch an allen Stellen treu durchdekliniert. Ich denke, dass ist nicht unbedingt wesentlich.

Als Zweites haben Sie an einigen Stellen redaktionelle Formulierungsvorschläge gemacht, die bei genauem Hinschauen keine fachlichen Änderungen ergeben.

(Angelika Birk)

Drittens wollen Sie Verbraucherschutz, Katastrophenschutz und Heimaufsicht im Gesetz extra erwähnt haben. Das ist jedoch an anderer Stelle gesetzlich genau geregelt; insofern scheint mir auch das entbehrlich. Deshalb möchte ich sagen: Ihr Antrag ist nur ein bisschen heiße Luft, deshalb werden wir ihn ablehnen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Arno Jahner [SPD])

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen, dass der öffentliche Gesundheitsdienst in Schleswig-Holstein zu einem modernen Bestandteil der Gesundheitspolitik mit einem eigenständigen Aufgabenprofil umgestaltet werden soll. Die kommunale Ebene kann für die Gesundheitspolitik der Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Durch Vermeidung gesundheitsbelastender Verhaltensweisen und Lebensumstände sowie durch die Förderung eines gesundheitsförderlichen Lebensumfeldes lassen sich Erkrankungen nämlich verhindern. Auf diese Weise lässt sich nicht nur Leid reduzieren, eine präventiv orientierte Gesundheitspolitik kann auch dazu beitragen, die Handlungsfähigkeit des Gesundheitswesens zu erhalten und längerfristig Folgekosten für Sozialhilfe, Jugendhilfe und anderes zu vermeiden. Deshalb unterstützen wir, dass verstärkt Zielsetzungen der Vorbeugung mit dem neuen Gesundheitsdienstgesetz angestrebt werden.

Allerdings wollen wir nicht den guten Willen mit der Tat gleichsetzen. Gute Absicht allein reicht nicht aus, um gute Politik zu machen. Entscheidend bleibt, wie die Umsetzung aussieht, und das erscheint schon etwas fragwürdiger. Denn der Spielraum, den man der örtlichen Ebene zur Erreichung der Ziele überlässt, ist sehr groß.

Einerseits sprechen handfeste Gründe dafür, den Leuten vor Ort viel Raum für Entscheidungen zu lassen. So muss die präventive Gesundheitspolitik nah am Alltagsleben der Menschen angelehnt sein und die kommunale Gesundheitspolitik kann besser bestimmen, wie vor Ort die Ziele konkret erreicht werden können.

Andererseits spricht auch einiges dafür, dass es schwer wird, diese Ziele zu erreichen, wenn wir so viel der kommunalen Selbstverwaltung überlassen. Man kann nicht leugnen, dass die Zeit für ein solches Gesetz denkbar schlecht ist. Die kommunale Ebene ist im

Moment bestimmt nicht besonders geneigt, das Gatter zu einem neuen weiten Feld zu öffnen, das es zusätzlich zu beackern gilt. Die Kräfte reichen oft nicht einmal für die Erfüllung der bisherigen Aufgaben. Deshalb sehen wir die Gefahr, dass die angestrebte Neuorientierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes im Sande verläuft, weil die Zielsetzung der kommunalen Gesundheitspolitik zu eng auf Fragen des Infektionsschutzes fokussiert ist und weil die allgemeinen Ziele kommunaler Gesundheitspolitik nicht ausreichend durch Standards und Qualitätssicherung gestützt werden.

Trotzdem honorieren wir, dass die Landesregierung mit dem Entwurf für ein Gesundheitsdienstgesetz endlich die seit sehr vielen Jahren sehnlich erwartete konzeptionelle Neuorientierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Angriff nimmt.

Wir werden daher dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen - mit den vom Ausschuss beschlossenen Änderungen, die jedoch keine grundlegende Veränderung im Verhältnis zum Ursprungsentwurf bringen.

Wir haben dann noch einen Berichtsantrag gestellt darauf sind die Kolleginnen und Kollegen ja schon eingegangen -, weil wir meinen, dass der Landtag in zwei Jahren nachsehen muss, was die kommunale Ebene aus dem neuen Regelwerk gemacht hat und ob weiterer Regelungsbedarf seitens des Landes besteht.

Wir meinen, dass dies die konstruktivste Vorgehensweise bei den Schwachpunkten des Gesetzes ist.

Sicherlich sind auch wir immer noch nicht glücklich damit, aber es mangelt auch an Alternativen. Keine Alternative ist aber für uns die perspektivlose Vertretung berufsständischer Interessen durch die Ärztekammer, die zunächst wenig mit gesundheitspolitischen Erfordernissen zu tun hat und - anscheinend mangels besserer Alternativen - von der CDU kritiklos übernommen wurde.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und Arno Jahner [SPD])

Was mich persönlich besonders geärgert hat, ist, dass der Kollege Kalinka in einer Pressemitteilung behauptet, die Mehrheit des Sozialausschusses sei nicht willens gewesen, sich mit den Vorschlägen der CDU ernsthaft auseinander zu setzen.

(Werner Kalinka [CDU]: So war das!)

Der Beitrag des Unionskollegen bestand nämlich darin, im Ausschuss in der Sitzung in Norderstedt mündlich weitläufig eine Reihe von Fragen, irgendwelche

(Silke Hinrichsen)

Kritikpunkte vorzutragen. Ein wirklicher Vorschlag wurde uns nicht unterbreitet.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Wie soll man sich damit ernsthaft auseinander setzen? Ich gebe zu, dass die nunmehr vorgeschlagenen Änderungen teilweise nicht einen gewissen Sinns entbehren.

(Lachen bei der CDU)

Insgesamt halten wir aber die Zielrichtung der CDU für falsch und können dem Antrag nicht zustimmen.

Wir tragen also das neue Gesundheitsdienstgesetz mit, obwohl ein gerütteltes Maß an Skepsis bleibt. Wir sind gespannt, ob die kommunalen Gremien in diesen Sparzeiten wirklich die Prioritäten richtig setzen und die Bedeutung einer kommunalen Gesundheitspolitik erkennen. Wir vom SSW werden das Unsere dazu tun.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Ministerin Moser das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die neue Weichenstellung des Gesundheitsdienstgesetzes liegt darin, dass die Kreise und kreisfreien Städte die Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes künftig in unmittelbarer eigener Verantwortung als pflichtige kommunale Selbstverwaltungsaufgabe wahrnehmen werden. Der Ton liegt auf „pflichtig“. Die Aufgabenerfüllung ist politisch einklagbar und sie ist auch rechtlich einklagbar, weil in diesem Gesetz schon Aufgaben definiert sind.

Ich bin froh über den Antrag des SSW, der die politische Einklagbarkeit dieser Aufgabenerfüllung sehr deutlich unterstreicht und der auch dazu beitragen wird, die Kommunen zu hindern, hierin ein Sparschwein - wie Sie es gesagt haben, Herr Dr. Garg - zu sehen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich die Kommunen daran machten, gemeinsame Standards zur Aufgabenerfüllung zu erarbeiten.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Ich weiß, dass es in diese Richtung Bestrebungen gibt.